Christian Geissler lebt!

diverse 17.09.2008 21:21 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Am 26.August starb der Schriftsteller und Kommunist Christian Geissler im Alter von 79 Jahren. Er war einer der wenigen Intellektuellen der BRD, der nie Frieden mit diesem Staat geschlossen hatte. Er hatte sich auch vielfach für die Gefangenen aus der RAF eingesetzt, ob nun auf Veranstaltungen,durch Besuche oder in seinen Büchern wie zum Beispiel in "kamalatta".
Aus Anlaß seines Todes folgen 3 Nachrufe.
Zum Tod von Christian Geissler
Ron Augustin
‘Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.’
Bertolt Brecht
Am 26.8. ist der Schriftsteller Christian Geissler gestorben, 79 Jahre alt. In literarischen Kreisen vom PEN Club bis zum Goethe Institut eher als Nestbeschmutzer betrachtet, hat er in seinem mehr als 40 Jahre umfassenden Werk einen ganz neuen Sprachgebrauch entwickelt: kompakt, engagiert, verbindlich. Sein 1976 veröffentlichtes ‘Wird Zeit, dass wir leben’ ist noch immer eins meiner Lieblingsbücher. Er gibt darin ein ausgezeichnetes Bild vom Tagesablauf einer kämpfenden Gruppe und vom Leben in der Illegalität. Es ist auf Berichten aus dem Widerstand gegen die Nazis basiert und auf seinen Eindrücken, die er Anfang der 70er Jahre in der Zusammenarbeit mit der RAF gesammelt hat. ‘Der Geissler’ war ein solidarischer Mensch, und Solidarität war für ihn konkret. Er hat sich dann auch schnell für den Schutz der Gefangenen eingesetzt und das Hamburger Komitee gegen Folter an politischen Gefangenen mitbegründet. Mehr als 20 Jahre hat er uns, Gefangene aus der RAF, im Knast besucht und sich an unseren Diskussionen beteiligt. Als Kommunist und Teil von ‘uns’, wie er sagte. Das Verhältnis war nicht immer einfach, weil das auch nur schwierig zusammenzubringen ist: Legaler und Illegale, der individuelle Schriftsteller und das Gefangenenkollektiv, Kampf auf der Ebene der Sprache und Kampf aus der Knastsituation. Eher mit Fragen als mit fertigen Antworten, aber auch mit seinem typischen, beissenden Humor, hat er sich als Laus im Pelz verstanden, und uns in politischen Auseinandersetzungen kritisch die Stirn geboten. Obwohl wir uns regelmässig gestritten haben, haben wir viel von einander gelernt. Nicht wenig davon ist in seinen Büchern, Fragmenten und Gedichten dieser Jahre zu finden. Wenn diese nochmal ausgegraben werden, sitzen die Herrschenden hoffentlich wieder weniger sicher.
Ron Augustin, Niederländer, war seit 1971 in der RAF organisiert. Ron wurde am 23.07.1973 bei seiner Einreise in die Bundesrepublik im Zug festgenommen. Verurteilt wurde er (Prozeß 1975 in Lüneburg) wegen Mitgliedschaft in der Roten-Armee-Fraktion u.a. Er wurde zu 6 Jahren Haft verurteilt. Desweiteren erhielt er eine 6-monatige Beugehaft, die er wegen Aussageverweigerung im Prozeß gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe erhielt, plus weiterer Ordnungsstrafen aus seinem eigenen Prozeß.
Meine Begegnungen mit Christian Geissler
Zum ersten Mal habe ich ihn bewußt wahrgenommen, als wir beide im Hamburger Komitee gegen Folter tätig waren.
In der gemeinsamen kurzen Zeit versuchten wir Öffentlichkeit zu den Gefangenen aus der RAF herzustellen, um sie vor den staatlichen Übergriffen zu schützen und sie so aus der Isolation wie z.B dem Toten Trakt in Köln-Ossendorf zu entreißen, wo damals Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof eingemauert waren. Letzteres gelang uns, aber die Aufhebung der Isolation aller nicht. Das war ein Ziel, was uns beide immer wieder zusammenführte.
Mitte der der siebziger Jahre empfahlen mir GenossInnen seine Bücher zu lesen, wie "Das Brot mit der Feile" und " Zeit, daß wir leben". In diesen Büchern ging es um den Aufbruch von 1967/1968 und um eine versuchte Gefangenenbefreiung während des Nationalsozialismus. Beide Werke zeigten, dass Literatur immer eine Waffe gegen die herrschende Unrecht ist. Nur so hat Kultur auch eine Funktion für ein neues Leben, was wir beide immer anstrebten.
1981 machten wir zusammen eine Veranstaltung anläßlich des Hungerstreiks 1981. 8 Gefangene hatten zu dieser Zeit die Haft nicht überlebt. Um den Gefangenen einen gewissen Schutz zu ermöglichen, forderten sie ihre Zusammenlegung in interaktionsfähige Gruppen von mindestens 15. Trotz einer großen Moblisierung von gesellschaftlichen und militanten Kräften erreichten wir dieses Ziel nicht. Sigurd Debus, Mitglied einer anderen bewaffneten Gruppe, starb während des Hungerstreiks, weil er mit den Gefangenen aus der RAF zusammen kommen wollte. Seine Todesursache ist bis heute ungeklärt und er der war 9 tote Weggesperrte.
Während ich in Hamburg lebte, verließ er die Stadt und wir verloren uns deshalb aus den Augen. Was er so auf ein Papier brachte, wie "kamalatta" las ich und bekam weiterhin sein Engagement für die Gefangenen mit.
Auf einer Lesung in Hamburg traf ich ihn 1999 wieder. Er erkannte mich sofort und wir tauschten unsere Adressen aus. So war es dann auch leichter möglich, Texte von ihm in dieser Zeitschrift zu veröffentlichen.
Später zog er wieder nach Hamburg und so wir sahen uns häufiger. 2005 führte ich ein längeres Radiointerview mit ihm von über 85 Minuten anläßlich des 18.März, den Tag für die Freiheit den politischen Gefangenen. Dieses Gespräch handelte von:
- seiner Zeit in der KPD
- die Ereignisse um den 2.6.67
- Ulrike Meinhof, die er schon seit der KPD kannte
- 14.5. 1970: die Befreiung von Andreas Baader und seine Auseinandersetzung mit der RAF
- seine Arbeit im Komitee gegen die Folter an den politischen Gefangenen in der BRD
- die Zeit um 1989 mit den Brüchen und Dissonanzen
- Ausblick, um zu lernen und damit wieder stärker zu werden
- zwischendurch wurde Musik gespielt, die die Geschichte des Aufbruches behandelte.
Leider war die Zeit bedingt u.a. durch sein Alter und seine angegriffene Gesundheit zu knapp, um dieses Gespräch zu Ende zu bringen.
"...im übrigen:
die geschichte des bewaffne-
ten kampfes ist nach 77 und
auch nach 89 und auch nach 92
und auch nach 98 so wenig
zuende wie die geschichte der
internationalen klassenkämp-
fe. für diese treue im histo-
rischen prozess sorgt das
herrschende system der aus-
beutung des menschen durch
den menschen. das ist, mitten
in der scheiße, schön. der
mensch, das ist seine schön-
heit, läßt sich auf die dauer
nicht erniedrigen und beleidgen..."
Christian Geissler schrieb das an die Medien 1998 nach der Auflösungserklärung der RAF.
Wolfgang
Erinnerung an Christian Geissler
Mein erster Kontakt mit Christian Geissler kam Ende der 80er Jahre zustande. Damals gab es noch eine relevante linke Bewegung, die sich auf die Gefangenen aus RAF und Widerstand stützte. Doch mir waren deren Flugblätter und Texte oft zu steril und schwer zu lesen. Wenn es gelänge, daraus Literatur zu machen, dachte ich mir. Ich hielt es für unmöglich. Dann fiel mir kamalatta von Christian Geissler, ein romantisches Fragment, wie es im Untertitel hieß in die Hände. Das Buch ist nicht einfach zu lesen. Doch ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen, bis ich es zu Ende gelesen habe. Hier wurden Kommunisten lebendig, wie sie immer gewünscht hatte: Alte Kämpfer für die Sache der spanischen Republik, die sich mit jungen AntiimperialistInnen über den bewaffneten Kampf unterhalten. Ahlers, der Kommunist, der sich in den Büchern von Geissler politisch und sozial weiter entwickelt hatte, sieht in den Aktionen der RAF eine Fortsetzung der proletarischen Kämpfe, von der Roten Armee, bis zu dem kaum entwickelten antifaschistischen Widerstand. Die Kommunisten, die Geissler in kamalatta entwickelt hat, waren das Gegenteil der meisten realexistierenden Kommunisten in der BRD der späten 80er Jahre. Die machten eher Ordnerdienste für Willi Brand und drängten protestierende Linke ab, als dass sie sich solidarisch zu Gefangnen aus der RAF verhielten. Die Wunschkommunisten, die Christian Geissler in seinem Roman zeichnete, wurden real, durch die Person des Autors. Christian Kommunist Geissler stand für diese dissidente Strömung eines linken Kommunismus mit seiner politischen Biographie.
Das sollte sich 1997 zeigen. Geissler war einer der Podiumsteilnehmer einer Diskussionsrunde über das Endlosthema 20 Jahre deutscher Herbst. Neben ihm waren weitere sogenannte Linksintellektuelle. Doch Geißler brachte die Moderation Miriam Nirumad, damals Tageszeitung, heute Miriam Lau (Die Welt) zur Verzweiflung, als er verkündete, dass er nicht daran denke, sich an diesem Gedenkzirkus zu beteiligen und den kämpfenden GenossInnen, nachträglich in den Rücken zu fallen. Dann las er einen Aufruf zur Freilassung der Gefangenen der RAF vor und verließ das Podium. Miriam (Tageszeitung) alias Lau (Welt) rang die Hände. Auch im Publikum war es nur eine Minderheit, die Geissler offen applaudierte.
Doch auf den Applaus der Liberalen und der Stützen des Kapitalismus, kam es Christian Geissler auch nicht an. Er wusste, dass ein Kommunist hier und heute verdammt einsam ist. Auf dieser Grundlage lebte, kämpfte und arbeitete Christian Geissler. Für mich wird er immer ein Vorbild sein, sowohl politisch als auch kulturell. Christian Geissler presente.
Peter Nowak
Diese Beiträge sind in dem Gefangenen Info 341 erschienen.
Weitere Beiträge:
- Aktuelles zum Berliner §129-Verfahren, was am 25.9. beginnt.
- zum §129b-Verfahren in Stuttgart-Stammheim
- Offener Brief aus dem Knast Spolteleo, Italien
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Das Gefangenen Info im Netz: www.political-prisoners.net
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Ergänzungen

Geschichte von und für Überlebende

riotqueer 18.09.2008 - 02:04
Es ist klar, das die kommenden Generationen den Standpunkt vom Wechsel aus der sozialen Basis hin zum bewaffneten Kampf, aus individueller Sicht, der Siegerjustiz der West-BRD weiterhin abkämpfen muss.

In der Retospektive betrachtet, scheint der zeitgenössische Hass insbesondere der älteren Deutschen aud die 'RED ARMY FICTION' deswegen so groß gewesen zu sein, weil die Unterschiede in der Sache besonders klein waren. Dieses epochale Missverständnis, dass heute einige Medien und Politiker - allerdings auch eher halbherzig - in der Klar-Hogefeld-Gnaden-Debatte noch einmal nutzen versuchen, bedürfte der Aufklärung. Beiwes Christian Klar doch unlängst, dass er genau derselbe antiwestliche Pennälerlyrik produziert wie der CDU-Rechtsaußen Huber & Co. bzw. jede stramm pazifistische Kindergärtnerin. Weil das so ist, gibt es keinen Grund, ihn länger in den Knast schmoren zu lassen.

Wenn dann das endlose Aufwärmen des "Deutschen Herbstes" endgültig gegenstandslos wird, dann zeigt sich vielleicht auch deutlicher, wie schauderhaft deutsch die RAF war. Oder anders gesagt: Wie gut sich die größten Geiferer, die einst nach KZ und Todesstrafe riefen, eigentlich mit den verhassten "Terroristen" hätten unterhalten können - über US-Kulturimperialismus, internationales Judentum, alliierten Bombenterror und die nationale Rückbesinnung der BRD!

Mein Salut Herr Geissler!

Christian Geissler - ein Unbeugsamer

ein autonomer aus Kopenhagen 19.09.2008 - 00:09
Christian Geissler war kein bekannter Schriftsteller im dänischen Sprachraum, obwohl sein Buch "Das Brot mit der Feile" in den frühen sechziger Jahren in einem dänischen Grossverlag erschienen ist. Allerdings kannten wir - einige von der damaligen autonomen Szene in Kopenhagen ihn dafür ganz gut. Hatte er doch als Gast bei uns, die langen Nächte oft durchdiskutiert. Er hatte eine sehr beeindruckende Sprache und einen grossen Erfahrungshorizont in der Geschichte des linken Widerstandes in der Adenauer`schen Restaurationsphase bis in die Gegenwart. Wir waren sehr beeindruckt von diesen jungen alten Kommunisten.
Einige seiner Bücher haben wir dann nach seinen Aufenthalt in Kopenhagen nachgelesen.Passagen des Beitrages von Ron Augustin decken sich ganz gut
mit unseren eigenen persönlichen Eindrücken von Christian Geissler,als aufrechten, leidenschaftlichen Kämpfer für andere, sozialistische Gesellschaftsverhältnisse von unten.

"Es herrscht das Schauspiel der Infragestellung - stellen wir da Schauspiel in Frage".

Eine korrektion

autonomer aus Kopenhagen 19.09.2008 - 13:18
Das Buch, das in dänischer Sprache erschien, hies "Unter Anklage" und nicht "Das Brot mit der Feile". sorry.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

Unverständnis — egal

@egal — no way

ein kpdler — antifa

der Tote lebt — Ananda