Oaxaca-Soli in Stuttgart

Wolfgang Schuster 23.12.2006 23:14 Themen: Soziale Kämpfe
Am Freitag Abend führten etwa 25 Menschen eine unangemeldete Demonstration durch die Stuttgarter Innenstadt durch. Mit Megaphon-Durchsagen und Parolen solidarisierten sie sich mit den Aufständischen in Oaxaca. An die Passanten wurden Flugblätter verteilt, in denen nicht nur die Situation in Oaxaca thematisiert wurde, sondern auch die aktuelle Repressionswelle in der Türkei und das Vorgehen von Polizei und Justiz in Stuttgart. Ohne Konfrontation mit der Polizei wurde die Demonstration schließlich in der Nähe des Rotebühlplatzes aufgelöst.
Ein kurzer Auszug was ein Redner in etwa noch dazu angemerkt hat:
Wir werden uns trotz der zunehmenden Repression auch zukünfitg die Straße nehmen wann und wo es uns passt. Die vergangenen Angriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft auf linke Strukturen, Demonstrationen etc. können für nur eines bedeuten: Wir müssen uns Organisierungen schaffen die der Repression standhalten, die Antworten auf die aktuelle Situation der Krise der revolutionären Linken finden und einen kontinuierlichen revolutionären Aufbauprozess gewährleisten können. Im nächsten Jahr stehen mit den Protesten gegen die Angriffe von Regierung und Kapital auf das Gesundheitssystem und die Rente, sowie mit dem G8 Gipfel wichtige Aktivitäten an, dazu gilt es aktiv zu sein und inhaltlich und praktisch eine revolutionäre Stoßrichtung und Perspektive zu entwickeln.
Die Aktivitäten der Menschen in Oaxaca und aktuell in vielen anderen Ländern weltweit gegen die kapitalistische Barbarei gilt es dabei zu unterstützen und von ihnen zu lernen.








Text des verteilten Flugblattes:

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Solidarität mit dem Volksaufstand in Oaxaca, Mexiko!
Schluss mit den Angriffen von Polizei und Paramilitärs!


Am heutigen Freitag, den 22. Dezember finden weltweit Solidaritätsaktionen für
die Aufständischen im Bundesstaat Oaxaca in Mexiko statt.




Im Mai diesen Jahres traten etwa 70 000 LehrerInnen in Oaxaca, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates in Mexiko in den Streik. Sie forderten bessere Arbeitsbedingungen und soziale Reformen, z.B. täglich eine Mahlzeit für die SchülerInnen. Tausende Menschen solidarisierten sich mit den Streikenden. Am 14. Juni griff die Bundespolizei die Streikposten in der Innenstadt von Oaxaca an, sie setzte dabei Tränengas, Helikopter und Schusswaffen ein. Noch am selben Tag eroberten die LehrerInnen unterstützt von der Bevölkerung in stundenlangen Kämpfen die Innenstadt zurück. In den folgenden Wochen entstand eine Massenbewegungen gegen die staatliche Repression und den Gouverneur Ulises Ruiz, sowie für soziale Reformen. An kilometerlangen Demonstrationszügen nahmen mehrere hunderttausend Menschen teil, Regierungsgebäude und Rundfunkstationen wurden besetzt und Barrikaden errichtet, auch über die Stadtgrenzen hinaus. Mehr als 300 Organisationen schlossen sich zur Volksversammlung APPO zusammen. Trotz zahlreicher Angriffe von Polizisten in Zivil und Paramilitärs mit mehreren Toten und trotz massiver Hetze in den Medien wurde die Bewegung immer stärker.
Am 30. Oktober griff die Polizei erneut an: Tausende schwerbewaffnete Bundespolizisten mit Helikoptern und Wasserwerfern drangen in die Stadt vor, unterstützt wurden sie dabei erneut von paramilitärischen Gruppen. Noch einmal konnten die Polizeieinheiten nach stundenlangen Kämpfen von der Bevölkerung zurückgeschlagen werden. Am 06. November beteiligten sich 800 000 bis 1 300 000 Menschen an einer Demonstration gegen die Polizeiangriffe und für eine Umsetzung der Forderungen des Aufstandes.
Polizei und Militär gelang es seitdem jedoch Stück für Stück Teile der Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen und Straßensperren im Umland von Oaxaca zu errichten. Sie gehen seitdem brutal gegen alle oppositionellen Organisierungen vor: Weite Teile der Stadt sind militarisiert, überall wird nach AktivistInnen des Aufstandes gefahndet, täglich finden Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt, Demonstrationen werden angegriffen, paramilitärische Gruppen führen unter dem Schutz der Polizei Angriffe durch. Zahlreiche Menschen befinden sich in Hochsicherheitsgefängnissen, von dort wird von Folterungen und Übergriffen berichtet, von vielen AktivistInnen ist der Verbleib unklar, sie wurden von Spezialkommandos der Polizei oder von Paramilitärs verschleppt. Selbst MenschenrechtsbeobachterInnen stehen auf schwarzen Listen und sind aus Angst vor Übergriffen und Festnahmen gezwungen sich versteckt zu halten.

Die Menschen in Oaxaca kämpfen jedoch weiter. Sie halten nach wie vor an ihren Forderungen fest und fordern den sofortigen Rückzug der Polizeieinheiten. Sie führen weiter Demonstrationen durch, organisieren sich und diskutieren ihre nächsten Aktivitäten. In Mexiko und weltweit solidarisieren sich Menschen mit den Aufständischen.

Die Nationale Menschenrechtskommission CNDH, eine bundesstaatliche Stelle mit relativer Unabhängigkeit, veröffentlichte einen Bericht zu Oaxaca. Sie bilanziert den Konflikt folgendermassen: „Wir haben 349 verhaftete Personen registriert sowie 370 Verwundete und 20 Verstorbene, von denen 11 in Situationen ihr Leben verloren, die direkt mit den Ereignissen zusammenhängen.“ (...) „Die PFP (Bundespolizei) und die weiteren Kräfte, welche zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung intervenierten, machten wiederholt und exzessiv von Gewalt Gebrauch. Als Folge davon wurde das institutionelle, soziale und kulturelle Gefüge im Bundesstaat beschädigt.“

Die bürgerlichen Medien verschwiegen die Proteste weitgehend oder lieferten nur verzerrte Berichte über die Situation in Oaxaca. Es ist daher wichtig, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen um zu verhindern, dass Polizei, Militär und Paramilitärs in Oaxaca weiter gegen die Bevölkerung vorgehen.

Nicht nur weil der deutsche Staat und deutsche Konzerne wie etwa die Südwest LB, die mexikanische Oligarchie unterstützen und so mitverantwortlich für die unzähligen Menschenrechtsverletzungen, die politische Repression und die Morde an Oppositionellen in Mexiko sind, gehen wir hier auf die Straße. Wir solidarisieren uns mit den Kämpfen weltweit gegen Kapitalismus und Krieg - in Mexiko, Nepal, der Türkei, Venezuela und allen Ländern in denen viele Menschen nicht länger bereit sind die Angriffe von Staat und Kapital auf ihre Lebenssituation hin zunehmen, sich dagegen zur Wehr setzen und für eine befreite Gesellschaftsordnung kämpfen!
Der Aufstand in Oaxaca ist ein aktuelles Beispiel für diesen Kampf. Trotz staatlicher Repression, Hetze in den Medien und Beschwichtigungsversuchen machen Hunderttausende dort deutlich: ya basta - es reicht! Sie organisieren sich, schaffen Strukturen um eine Gegenöffentlichkeit und freie Informationen zu gewährleisten, stellen die Autorität der staatlichen Institutionen in Frage und organisieren in ersten Ansätzen die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche selbst. Die Rolle des bürgerlichen Staates wird hier um so deutlicher: Er verteidigt die Interessen der herrschenden Klasse und geht gegen alle vor die diesen entgegenstehen.






Kasten 1:
Nicht nur in Oaxaca finden aktuell Angriffe auf linke und revolutionäre AktivistInnen statt. Je mehr Menschen nicht mehr bereit sind sich den kapitalistischen Interessen unterzuordnen, desto offener und brutaler wird die Repression gegen alle die sich gegen diese Verhältnisse zur Wehr setzen.
Ein aktuelles Beispiel ist die Türkei. Dort werden seit September diesen Jahres unzählige Organisierungen angegriffen: Gewerkschaften, Frauenrechtsgruppen, Stadtteilinitiativen, Zeitungen, Radiosender, politische Organisationen und Parteien gerieten ins Visier des Staates. Es fanden unzählige Hausdurchsuchungen, die eher Zerstörungsaktionen glichen und Festnahmen in nahezu allen größeren Städten statt. Demonstrationen werden von der Polizei attackiert und die Beteiligten teilweise inhaftiert. Den Festgenommenen droht Haft in sog. F-Typ Gefängnissen, wo politische Gefangene durch – als „weiße Folter“ bezeichnete – jahrelange vollkommene Isolation physisch und psychisch gebrochen werden sollen.
Vorwand der Repressionswelle ist ein neues „Anti-Terror Gesetz“, dass es noch einfacher macht gegen oppositionelle Organisierungen und AktivistInnen vorzugehen und selbst diejenigen zu kriminalisieren, die darüber nur berichten.
Durch die starke Gegenwehr der Bevölkerung gegen die Polizeiaktionen, musste sich die Polizei trotz des Einsatzes von Gasgranaten und Wasserwerfern in mehreren Stadtteilen wieder zurückziehen.
Der deutsche Staat unterstützt das türkische Regime währenddessen maßgeblich: Ende November fanden in mehreren deutschen Städten Razzien bei linken türkischen Vereinen statt. In Stuttgart wurde das „Anatolische Kultur- und Kunsthaus“ von der Polizei durchsucht. Dabei wurden Bücher, Zeitungsarchive, sämtliche Datenträger und Computer beschlagnahmt. Bundesweit wurden mehrere Vereinsräume und etwa 50 Privatwohnungen von Vereinsmitgliedern und Menschen die die Vereinsräumlichkeiten lediglich besucht hatten, durchsucht und dabei ebenfalls Computer, sowie Handys beschlagnahmt. Die Polizeitrupps legten dabei teilweise keine Durchsuchungsbefehle vor, sondern bedrohten die Anwesenden stattdessen mit gezogenen Waffen.
Vorwand der Polizeiaktionen sind Ermittlungen gegen mehrere türkische AktivistInnen, die nun inhaftiert wurden. Ihnen wird u.a. „Verstoß gegen das Vereinsrecht“ und Aktivitäten für illegalisierte türkische revolutionäre Organisationen vorgeworfen.


Die Repression gegen diejenigen, die sich für eine befreite Gesellschaftsordnung einsetzen, die den Kapitalismus nicht als das Ende der Geschichte ansehen und versuchen Perspektiven zu entwickeln, findet seit jeher weltweit statt. Auch nur die aktuellsten Beispiele aufzuzeigen würde den Rahmen eines Flugblattes bei weitem sprengen. Selbst die Beispiele staatlicher Repression in Stuttgart aus den letzten beiden Jahren könnten nicht in einem einzigen Flugblatt dokumentiert werden. Zwar findet das Vorgehen von Polizei und Justiz hier, entsprechend den weniger weit entwickelten Aktivitäten, längst nicht in vergleichbarer Brutalität wie in anderen Ländern statt, doch tun polizeilicher Staatschutz und Staatsanwaltschaft auch hier ihr Bestes um linke Aktivitäten zu kriminalisieren. So werden Menschen angeklagt, weil sie antifaschistische Symbole tragen – durchgestrichene Hakenkreuze sollen eine „Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen“ darstellen. Es fanden Hausdurchsuchungen und Verurteilungen wegen der Verteilung von Flugblättern gegen einen Naziaufmarsch statt, wurde das letzte selbstverwaltete Jugendhaus in Stuttgart von einem Sondereinsatzkommando der Polizei geräumt und die BesetzerInnen verurteilt, wird gegen Menschen die sich an kämpferischen Streikaktionen und gegen Menschen die sich an Protesten gegen Studiengebühren beteiligten ermittelt, wurde im Anschluss an eine Demonstration ein linkes Politik- und Kulturzentrum durchsucht und Computer und weitere Gegenstände beschlagnahmt usw. usf.

Wer dabei glaubt, dass das staatliche Vorgehen nur die anderen trifft, nur die die sich etwas zu Schulden haben kommen lassen, kann dabei ganz schnell eines besseren belehrt werden. Die Gesetzesverschärfungen und die Aufrüstung des Polizei- und Überwachungsapparates zielen darauf ab, präventiv gegen alle die sich gegen die sich verschärfenden Verhältnisse wehren, eingesetzt zu werden. Als etwa vor wenigen Monaten in Frankreich Hunderttausende gegen ähnliche Gesetzesvorhaben der Regierung auf die Straßen gingen, wie sie hier bereits umgesetzt sind – Lockerung des Kündigungsschutzes etc. – standen auch sie einem hochgerüsteten Polizeiaufgebot gegenüber, dass die Demonstrationen mit CS-Gas Granaten beschoss und mit Knüppeln attackierte.

Daher gilt: Solidarität mit allen Menschen weltweit die sich für eine befreite Gesellschaftsordnung einsetzen und deshalb von staatlicher Repression betroffen sind! Freiheit für alle politischen Gefangenen! Gemeinsam gegen staatliche Repression und die Aufrüstung des Polizei und Überwachungsapparates!






Kasten 2:
Die Ursache der zunehmenden staatlichen Repression liegt in den sich zuspitzenden ökonomischen und sozialen Verhältnissen und dem damit einhergehenden potentiellen Widerstand dagegen. Solange alle gesellschaftlichen Bereiche einem System untergeordnet sind, in dem der Profit Weniger über den Interessen der Mehrheit steht, das ohne Ausbeutung und Kriege nicht überlebensfähig ist, wird es immer Menschen geben die gegen dieses System rebellieren. Diejenigen die von diesem System jedoch profitieren und ihr Apparat aus Politikern, Justiz, Polizei und Armee werden weiter versuchen dieses System mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten. Nur eine Überwindung dieser Verhältnisse, eine klassenlose Gesellschaftsordnung kann Schluss machen mit Unterdrückung und Repression. Weltweit setzen sich Millionen für ein Ende dieses Systems ein, kämpfen und organisieren sich um eine andere Welt aufzubauen. Auch in der BRD muss - in Zeiten von Hartz 4, Aufrüstung, immer weitreichenderen Umstrukturierungen sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung, Angriffen auf Löhne, die Rechte am Arbeitsplatz, die Rente usw. - die Suche nach einer Perspektive fernab des Kapitalismus wieder mehr Thema werden. Dafür sind konkrete Aktivitäten - Streiks, Demonstrationen und jegliche sonstige Praxis gegen die unmittelbaren Angriffe von Staat und Kapital - ebenso notwendig wie Debatten über die gemachten Erfahrungen und langfristige Perspektiven, sowie der Aufbau von Strukturen und Organisierungen die die Kämpfe kontinuierlich vorantreiben.







Unabhängige Nachrichtenseiten mit verschiedenen Themenschwerpunkten, Infos zu Oaxaca etc.:

www.de.indymedia.org
www.chiapas.ch
www.redglobe.de



Aktuelles aus Stuttgart und der Region, Veranstaltungen, Mobilisierungen, Berichte etc.:

www.subversiv-stuttgart.de
www.revolutionaere-aktion.de.am
www.infoladenludwigsburg.de.am
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Das Flugblatt gibt es hier auch als PDF:
 http://revolutionaereaktionstuttgart.fasthoster.de/pdf/flugblatt_oaxaca_20061222.pdf
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Ergänzungen