Von den WBA-Actionweeks 2009 zu den Diskussions- und Chaostagen 2018

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Da im Mai in Berlin die Diskussions- und Chaostage stattfinden, ist es vorab sinnvoll, dass wir uns gemeinsam Gedanken über Konzepte machen, wie unsere Ideen erfolgreich sein können. Als Grundlage dafür hier eine Rückschau auf ein Ereigniss der jüngeren Geschichte autonomer und anarchistischer Kämpfe: die WBA-Aktionswochen 2009.

 

 

 

Ein Jahr vorher, im Mai 2008 hatte es Aktionstage gegeben, die mit Workshops und direkten Aktionen in eine Phase des Aufschwungs passten. Ein Aufschwung der Militanz und Anarchie innerhalb der Berliner Szene und im breiten Widerstand gegen die Gentrifizierung. Nächtliche Anschläge und Demos nahmen zu und die ganze Sache kam mit den massenhaften Autobrandstiftungen bundesweit in Fahrt. Eine Aktionsform der organisierten Linken hatte sich verselbstständigt und brachte die Gentrifizierung ins Rampenlicht. Am Ende des Jahres entdeckte man in der Dezemberrevolte in Griechenland die eigenen Möglichkeiten und auch hier machten Leute auf ihre eigene Weise mit. Der Nato-Gipfel im April 2009 war für die Szene dann ebenso prägend wie der 1. Mai, der wieder offensiver war als die Jahre zuvor. Zur selben Zeit, als in Berlin wirklich jede Nacht direkte Aktionen stattfanden, lief die Mobilisierung für die Neuauflage der WBA-Aktionstage an.

 

 

 

Bereits im Februar 09 erschien der erste Aufruf (Link), der einen zweiwöchigen Ausnahmezustand zur Verteidigung von Freiräumen ausrief. Als krönender Abschluss der zwei Wochen wurde die Besetzung des unbenutzten Tempelhofer Flughafens angekündigt, die zur gleichen Zeit schon in Planung war.

 

 

Das Konzept sah so aus: die Aktionswochen sollten von den Teilnehmenden getragen und dezentral organisiert werden. Jede_r sollte nach dem Do-It-Yourself (DIY) Prinzip selbst Verantwortung dafür unternehmen, dass etwas los ist und das breit Mobilisiert wird. Die Initiatoren aus der Wir bleiben Alle! Kampagne (WBA), die sich monatlich zur Vollversammlung in der Köpi traf, boten sich an, die zentrale Koordinierung zu übernehmen. Insbesondere das erstellen eines Zeitplans, die Verwaltung der Website und die Ansprechbarkeit für Leute von Außerhalb und für die ohne Kontakt zur Szene. Das Konzept wurde widerspruchslos entwickelt und umgesetzt und schon bald war klar, dass viele mitmachen würden. Die Mobi lief an. Wie viel Verantwortung einige übernahmen, war an der Infotour zu sehen, die von Poznan bis Amsterdam und von München bis Oslo verschiedene Städte ansteuerte. Zusätzlich gepusht wurden die Actionweeks im Vorfeld durch die für den 18. Juni angekündigte Räumung der Brunnen183 und die sich anbahnende Zuspitzung des Rechtsstreits um die Liebig14 durch den Hauseigentümer Suitbert Beulker.

 

 

Am 6. Juni ging es los. Den Auftakt machte eine größere Demo in Potsdam unter dem Motto „Freiräume statt Preussenträume“. Zwischen Rigaer Straße und Liebigstraße wurde gleichzeitig eine Brachfläche besetzt, die ab diesem Tag unter dem Namen Bambiland noch des öfteren Schlagzeilen machen sollte. Der Eigentümer lies sofort die Bullen auf die Besetzung los, um seine baldige Rendite und die Zukunft der Brache als Luxusghetto zu sichern. Die Räumung lief problemlos, gab aber einen Vorgeschmack auf die Rolle der Ordnungsmacht in den zwei kommenden Wochen. Sie würden sich darauf beschränken müssen, von Einsatz zu Einsatz zu brettern ohne wirklich in die Initiative zu kommen. So zum Beispiel bei der Besetzung einer Wohnung im Vorderhaus der Rigaer94 am 9. Juli. Zwar konnte sich Suitbert Beulker und seine berüchtigten Bauarbeitertrupps schnell unter Polizeischutz Zutritt verschaffen. Aber nicht schnell genug um außer Exkrementen an den Wänden und sonstigen Sachbeschädigungen auch die Täter_innen dingfest zu machen. Die Wohnung war erstmal nicht mehr vermietbar.

 

Eine Mischung aus kreativen, anschlussfähigen, militanten und unberechenbaren Aktionen entfaltete ihre Wirkung. Nachts setzten viele Aktive wie zu erwarten auf dezentrale direkte Aktionen. Aus einem Auswertungstext: „Trotz der massiven Präsenz der Bullen in den Kiezen, wo üblicherweise direkte Aktionen stattfinden, hat es jede Nacht gekracht und gescheppert. Egal, ob in Tempelhof bei der DHL, im Prenzlauer Berg bei Luxuswohnquartieren und Lofts oder bei in der ganzen Stadt verteilten Naziläden.“

 

Die Arbeitsgruppe für Öffentlichkeitsarbeit war rund um die Uhr gefordert, ihren Ansprüchen gerecht zu werden. Mittels SMS-Ticker, Internet, Infotelefon und Piratenradio wurden Meldungen für alle zugängig gemacht und auch der Presse eine Steilvorlage geliefert, über den Widerstand gegen Gentrifizierung brandaktuell zu berichten. Wer dabei war, wird sich an das Gefühl der Motivation selbst aktiv zu werden und der Freude über die nächsten Nachrichten erinnern. Letzteres hat wohl den Info-Leuten einige Sorgen bereitet. Im Archiv findet sich folgende Meldung: „Macht endlich den Rechner aus und geht raus in die Stadt! Zeigt Berlin was ihr von Aufwertung, Kommerzialisierung, Privatisierung, Überwachung, Verdrängung und exklusiver Gestaltung unserer Stadt haltet! Holt euch die Stadt zurück!“ Ganz so schlimm wars aber doch nicht, denn es war wirklich was los.

 

Am 12. Juni wurde ein Haus in der Cuvrystraße 9 scheinbesetzt. Ein Haus am Michael-Kirch-Platz wurde auch am 12. besetzt und durch die Polizei zeitnah geräumt. Eine Kundgebung vor dem Haus wurde durch die Polizei brutal aufgelöst, TeilnehmerInnen zusammengetreten und mit Pfefferspray besprüht. Insgesamt gab es dort 17 Ingewahrsamnahmen. Überhaupt hatte auch der Prisoner-Support alle Hände voll zu tun. Man kann sagen, dass die Bullen eine krasse Präsenz in den Innenstadtbezirken aufgefahren haben. Überall lief man Gefahr, Ziften oder Wannen über den Weg zu laufen und eine Nacht in der Gesa zu verbringen, weil mal wieder ein Auto zu nah um die Ecke gebrannt hat. Weniger Glück hatte eine Person, die noch Monate später im Knast war, obwohl die Sachlage sehr dürftig war. Zeitweise war der Prisoner-Support so stark überlastet, dass er Ruhepausen einlegen musste.

 

Doch die Anstrengungen lohnten. Das Gefühl auf unserer Seite war stark und der Gegner, insbesondere die Bullen, waren demoralisiert. Die Brunnen183 vermeldete am 18. Juni: „2 Bullen und 2 Parteiabgeordnete der Bezirksverordnetenversammlung kamen vorbei und meinten, dass es heute und “die nächsten Tage” keine Räumung geben werde. Bleibt zu erwarten wie es weiter geht… vielleicht sind Bullen und Politiker angesichts der ereignisse in den letzten Tagen nun doch eher an einer “friedlichen” lösung interessiert? Mensch darf gespannt sein!
Dies bedeutet natürlich vorerst einmal eine Entwarnung und es wird heute wohl keine Räumung geben! BRUNNEN 183 BLEIBT!!!“

 

Und auch der Druck auf Beulker stieg, der am 8. Juni vor Gericht das Räumungsurteil gegen die Liebig 14 erreicht hatte. Das Büro seines Anwalts wurde von ca. 20 Aktivist_innen besucht. Später gab es noch eine Spontandemo für die Liebig 14, die jedoch recht schnell in einem Kessel Unter den Linden endete.

 

Auch sonst gab es viele anschlussfähige Aktionen, wie eine Fahrraddemo, diverse andere Spontis und Platz- sowie Wohnungsbesetzungen. Diese waren nicht krass militant, sorgten jedoch dafür, dass Leute zusammenkamen und gemeinsam die Straßen verunsicherten. Zahlreichen Workshops und das Kulturprogramm in den Hausprojekten und Squats sorgten für Ausgleich zum Stress und schufen ein internationales Setting.

 

Ein letzter Höhepunkt mit Mobifaktor war die angekündigte Besetzung des stillgelegten Flughafen Tempelhof. Das Ziel war absolut utopisch und eigentlich wussten alle, dass es nur darum ging, den Zaun zu stürmen. Dennoch gab es verbissene Anläufe von mehreren tausend Leuten gegen eine Armada an Bullen, die hart gegen alle Leute vorgingen. Angesichts allem was die zwei Wochen passiert war, war wohl niemand all zu sehr enttäuscht und bei den meisten blieb das Gefühl, dass man der Gentrifizierung und den Bullen etwas praktisch entgegnen kann. Das dezentrale Konzept war ab da zumindest in aller Munde und die Erfahrungen spielten anderthalb Jahre später bei der Räumung der Liebig14 eine große Rolle.

 

 

Diese kurze Zusammenfassung war subjektiv und alles andere als vollständig. Beim Blick ins Archiv bei de.indymedia.org und auf der immer noch existenten Website actiondays.blogsport.de kann man sich einen eigenen Eindruck verschaffen, was ein gemeinsames und niedrigschwellig planmäßiges Vorgehen bewirken kann. Der Kontext war 2009 sicherlich anders als er heute ist. Wir sollten uns aber nicht darauf ausruhen, die Geschichte als schöne Geschichte zu betrachten. Dezentrale Konzepte müssen trainiert werden, um sie taktisch gegen Angriffe auf unsere Strukturen nutzen zu können. Die Diskussions- und Chaostage fordern uns dazu heraus. Sie sollten aber auch dazu genutzt werden, sich zu vernetzten, mehr und neue Leute in widerständige Strukturen zu bringen und das theoretische Fundament der kommunistischen Lebensweise autonomer Organisierung und der anarchistischen Aktion zu verbreiten.

 

 

 

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Ergänzungen

die aktionswochen der wba waren gut und erfolgreich. jedoch nicht ganz so wie hier geschildert. einfach mal im netz suchen.

ihr redet von einem neuen dezentralem konzept seit 2009 und der autonomen organisierung. kann es sein, dass das dezentrale konzept teil der autonomen organisierung ist und seit den anfängen der autonomen praktiziert wird?

bitte überlest texte bevor ihr diese veröffentlicht und versucht die "ungenauigkeiten" und fehler zu vermeiden.

Irgendwie beschleicht einen hier das gefühl beim lesen, dass irgendwie versucht wurde alles in den text zu nehmen, was google über 2009 ausgespuckt hat.

vielleicht ein bisschen weniger militanzgewichse wär schön

wenn du ne meinung zu den actionweeks hättest, würdest du sie ja sicher gerne teilen. ansonsten macht der kommentar keinen sinn.

am ende steht, das der bericht subjektiv ist, weswegen die kritik eh keinen sinn macht. und das dezentrale konzept war seit dem einfach in alelr munde. ist ja nicht so, dass das stets so war.

aber bei dir sicherlich