Brief und Bericht Rainer Dittrich

gegen folter 08.10.2004 02:09 Themen: Repression
Hiermit leite ich einen Brief/ Bericht von Rainer Dittrich weiter. Er befindet sich seit Jahren in einem Soli-Hungertreik für die kämpfenden Gefangenen in den Gefängnissen der Türkei.
für genossInnen in den türkischen gefängnissen

erklärung

in konsequenz der schwindenden mobilisierungen um den seit dem oktober 2000 laufenden kampf der gefangenen genossinnen und genossen in den gefängnissen der faschistischen türkei und in konsequenz der deutlich erkennbaren rückzüge eines großen teils der deutschen linken aus dem unterstützerkreis für diesen zutiefst gerechtfertigten und politisch wie militärisch legitimierten kampf der türkischen gefangenen verschärfte ich meinen beitrag in diesem kampf.
mit dem heutigen freitag, den 24.9.04, verkürze ich die essensphase in der hungerstreikkette von bisher 3 tagen um einen halben tag auf je zweieinhalb tage.
die 5 tage hungerphase bleiben bestehen.
die jeweilige hungerphase beginnt also schon um 19.00 uhr abends des jeweiligen letzten tages der essensphase.
an die im lande ergeht die aufforderung, sich der ziele der kämpfenden gefangenen in den türkischen kerkern anzunehmen und das maß ihrer unterstützung zu überdenken.
im weiteren ergeht die aufforderung, zu meiner persönlichen situation keinerlei unterstützungsaktionen ins leben zu rufen, wenn diese nicht unmittelbar und direkt im zusammenhang stehen mit dem kampf meiner türkischen genossinnen und genossen.
die bedingungen müssen wieder politisiert werden und damit verstärkt ins bewußtsein der menschen gerückt werden.
in tiefem gedenken an die bis heute 117 gefallenen dieses kampfes grüße ich die gefangenen in den kerkern der türkei.

rainer dittrich
lübeck, den 24.9.04

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bericht zur aktuellen gesundheitlichen lage im laufenden kampf:

als vorabbemerkung die bitte, diese auflistung wieder nur als reine sachstandsbeschreibung zu werten und nicht als aufforderung, gesonderte unterstützung überdas maß der beteiligung an mobilisierungen im rahmen des gesamten kampfes an der seite der türkischen gefangenen in die wege zu leiten!

- die linke niere arbeitet weiterhin nur eingeschränkt;
- unablässige starke schmerzen durch die nicht arbeitende linke speicheldrüse. vergeichbar einer mittelohrentzündung. die rechte speicheldrüse arbeitet auch nur sehr eingeschränkt, schmerzt jedoch nicht so;
- die taubheit der linken körperhälfte ist permanent;
- sehkraft links gegen null. sehr störend ist das beständige tränen des linken auges;
- auf dem linken ohr ständiges brummen und kaum mehr normale hörkraft;
- nach den beiden notfällen (jeweils verdacht auf schlaganfall) sind die erinnerungsausfälle irreperabel und die eingetretenen erinnerungslücken dauern an;
- die konzentrationsfähigkeit ist mit disziplin auf jeweils 10 minuten ausdehnbar. dann verzettele ich mich und vergesse selbst satzanfänge und muß sprechen oder schreiben unterbrechen;
- die wirbelsäule ist jetzt wohl endgültig versteift. auch die physiotherapie 2 mal je woche hat dies nicht verhindern können wie es aussieht;
- arbeiten mit den händen mit ausnahme des tippens auf der schreibmaschine im stehen mit einem finger ist nun gar nicht mehr möglich. das zittern rechts erinnert an parcinson. rechts völlige taubheit in hand und fingern;
- sehr hinderlich ist weiterhin das sich verstärkte übergeben-müssen. alle versuche, daran was zu ändern sind kläglich gescheitert. so muß beinahe mechanisch in der freßphase calorienhaltiges zeug nachgeschaufelt werden. widerliche situation;
- hals und rachen sind daher stark in mitleidenschaft gezogen;
- die starken kopfschmerzen sind mittlerweile ständiger begleiter, ohne daß ich mich daran gewöhnen könnte;
- die wassereinlagerungen insbesondere in den gelenken bereiten große schwierigkeiten. beständiges kribbeln und stechen unter der haut;
- zähne, zahnfleisch und kiefer machen große probleme;
- das gehen und bewegen als solches fällt schwer. ich bemühe mich, daß ich totalausfälle und das stützen-müssen durch mitgefangene und/oder beamte der ‚’sicherheit’ nicht überhand nehmen;
- schlafen geht auch weiterhin nur in bauchlage und so halb auf den knien;
- die tagesvorausplanungen haben sich endgültig erledigt. ich versuche, die dinge die auf mich zukommen zu bewältigen und mit einigermaßen würde die stunden herum zu bekommen;

ich hoffe, das alles hier klingt nicht zu bedrückend in euren ohren und lässt euch nicht verzweifelt zurück.
alles, nur nicht das.
verliert nicht euren mut und die zuversicht.
seid stark und erinnert euch der tatsache, daß diese bestehenden unmenschlichen gesamtgesellschaftlichen verhältnisse umgewälzt werden können.
die mittel und die möglichkeiten liegen bei jeder und jedem von uns.
verzagt nicht und schreckt auch nicht ängstlich zurück vor der scheinbaren übermächtigen stärke der aktuell agierenden regierungen des kapitals.
dazu besteht keinerlei veranlassung.
alles legitime, alles gute und richtige ist auf unserer seite.
lasse wir nur aus den möglichkeiten wirklichkeiten werden.
gedenkt der in diesem kampf gefallenen und vergesst sie nicht, wie ihr bitte auch nicht die hart kämpfenden gefangenen in den gefängnissen der faschistischen türkei vergesst.
ich bin bei euch und umarme euch alle so fest ich nur kann.

von rainer dittrich
lübeck, 24.9.04
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Ergänzungen

Gesamtgesellschaftliche Verhältnisse...

Warhead 08.10.2004 - 02:56
...umwälzen...gerne.Aber ich weigere mich dies mit zugrundegerichteten Halbtoten zu tun.Die Verhältnisse sind ruinös,aber sie durch langsame Sebstvernichtung anzugehen halte ich für den falschen Weg.
Du hast mein Mitgefühl,meine Solidarität hingegen muss ich dir verweigern

tragisch

Norbert 08.10.2004 - 12:54
Der Bericht von Rainer Dittrich strotzt vor Krankheit, Selbstzerstörungswut und politischen Wahnvorstellungen, u.a. in Form der falschen Annahme, mit dieser Art von Selbstkasteiung im Gefängnis irgendetwas Erfreuliches in der sozialen Realität bewirken zu können.

Dittrichs Selbstopfer - zumal in dieser Form zelebriert und selbst kommentiert - ist ein quasi religöser, gegen die menschliche Emanzipation gerichteter Akt. Diettrich als "Schmerzensmann".

Insofern ähnelt dieser der gegen ihn gerichteten Inhumanität des "Stafvollzugs".

Dass es keine andere "Lösung" sieht, ist tragisch.

Norbert

@Norbert

Warhead 08.10.2004 - 18:06
Religiösität...ich würde beinahe den Fanatismus des Mystikers darin sehen,eine Art Pilgerzug in den Märtyrertod.Ich wohnte mal auf Mallorca einer Osterprozession bei.Auf nem Berg steht ne alte Kapelle mit einer uralten schwarzen Madonna,die stammt noch aus den Zeiten der Requoncista.Die Story die sich um diese Madonna rankt wäre jetzt zu lang,obwohl sie sich märchenhaft schön anhört.Naja jedenfalls quält sich diese Prozession den steilen Berg auf der Nordseite hoch...auf der Südseite gibts wenigstens Treppenstufen...und einige Prozessionisten wissen es sich bestens zu exponieren.Sie schleppen Zweihundertkilokreuze auf dem Rücken und haben sich monströse Zimmermannsnägel in Hände,Füsse und andere Körperteile geschlagen.Andere legen den ganzen Weg von Palma auf den Knien zurück,dazu geisseln sie sich...in den Augen des einen oder anderen habe ich mehr als ein wahnhaftes,mystisches Vergnügen feststellen können.Ich kam nicht umhin zu fragen was die Leute so antreibt...Nun,einige meinten sie täten es für mich,nur für mich,damit ich weiter in Sünde leben könne.ICH wäre derjenige der ihnen diese Bürde zu tragen gibt und das Leben sei nun einmal Leiden