Stimmungsmache gegen das ESF in Florenz

Lotti 01.11.2002 02:47 Themen: Globalisierung Indymedia Repression
Nächste Woche findet in Florenz, Italien, das Europäische Sozialforum statt; eine der Vorbereitungskonferenzen zum nächsten Weltsozialforum in Porto Alegre 2003. Parallel gibt es einen sog. 'Autonomen Raum', der Diskussionen und Aktionen derer bündelt, die sich nicht vom semi-professionellen 'Conferencing' vereinnahmen lassen wollen. Es werden 10.000e Menschen aus ganz Europa zu einem Ereignis erwartet, das wichtige Diskussionen der (nicht mehr so) neuen Bewegung, die oft kurz Anti-Globalisierungsbewegung genannt wird, ermöglichen soll. Miteinbezogen ist dabei die wachsenden Antikriegsbewegung; ein Schwerpunkt liegt auf dem Thema Migration.

Die italienische Regierung versucht - nicht überraschend - schon im Vorfeld alle zu kriminalisieren, die teilnehmen wollen und wird dabei von deutschen kommerziellen Medien sekundiert.
Hatte irgendjemand am Sinn von Indymedia gezweifelt? Gut so. Es gibt jede Menge Gründe dazu. Glücklicherweise gibt es aber auch immer wieder gute Gründe, an seinen Sinn zu glauben, zuletzt diese Woche nach der Lektüre des 'Spiegel':

In einer netten kleinen Meldung, gewissenmassen einer Agenturmeldung, in der Rubrik 'Panorama', werden wir auf das bevorstehende Europäische Sozialforum 6.-10.11.02 in Florenz eingestimmt.

"Italien. Marsch auf Florenz.

Sicherheitsdienste warnen vor einer Neuauflage der Straßenschlachten beim G-8-Gipfel im Juli vorigen Jahres in Genua. (...) Doch etwa 6000 'Extremisten', behauptet Roms Innenminister Giuseppe Pisanu, könnten sich in krimineller Absicht unter die Demonstranten mischen. Allein in Deutschland und Griechenland hätten sich mindestens 1500 einschlägig bekannte Gewalttäter 'die Bus- und Schiffstickets schon gekauft'. Aus Frankreich seien Mitglieder des 'No Border'-Netzwerks im Anmarsch, die im Sommer in Straßburg für Randale gesorgt hätten, aus Spanien reisten Sympathisanten der baskischen Separatistenorganisation Eta an. Sie alle planten, Banken und Geschäfte zu besetzen; die kostbaren Kunstschätze der Kulturstadt Florenz drohten 'zu Geiseln oder Opfern von Gewalt' zu werden. (...)" (Der Spiegel 44/2002, S. 112)

Dann wird berichtet, dass Italien plane, so kreativ wie schon bekannt mit dem Schengener Abkommen umzugehen und wieder Grenzkontrollen einzuführen und schließlich wird impliziert, dass, obwohl die VeranstalterInnen darauf hinweisen, dass es sich bei den Aktionen um solche symbolischer Art handele, es sicher nicht dabei bleiben werde.
Nun könnten wir denken, es handelt sich ja bloß um ein winziges Textchen, und eigentlich zitiert der Siegel ja auch bloß, was die italienische Regierung sagt. Nur: wieso macht der Spiegel das? Können die nicht selber denken? Ist jetzt wieder Normalität eingekehrt und geglaubt wird, was der Präsident sagt, und wenn er Berlusconi heißt? Haben die bestbezahlten JournalistInnen der Nation das Recherchieren verlernt? Waren glücklicherweise keine ihrer Kolleginnen dabei, als letztes Jahr in Genua kräftig zugeschlagen wurde? Waren die alle im Urlaub?

Auch damals bemüßigten sich die meisten VertreterInnen des deutschen Blätterwalds, Proteste gegen die kapitalistische Globalisierung und Aktionen gegen Versammlungen derjeniger, die für sie verantwortlich, sind nach Kräften zu diskreditieren. Das hielt an bis etwa 2 Tage nach dem Überfall italienischer Polizisten auf die Diaz-Schule und das Genua Sozial Forum - danach konnte eigentlich keine Zeitung bei der bisherigen Linie bleiben und die italienische Regierung rutschte für ein Weilchen auf die mediale Anklagebank.

Je nach Ausrichtung hielt diese Tendenz mehr oder weniger lange an.

Dieses Jahr gab es rund um den Jahrestag der G8-Proteste in Genua viele Berichte zu den Ereignissen in Genua gerade auch in den Mainstream-Medien (Übersicht). Der Spiegel hatte offenbar nichts dazugelernt und fand immer noch, dass es sich um den "Jahrestag der gewalttätigen Proteste von Genua" (Titel) handelte (bedauerlicherweise ist der Artikel auch im Netz kostenpflichtig: € 0,40).

Dabei hatte doch die selbsternannte JounalistInnen-Elite des renommierten Spiegel noch vor ein paar Wochen unsauberes Recherchieren bei anderen kritisiert. Mit den unbequemen Fragen zum 11.September wurde folgendernmaßen abgerechnet: alles Verschwörungstheoretiker, die "die Wahrheit verdrängen, um die Weltanschauung nicht ändern zu müssen. (...) Die vergeuden ihre Energie in den Maschen des World Wide Web, statt im konkreten Hier und Jetzt fehlende Fakten auszuforschen." (Der Spiegel 42/2002, Die September-Lüge, S. 81). Der journalistische Ethos der Spiegelredaktion in allen Ehren. Im Falle der Florenzmeldung hätten fünf Minuten bei Google oder Indymedia gereicht, um herauszufinden, dass die Fakten nicht so ganz stimmen...

Wer wirklich wissen will, was nächste Woche passiert, kann das hier nachlesen - nur die Aufrufe, brandschatzend Michelangelos Kunstwerke zu entführen, habe ich nirgends gefunden.

Das Europäische Sozialforum
Die Ergebnisse der PGA-Konferenz in Leiden diesen Sommer dazu
Die Website 'Autonomous Space in Florence' von PGA mit dem Ergebnis des Workshops beim No-Border-Camp in Strasbourg und diversen weiterführenden Links (wundersamerweise keine Aufrufe, Florenz in Schutt und Asche zu legen).
Beschlossen wurde der 'Autonome Raum' während des ESF parallel zum letzten Vorbereitungstreffen in Barcelona am 5.10.: "Vom Autonomen Raum zur Raumbefreiung"
Eur@ction Hub Project, die Website zum Autonomen Raum

Und weil's wohl so schwer zu finden scheint (?), hier noch einmal der Link zum Noborder-Netzwerk.

+++ Letzte Meldung: Trotz starken Drucks von Berlusconi hat sich die Stadt Florenz entschieden, das ESF stattfinden zu lassen +++
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Ergänzungen

Mehr Fakten zur Repression

Elfi 01.11.2002 - 07:41
Mehr Fakten zur Repression gibt´s hier:

 http://germany.indymedia.org/2002/10/32762.shtml

01.11.2002 - 11:31
mir stellt sich die frage, hätte das esf nicht an einem ort oder in einem land stattfinden können das weniger diktatorisch und für repression bekannt ist? ich meine das wsf hatte unter anderem deswegen so einen enthusiasmus befördern können weil es dort willkommen war wo es stattfand, oder?

übrigens

franz kurt 01.11.2002 - 11:39
schengen ist ab heute (1. November) ausser kraft gesetzt

so ein quatsch

spiegel-verteidiger 01.11.2002 - 14:17
was regst du dich über die meldung im spiegel auf? wie du selber gemerkt hast, wird da nur zitiert. die persönliche meinung des journalisten, der die meldung geschrieben hat, interessiert nicht. in meldungen haben meinungen der journalisten nichts zu suchen, die gehören in den kommentar. meldungen sollen lediglich informieren. und das tut die spiegel-medlung auch: nämlich über die haltung der italienischen regierung zum esf. ob diese haltung richtig, falsch, begründet oder unbegründet ist, das kann sich der leser ja denken.
im übrigen sind die reporter des spiegel nicht nur im urlaub, sondern schrieben auch gute und kritsche artikel zu den vorkommnissen in genua. hier ein beispiel:
 http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,211993,00.html

Moment mal...

Bono 01.11.2002 - 22:39
Jeder Journalist hat eine, mehr oder weniger große, mediale Verantwortung.
Wenn es offensichtlich ist, dass eine Meldung schlicht und einfach Müll ist, dann veröffentlicht mensch sie auch nicht.
Natürlich haben Nachrichten keine "emotionale Färbung", aber
Nachrichten die du veröffentlichst haben ja schließlich auch Auswirkungen auf die öffentliche Meinung.
Also ist es unverantwortlich eine reine Regierungsmitteilung unkommentiert zu veröffentlichen wenn sie durch und durch eine Lüge oder Propaganda ist.
Nach mancher Leute Theorie wäre es anscheinend auch keine Frechheit, wenn ein Verlag "Mein Kampf" rausbringt ohne es zu kommentieren (mal abgesehen davon dass das verboten ist).
Der Verlag veröffentlicht ja auch nur die Lügen anderer.

Also in Zukunft bitte erstmal Gehirn einschalten, bevor mensch so einen Schrott postet!

spiegel-verteidiger

wer 01.11.2002 - 23:47
Was für ein Scheiss-Name!
Dadurch, dass der Reporter die Behauptungen anscheinend überhaupt nicht abschwächt oder gar in Frage stellt, macht er sich selbst zum "Behaupter" und schiebt dem Minister nur mehr die Zeugenrolle zu.
Ausserdem kann sich der 08/15- Spiegel-Leser wohl nicht sein eigenes Urteil zu dem Artikel bilden, da er von der ganzen Sache bis jetzt bestimmt nichts gewusst hat.

bitte viel berichten

02.11.2002 - 17:31
da viele leute nicht nach florenz fahren können: bitte viel über die diskussionen berichten - besonders über den "autonomen raum"- auch die stimmung, streitereien und spaltungen auf dem kongress wären interressant für leute, die nicht hinfahren können!
Auf nach kopenhagen & prag!!

Arte Themenabend

kostenlose artikel für alle 02.11.2002 - 18:53
Texte zum Arte Themenabend, auf den der kostenpflichtige Spiegel- Artikel verwesit, finden sich hier:  http://www.wastun.org

Eur@ction Hub

inventati 02.11.2002 - 19:12
Der autonome Raum (Hub) befindet sich in der Piazza della Libertà (5 Minuten zu Fuß von der Festung Fortezza da Basso, dem offiziellen ESF Ort und 3 Minuten zu Fuß vom Stadtzentrum).