Dresden: Erinnerung an Reichspogromnacht

No Pasaran Dresden 09.11.2008 21:35 Themen: Antifa
In Dresden fanden heute Veranstaltungen zum Gedenken an den 70. Jahrestag der Reichspogromnacht mit insgesamt mehreren Hundert Teilnehmern statt. Etwa 40 Nazis versuchten, ein Kunstprojekt von Bürger.Courage zu stören, wurden aber von der Polizei weggeschickt. 160 Menschen nahmen an einer liebevoll gestalteten Radtour teil.
Bereits um 11 Uhr morgens trafen sich über 100 Menschen, darunter einige Antifas, mit Fahrrädern an der Kreuzkirche am Altmarkt. Bevor es eine Viertelstunde später los ging, war die Menge der Teilnehmer auf 160 angewachsen. Die VeranstalterInnen entschuldigten sich: "Jedes Jahr reichen die 100 gedruckten Programmhefte, doch heute waren sie gleich vergriffen." Seit 1996 ist die Gedenktafel an der Kreuzkirche die erste Station des "Weg der Erinnerung - Auf den Spuren jüdischen Lebens in Dresden zur Erinnerung an das Novemberpogrom 1938". Die Gedenktafel an der Kreuzkirche mit der Aufschrift "In Scham und Trauer gedenken Christen der jüdischen Bürger dieser Stadt (...)" wurde bereits 1988 von der Vorgängerorganisation der heutigen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V., Veranstalterin des Weg der Erinnerung, angebracht. Das heutige Thema der Tour war "Ausgegrenzt"; denn "das Pogrom hatte eine lange Vorgeschichte der Ausgrenzung jüdischer Menschen in ihrem Alltagsleben, die von einer Mehrheit der Bürger, (...) mitgetragen und akzeptiert wurde. (...) es gilt, wach und sensibel zu sein, wenn Menschen heute andere ausgrenzen und sich über sie erheben."

Nach einer Station am Wettiner Platz zur Bücherverbrennung 1933 wurde auf dem Altmarkt der Boykott jüdischer Geschäfte thematisiert. Dazu spielten Schülerinnen und Schüler des St.Benno-Gymnasium eine Szene nach, in der sich ein Geschäftsinhaber gegen das unverschämte Auftreten der SA gewehrt hatte, dafür verprügelt und festgenommen wurde. Jede Station wurde außerdem durch das gemeinsame Singen eines Liedes der jüdischen Widerstandskämpferin Hanna Szenesch und einem Gebet aus Psalm 35 abgerundet.

Am Hygienemuseum ging es um "Sozialhygiene", die unter den Nazis 1933 zur "Rassenhygiene" mutierte. Die Absurdität der Nürnberger Rassegesetze wurde deutlich, als Teile davon verlesen wurden. Die Schülerinnen und Schüler vom St.Benno-Gymnasium hatten auch hier etwas vorbereitet. Anhand einer Gruppe von 20 Freiwilligen wiesen sie nach, dass die konsequente Anwendung der Aussortierkriterien der Nazis kaum eine Person verschonen würde.

Etwas Neues zu erfahren gab es dann im Großen Garten. An einer Parkbank wurde an zwei ältere Frauen mit Judenstern erinnert, die dort 1942 verbotenerweise gesessen hatten. Der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde musste die beiden zur Fahndung ausschreiben. Die Strafe für dieses "Vergehen" bestand meist im Tod durch Prügel oder Transport ins KZ. Ein Kunstprojekt sieht vor, an dieser und anderen Stellen gläserne Bänke mit der Aufschrift "Hinsehen" aufzustellen, die an das 1940 erlassene Verbot des Betretens öffentlicher Grünanlagen für jüdische Menschen erinnert. Ursprünglich war die Inschrift "Nur für Arier" geplant, wogegen es aber Bedenken gab, dass dies zu provokativ wäre oder gar ernst genommen werden könnte.

Am Bahnhof Neustadt wurde die Deportation von Jüdinnen und Juden nachgestellt, indem die Teilnehmer in Zweierreihen einmal durch den Bahnhof zogen. An der Gedenktafel, welche an etwa 200 Dresdener Juden erinnert, die dort am 3. März 1943 den Zug nach Osten in die Konzentrationslager betreten mussten, lasen Schüler Erinnerungen von Überlebenden dieses Transports vor.

In der Neuen Synagoge schließlich, ging es um das Thema "Neue Hoffnung". Von knapp 5.000 Jüdinnen und Juden lebten 1945 noch etwa 70 in Dresden. Heute sind es wieder 700. Viele kamen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Dresden. Zwei junge Frauen aus Usbekistan und Rußland übernahmen die Gestaltung dieser Station. Sie erzählten viel über die liberale jüdische Gemeinde in Dresden und wiesen während der Führung durch die Synagoge auf alle historischen Bezüge in der Architektur der Synagoge hin, und ermunterten schließlich die Teilnehmer dazu, die ausgeteilten Kerzen als jüdisches Hoffnungssymbol des "Feuers" zu entzünden. Zum Abschluss luden sie in das Jüdische Gemeindezentrum zu Borschtsch, Kaffee und Kuchen ein. Filme eines Schülerprojekts zum Thema Ausgrenzung wurden gezeigt und an der großen Kaffeetafel fand die Veranstaltung nach 15 Uhr, viel später als ursprünglich geplant, zu ihrem Ausklang.

Gegen 16 Uhr, eine halbe Stunde vor dem ökumenischen Gedenken der Stadt Dresden ebenfalls an der Synagoge, tauchte eine Gruppe Nazis in der Innenstadt auf. Die Nazis begannen sich am Neustädter Markt zu sammeln. Dort in der Nähe plante Bürger.Courage um 17 Uhr ihr Kunstprojekt am Elbufer neben der Augustusbrücke zu eröffnen. Durch die Polizei abgesichert verlief die Veranstaltung dann jedoch nach Plan.
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Ergänzungen

Text von der Gedenktafel

Teilnehmer 09.11.2008 - 22:00
Hier nochmal die Inschrift der Gedenktafel an der Kreuzkirche:

IN SCHAM UND TRAUER
GEDENKEN CHRISTEN
DER JÜDISCHEN BÜRGER DIESER STADT.
1933 LEBTEN IN DRESDEN 4675 JUDEN.
1945 WAREN ES 70.
WIR SCHWIEGEN
ALS IHRE GOTTESHÄUSER
VERBRANNT, ALS JUDEN
ENTRECHTET, VERTRIEBEN
UND ERMORDET WURDEN.
WIR ERKANNTEN IN IHNEN
UNSERE BRÜDER
UND SCHWESTERN NICHT.

WIR BITTEN
UM VERGEBUNG UND SCHALOM

NOVEMBER 1988

Die Tafel wurde auf Betreiben von Pfarrer Siegfrid Reimann angebracht, der den 'Dresdener Arbeitskreis Begegnung mit dem Judentum' mit ins Leben rief und Vorsitzender des Förderkreis für den Bau der Synagoge Dresden war, welche 2001 eröffnet wurde.
 http://www.dresden.de/de/02/035/01/2005/06/c_017.php

Beitrag im Sachsenspiegel

Teilnehmer 09.11.2008 - 22:43
Ein MDR-Kamerateam war die einzige Vertretung der 'mainstream'-Presse vor Ort, und es gibt jetzt auch einen guten Beitrag im Sachsenspiegel dazu (in der Liste der zweite Beitrag).

 http://www.mdr.de/sachsenspiegel/5902999.html

Artikel in der SäZ zur Veranstaltung der Stadt

Zeitungleser 09.11.2008 - 23:51
Dresdner gedenken der Opfer der Pogromnacht
Von Alexander Riedel

Hunderte kamen gestern zur Synagoge, um ihre Anteilnahme zu bekunden.

An die 500 Menschen versammelten sich gestern Abend an der Dresdner Synagoge, um an die Untaten der Reichspogromnacht zu erinnern, mit denen vor 70 Jahren der Holocaust begann. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Politiker, die Kränze am Denkmal für die alte Semper-Synagoge niederlegten. Diese war in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 in Brand gesteckt und verwüstet worden.

In ihrer Gedenkrede erinnerte Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) daran, dass am Ende des Holocausts nur weniger als 100 Juden in Dresden am Leben geblieben waren. „Heute ist die jüdische Gemeinde aber wieder ein fester Bestandteil des Dresdner Lebens“, so Orosz weiter. Gleichzeitig gebe es jedoch immer noch rechtsextrem motivierte Übergriffe wie die Überfälle auf Döner-Imbisse während der Fußball-Europameisterschaft, sagte Orosz. Diesen Verbrechen müsse entschlossen entgegengetreten werden, um ein offenes und tolerantes Miteinander zu ermöglichen.

Bei der anschließenden ökumenischen Gedenkveranstaltung in der neuen Synagoge erinnerte zunächst der katholische Dekan Klemens Ullmann daran, dass die damalige christliche Gemeinde in Dresden beim Pogrom achtlos zugesehen oder sogar mitgemacht habe. Sodann bekräftigte Nora Goldenbogen, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Dresden, den Aufruf zur Beteiligung an der bürgerlichen Gegendemonstration zum geplanten Naziaufmarsch am 14. Februar 2009.

Als letzter Redner gemahnte Peter Meis, Superintendent der evangelischen Kirche Dresden: „Alles kommt wieder. Erinnerungen an Altes sind immer auch ein Blick auf Zukünftiges.“

Dresdner Nazis...

Borat 10.11.2008 - 22:07
...immer wieder super. Während sie sich im Umfeld von Antifa-Demos respektive ihren eigenen Demos und Aktionen regelmäßig Nasenbluten holen und über ihre eigenen Füße stolpern, sind sie dann doch immer wieder "mutig" genug, sich heldenhaft an irgendwelchen Bürgern vergreifen zu wollen. Ganz großes Tennis. In diesem Fall mal gut, dass die Polizei aufgepasst hat.

Gedenken zum 70. Jahrestag der Pogromnacht

antifa.sozialbetrug 11.11.2008 - 13:14
 http://antifasozialbetrug.siteboard.de/antifasozialbetrug-post-4188.html#4188

Aufruf 'GehDenken' - 14. Februar 2009 gegen Neonazis
Europas größten Neonazi-Aufmarsch stoppen
 http://antifasozialbetrug.siteboard.de/antifasozialbetrug-about1054.html

Against Nazi-marchs on 13th and 14th of February
 http://antifasozialbetrug.siteboard.de/antifasozialbetrug-post-3835.html#3835

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Zivilcourage gegen Rechts in Gera

http://www.otz.de 10.11.2008 - 02:42
NPD-Aktionen in Gera und Ronneburg versanden in Bedeutungslosigkeit
Von Uwe Müller Gera/Ronneburg. Die NPD wollte am Sonnabend aufs Geraer Rathaus vorrücken. Mit einem Informationssstand "Gera - NPD - Zukunft" sollte mobil gemacht werden in der Innenstadt. 50 Teilnehmer mit Fahnen, Transparenten und Lautsprecher waren angemeldet. Es sollte ein armseliges Häuflein bleiben. Zwischen fünf und 13 Neonazis kamen zu den Aktionen in Gera und Ronneburg, so das Fazit der Polizei.

Tatsächlich übertraf das Aufgebot der Ordnungshüter die NPD-Präsenz auf dem Geraer Kornmarkt, wo sich die Rechtsaußen nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit versammelten; ähnlich war es in Ronneburg. Auf dem Geraer Markt hatten Deutscher Gewerkschaftsbund und die Geraer Gruppe des UN-Kinderhilfswerkes Unicef spontan eine Gegenveranstaltung platziert. Die Mülltonne, in die braunes Propagandamaterial entsorgt werden konnte, blieb aufgrund der weitestgehenden Ignoranz, auf die die NPD-Aktion gestoßen ist, leer.

Dass am Vorabend eines geschichtsträchtigen Datums deutscher Geschiche - des Jahrestages der Reichspogromnacht und damit der Judenverfolgung durch die nationalsozialistische Diktatur einerseits und andererseits des Mauerfalls 1989 - die NPD den Kornmarkt okkupieren wollte, das hatte bei DGB und Unicef für besonders große Besorgnis gesorgt. "Deshalb müssen wir unbedingt Gesicht zeigen", so Andreas Thieme; der Wirt vom "Burgkeller" vertritt die Unternehmer am Runden Tisch. "Wir wollen, dass die Innenstadt belebt wird, aber nicht auf diese Weise", kommentierte der die NPD-Aktion.