[HH] Redebeiträge von der Anti-Knast-Kundgebung am 17. März 2024

Am 17. März, also einen Tag vor dem "Tag der politischen Gefangenen" hab es unter dem Motto "Freiheit für alle Gefangenen! Freiheit und Glück allen untergetauchten Antifas!" eine Kundgebung vor der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis.
Gemeinsam mit Mitstreiter*innen aus der kurdischen Befreiungsbewegung wurden die Gefangenen mit Redebeiträgen und Musik gegrüßt.
Hier dokumentierten wir nun zwei der im Rahmen der Kundgebung gehaltenen Redebeiträge.

Redebeitrag 1 zum Anlass der Kundgebung:

Hallo zusammen - schön, dass hier auf der Straße so viele Leute versammelt sind. Und Hallo an alle, die uns von der anderen Seite der Mauer zuhören müssen, einen herzlichen Gruß an die Gefangenen der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis!
In den letzten Monaten waren wir immer mal wieder hier - sei es am Silvesterabend, um euch zu zeigen, dass wir euch da drinnen insbesondere zum Jahreswechsel nicht vergessen oder zuletzt Ende Januar bei einer Demo, bei der es um die staatliche Verfolgung von revolutionären Kämpfen ging.
Und nun sind wir wieder hier  - diesmal, weil morgen der 18. März ist. Der 18. März ist seit 101 Jahren der Tag der politischen Gefangenen.
An diesem Tag wird also weltweit für Leute auf die Straße gegangen, die wegen ihrer politischen Kämpfe inhaftiert werden - die sich auflehnen gegen Ausbeutung und Unterdrückung und deswegen verfolgt werden.

Auch hier in Dammtor saßen eigentlich immer irgendwelche Leute wegen revolutionären Kämpfen oder aus politischen Gründen - und natürlich ist es für uns als Menschen, die für Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen wichtig, unsere Leute zu unterstützen.
Aktuell befinden sich Kenan Ayas und Kari Sake hinter diesen Mauern, konfrontiert mit einer verurteilsungswütigen Justiz, die sie der PKK-Mitgliedschaft, bzw der Unterstützung der PKK bezichtigt.
Aber unsere Solidarität gilt eben nicht nur Leuten aus revolutionären Bewegungen - weil wir ein grundsätzliches Problem damit haben, das es überhaupt Gefängnisse gibt.
Und durch den Kontakt zu den Gefangenen und auch aufgrund eigener Erfahrungen kennen wir mittlerweile das Innenleben dieser Festung aus Stein, Stahl und Stacheldraht ziemlich gut.

Wir wissen, was 23 Stunden Einschluss in seit Jahrzehnten unrenovierten Zellen mit einem machen. Wir kennen die brutale Gleichgültigkeit und Feindseligkeit der Bediensteten genauso wie das Gefühl der willkürlichen Knastbürokratie ausgeliefert zu sein, für jeden Quatsch einen Antrag stellen zu müssen und zu wissen, dass jeder Widerspruch gegen diese zermürbenden Unsinn nur noch mehr Probleme mit sich bringt. Ihr seid da drinnen einer enormen Anspannung ausgesetzt, der Knast zwingt einen dazu, die Zähne zusammenzubeißen und die Ellbogen auszufahren. Ein menschenfeindlicher Ort - und es ist ein verdammt harter Kampf, da drinnen trotzdem Mensch zu bleiben - mit dem Herz bei seinen Lieben, seinen Freundinnen und Freunden, bei der Familie zu bleiben, aus deren Mitte ihr gerissen wurdet und  auch darum, nicht hart gegen sich selbst zu werden.
Wir haben erlebt, dass Leute diesem Druck nicht standgehalten haben, dass Leute diese Scheiße nicht überleben passiert immer wieder - der Knast versucht Suizide immer wieder zu vertuschen, aber wir sagen: im Knast gibt es eigentlich keinen Selbstmord, der Knast raubt den Leuten den Lebensmut und er ist Schuld an jeder Person, die ihn nicht lebend verlässt.

Ich denke, wir können alle aus vollem Herzen sagen:
Holstenglacis, wir hassen dich!

Aber wir wissen eben auch, dass der Isolation, der Vereinzelung und der Verzweiflung da drinnen etwas entgegengesetzt werden kann.
Wir kennen das Gefühl, wenn draußen vor den Mauern Menschen sind, die laut sind, die einen spüren lassen, dass man nicht alleine ist in der Zelle – wenn da Feuerwerk ist, gerufen wird, Musik gespielt wird und Redebeiträge voller Wut und revolutionärer Zärtlichkeit zu hören sind. Und wir wissen auch, dass die Situation da drinnen auch Zusammenrücken lässt - gegenseitige Unterstützung, aufmunternde Worte von Zelle zu Zelle, ein offenes Ohr, ein gemeinsames Essen - wenn wir zusammenhalten, kann uns der Knast nicht kaputtmachen.
Es ist uns also auch ganz wichtig zu betonen, dass wir keine Trennung aufmachen wollen zwischen „politischen“ und „normalen“ Gefangenen, dass wir hier kein Interesse daran haben, nur von „unseren“ Gefangenen zu reden. Weil wir nämlich finden, dass eine Gesellschaft die es braucht, Menschen in Knäste zu sperren, an ihren Aussengrenzen ertrinken zu lassen, in Armut zu halten und so weiter selbst ein Knast ist - wir sagen: im Kampf um wirkliche Befreiung ist der Kampf gegen das Gefängnis unverzichtbar.

Im Knast landen vor allem jene, die der soziale Kannibalismus dieser Verhältnisse in Situationen zwingt, in denen sie sich nicht mehr an die Gesetze des Staates halten können – oder wollen.
Menschen, die vor allem für ihre Armut bestraft werden – Ersatzfreiheitsstrafen wegen nicht bezahlter Geldstrafen und die Bestrafung von Suchterkrankungen machen den größten Anteil der Gefangenen aus.
An dieser Stelle sind sich der Instinkt freiheitsliebender Herzen und die kalten Zahlen der Statistik einig: 
Das Gefängnis löst keine Probleme, es verstetigt und vergrößert im Gegenteil die Probleme, die es angeblich zu bekämpfen sucht.

Und so ist unser Zusammenkommen hier draußen vor den Mauern auch ein Teil, ein Moment des Kampfes - weil wir probieren, dem Knast einen Teil seiner Macht zu nehmen. Wir wollen die Isolation ein Stück weit versuchen zu überwinden, wir wollen euch da drinnen sagen, dass nicht alle hier draußen denken, dass ihr da zu Recht eingesperrt seid. Denn solidarische Hinwendung, Sichtbarmachung, Bezugnahme sind weit mehr als bloß symbolische Gesten, um bestimmte Haltungen wie unsere grundsätzliche Feindschaft gegenüber dem Gefängnis zu unterstreichen - sie sind praktische Schritte Sand ins Getriebe dieser Menschenmühle zu streuen!

Wenn wir hier draußen die Missstände thematisieren die euch da drinnen das Leben zur Hölle machen, dann finden das diejenigen, die diesen Laden am Laufen halten richtig scheiße.
Und wenn unser Besuch hier vor den Mauern euch das Gefühl geben kann, dass ihr da drinnen nicht vergessen seid, dass es Leute gibt, die keinen Frieden schließen werden mit dem Knast und dem Justizsystem - dann bedeutet das eine ganze Menge!

Schon vor etwas mehr als 30 Jahren haben Revolutionär*innen in einer wichtigen Erklärung betont, dass das wichtigste Mittel im Kampf gegen sich ausbreitenden Rassismus und soziale Kälte die Verbreitung der Idee von kämpferischer Solidarität und gegenseitiger Hilfe ist.
Die Autor*innen haben ihren Vorschlag damals mit der Sprengung des Neubaus der JVA Weiterstadt in die Tat umgesetzt - und aus diesem Knast das gemacht, was eines Tages jeder Knast sein sollte - eine Baulücke.
Und damit schicken wir von dieser Kundgebung aus auch solidarische Grüße an nach 30 Jahren Untergrund inhaftierte Daniela Klette, der unter anderem die Beteiligung an der Aktion in Weiterstadt zur Last gelegt wird.

Viel Kraft und Glück den weiterhin untergetauchten!
Und euch da auf der anderen Seite der Mauer - auch ganz viel Power, Mut und Zuversicht!
Wir kommen wieder - bis hier kein Knast mehr steht!
Freiheit für alle Gefangenen - für die Anarchie!

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Redebeitrag 2 zu Knast und Trans*-Identität

 

CN Transfeindlichkeit Suizid Gewalt Knast

Die Diskriminierung von trans Menschen ist Gesellschaftskomform und
macht natürlich auch nicht vor dem Knast halt.

Angefangen vor Gericht, wo misgendern und deadnaming zur Tagesordnung
gehören, geht's weiter Richtung Knast: dort stellt sich als erstes die
Frage "Welcher Knast denn?" Denn dieser wird auf Grund des
Personenstandes eines Menschen und nicht anhand des Geschlechts
entscheiden, dass heißt wenn du noch nicht die 2.000 bis 3.000 Euro und
vor allem die Nerven für das sogenannte transexuellengesetz hattest,
wirst du in den falschen Knast geschickt. Außer du bist in Bayern, da
landet jeder transidente Mensch im Männerknast.
Und wenn du den Geschlechtseintrag "divers" hast, zwingen sie dich ihnen
deine Genitalien zu zeigen, damit du anhand dieser in ihr binären system
gequetscht werden kannst.
Im Knast dann angekommen werden dir oftmals zuerst deine Medikamente wie
Testosteron oder Östrogen weggenommen, denn diese seien ja angeblich
nicht überlebenswichtig - wie sehr die Menschen um genau diese
Medikamente kämpfen mussten, ist egal.
Danach geht's weiter: zum sogenannten Eigenschutz kommst du in
Isolationshaft. Meist über Monate. Denn sie haben Angst vor Übergriffen
und Gewalt, die du erfährst, weil die cisMänner im Knast dich nicht als
richtige Frau ansehen - wieso du dann trotzdem zu ihnen musst, ist
schleierhaft.
Im Knast werden dir dann auch meist deine medizinischen Behandlungen
gestrichen: Therapie, Haarentfernung, Stimmtraining, das alles soll
nicht von den Steuern bezahlt werden. "Die Transition ist auch noch nach
der Haft möglich" ist dann meist die Aussage dazu.
Das genau diese Dinge für die meisten transidenten Menschen
überlebenswichtig sind, ignorieren sie. Aber wen wundert es, dass ihnen
das Leid der Insass*innen egal ist.
In Hamburg hat sich letztes Jahr eine transidente Frau in SantaFu, also
einen Männerknast, erhangen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat.
Ihre Zelle war voll geschrieben mit Gründen und ihrem Abschiedbrief und
die Direktion hat das einzig sinnige gemacht: es wurde überstrichen.
Sie interessieren sich nicht für uns. Für niemanden.
Es gibt keinen Suizid im Knast. Der Staat hat immer Blut an seinen
Händen.
Denn wie kann es denn sein, dass der Staat dich 24/7 beobachtet und es
nicht auffällt, dass du psychisch so kaputt bist, dass du
selbstmordgefährtet bist. Die Antwort ist eben einfach: es interessiert
sie einfach nicht.
Suizid ist die häufigste Todesursache im Knast. Die Wahrscheinlichkeit,
dass Menschen im Knast sich umbringen, ist 6 mal höher als in der
sogenannten Allgemeinbevölkerung. Es bringen sich ca. 1/4 alle
Insass*innen um oder versuchen es. Bei Transidenten Menschen sind es die
Hälfte.
Die Hälfte aller trans Menschen im Knast versuchen sich das Leben zu
nehmen.

Aber wir müssen gar nicht über die beschissene medizinische Versorgung
von Menschen im Knast reden, ich meine Schwangere müssen in Hand- und
Fußfesseln gebären, auf Grund von akuter Fluchtgefahr. Ich meine wer
kennt es nicht? Während einer Geburt mal eben ins Ausland ausreisen?

Aber die Schikane geht auch über Angehörige der Menschen: ein Skype
Gespräch ist nur erlaubt, wenn die Person vor der Kamera und der Name
auf dem Personalausweis übereinstimmen - wenn du kein passing hast, hast
du halt Pech gehabt.
Somit ist der Kontakt zu Angehörigen auch massiv erschwert.

Aber:
Druck auf den Knast kann wirken. Nicht gegen Knäste, aber für die Leute
dadrin. Briefe, Artikel, Kundgebungen, all das können Leuten helfen
Medizin zu bekommen. Gespräche zu bekommen. Sich nicht alleine zu
fühlen. Sich nicht vergessen zu fühlen.

Seid solidarisch, schreibt Briefe, seit da, seit laut und zeigt ihnen,
dass wir die repressive Gewalt der herrschenden verachten.

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