[MD] Kritische Öffentlichkeit ist wichtig

Rassismus tötet! 07.02.2014 18:50 Themen: Antifa Antirassismus Blogwire
Am 15.2. wird es eine Demonstration in Magdeburg geben, die dazu aufruft, einen kommenden Prozess nach einem rassistischen Übvergriff in Bernburg kritisch zu begleiten. Weshalb dies notwendig ist, soll anhand anderer Prozesse in Sachsen-Anhalt deutlich gemacht werden.
Am 21.9.2013 griffen neun Neonazis einen Menschen in Bernburg aus rassistischen Motiven an. Der Mann wurde beim abschließen seiner Gaststätte rassistisch beschimpft, danach mit Bierflaschen zu Boden geprügelt. Er erlitt lebensbedrohliche Schädelbrüche und lag lange Zeit auf der Intensivstation im künstlichen Koma. Die Verletzungen sind so stark, dass der Betroffene, nach Auskunft der Ärzte, bleibende Schäden davon getragen hat. Am 18. Februar 2014 wird der Prozess gegen die Täter eröffnet. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg tut sich wie so oft schwer damit ein rassistisches Tatmotiv zu erkennen – zum Nachteil des Betroffenen und im Sinne der Täter.

Öffentlichkeit ist wichtig

Wie Prozesse nach rassistischen Übergriffen verlaufen können (hier zwei Fälle aus Sachsen-Anhalt) zeigen die Berichte der "Mobilen Beratung von Opfern rechter Gewalt": 

"TÄTER-OPFER-UMKEHR" am Amtsgericht Stendal 

EndeJuli 2013 verhandelte das Jugendgericht am Amtsgericht Stendal gegenzwei weiße, zur Tatzeit 18- und 30-Jährige, denen dieStaatsanwaltschaft Beleidigung und gefährliche Körperverletzungvorwarf. Bei dem Angriff im August 2012 auf fünf nichtweißeJugendliche in Stendal war ein damals 16-jähriger Schüler erheblichverletzt worden. Nachdem die Staatsanwaltschaft eine Zulassung derNebenklage abgelehnt hatte und der Richter den Antrag des Betroffenenbis kurz vor Prozessbeginn nicht bearbeitete, konnte der Schülererst nach Intervention seiner Anwältin als Nebenkläger an derVerhandlung teilnehmen.

Rassistische Hetzjagd durch die Stadt

DemAngriff in den Abendstunden des 30. August 2012 unmittelbarvorausgegangen war eine lautstarke Beschimpfungstiradedurch einen 30-jährigen Deutschen am Marktplatz. Nachdem die fünfdie rassistischen Parolen und Aufforderungen, Deutschland zuverlassen ignorierten, folgte der Mann ihnen und rief Beleidigungengegen die Mütter der Jugendlichen, wogegen diese sich deutlichverbal zur Wehr setzten.

Währenddessenbemerkten die Jugendlichen, dass etwa 15 weiße junge Männer, diedie Auseinandersetzung augenscheinlichbeobachtet hatten, zügig und bedrohlich auf sie zukamen. Sieflüchteten, wurden jedoch von derGruppe verfolgt. Der 16-Jährige wurde schließlich mit einem Autoeingeholt. Der Beifahrer sprang heraus, packteden Schüler von hinten an der Jacke, zog sie ihm über den Kopf undversetzte ihm einen heftigen Fußtritt ins Gesicht. Dann gelang esdem Betroffenen, zum nahegelegenen Polizeirevier zu flüchten, wo er aufseine unverletzten Freunde traf. Er verlor durch den Angriff einenFrontzahn, erlitt einen Nasenbruch, Prellungen sowie eineGehirnerschütterung und musste zehn Tage im Krankenhaus behandeltwerden.

„Ausländische Kultur“ und„Gesellschaftskonformität“

Währendder Vernehmung des Betroffenen stand für den Richter und dieStaatsanwältin zunächst die Frage imMittelpunkt, ob er und seine Freunde sich „gesellschaftskonform“,so der Richter, gegen die rassistischen undanderweitigen Beleidigungen gewehrt oder dabei die „falschenWorte“ gewählt hatten. Interesse von Seiten des Gerichts gab esauch daran, ob die Jugendlichen „wiees sich gehört“ den Bürgersteig benutzt hätten.

DerRichterbezweifelte zudem aufgrund „desvorrangigen Stellenwerts der Mutter in der ausländischen Kultur“,dass Beleidigungen gegen die Mütter der Jugendlichen gefallen seien,ohne dass dieses in der Vernehmung dokumentiert worden sei –obwohl„die“,wie er der Nebenklageanwältin erklärte, „dochimmer auf das Leben ihrer Mutter schwören“. Während er denNebenkläger, den er irrtümlicherweise für einen gerichtsbekanntenSchulschwänzer hielt, kritisch zu dessen Lebensgestaltung befragte,tat er frühere Delikte desAngreifers – unteranderem Brandstiftung – als„Kleinkram“ab.

Derbei Prozessbeginn 19-Jährige wurde wegen Körperverletzung an demSchüler zu 600 Euro Geldstrafe zugunsten des Nebenklägersverurteilt. Der mittlerweile 31-Jährige erhielt für die auch lautRichter inakzeptablen, rassistischen Beleidigungen eine Einstellunggegen eine Geldstrafe von 300 Euro. In seiner anschließendenUrteilsbegründung stellte der Richter mit Blick auf das Plädoyerder Nebenklage fest, es sei unangemessen, bezüglich derKörperverletzung eine politische Motivation zu unterstellen. Zudemsei Gewalt von„Ausländerngegen Deutsche“ in Stendal nahezu alltäglich und ebenso schlimm.Wenn fünf Ausländer in Stendalüber den Marktplatz gehen, dann reiche das schon, um so etwasauszulösen. Der Grund dafür sei jedoch „einfachTestosteron“.

 


 

Freispruch nach Überfall aufImbissbetreiber in Mücheln

EndeOktober, Amtsgericht Merseburg: Die heute 21-, 25- und 56-jährigenAngeklagten sollen laut Staatsanwaltschaft Halle am Nachmittag des25. Februar 2012 einen Imbissbetreiber geschlagen und später dieScheibe der Eingangstür zertrümmert haben, sodass auch seinePartnerin verletzt worden sei. Der 56-Jährigehabe zudem gedroht, wenn der Imbissbetreiber den Laden nicht „biszu Führers Geburtstag“ schließe, werde er brennen. Und dass er –inAnspielung auf die rassistische Mordserie des NSU –der Elftesei, der in der Zeitung stehe. Es ist der Prozessauftakt zumrassistischen Überfall in Mücheln, der nach Kritik an der Arbeitder Polizei bundesweit für Schlagzeilen sorgte.

DenBetroffenenist die Anspannung deutlich anzumerken: Die heute 34-jährige ZelalB.* schildert, wie sie mit ihrer Tochter im Gastraum saß, als vierMänner und zwei Frauen hereinkamen. Nach dem Hinweis ihres Freundes,im Laden dürfe nicht geraucht werden, habe der Älteste gesagt, „Woich hingehe, gelten meine Gesetze“ und sie gefragt, ob sie Naziskenne. Das habe ihr Angst gemacht. Später berichtet sie unterTränen, wie sie verzweifelt versuchte zu intervenieren. Der27-jährige Yasar N. erzählt,wie er von einem der Angeklagten von hinten attackiert wurde, einzweiter dazukam und sie auf ihn einschlugen und traten. Und sich späternoch der dritte daran beteiligte. Ihre Tochter, sie selbst und auchihr Freund hätten bis heute Angst, so Zelal B.. Yasar N. Berichtet,dass er den Laden schließen musste, weil die Kundschaft ausblieb unddie Polizei sagte,sie könnte ihn nicht ewig schützen.

MauerndeZugen

InderFolge sagt ein Ehepaar aus, das an dem Tag in den Imbiss„ausgegangen“war. Wer wen geschlagen habe oder ob jemand verletzt worden sei,könne die 62-Jährige nicht sagen, da sie darauf nicht geachtethabe:„Wirwollten ja mit der Sache nichts zu tun haben“. Allerdings bejahtsie die Frage, ob sich Yasar N. gegendie Angreiferzur Wehr gesetzt habe. Ihr Mann stellt gleich klar, dass ihn andereLeute nicht interessierten und antwortet konsequent mit „Ichkann mich nicht erinnern“ oder „Ichweiß nicht“. Auch eine 17-jährigeSchülerin, die auf Bitten Zelal B.s die Polizei alarmiert hatte,beruft sich auf Gedächtnislücken. Auf Vorhalt bestätigt sie aberdie Drohung, ebenso wie Schläge gegen Yasar N.

Inseinem Plädoyer bewertet der Staatsanwalt die Aussagen derBetroffenen als plausibel und konsistent, während ihm dieEinlassungen der Angeklagten nicht realistisch erschienen. Zudemhätte die 17-Jährige keinen Grund gehabt, sie zu belasten. Dassdie Zeug_innen aus Furcht gemauert hätten sei nachvollziehbar, weilsie aus der Gegend kämen. Zudem benennt er die rechte Einstellungder Angeklagten, die hier zum Ausdruck gekommen sei und fordert Haft-und Bewährungsstrafen von bis zu dreißig Monaten sowieSchmerzensgeld.

UnsäglicheVerharmlosung

Demfolgte das Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richter HansSeidl nicht: Am vierten Verhandlungstag verurteilte es Ende Novemberlediglich den 21-Jährigen wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mitfahrlässiger Körperverletzung zu zwei Freizeitarresten sowie derZahlung von 100 Euro Schmerzensgeld.

Vonden übrigen Vorwürfen sprach ihn das Gericht frei, ebenso wie diebeiden anderen Angeklagten. Das Gericht sähe sich nicht in der Lage,das Urteil auf die Aussagen der Betroffenen zu stützen, die„keineswegsfrei von Widersprüchen“ gewesen seien, so Seidl. Die Aussage derSchülerin bezeichnete er als unbrauchbar.

DieBetroffenen reagierten geschockt auf das Urteil, das denrassistischen Hintergrund der Tat komplett ignoriert und den Angriffunsäglich verharmlost. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Nebenklagehaben Rechtsmittel eingelegt.


 

Weshalb eine Prozessbeobachtung wichtig ist, kann im Aufruf zur Demonstration am 15.2. in Magdeburg nachgelesen werden:

Kein Freispruch für Nazis und Justiz – Rassismus und Faschismus bekämpfen, auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!

Radiointerview zur Demonstration bei Radio Blau:

HIER

Zugtreffpunkte zur gemeinsamen Fahrt nach Magdeburg:

Leipzip
12:15 Uhr Leipzig HBF in der Nähe des Infopoints

Berlin
13:00 Berlin Hbf Gleis 14. Abfahrt 13.11

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Ergänzungen