Massenhafter Sozialmissbrauch

Martin Behrsing 10.08.2005 11:17 Themen: Soziale Kämpfe
Offener Brief an den Bundeswirtschafts- und arbeitsminister W. clement und den Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen sprecher derSCU Landesgruppe im deutschen Bundestag, Johannes Singhammer
Massenhafter Sozialmissbrauch ??


Offener Brief an den Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement und den Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Johannes Singhammer


Sehr geehrter Herr Wolfgang Clement,
sehr geehrter Herr Johannes Singhammer,

Ihre Pressemeldungen vom 05.08.2005 und die heutige Presseerklärung der Bundesagentur für Arbeit – „BA hält an Befragung von Arbeitslosengeld II-Empfängern fest“ - macht es notwendig, dass wir - das Erwerbslosen Hilfe Forum Deutschland - uns heute öffentlich an Sie wenden.
Zunächst teilen wir Ihre Auffassung nicht, dass die Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, der Argen und der kommunalen Träger mit großer Umsicht und Sorgfalt vorgehen, wie in dem Ihrer Meinung nach eindrucksvollen Beitrag des ZDF-Magazins „Reporter“ vom 03.08.2005 gezeigt wurde. Wir halten den Beitrag eher dazu geeignet, um hier von der von Ihnen gemeinsam verursachten Misere auf dem Arbeitsmarkt abzulenken als das dieser Beitrag in irgendeiner Weise mit den tatsächlichen Gegebenheiten von Arbeitslosen etwas zu tun hat. An Hand dieses Beitrages zu konstatieren, dass auf Grund des… „offenkundigen Missbrauchs von Hartz IV-Leistungen muss Bundesminister Clement sofort die Staatsanwaltschaft einschalten und die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten….“, so Herr Johannes Singhammer in seiner Presseerklärung vom 05.08.2005, ist für uns nichts anderes wie Stigmatisierung und Stimmungsmache gegenüber Arbeitslosen, die mit dem allernotwendigsten auskommen müssen. Dabei werden bewusst die offensichtlich gestellten Szenen des Beitrages als objektives Kriterium für den offenkundigen Missbrauch herangezogen.
Dass Sie Herr Clement die zum Teil rechtswidrigen Praktiken der sog. Sozialkontrolleure noch als eindrucksvoll und sorgfältig darstellen, erstaunt uns schon sehr. Es entsetzt uns, dass die Bundesagentur für Arbeit die offensichtlichen Datenschutz bedenklichen Auffassungen des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar bezüglich der telefonischen Befragung ignoriert und von weiteren Befragungen dieser Art nicht ablässt. Nicht geklärt ist, wie die Bundesagentur an geheime Telefonnummern von Arbeitslosen kommt. Findet hier etwa schon auf dem kurzen Dienstweg Amtshilfe statt?

Zum Thema „Bedarfsgemeinschaften“, „eheähnliche Gemeinschaft“ möchten wir Ihnen unsere Erfahrungen mitteilen. Wir stehen als Initiative für Betroffene nicht alleine mit dieser

Meinung da. Uns fällt auf, dass gerade in den Optionskommunen eheähnliche Gemeinschaften oder Bedarfsgemeinschaften auf nahezu absurde Weise konstruiert werden und vielfach die zu unser Kenntnis gelangten Fälle nur noch bei den Sozialgerichten im Zuge von einstweiligen Anordnungen bundesweit Hilfe bekommen können. Dabei wird ebenso vor den rechtswidrigen Praktiken der im ZDF-Beitrag gezeigten Sozialkontrolleure Gebrauch gemacht als auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes schlichtweg ignoriert und eheähnlich neu definiert.

Die Frage, wann eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 entschieden und diese Rechtsprechung auch mehrfach bestätigt, so bereits zum SGB II mit Beschluss vom 02-09.2004- 1 BvR 1962/04; auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes stimmt damit überein - BSG vom 17.10.2002 - B 7 AL 96/00 R. Nach diesen Kriterien ist eine eheähnliche Gemeinschaft allein die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich - im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Paare füreinander begründen, also über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorbezeichneten Sinn sind insbesondere deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, daneben aber auch weitere Umstände, etwa die gemeinsame Versorgung von Angehörigen. Dagegen setzt die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht die Feststellung voraus, dass zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen. Eine eheähnliche Gemeinschaft liegt nur dann vor, wenn die Lebensgemeinschaft auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindung auszeichnet, die die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gehen. Nur wenn sich die Partner der Gemeinschaft so sehr miteinander verbunden fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen nicht getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen vergleichbar. Das Fehlen der Bereitschaft hierzu wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als ein Indiz gewertet, aus dem auf das Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft geschlossen werden muss (so ausdrücklich im Urteil des BverwG vom 17.05.1995 [ Az. 5 C 16/ 93 ] ).

Ebenso verhält es sich mit dem Schutz der Bürger vor rechtswidrigen Praktiken der Sozialkontrolleure. Nach dem Grundgesetz (Art. 13) ist die Wohnung unverletzlich ist (Abs. 1), Durchsuchungen können nur durch Richter bzw. bei Gefahr im Verzug auch durch die in Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in den dort vorgeschriebenen Formen durchgeführt werden dürfen (Abs. 2) sowie im übrigen Eingriffe und Beschränkungen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr aufgrund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Begrenzung von Seuchengefahr oder zum Schütze gefährdeter Jugendlicher, vorgenommen werden dürfen (Abs. 3).
Bei unangekündigten Hausbesuchen handelt es sich um einen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung, zu dessen verfassungsrechtlicher Zulässigkeit folglich ein Gesetz erforderlich ist, das nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergehen darf: Es gibt jedoch kein Gesetz, das den Hausbesuch hier zulässt. Die Ermächtigung an die Leistungsbehörden, Augenschein einzunehmen (§ 21 Abs.

l S. 2 SGB X), umfasst gewiss nicht die Erlaubnis zum Hausbesuch und lässt sich auch nicht durch die Mitwirkungspflichten rechtfertigen. Dies belegen die regelmäßigen einstweiligen Anordnungen der Sozialgerichte bundesweit.



Wir möchten Sie, Herr Clement und Sie, Herr Singhammer beide dringend bitten, dass der Wahlkampf nicht auf dem Rücken der Harzt-IV-Betroffenen auszutragen und diese zu kriminalisieren. Wir haben nicht den Eindruck, dass Sie beide wirklich Kenntnis vom Alltag eines Arbeitslosengeld-II-Empfänger haben, wo jeder Cent dreimal rumgedreht werden muss und dieses kaum geeignet ist, um auch nur annähernd am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teil zuhaben.


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