(B) Kundgebung für kaliforn. Hungerstreiker

Teilnehmer 30.07.2013 23:55 Themen: Antirassismus Blogwire Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Gestern demonstrierten 30 Menschen vor der US Botschaft in Berlin in Solidarität mit den hungerstreikenden Gefangenen in Kalifornien, USA.

Sie machten damit auf den seit über drei Wochen währenden Kampf von über 30.000 Gefangene aufmerksam, der sich gegen Isolationshaft, die von Behördenseite undefinierten "Gang Kriterien", den verordneten Verratszwang, das Krankheiten fördernde Essen und die allgemeine Perspektivlosigkeit von offener, undefinierter Haftdauer richtet. Unter Einsatz ihres Lebens beteiligen sich Gefangene in knapp 40 Knästen an dieser Aktion.

Dieser Hungerstreik ist vermutlich einer der größten, die es weltweit bisher gegeben hat, wird aber von europäischen Medien weitesgehend ignoriert.
Vor der US Botschaft wurde ein Flugblatt verteilt (siehe beigefügte PDF) und Parolen gegen die Isolationshaft gerufen. In deutschen und englischen Redebeiträgen gingen Teilnehmer*innen auf die Situation in den kalifornischen Gefängnissen ein.

Knapp 12.000 Gefangene sind dort permanent von langanhaltender Isolationshaft betroffen, die meisten länger als zwei Jahrzehnte. Viele weitere sind dieser brutalen Form der Haft regelmäßig in kürzeren Abständen ausgesetzt. Laut UN stellt Isolationshaft über die Dauer von 15 Tagen Folter dar.

Bereits 2006 hatte die "US Commission on Safety and Abuse in Amerca's Prisons" ein Ende der Langzeitisolation im Bundesstaat Kalifornien angemahnt. Der UN Menschenrechtsausschuss forderte die Obama-Administration bereits mehrfach auf, die Isolationshaft zu unterlassen, der in den gesamten USA mehr als 80.000 Gefangene ausgesetzt sind. Im Unterschied zu der Vorgängerregierung bestätigte Präsident Obama zumindest den Eingang dieser UN Beschwerde, änderte aber bis heute nichts an den Zuständen.

Vor zwei Jahren begannen dann mehrere Bundesgerichte und sogar der Oberste Gerichtshof, Kaliforniens Gouverneur Edmund Brown aufzufordern, mehrere zehntausend Langzeitgefangene freizulassen und "grausame und ungewöhnliche Strafen" wie die Isolationshaft gemäß dem 8. Verfassungszusatz abzuschaffen. Dies beeindruckte Gouverneur Brown, einen ausgesprochenen Lobbyisten der Gefängnisindustrie, jedoch wenig. Nur wenige Tage nach Beginn des Hungerstreiks von 30.000 Gefangenen unter seiner politischen Verantwortung verließ er den Bundesstaat in Richtung Irland und der BRD für einen Sommerurlaub (1) .

In einem Redebeitrag auf der Kundgebung wurde näher auf die für Konzerne hochprofitable Gefängnisindustrie eingegangen. Während garantierte Einnahmen durch Bau, Angebot von Zellen, Verpflegung, Bekleidung, Knast-Shops sowie der beinahe unentlohnten Zwangsarbeit mit den Gefangenen erwirtschaftet werden, bemühen sich Lobbyisten dieser staatlich/privaten Industrie, permanent den Strafdiskurs anzuheizen um längere Haftzeiten und einen Anstieg der Gefangenenzahlen zu garantieren, was zwischen 1981 und 2010 sehr erfolgreich betrieben wurde. Eine Gefängnisindustrie hat sich inzwischen auch in vielen anderen Ländern entwickelt. Auch auf die derzeitigen Player in der BRD wurde in dem Beitrag kurz eingegangen.

Eine Woche nach Beginn des Hungerstreiks schlug die kalifornische Gefängnisbehörde "California Department of Corrections" (CDCR) zurück. Alle Gefangenen, die Mahlzeiten und z.T. auch die Zwangsarbeit verweigern, wurden mit noch schärferen Restriktionen überzogen. 16 als vermeintliche "Anstifter" ausgemachte Gefangene wurden in spezielle Betonlöcher geworfen. Zwei dieser Gefangenen gelang es, über ihre dortigen Haftbedingungen zu berichten. Beraubt von jeglichem Privateigentum, Bettzeug oder Betätigungsmöglichkeiten sitzen sie alleine in einem völlig unterkühlten Raum. Es gibt trotz ihres inzwischen seit 23 Tagen andauernden Hungerstreiks keine Gesundheits-Checks. Lediglich einmal in 60 Minuten kommt ein Wärter, um sie auf Lebenszeichen zu untersuchen. Die Gefangenen selbst haben keine Möglichkeit, von drinnen Kontakt mit den Wachmannschaften aufzunehmen (2).

Angehörige und Anwält*innen haben derzeit keinen Zugang zu den Gefangenen. Post von den Gefangenen selbst gelangt nur in seltenen Fällen nach draußen.

Am 22. Juli 2013 starb dann der erste Gefangene, Billy Michael Sell (3), an den Folgen des Hungerstreiks. Er hatte zuvor vergeblich um medizinische Hilfe gebeten. Sein Tod wurde allerdings erst einige Tage später bekannt, als die CDCR ankündigte, eine Untersuchung auf „Selbstmord" einzuleiten. Se hatten ihn am 22. Juli „leblos in einer Einzelzelle" gefunden... Inzwischen musste die Behörde zumindest einräumen, dass der Gestorbene zum Zeitpunkt seines Todes an dem Hungerstreik teilgenommen hat.

In den USA und vor allem in Kalifornien werden die kämpfenden Gefangenen vom ersten Tag an draußen begleitet. Zeitgleich zu der Kundgebung in Berlin protestierten Angehörige der Gefangenen vor dem Sitz der CDDR in Sacramento. Später gab es eine Kundgebung in Oakland und im Bundesstaat New York. Weitere Kundgebungen über die gesamten USA finden seit Wochen täglich statt. Für den kommenden Samstag wird erneut vor eines der großen Gefängnisse mobilisiert – diesmal geht es vor das St. Quentin Gefängnis, in dem auch der größte Todestrakt des Bundesstaates ist.

Dieser Hungerstreik gegen das kalifornische Isolations- und Ganghaftsystem ist bereits der dritte in einer längeren Auseinandersetzung zwischen Tausenden von organisierten Gefangenen und ihren Angehörigen auf der einen und der Bundesstaatsregierung sowie der Gefängnisindustrie auf der anderen Seite. Im Juli 2011 erhoben sich zum ersten Mal ca. 6.600 Gefangene im Pelican Bay Gefängnis (4) gegen die von sämtlichen UN Menschenrechtsgremien als Folter definierte Form des Strafvollzuges. Besonders auffällig an diesem (und anderen, jüngeren Streiks) in der Gefängnisindustrie der USA ist die Tatsache, dass Gefangene deutlich machen, dass sie nicht länger bereit sind, sich nach Hautfarben oder vermeintlichen (oder tatsächlichen) Gangzugehörigkeiten spalten zu lassen, wie es über Jahrzehnte Praxis war.

Auf der Kundgebung vor der US Botschaft in Berlin riefen die Teilnehmer*innen dazu auf, den Gefangenen zu schreiben (5) und im Büro von Gouverneur Brown anzurufen oder zu faxen (6), um deutlich zu machen, dass dieser Kampf trotz relativer Medienverweigerung (7) auch in Europa bekannt ist und eine schnelle Erfüllung der Forderungen erwartet wird, bevor weitere Gefangene sterben müssen.






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Links / Anmerkungen

„Gimme Five“ – die 5 Kernforderungen der Gefangenen
 http://prisonerhungerstrikesolidarity.wordpress.com/the-prisoners-demands-2/

Reader über Langzeit-Isolationshaft
Lifetime Lockdown - How Isolation Conditions Impact Prisoner Reentry
 http://afsc.org/sites/afsc.civicactions.net/files/documents/AFSC-Lifetime-Lockdown-Report_0.pdf

(1) "From Dachau with Love" (July 22, 2013)
 http://prisonerhungerstrikesolidarity.wordpress.com/2013/07/22/from-dachau-with-love-solidarity-from-germany/

(2) Berichte von Gefangenen auf
 http://prisonerhungerstrikesolidarity.wordpress.com/

(3) Gefangener in kalifornischen Hungerstreik gestorben (28.07.2013)
 http://de.indymedia.org/2013/07/347225.shtml

(4) Hungerstreik in Pelican Bay (USA) (15.07.2011)
 http://de.indymedia.org/2011/07/311883.shtml

(5) California Prisoner Addresses
 http://kersplebedeb.com/posts/california-prisoner-addresses

(6) Gouverneur Edmund "Jerry" Brown - Büro
Phone: 001 - 916 445-2841
001 - 510 289-0336
001 - 510 628-0202
Fax: 001- 916 558-3160
Online Petition:
"Support the Hunger Strikers - Demand the State of California Stop the Torture
 http://salsa3.salsalabs.com/o/51040/p/dia/action3/common/public/?action_KEY=11455

(7) Ausnahmen: bürgerliche „Leitmedien“ meldeten lediglich den Beginn des Hungerstreiks. Neben zahlreichen Indymedia Beiträgen berichteten nur die beiden linken Tageszeitungen Neues Deutschland und Junge Welt:

(nd) Kalter Krieg in Kaliforniens Knästen (31.07.2013)
 https://www.neues-deutschland.de/artikel/828872.kalter-krieg-in-kaliforniens-knaesten.html?sstr=Hungerstreik|Kalifornien

(jW) Brandstifter zu Gast (19.07.2013)
 http://www.jungewelt.de/2013/07-19/017.php

(nd) Protest gegen Haftbedingungen: In der Betonkiste (18.07.2013)
 http://www.neues-deutschland.de/artikel/827898.protest-gegen-haftbedingungen-in-der-betonkiste.html?sstr=Hungerstreik|Kalifornien

(jW) Zehntausende im Hungerstreik (13.07.2013)
 http://www.jungewelt.de/2013/07-13/070.php
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Ergänzungen

"Selbstmorde"

make prisons obsolete 31.07.2013 - 00:05
hier einige Beispiele sog. "Selbstmorde" seit Beginn der kalifornischen Gefangenenkämpfe 2011:

aus: HUNGERSTRIKE NEWS
Vol. 3 #21, July 30, 2013

Johnny Vick apparently hung himself on Friday, September 16, 2011, in his cell at Pelican Bay State Prison. This was during the period between the first and second phases of the 2011 hunger strike (July 1 – 20, then September 26 – October 13). He was 30 years old. We understand from Mr. Vick’s family that he had mental health issues. We are not certain that he was in the SHU or Ad-Seg at the time of his death, but had at one point been in the SHU. He may have been on suicide watch at the time of his death. It was reported that proper procedures were not followed.

Alex Machado hung himself on October 24, 2011, in his Ad-Seg cell at Pelican Bay State Prison. He had been placed in Ad-Seg at Kern Valley State Prison in December 2007. He was later transferred to Pelican Bay SHU in February 2010. In June, 2011, he was removed from the SHU and transferred to Ad-Seg at Pelican Bay due to his mental health needs. We do not know if he participated in the hunger strikes. Alex was known and liked for his assistance to other prisoners in their legal matters.
Neighboring prisoners reported that he was screaming for help before going silent. A longer report is available on Solitary Watch.

Hozel Blanchard killed himself on November 8 or 9, 2011 in his Ad-Seg cell in Calipatria State Prison. He was 41. In his last weeks, he wrote to his family and to the courts about guard harassment and he sought an emergency transfer out of that prison. He also wrote that he had been on hunger strike and had been hospitalized for it.

Christian Gomez died on February 2, 2012, while on hunger strike at
Corcoran State Prison. He was 27 years old. Corcoran prisoners had issued a set of demands to the warden in December 2011, and resumed a hunger strike in late January. Mr. Gomez had only been on hunger strike for a few days. His death may be attributable to an underlying medical condition possibly aggravated by a lack of treatment by the prison’s health care department.

Retaliation Against Hunger Strikers

von Truthout 31.07.2013 - 00:18
Paul Redd is one of the 14 who has been moved to Ad Seg this time. On his ninth day on hunger strike, he wrote Truthout, "These cells are very small. Cold air is blowing out of the vents extremely hard. The guard in the control booth cannot see into our cells at all. If one of us or all of us fall out, there is no way to get their attention. There is no speaker in our cell with a button to push [for help]. There are no 30-minute "welfare checks." It's around every four hours here."

kurzes Video von der Kungebung

Teilnehmer 31.07.2013 - 01:51
Solidarität mit den hungerstreikenden Gefangenen in Kalifornien
 http://www.youtube.com/watch?v=fwX3JjmhAfQ&feature=youtu.be

Celebrities join prison hunger strikers

LA Times 01.08.2013 - 19:51
Celebrities join prison hunger strikers/Hotline # to call CDCR and support prisoners

The Correction's and Governor's attempts to defer constructive conversation about the use and abuse of solitary confinement by the State of California/CDCR with allegations of participation in the strike of 'gang members' is irrelevant to the point that this is human rights violations being committed in our name with our tax funds and it needs to stop! You do not teach positive human behavior by doubling down on human cruelty.

A CDCR Hotline has been set up by the State for citizens to call with their concerns on the Prisoner Hunger Strike - (916) 324-3397. Please consider calling with your thoughts on the use of solitary confinement in California Prisons, and asking them to honestly participate in finding real solutions to safety and security without human rights abuses and mental cruelty. Also assure them you are following this hunger strike and their response to the prisoners' peaceful efforts to negotiate improved living conditions, and expect them to show leadership, not vengance.

read more at  http://www.latimes.com/news/local/la-me-ff-prison-strike-20130730%2c0%2c3604540.story

VIDEOS: Oakland protest supporting CA prisone

Angola 3 News 02.08.2013 - 09:06
VIDEOS: Oakland protest supporting CA prisoner hunger strike (featuring Danny Murillo, Janetta Louise Johnson and Paige Kumm)

Watch the videos by Angola 3 News here:  http://angola3news.blogspot.com/2013/08/videos-oakland-protest-supporting-ca.html

At lunchtime on Wednesday July 31, Frank Ogawa/Oscar Grant Plaza in downtown Oakland hosted a protest rally in support of the CA prisoner hunger strike that began on July 8. The rally was followed by a spirited march through downtown Oakland (view event photos here). This event was held in conjunction with other solidarity events around the world.

The rally’s MC, Jerry Elster from All of Us or None, announced the upcoming protest outside the west gate of San Quentin Prison at 2pm on August 3, and introduced a wide range of anti-prison activists who spoke in support of the current hunger strike in California prisons. Featured here are video clips from three of the rally’s speakers.

--Danny Murillo survived 14 years of solitary confinement in California prisons and is currently a student at the University of California at Berkeley.

--Janetta Louise Johnson from Transgender Intersex Gender Variant Justice, where she works as Program Coordinator for Member Leadership Development and the Formerly Incarcerated and Convicted People's Movement. TGI Justice, who recently made a statement of support for the hunger strike, describes itself as “a group of transgender people—inside and outside of prison—creating a united family in the struggle for survival and freedom,” whose membership includes “low income transgender women of color and our families who are in prison, formerly incarcerated, or targeted by the police.”

--Paige Kumm from Causa Justa – Just Cause, where she works as a San Francisco Housing Rights Counselor/Organizer. The groups mission statement is to build “grassroots power and leadership to create strong, equitable communities. Born from a visionary merger between a Black organization and a Latino immigrant organization, we build bridges of solidarity between working class communities of color.”

langsam tut sich was

Kurt 03.08.2013 - 11:54
hier ein Update:

- Kalifornien verliert vor dem US Supreme Court - sie müssen zum Jahresende 10.000 Gefangene freilassen

- Der Leiter der Gefängnisbehörde traf sich Freitag mit Mediator*innen, um über die Forderungen der Hungerstreikenden zu reden

aus:
 http://www.alternet.org/civil-liberties/plight-californias-prisoners-hunger-strike-sterilization-and-valley-fever

(...) Mediators working on behalf of California prison hunger strikers met on Friday with California Department of Corrections and Rehabilitation Secretary Jeffrey Beard to make their case, coming on the heels of nearly 100 family members of hunger strikers visiting the Capitol Tuesday, where they presented a petition signed by over 60,000 people demanding negotiations with hunger strikers to Governor Brown's office. In Washington on Friday, the U.S. Supreme Court refused to delay a court order for California to release nearly 10,000 inmates by year’s end to improve conditions in state prisons. The court rejected a plea from Gov. Jerry Brown who has argued that prison conditions have substantially improved and that circumstances have changed – this despite the massive actions of 30,000 prisoners who initially participated in the largest rejection of these official arguments in history. (...)

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Aus der Dream

Name 31.07.2013 - 02:19
"Wie afroamerikanischen und hispanischen Jugendlichen droht auch ihnen inzwischen ein Fliessband, das von der Schule geradewegs in die prall gefüllten Gefängnisse des Landes führt."

 http://bazonline.ch/ausland/amerika/Aus-der-Dream/story/26196229