Sicherungsverwahrung und kein Ende

Thomas Meyer-Falk 27.12.2010 16:39 Themen: Repression Soziale Kämpfe
von dem Gefangenen Thomas Meyer-Falk
SV - Was ist das?
Die Sicherungsverwahrung (SV) wurde 1933 von den Nazis (nach Vorarbeiten in der Weimarer Zeit) ins Strafgesetzbuch aufgenommen und ermöglicht seitdem Menschen auch nach Verbüßen der eigentlich zugemessenen Freiheitsstrafe, ggf. bis zu deren Tod zu verwahren.
Gingen in Deutschland (nebenbei: in der DDR wurde die SV als „faschistisch“ gebrandmarkt und verboten) die Zahlen der Verwahrten auf 176 im Jahr 1996 zurück, steigen seitdem die Zahlen, auf mittlerweile 520 Sicherungsverwahrte.
Nach diversen „Reformen“ seit 1998 können mittlerweile Ersttäter genauso in der SV landen, wie nach Jugendstrafrecht Verurteilte. War bis 1998 die erstmalige Unterbringung in der SV auf 10 Jahre begrenzt, kann sie seitdem lebenslang vollstreckt werden; nur alle zwei Jahre wird überprüft, ob der/die Betroffene weiterhin „gefährlich“ ist.
Welches Menschenbild steckt hinter der SV


Die SV geht seit ihren Anfängen von einem reduktionistischen Weltbild aus, kurz gesagt: „Einmal kriminell, immer kriminell“. Goebbels, dem Propagandaminister der Nazis, ging es nach eigenem Bekunden darum „Volksschädliche unschädlich“ zu machen. Dieses Menschenbild schwingt heute zumindest implizit immer noch mit, so als vor etwa 10 Jahren der damalige Kanzler Schröder ein „Wegschließen für immer“ verlangte. Aus vergangenem Verhalten auf eine künftige angebliche „Gefährlichkeit“ zu schließen entspricht qualitativ der Prognose: „Weil es gesten regnete, muss es auch morgen, übermorgen und nächsten Monat regnen“. Eine Aussage, eine Prognose die wohl kaum jemand für vernünftig halten würde; nur wird auf vergleichbarem Niveau über Gefangene geurteilt, was deren künftiges Verhalten anbelangt. Es regiert das Vorurteil und mit vernunft bestimmtem Wissen möchte man sich tunlichst nicht konfrontieren.


Vernunft bestimmtes Wissen?


Es gibt eine Studie aus dem Jahr 2010 (Dr. Alex, „Nachträgliche Sicherungsverwahrung- ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel“) die eindrucksvoll belegt, daß die absolute Mehrzahl jener die als extrem „gefährlich“ diagnostiziert wurde, eben keine Straftaten mehr begingen, als man sie trotz dieser angeblichen Gefährlichkeit in die Freiheit entlassen musste. Selbst renommierte forensische Psychiater, die zu den herausragenden Köpfen ihrer Zunft in Deutschland zählen, wie die Professoren Kröber und Leygraf, gehen davon aus, daß maximal 10-20% der langjährig Inhaftierten wieder ruckfällig werden.


Aktuelle SV-Reform


Angestoßen durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009, reformierte der Bundestag im November 2010 die Regelungen zu SV. Während es künftig keine nachträgliche SV geben soll (freilich nur für den Personenkreis der nach In-Kraft-treten des Gesetzes verurteilt werden wird. D.h. Für alle schon Verurteilten, bleibt das Damoklesschwert der nachträglichen SV, d.h. die Verhängung der SV erst kurz vor oder sogar nach Haftende, über ihren Köpfen schweben), und auch Einbrecher, Betrüger und Diebe nicht mehr in der SV landen sollen, diese Gruppe machte etwa 20% der Verwahrten aus, wird die sogenannte „vorbehaltene SV“ exzessiv ausgeweitet. Bei der vorbehaltenen SV erfolgt im Haftzeit eine neue Hauptverhandlung, in der dann anhand der Entwicklung während der Haft entschieden wird, ob die SV angeordnet wird, oder ob nicht.


SV für politische Delikte


Auch Verurteilungen nach §129a StGB („Terroristische Vereinigung“), ja selbst KFZ-Brandstiftung kann nach wie vor die Anordnung der SV rechtfertigen. Es ist also mitnichten so, dass die SV sich auf Sexualverbrecher beschränken würde, wie selbst viele in der politischen Linken glauben.

Perspektiven für die Verwahrten


Auch wenn sich ein großer Teil der Betroffenen der Hoffnung hingibt, durch eine „Sozialtherapie“, durchgeführt in speziellen therapeutischen Knast-Abteilungen, der SV zu entkommen, wird die Zahl der Verwahrten weiter ansteigen, denn in einer gesellschaftspolitisch so angespannten Lage wie der heutigen, in der eines der vordringlichen Ziele, die Vermeidung jeglichen Risikos ist, werden immer weniger Gerichte und Gutachter den Verwahrten eine wohlwollende Sozialprognose zu stellen bereit sein. Stattdessen wird in Arbeitsgruppen der Justizministerien länderübergreifend an einem (kein Scherz!) „humanen Sterben im Justizvollzug“ gearbeitet. Und die bayrische Justizministerin Merk, sonst als absolute Hardlinerin bekannt, möchte den Vollzug der Verwahrten aufbessern, durch eigene „Zimmer mit Dusche“, anstatt schnöder Knastzellen, sowie vielleicht einem Teich „mit Goldfischen“ im Hofbereich. Nicht umsonst nennen Sicherungsverwahrte ihre die Verwahrung eine „Todesstrafe auf Raten“, nur daß diese künftig offenbar in anheimelenderem Ambiente vollzogen werden soll...

Thomas Meyer-Falk
zu Zeit JVA Bruchsal
Thomas Meyer-Falk
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Ergänzungen

DDR Vergleich unangebracht

Sozialist 28.12.2010 - 00:51
Das Statement, dass die Sicherheitsverwahrung in der DDR als faschistisch galt und verboten war ist komplett unangebracht, da für Menschen, die z.B. gegen die DDR protestierten dann eben gleich lange Haftstrafen vereinbart wurden. Ob ich einem Systemgegner 7 Jahre gebe oder 4 Jahre und 3 Jahre Sicherheitsverwahrung kommt aufs Gleiche hinaus.

@Sozialist

Anarchist 28.12.2010 - 02:42
Es macht eben doch einen Unterschied. Denn Sicherungsverwahrung heißt nicht eben vier Jahre Knast und dann drei Jahre Sicherungsverwahrung, sondern vier Jahre Knast und dann unbegrenzt lange Sicherungsverwahrung. Und nur, wenn die Sozialprognose stimmt wirst Du wieder entlassen. Das ist meist aber nicht der Fall....
Das heißt in der DDR hattest Du das "Glück" in Deiner Beispielsrechnung wenigsten nach 7 Jahren raus zu kommen. In Deutschland würdest Du wahrscheinlich Dein ganzes Leben im Knast verbringen.

Und tatsächlich hat die Sicherungsverwahrung etwas gemein mit der faschistischen Weltanschauung. Einmal Verbrecher ist gleich immer Verbrecher. Es wird nicht mehr auf Grund von begangener "Schuld" inhaftiert sondern allein wegen der potentiellen Gefährlichkeit für den "Volkskörper".

Es gab übrigens schon in der Vergangenheit studien aus den USA, die belegen dass von den vorsoglich inhaftierten Gewaltverbrechern kaum noch eine reale Gefahr ausging. Dort mussten wegen eines Formfehlers in den 60er Jahren ebenfalls etliche Personen aus psychatrischen Gefängnissen entlassen werden. Die Rückfallquote lag bei weit unter 10 Prozent.

Und wer sagt, dass diese Quote schon ausreiche um die gesamte Sicherungsverwahrung zu rechtfertigen muss sich vor Augen halten, dass von 100 Menschen mehr als 90 Menschen lebenslang ihrer Freiheit beraubt werden und massivst in Ihren persönlichen Rechten beschnitten sind. Juristisch stellt dies den Straftatbestand der schweren Freiheitsberaubung dar § 239 StGB, ein Verbrechen, dass mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 10 Jahren belegt ist.

Die Sicherungsverwahrung stellt mithin eine kollektiv Haft dar. Genauso gut könnte mittels Rasterfahndung bestimmte Kriterien festgelegt werden, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen straffällig zu werden, z.B. mänlich, zwischen 16 und 24 Jahre, wohnhaft in einschlägig linken Adressen in Berlin oder Hamburg, linkes Aussehen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass von diesem Personenkreis ein Auto angesteckt wird ist so groß dass es eine vorsorgliche Inhaftierung rechtfertigt.

Nun kommt der Einwand, na aber die Straftäter haben doch schon mal eine Straft begagen. Richtig, aber dass muss bei der Bewertung hinten anstehen, denn die der Straftat angemessene Strafe haben sie bereits verbüßt, und nur weil es gestern regnete muss es die nächtsten Jahre nicht auch regnen.

Die Sicherungsverwahrung wird

yxc 28.12.2010 - 14:37
auf Einzelfälle angewendet – deren Instrumentalisierung im Fall Meyer-Falk mag fragwürdig bis indiskutabel sein.
Was aber an der Debatte stinkt, ist die scheinbare Unfähigkeit der Kritiker Alternativen zu nennen. Denn es gibt nun mal Psychopathen, die ihre Mitmenschen nicht nur gefährden, sondern auch wiederholt schädigen. Also greif' ich mal wieder die Fragen auf, die nie beantwortet werden: Wie ist mit diesen Menschen zu verfahren? Wann sollte utilitaristischem Handeln der Vorzug gegeben werden? Was ist mit den Rechten der Opfer, etwa ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit?

Rückfallquote

Der Andere 28.12.2010 - 15:36
Es ist ja nicht so, dass ein Vergewaltiger direkt ne SV bekommt.
Nur Menschen, die bereits bewiesen haben, dass sie sich nicht im Griff haben und schon (mehrfach) rückfällig geworden sind, werden mittels SV eingesperrt.
in den Fälen nimmt der Staat seine Pflicht des präventiven Schutzes wahr, finde ich persönlich besser, als immer warten zu müssen, bis das Kind erdrosselt im Busch liegt ...

SV für Ersttäter

fakten 28.12.2010 - 23:42
Es ist eine FALSCHE Annahme, dass Sicherungsverwahrung nur Wiederholungstätern drohe.

Insbesondere sind die Hürden für die Anordnung der SV durch die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Neuregelung der Sicherungsverwahrung extrem herabgesetzt worden.

Schaubilder:
In diesem Gutachten sind auf S. 13 und 14 übersichtliche SCHAUBILDER zu finden, die zeigen, wie durch diese Reform fast alle HÜRDEN für die Anordnung der SV WEGFALLEN:
 http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/02_Sicherungsverwahrung/04_Stellungnahmen/Stellungnahme_Kinzig.pdf

Gesetzesänderungen:
(Der „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ ist zu finden unter:  http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/034/1703403.pdf Bundestag und Bundesrat haben ihn mit nur minimalen Änderungen verabschiedet: Die Änderungen sind hier nachzulesen:  http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/040/1704062.pdf)