[S]: Interview mit einer Aktivistin aus Stuttgart zur Repression im Zuge des G 20-Gipfels in Hamburg und zu den jährlichen Knastspaziergängen in Stammheim

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Interview mit einer Aktivistin aus Stuttgart zur Repression im Zuge der Mobilisierung gegen den G20-Gipfel in Hamburg und den Knastspaziergängen in Stammheim an Silvester

 

Heute sprechen wir mit Leonie aus Stuttgart. Sie beteiligte sich an der Mobilisierung und den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg und ist Teil einer seit einigen Jahren bestehenden Initiative in Stuttgart, die zum Schwerpunkt Repression gegen Linke arbeitet. Die Initiative mobilisierte in der Vergangenheit an Silvester zu Antirepressions-Demos  und zum traditionellen Knastspaziergang in Stammheim.

Hallo Leonie!

Die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg haben weit über das linke Spektrum hinaus für Debatten zur Legitimität von Protestformen, aber auch zu offensichtlicher Polizeigewalt in der Bundesrepublik gesorgt. In eurer diesjährigen Silvestermobilisierung geht ihr schwerpunktmäßig auf dieses aufgeladene Thema ein und betont die systematische Rolle  der Repression gegen die Gipfelproteste. Kannst du uns etwas ausführlicher schildern, wie das konkret ausgesehen hat?

 

Schon während der Mobilisierung gegen den G20-Gipfel war die Repression und die Hetze gegen Linke sehr präsent und deutlich spürbar. Monate im Voraus wurde medial vermittelt, dass die Staatsmacht bereit ist alles zu tun, um „Linke Chaoten“ abzuhalten, Hamburg in Schutt und Asche zu legen. Wochen vor dem Gipfel patroullierten Bullentrupps durch die angrenzenden Viertel der Messe in Hamburg und kontrollierten willkürlich PassantInnen. Dadurch wurde versucht, eine Stimmung der Angst gegenüber den antikapitalistischen Protesten zu verbreiten. Es wurden aber auch konkrete Aktionen gegen AktivistInnen und die Organisation der Proteste durchgeführt: in den Wochen davor kam es mit fadenscheinigen Begründungen zu Hausdurchsuchungen bei linken AktivistInnen und linken Szene-Treffpunkten, das Unternehmen des Sonderzuges aus Süddeutschland wurde versucht um Informationen und der Absage der Buchung zu erpressen und nicht zu vergessen sind die Verbote der Camp-Anmeldungen. Eines der Camps wurde direkt nach dem Aufbau geräumt. Dem anderen wurde bis zur Anreise mehrerer tausend Menschen das Schlafen verboten.

 

Klingt ja, als wäre nichts unversucht gelassen worden, schon im Vorhinein vor einem Ausflug nach Hamburg abzuschrecken. Hat sich das negativ auf die Proteste ausgewirkt? Wie habt ihr die Repression während des Gipfels erlebt?

 

Dass Zehntausende im Juli in die Hansestadt gereist sind hat gezeigt, dass sich die Mobilisierung gegen den Gipfel nicht hat spalten lassen und nicht müde wurde, Anreisen und Protestformen zu organisieren. Sicherlich waren die Maßnahmen abschreckend und auch die Ungewissheit, ob es ein Camp mit der Möglichkeit, sich einen Rückzugsort zu schaffen, geben wird oder nicht, blieb bis zuletzt. Jedem und jeder war klar, dass es ein paar heavy Tage werden könnten und die Angriffe auf die Proteste in unterschiedlichster Form nicht mit dem Start des Gipfels aufhören werden. Dennoch strömten Tausende in die Hansestadt. Insoweit kann man also sagen, dass die Einschüchterungsversuche sicher nicht so erfolgreich waren, wie die Verantwortlichen sich das gewünscht hätten. Mit der Vermutung, dass es harte Repressionsschläge geben wird, lag man trotzdem richtig: schon dem Auftakt, die „Welcome to Hell“- Demo am Fischmarkt, wurde mit einem Exzess an Polizeigewalt begegnet. Die Demo konnte keinen Meter laufen. Das Fazit: etliche Verletzte. Diese aggressiven Angriffe von Cops auf AktivistInnen zogen sich durch das gesamte Wochenende. Schwerverletzte in zweistelliger Zahl, die Räumung des Camps, mehrere hundert AktivistInnen über Tage in unzumutbaren Zuständen in den Container-GeSas und bis heute elf Menschen in U-Haft. Das ist natürlich auf den ersten Blick eine ziemlich üble Bilanz. Der Staat konnte mit harter Hand durchgreifen und ließ sich dabei auch noch von einem Großteil der Presse feiern. Trotzdem wollen wir nicht den Fehler machen, uns jetzt mit hängenden Köpfen zurückzuziehen. Auf der einen Seite gab es während des Gipfels trotz des polizeilichen Belagerungszustandes immer wieder starke und kämpferische Ansätze, sich zu wehren und zurückzuschlagen – wobei es uns nicht darum geht, die teilweise sinnlose Randale schönzureden oder sie mit gezielter politischer Militanz, die es eben auch gab, gleichzusetzen. Auf der anderen Seite wollen wir die Solidarität innerhalb der Bewegung, die sich während des Gipfels und vor allem danach entwickelt hat, nicht einfach nur als Verteidigung begreifen, sondern auch als Kampffeld. Dem klar überlegenen Repressionsapparat nicht nur empört, sondern vor allem politisch und geeint zu antworten, für die Legitimität unseres Widerstandes zu streiten – das sehen wir jetzt als Herausforderung für die gesamte linke Bewegung.

 

 

Dass es einige in Hamburg schwer mit Verletzungen und Repression erwischt hat, war ja in den Wochen danach sehr präsent. Kritische Töne waren langsam auch in der etablierten Medienlandschaft zu vernehmen. Gleichzeitig hat die Repression gegen die Gipfelproteste ja nicht mit der Heimfahrt aufgehört. Immer noch sitzen Leute im Knast und in den letzten Wochen haben einige AktivistInnen ungebetenen Besuch bekommen. Wie schätzt du die Lage fünf Monate nach Hamburg ein?

 

War ja ziemlich klar, dass die Repression uns bis nach Hause verfolgt. Und wir gehen davon aus, dass die „kritischen Töne“, von denen du sprichst, mit der harten Linie, die Staatsanwaltschaft und Justiz gerade fahren, sehr direkt zusammenhängen. Die Verfahren, die Anschuldigungen und die daraus resultierenden Strafen in den ersten Prozessen sind ja ziemlich übel. Drei Jahre Knast für ein paar Flaschen? Come on! Darüber hinaus kam ja schon eine Welle von Einladungen zur freiwilligen DNA-Abnahme und bundesweit angelegte Hausdurchsuchungen. Meiner Meinung nach sind diese Maßnahmen verzweifelte Versuche der Behörden, einen offensichtlich überzogenen Einsatz in Hamburg, der vor allem darauf ausgelegt war, den Bürgerkrieg gegen Links zu inszenieren, zu rechtfertigen. Die Bösen sollen gefälligst die aufmüpfigen Protestierenden bleiben. Dafür sind die jüngsten Hausdurchsuchungen der beste Beweis: aufgeblasene Medienshow, Null konkrete Erfolge und eine Pressekonferenz, auf der es fast ausschließlich darum ging, zu erklären, dass zur Verfolgung der „linken Gewalttäter“ überhaupt keine konkreten Tatvorwürfe gegen Einzelne mehr notwendig seien.

 

 

Ok, klar also, dass die Angriffe des Staates auch nach dem G20-Gipfel noch Thema für euch sind. Du hast vorher davon gesprochen, Repression als Kampffeld zu begreifen und dass es um mehr als nur Verteidigung ginge. Was können wir uns darunter vorstellen?

 

Erst einmal heißt das, nun nicht in Schockstarre zu verfallen oder nach Wegen zu suchen, sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen. Ganz unabhängig davon, was auf den Hamburger Straßen im Juli passiert ist, hat der Staat ein generelles Interesse daran, linken Zusammenhängen das Leben schwer zu machen. Überall dort, wo Widerstand gegen die Zumutungen der kapitalistischen Gesellschaft abseits staatlicher Kontrolle und selbstbestimmt entwickelt wird, werden staatliche Stellen früher oder später versuchen, sich einzumischen. Ob dann blindlings mit dem Hammer draufgeschlagen wird, oder etwas filigraner Spaltungen in der Bewegung befördert werden, entscheidet die jeweilige Situation. Den G20-Gipfel begreifen wir auch als ein Testfeld der Repressionsorgane, das Raum für eine brutale „Null-Toleranz-Linie“ auf der Straße, für die Konzentration von politischer Macht in den polizeilichen Führungsebenen und einer passenden Medialen Begleitmusik geboten hat. Das wird in dieser Härte in nächster Zeit sicher nicht zur Regel werden. Wir möchten innerhalb der linken Bewegung dennoch frühzeitig ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass der Kampf um eine befreite Gesellschaft eben auch bedeutet, von derartigen Angriffen betroffen sein zu können – und vor allem, dass ein kollektiver Umgang damit möglich ist! Solidarität, Zusammenhalt und Kollektivität sind nicht nur Grundprinzipien für unsere tagtägliche Arbeit an einer neuen Gesellschaft, sondern auch Bedingung dafür, von so einem Druck nicht auseinandergetrieben zu werden. Unsere Aufgabe sollte dabei einerseits sein – quasi präventiv –  ständig nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, eine Praxis auf der Straße zu entwickeln, die diesen Angriffen nicht plump in die Arme läuft. Auf der anderen Seite heißt das aber auch, sich mit Themen wie Knast und etwa der Kriminalisierung von linken Strukturen auseinanderzusetzen. Hier wären wir dann auch beim Thema Knastspaziergänge und Silvestermobilisierung. Ein wesentlicher Teil dieser alljährlichen Mobilisierung ist die Thematisierung von politischen Gefangenen, vom Knast als dem härtesten legalen Mittel des deutschen Staates zur Ruhigstellung politischer AktivistInnen. Repression als Kampffeld zu begreifen heißt eben auch, den Knast nicht als Ende der Fahnenstange zu sehen, nicht als großes Schreckgespenst, sondern als Ort, an dem sich das enorm verdichtet, was der Staat uns auch hier draußen versucht entgegenzusetzen – auch als Ort, an dem weiter gekämpft wird, von drinnen und von draußen.

 

So, jetzt hast du mir die Mühe erspart, eine Überleitung von den G20-Protesten hin zu eurem alljährlichen Knastspaziergang zu finden. Danke! Man sollte vielleicht noch erwähnen, dass der Knast, der für die meisten von uns ja sehr weit weg scheint, während und nach dem Gipfel für etliche AktivistInnen zur sehr konkreten Erfahrung wurde. Tage, Wochen, Monate – und das ohne dass dafür außergewöhnliche Gesetzesbrüche notwendig gewesen wären… Zurück zur Stammheim-Mobilisierung: Woher kommt der Impuls für den alljährlichen Knastspaziergang?

 

In Stuttgart ziehen seit 1989 GenossInnen an Silvester zur Stammheimer JVA. Damals ging es darum, den Hungerstreik der RAF-Gefangenen für die Beendigung der Isolationshaft und die Zusammenlegung der Gefangenen zu unterstützen. In den Folgejahren beteiligten sich mal mehr, mal weniger Leute an der Aktion. Im Jahr 2010 haben wir den Knastspaziergang erstmals mit einer Antirepressionsdemo in der Stuttgarter Innenstadt verbunden und waren mit mehr als 200 GenossInnen am Knast. Ein Grund für die größere Mobilisierung war eine massive Repressionswelle gegen kurdische Jugendliche in Stuttgart in diesem Jahr, von denen wegen politischer Auseinandersetzungen einige in Untersuchungshaft saßen. Seitdem versuchen wir im Rahmen der Knastspaziergänge auf konkrete Repressionserfahrungen einzugehen, die in Kämpfen gemacht wurden, zu denen AktivistInnen Bezüge haben, die sie mitgeprägt haben. Wir kündigen die unangemeldeten Spaziergänge inzwischen mit politischen Aufrufen an und wollen sie zu Ausdrücken lebendiger Solidarität machen, an denen sich nicht mehr nur „Insider“ beteiligen können. Der Knastspaziergang also auch als kämpferische und selbstbewusste Antwort auf die Angriffe des Staates. Ganz direkt geht es beim Spaziergang auch heute noch darum, insbesondere die politischen Gefangenen zu grüßen, ihnen zu zeigen, dass sie nicht vergessen und nicht alleine sind. Gleichzeitig wissen wir, dass der Knast voll von Menschen ist, die aus Mangel an legalen Perspektiven in diesem verwertungsfixiertem System den gesetzlichen Rahmen überschreiten. Auch ihre Isolation und Tristesse wollen wir mit unseren lautstarken und flammenden Besuch wenigstens kurzzeitig durchbrechen.

 

Die politische Herkunft der Knastspaziergänge spielt in eurem diesjährigem Aufruf ja offensichtlich auch wieder eine Rolle…

 

Stimmt! In diesem Jahr thematisieren wir im Aufruf auch die staatlichen Morde an den RAF-AktivistInnen Gudrun Ensslin, Jan-Karl Raspe und Andreas Baader, die sich bekanntlich ja auch in der Stammheimer JVA zugetragen haben. Die haben sich in diesem Jahr am 18. Oktober zum 40. Mal gejährt. Wir finden es generell wichtig, den Kampf von RevolutionärInnen in der damaligen Zeit als Teil unserer vielfältigen und widersprüchlichen Geschichte zu begreifen. Vor allem aber als Erfahrung, von der wir heute noch lernen können – solidarisch, kritisch und ohne in Revolutionsromantik zu verfallen. Nicht nur, weil die Tradition der Stuttgarter Knastspaziergänge aus dem Solidaritäts-Spektrum der RAF-Gefangenen entstanden ist, sondern auch, weil wir nach wie vor einem gefährlichen deutschen Polizeiapparat gegenüberstehen, fanden wir es wichtig, den Blick in die Geschichte mit der heutigen Antirepressionsarbeit zu verbinden.

 

 

Noch eine letzte Frage genau dazu: was heißt Antirepessionsarbeit für euch denn konkret?

 

Zuerst einmal heißt das, zu verstehen und zu vermitteln, warum wir so offensichtlich im Fadenkreuz staatlicher Behörden stehen: die herrschende Klasse bekämpft uns, weil wir Keimzellen einer Bewegung sein können, die ihnen ernsthaft gefährlich wird. 500 untergetauchte Faschisten, für die Haftbefehle ausgestellt wurden, sind in dieser Logik ganz einfach weniger problematisch, als eine Protestbewegung, die der Polizei aus guten Gründen einige harte Stunden in einer deutschen Großstadt bereitet…

Was konkret getan werden kann? Betroffene unterstützen mit sozialem Zusammenhalt,  offenen Ohren, Geld und politischer Aktionsbereitschaft. Öffentlichkeit schaffen und natürlich in Solidaritätsorganisationen wie der Roten Hilfe mitmachen – Mitglied werden, wenn möglich Geld beitragen und mithelfen!

 

Von uns noch ein kleiner, aber passender Werbeblock zum Schluss: Nach den kämpferischen Antifa-Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag Ende April 2016 in Stuttgart, sind nun einige Leute von ziemlich umfangreichen Verfahren betroffen. Es geht unter anderem um Blockaden auf einer Bundesstraße und einer Autobahn und um daran anschließende Auseinandersetzungen mit anrückenden Cops. Weil wir das als durchaus legitimen Beitrag zu einer Antwort auf den unverhohlenen Rechtsruck verstehen und gute Argumente im Kampf gegen Rechts halt auch mal handfester ausfallen müssen, beteiligen wir uns an der Kampagne „Entschlossen & solidarisch – wir machen weiter!“. Im neuen Jahr stehen in diesem Zusammenhang ab Februar einige kollektive Prozessbeobachtungen an, es werden Soliveranstaltungen stattfinden und sicher wird es dazu noch einiges zu lesen geben. Haltet also Augen und Ohren offen!

 

 

Vielen Dank für deine Zeit!

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