Eine Vortragsreise durch die Normandie

Gerold Schwarz 15.03.2006 16:14 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
ich war letzte Woche auf einer Art "Vortragsreise" in der Normandie. Vorrangig ging es dort eigentlich um "Bolkestein", also die Dienstleistungsrichtlinie der EU, und was wir in Deutschland dagegen machen wollen. Da aber Pierre Khalfa von attac Frankreich bzw. Solidaires, einer unabhängigen Gewerkschaft, ebenfalls daran teilnahm und aus seinem wirklich umfassenden Wissensschatz referieren konnte, blieb da für mich eher wenig übrig, was ich noch beitragen konnte. Dies war auch deshalb gar nicht so schlecht, weil sich die frz. Freunde tatsächlich stärker für die gegenwärtigen allgemeinen Entwicklungen in Deutschland interessierten als für die speziellen Vorgänge rund um Bolkestein.
Dieses Interesse hat insbesondere mit den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um den sog. "contrat de première embauche" zu tun, also den "Ersteinstellungsvertrag", auch "CPE" genannt. Durch diese Änderung des Arbeitsrechts fällt der Kündigungsschutz für neuangestellte Arbeitnehmer unter 26 Jahren weg, da sie 2 Jahre lang ohne Angabe von Gründen einfach so gefeuert werden können. Als wäre das nicht schon genug Provokation, versucht die frz. Regierung, in einer Art "Putsch gegen die eigenen Bevölkerung", das Gesetz hierüber unter Umgehung des Parlaments in einer Art "Gesetzgebungsnotstand" (Art. 49-3 der frz. Verfassung) durchdrücken wird, und ihn in Anlehnung an den Gesetzgebungsnotstand der dt. Verfsasung (Art. 81 GG) als Regierungserlass umsetzt. In Deutschland ist hierüber immerhin eine gescheiterte Vertrauenserklärung erforderlich. Ich nahm in Rouen, zusammen übrigens mit dem EU-verfassungskritischen Sozialisten Laurent Fabius, an einer der lebhaften frz. Demos gegen den "CPE" teil, die frankreichweit insg. zwischen 700.000 und 1 Mio. Demonstranten mobilisieren konnten.

In Deutschland findet derzeit eine ähnliche Diskussion statt, bei der es allerdings um die vollständige Schleifung des Kündigungsschutzes für neue Arbeitsverträge geht. Ich kann mir aber vorstellen, dass am Ende des Verhandlungsprozesses ebenfalls eine auf junge Arbeitnehmer beschränkte Aushebelung des Kündigungsschutzes herauskommt, was dann exakt parallel zu den Entwicklungen in F wäre. Darauf weist auch Dorothea Hahn in ihrem Beitrag in der taz vom 13. 3. ( Quelle:  http://www.taz.de/pt/2006/03/13/a0206.1/text ) hin. Dorothea Hahns Artikel unterscheiden sich wohltuend von den scharfmacherischen EU-Fürsprachen Daniela Weingärtners, die ansonsten aus Brüssel und Paris für die taz berichtet.

Aufgrund dieser Einschätzung habe ich bei meinem Vortrag vorgeschlagen, das Thema Sozialkahlschlag ("casse sociale") wie schon zu Zeiten der dt. Montagsdemos, wieder zur europäischen Vernetzung des Widerstands zu benutzen. Problematisch dabei ist allerdings, dass die Akteure auf dt. Seite derzeit eigentlich anderweitig beschäftigt sind. Die Gewerkschaften z. B. befinden sich in einem fast schon existentiellen Abwehrkampf anlässlich der Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst, und die Studentenverbände lecken noch ihre Wunden aus den Auseinandersetzungen um Studiengebühren. Ich werde dennoch versuchen, hier einige Fäden zusammen zu bringen. Über jegliche Mithilfe würde ich mich sehr freuen. Wenn also jemand Interesse hat, frz. Studenten oder Attac- oder Gewerkschafts-Aktivisten einzuladen, um über die empörenden Vorgänge in Frankreich zu berichten, dann helfe ich da gerne weiter. Umgekehrt freuen sich die frz. Gruppen sehr darüber, wenn jemand aus D über die Streiks im öffentlichen Dienst, die Rentenkürzung durch Lebens-Arbeitszeitverlängerung, die Kürzung der H. IV-Bezüge für Arbeitslose unter 26 bei Unterbringung außerhalb von "Hotel Mama" oder eben die Diskussionen über die Schleifung des Kündigungsschutzes berichten würden. Auch hier vermittle ich gerne weiter.

Daneben war ich noch zu einer Vorbereitungsversammlung frz. Atomkraftgegner (JA, sowas gibt es!!!) eingeladen. Ich hatte schon die ganze Zeit das Gefühl, dass uns unsere konsequente Ausblendung ökologischer Fragen irgendwann auf die Füße fallen wird, und nun ist es soweit. Wenngleich in D derzeit über die Laufzeitverlängerung diskutiert wird, steht doch außer Frage, dass ein Reaktorneubau hierzulande aufgrund der massiven Ablehnung nicht in Frage kommt. Da nun aber der EURATOM-Vertrag die Subventionsmilliarden weiterhin exzessiv sprudeln lässt (die Atomsubventionen übersteigen die addierten Beihilfen sämtlicher anderer Energieformen!!!) und für Firmen wie Siemens einfach zu viel zu holen ist, als dass man sich die fette Beute entgehen lässt, muss der "Europäische Druckwasser-Reaktor nun halt in Cherbourg in der Normandie gebaut. werden. Ich habe den versammelten "Anti-Nucléaires" deshalb erklärt, dass es sich auch bei ihrem Anliegen um ein europäisiertes Politikfeld handelt, und sie mit einem rein regional ausgerichteten Widerstand daher nur geringe Aussichten auf Erfolg haben dürften. Unsere frz. Atomkraft-Gegner würden sich deshalb sehr freuen, wenn sie aus von ihrem widerstandserprobten Nachbarn Unterstützung erhielten, und ich möchte auf diesem Weg dazu anregen sich

1.) zukünftig auch über die ökologischen Auswirkungen neoliberaler Politik mehr Gedanken zu machen, und
2.) nach Möglichkeit auch in diesem Politikfeld auf europäischer Ebene zu engagieren.

Die Koordinatoren des frz. nationalen Nuklearwiderstands haben sich nun mit der Bitte um Hilfe an mich gewandt und ich geben deren Daten gerne weiter.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen