Ein Leben für die Revolution: Ted Grant

Hans-Gerd Öfinger 02.08.2006 23:54
Wenn britische Medien wie BBC, Times, Financial Times, Guardian und Telegraph in diesen Tagen Nachrufe auf den marxistischen Veteranen Ted Grant veröffentlichen, kommt dies nicht von ungefähr. Grant, kürzlich mit 93 gestorben, hatte als Gründer eines marxistischen Flügels in der Labour Party in den 80-er JAhren das politische Establishment aufhorchen lassen.
Mit Ted Grant ist der letzte noch überlebende Pionier und Veteran eines revolutionären Marxismus in Großbritannien verschieden, der sich auf die Ideen des russischen Revolutionärs Leo Trotzki gründet und in der Arbeiterbewegung des Vereinigten Königreichs über Jahrzehnte einen gewissen Einfluss und Anerkennung aufbauen konnte.
Ted Grant, gebürtiger Südafrikaner jüdischer Abstammung, verbrachte den Großteil seines Lebens in der britischen Hauptstadt. 1913 unter dem Namen Isaac Blank in Germiston bei Johannesburg geboren, wurde er schon in früher Jugend durch die Erfahrung mit der schlechten Behandlung schwarzer Landarbeiter politisiert. Von der Russischen Revolution 1917 fasziniert und durch den oppositionellen Kommunisten Ralph Lee politisiert, kam Blank schon als Teenager mit marxistischem Gedankengut in Berührung und schloss sich der von Leo Trotzki ins Leben gerufenen Internationalen Linken Opposition an, deren Anhänger damals auf Stalins Geheiß überall aus den Kommunistischen Parteien ausgeschlossen wurden. Ende 1934 siedelte er mit anderen Weggefährten nach London über, wo die Umstände für revolutionäre Arbeit besser erschienen als in Südafrika, und nannte sich fortan Edward („Ted“) Grant.
In seinem 2002 erschienen Buch über die Geschichte des britischen Trotzkismus (History of British Trotskyism) schildert Grant die langwierige und systematische Pionierarbeit in den 30-er und 40-er Jahren – von einer winzigen, gegen den Strom schwimmenden Gruppe, der Workers’ International League (WIL), bis hin zu einer kleinen, aber in der Bewegung anerkannten Partei, der Revolutionary Communist Party (RCP). Die Organisation geriet in den Kriegsjahren in das Visier britischer Geheimdienste und war Gegenstand eines ausführlichen Geheimdossiers des Innenministers an das Kriegskabinett, weil sie mit ihrer antikapitalistischen Agitation in Rüstungsbetrieben wie auch unter einfachen Soldaten der Königlichen Armee ein Echo fand.
In seinem langen politischen Leben erfuhr Grant mehrfach den Aufstieg und Niedergang politischer Organisationen und wurde dabei auch immer wieder – zuletzt 1992 – persönlich zum Opfer von organisatorischen Manövern und Ausschlüssen aus der eigenen Organisation, ohne dadurch jemals seinen revolutionären Optimismus zu verlieren. Grant widersetzte sich nach eigenen Angaben stets der Versuchung, mit organisatorischen Mitteln politische Probleme lösen zu wollen. Nachdem sich ab 1945 die Weltlage aus revolutionär-marxistischer Sicht weitaus ungünstiger gestaltete, als es der 1940 ermordete Leo Trotzki und seine Anhänger bis dahin gehofft hatten, gehörte Grant zu den ersten, die diese neuen Gegebenheiten erkannten, analysierten und ihnen praktisch Rechnung trugen. Grants Schriften nach 1945 befassen sich intensiv mit der internationalen Situation und theoretischen Herausforderungen aus marxistischer Sicht (Umwälzungen und Stalinismus in Osteuropa, Titoismus in Jugoslawien, Maoismus, Guerillakampf, Befreiungskämpfe und Revolutionen in ehemaligen Kolonien in Afrika, Asien und Lateinamerika, Krieg und Frieden, wirtschaftliche und politische Stabilisierung der westlichen Industrieländer). Gleichzeitig sind sie Zeugnis scharfer politischer Auseinandersetzungen, die zu einer Serie von Spaltungen der trotzkistischen Weltbewegung führten.
Um aus der Isolation einer kleinen Gruppe herauszutreten, empfahl Ted Grant – in der Tradition Leo Trotzkis – geduldiges Argumentieren und Verankerung in der Massenorganisationen der Arbeiterbewegung ohne Verleugnung der politischen Identität. „Nicht durch platte Denunziation der Arbeiterführer, sondern durch Zahlen, Fakten und Argumente werden wir die Arbeiterklasse gewinnen“, war sein Credo. Der von ihm mit wenigen Dutzend Mitstreitern initiierten Strömung gelang es seit den 60-er Jahren mit der Wochenzeitung „Militant“ einen starken Anhang in der britischen Labour Party, den Gewerkschaften und Jungsozialisten zu finden, was auch international ausstrahlte. Auch sein Ausschluss aus der Labour Party 1983 vermochte daran nichts zu ändern. „Wir kommen wieder“ rief er den Delegierten zu, als ihn der Kongress mit Mehrheit nach seiner flammenden Verteidigungsrede vor die Tür setzte: „Der Marxismus lässt sich nicht aus der Labour Party verbannen!“ „Militant“ zählte damals drei Labour-Parlamentsabgeordnete und zahlreiche Kommunalpolitiker und Gewerkschaftsfunktionäre, war in den frühen 80er Jahren als „Household Name“ in aller Munde, machte Schlagzeilen, organisierte Massenbewegungen gegen die Kopfsteuer der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher und brachte Labour-Führer wie Neil Kinnock zur Weißglut.
Doch spätestens mit dem Umbruch in Osteuropa gestaltete sich die Lage ab 1990 aus linker und somit auch aus marxistisch-trotzkistischer Sicht wieder schwieriger. Grant, inzwischen 78, wurde Anfang 1992 nach internen Konflikten sogar von der eigenen Organisation verstoßen. Doch er zog sich nicht aufs Altenteil zurück, sondern wirkte Hand in Hand mit Alan Woods nach Kräften am Neuaufbau einer internationalen marxistischen Strömung mit, die mit ihrer Website www.marxist.com wieder internationale Bekanntheit errang. Es folgte eine intensive Schaffensperiode, in der Grant, noch sehr rüstig, internationale Vortragsreisen unternahm, mehrere Bücher, Broschüren und längere Artikel schrieb und auch die eigene Geschichte aufarbeitete. Sein gemeinsam mit Woods verfasstes und 1995 herausgegebenes Buch „Aufstand der Vernunft – marxistische Philosophie und moderne Naturwissenschaften“ ist mittlerweile in zehn Sprachen übersetzt worden. Anfang 2006 wurde das Werk vom kubanischen Verlag „Ciencias Sociales“ aufgelegt und unter Beisein des venezolanischen Botschafters Adán Chávez bei der Buchmesse in Havanna einem interessierten Publikum vorgestellt. Auch der Bruder des Botschafters und Staatspräsident Hugo Chávez hat „Razón y revolución“ (so der spanische Titel von„Aufstand der Vernunft“) mehrfach bei öffentlichen Auftritten als Lektüre empfohlen. Ende August wird der Verlag des venezolanischen Ministeriums für kulturelle Angelegenheiten eine venezolanische Ausgabe herausgeben.
Auch der Rechtsruck der Labour Party unter Tony Blair seit Mitte der 90-er Jahre bedeutete für Grant nicht das Ende der Geschichte. „Das wird sich wieder ändern“, prophezeite er schon in den 90-er Jahren im Gespräch mit verunsicherten Anhängern. Im Linksruck wichtiger britischer Gewerkschaften in den letzten Jahren fand Grant, der trotz nachlassender Kräfte ab der Jahrtausendwende immer noch mehrere Tageszeitungen las und Diskussionen mit langjährigen Weggefährten führte, eine Bestätigung für seine Prognose. Der Zufall will es, dass wenige Tage vor Grants Tod der linke Parlamentsabgeordnete und Labour-Rebell John McDonnell seinen Hut in den Ring warf und mit radikalen linken Forderungen gegen Blairs „Kronprinz“ Gordon Brown Anspruch auf den Parteivorsitz anmeldete. Seine Kampagne hat bei Gewerkschaftern und Jugendlichen schon in kurzer Zeit ein Echo ausgelöst. Der Sozialist McDonnell stammt aus einer Arbeiterfamilie in der einstigen Militant-Hochburg Liverpool und war in jungen Jahren selbst aktiver Militant-Unterstützer.
Ted Grant stellte das Engagement für eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft und die Verteidigung marxistischer Grundsätze gegen allerlei Kritik und Anfeindungen in den Mittelpunkt seines Lebens und nahm dafür wie kein zweiter seiner Generation große persönliche Opfer in Kauf. Am kommenden Dienstag werden ihn zahlreiche Anhänger und ehemalige Weggefährten in Upminster bei London zu seiner letzten Ruhestätte begleiten.
Hans-Gerd Öfinger, 2.8.06
Hinweis: www.tedgrant.org - www.marxist.com
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