Situation von LGBTI im Südosten der Türkei

amed2014 01.03.2014 17:07 Themen: Gender Soziale Kämpfe Weltweit

Im Dezember stellte der Verein Hebun Diyarbakır die Ergebnisse einer Studie vor, bei der 150 LGBT im Südosten der Türkei zu ihrer Lebenssituation befragt wurden. Obwohl Homosexualität in der Türkei bereits seit 1852 nicht mehr verboten ist und im osmanischen Reich zum Teil öffentlich praktiziert wurde, ist die Lebensrealität von LGBTI in der heutigen Türkei von Diskriminierung, sexualisierten Übergriffen und Gewalt geprägt.

Die türkische Regierung weigert sich, Diskriminierung unter Strafe zu stellen und hochrangige Politiker_innen scheinen sich ungestraft homophob äußern zu können. So hatte die Frauenministerin Selma Aliye Kavaf keine Konsequenzen zu fürchten, als sie Homosexualität als „biologische Störung“ und „Krankheit, die behandelt werden muss“ bezeichnete. 2006 zensierte die türkische Regierung alle Exemplare eines Schwulenmagazins wegen angeblicher „Obszönitäten“ und ein Fernsehsender musste eine hohe Geldstrafe zahlen, weil er bei der Ausstrahlung von „Sex and the City 2“ die Hochzeitsszene eines schwulen Paares gezeigt hatte.

Die Diskriminierung von LGBTI ist ein strukturelles Problem und findet an vielen Orten der Gesellschaft statt. Die Befragten der Hebun-Studien nannten hierbei vor allem den eigenen Freund_innenkreis (56,7%), die Familie (33,3%), das Arbeitsleben (28,7%), die Polizei (24,7%), das Sozialsystem (22%) und das Gesundheitssystem (8%).

Viele LGBTI sehen sich gezwungen ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten, um nicht verfolgt und diskriminiert zu werden. Obwohl Homosexualität nicht strafbar ist, müssen sich LGBTI immer wieder vor Gericht wegen des Vorwurfs des „unmoralischen Verhaltens“ verantworten. Bei Gerichtsverfahren ist es wiederholt dazu gekommen, dass die Behörden den Betroffenen vorwarfen die Täter durch ihr Verhalten provoziert zu haben oder ihnen sexuelle Gefälligkeiten angeboten zu haben.

Auch in den eigenen Familien ist ein offener Umgang mit der sexuellen Identität für LGBTI oft sehr schwierig. Von den Befragen der Hebun-Studie haben lediglich 17,3 Prozent ihrer Familie ihre sexuelle Orientierung mitgeteilt, wobei 4,7 Prozent über eine Thematisierung nachdenken. 78 Prozent ziehen jedoch eine Offenlegung ihrer Sexualität nicht in Betracht und 91,9 Prozent der Befragten rechnen mit einer negativen Reaktion der Familie oder haben diese bereits erfahren. Viele müssen nach dem Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung mit zum Teil drastischen Konsequenzen von Seiten der Familie und der Gesellschaft rechnen. Gerade erst letztes Jahr wurde ein schwuler Mann in Diyarbakır von seinem Vater auf Drängen seines Onkels ermordet, nachdem die Familie erfuhr das ihr Sohn schwul war.

Auch die Ergebnisse der Hebun-Studie zeigen wie sehr LBGTI von Gewalt betroffen sind. So sehen sich 61,3 Prozent der Befragten innerhalb ihrer Familien psychischer Gewalt, 50 Prozent verbaler und 10,7 Prozent physischer Gewalt ausgesetzt (ökonomische Gewalt 9,3%, sexualisierte Gewalt 3,3%). Die Gewalterfahrungen der Befragten außerhalb ihrer Familien liegen dabei noch um einiges höher. So sehen sich 80,7 Prozent mit psychischer Gewalt, 75,3 % mit verbaler, 30,7 % mit physischer, 14,7 % mit ökonomischer und 25,3 % mit sexualisierter Gewalt konfrontiert.

Aufgrund der sozialen Ächtung und aus Angst vor Übergriffen flüchten viele LGBTI aus den Provinzen in die Metropolen der Türkei in denen es für die Szene-Anlaufpunkte gibt, bei denen sie Unterstützung erhalten können. 17,3 Prozent gaben an bereits migriert zu sein und 50 Prozent der Befragten ziehen einen Wegzug in Betracht, wobei 82,2 Prozent den Druck der Gesellschaft als Grund für den Wegzug angaben.

Nach Angaben von Amnesty International sind vor allem Trans-Frauen besonders gefährdet. Demnach wurden 89 Prozent der Befragten schikaniert, während sie in Polizeigewahrsam waren. Besonders Transsexuelle haben Schwierigkeiten einen Job im öffentlichen Leben zu finden, so dass viele mit Sexarbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten. 15,3 Prozent der Befragen, der von Hebun durchgeführten Studie, gaben an als Sexarbeiter_innen tätig zu sein.

Das türkische Militär betrachtet Homosexualität als „psychosexuelle Störung“ und schwule Männer werden theoretisch nicht zum Militärdienst zugelassen oder bei Bekanntwerden davon ausgeschlossen. Faktisch ist aber der Nachweis oft nur unter erschwerten und erniedrigenden Umständen möglich. In vielen Fällen etwa fordern Militärärzt_innen Fotos oder Videoaufnahmen des Bewerbers beim Sex, wobei aber dann nur der „passive“ Sexualpartner als schwul gilt. Auch zieht so ein Attest Folgen im weiteren Leben nach sich, etwa bei der Einstellung in den Staatsdienst. Von den 150 Befragten der Hebun-Studie gaben knapp 8 Prozent an sich ein solches Attest geholt zu haben.

http://www.hurriyetdailynews.com/father-confesses-to-killing-his-own-son-in-landmark-homosexual-murder-case.aspx?PageID=238&NID=47579&NewsCatID=341

http://hebunlgbt.com/

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