Hannelore Mabry ist am 20.3.13 verstorben

Solveig Senft BAF e.V. 05.04.2013 20:23 Themen: Gender Militarismus
Nachruf auf Hannelore Mabry, eine der Gründerinnen der Neuen Frauenbewegung in Deutschland.

Die feministische Theoretikerin, engagierte Frauen- und Kinderrechtlerin und unbeugsame Pazifistin starb am 20.März 2013, nach langem, schwerem Leiden, in München.
Hannelore Mabry, eine der Gründerinnen der Neuen Frauenbewegung in Deutschland, ist im Alter von 82 Jahren in München gestorben.

Hannelore Mabry, geboren am 27.August 1930 in Chemnitz, ging nach dem Abitur 1948 zunächst an die Schauspielschule und legte ihre Prüfung bei Gustaf Gründgens ab. Sie arbeitete an mehreren Bühnen und hatte Engagements beim Film, Fernsehen, Funk und Synchron.
Ihre Karriere als Schauspielerin endete, als sie ihrem zweiten Ehemann Paul Michael Mabry von 1964 bis 1966 in die USA folgte. Nach ihrer Rückkehr und als alleinerziehende Mutter gestaltete es sich schwierig, in ihrem Beruf als Schauspielerin wieder Fuß zu fassen.
So begann sie mit 36 Jahren noch einmal zu studieren: Soziologie, Politische Wissenschaften, Volkswirtschaft, Philosophie und Psychologie an der LMU München.

Unkraut ins Parlament!

Ihre Diplomarbeit als Soziologin „Die Relevanz weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau“ – 1972 veröffentlicht als „Unkraut ins Parlament“ - wurde neben den Erfahrungen als berufstätige Mutter innerhalb der patriarchalischen Gesellschaften der DDR, BRD und USA letzter Anstoß, sich aktiv für die Frauenbewegung einzusetzen. Das Ergebnis ihrer empirischen Untersuchung: nur eine eigene mächtige Organisation/Partei kann die Frauenfrage im Parlament und in der Gesellschaft lösen! Im Dezember 1971 gründete sie das Frauenforum München e.V. (die seinerzeit mitgliederstärkste feministische Organisation der BRD; Mitglied war u.a. die spätere Grünen-Politikerin Petra Kelly). Von 1972 – 1975 war sie Herausgeberin der ersten feministischen Zeitschrift der Neuen Frauenbewegung in der BRD, dem FRAUENFORUM – STIMME DER FEMINISTEN . 1976 kam es zur Spaltung des Frauenforums. Mabry gründete den Förderkreis zum Aufbau der Feministischen Partei (FFP), später Förderkreis Der Feminist (FF) und gab die Zeitschrift DER FEMINIST – Beiträge zur Theorie und Praxis heraus.

DER FEMINIST -

Innerhalb der Autonomen Frauenbewegung stiess die Forderung nach einer feministischen Partei, die Fokussierung auf die Frauenfrage als „Mütter- und Kinderfrage“ und der von Anfang an gemischt-geschlechtliche Ansatz von Hannelore Mabry zum Teil auf heftige Ablehnung. DER FEMINIST aber war eine überlegte Provokation. Mabry forderte eine feministische Politik für Frauen und Männer: „Politisch muss die Frauen- und Kinderfrage als Männer- und Väterfrage artikuliert und behandelt werden. Nicht die „bürgerliche“ und nicht die „Arbeiter-Klasse“, nicht eine bestimmte „Rasse“ und nicht ein bestimmtes Geschlecht hat sich mit der Lösung dieser Frage zu beschäftigen: Es ist die Aufgabe j e d e s Menschen, Ausbeutung und irrationale Herrschaft zu bekämpfen.“

Beiträge zur Theorie

Über 35 Jahre lang widmete sich Hannelore Mabry der Entwicklung einer feministischen Theorie - in Auseinandersetzung mit der „Alten“ und der „Neuen“ Frauenbewegung, mit PhilosphInnen, PolitökonomInnen, ReligionskritikerInnen und PazifistInnen – wie Gandhi und Bertha von Suttner - und nicht zuletzt im regen Austausch mit ihren MitarbeiterInnen im Frauenforum und Förderkreis Feministische Partei (FFP)
Originär ist ihre Analyse des Patriarchats, das sie nicht schlicht als „Männerherrschaft“ definierte, sondern als Herrschaftssystem, das auf der Ausübung von Gewalt, Manipulation und Ausbeutung der/des Schwächeren bzw. Abhängigeren beruht. In Kürze: „ Das Patriarchat ist das System der Gewalt, in dem das Recht des Stärkeren (körperlich und/oder intellektuell und/oder ökonomisch) Gesetz ist.“ Biologisch waren und sind Frauen in diesem System im Nachteil und werden aufgrund ihrer Gebärfähigkeit im Patriarchat nicht nur körperlich, sondern auch intellektuell (schlechtere Bildungschancen, Ausgrenzung aus dem politischen Leben) und ökonomisch (unbezahlte Hausarbeit, Lohnungleichheit, geringere Renten, Doppelbelastung) diskriminiert undausgebeutet. In ihrer Marx-Kritik, die sie in ihren Schriften und u.a. im Briefwechsel mit Herbert Marcuse ausführte, forcierte sie eine Neubewertung der „Reproduktionsarbeit“. „Entweder Lohn für Kindererziehung und Hausarbeit. Oder: 4 – 5 Stunden Erwerbsarbeit für beide Geschlechter und gleiche Beteiligung der Männer an Kindererziehung und Hausarbeit!“ Und sie ging hinsichtlich ökonomischer Gerechtigkeit noch weiter und forderte schon Ende der 70ger Jahre einen „Welteinheitslohn“, d.h. gleiche Bezahlung international für die geleistete Arbeitsstunde.

und Beiträge zur Praxis

Das Schreiben ging Mabry nicht leicht von der Hand. Ihre Stärke war die Rede, das Gespräch, der, oft auch polemisch geführte, Streit, und die phantasievollen Aktionen, die sie mit ihren Mitstreiterinnen unternahm.
Mabry sprach und diskutierte mit Jeder und Jedem, vom Kind zur Greisin, von der Putzfrau bis zum Bankdirektor, betrieb „feministische Aufklärung“ an den regelmäßig stattfindenden Infoständen der Gruppe in München, auf Veranstaltungen, auch eigenen, bei Demonstrationen, Blockaden von Militäreinrichtungen und im Gerichtssaal.
Sie konfrontierte Gewerkschaften und Parteien und politische Gruppierungen, von rechts- außen über liberal bis links, anarchistisch und grün: So protestierten sie und ihre Mitstreiterinnen vom FFP, „bewaffnet“ mit Küchenschürzen und Schrubbern, 1980 beim "Großen Ratschlag" des Sozialistischen Büros in Frankfurt, besetzten die Rednertribüne von Norbert Blüm (CDU Bundesminister für Arbeit) anlässlich seiner frauenfeindlichen Neuregelung des Rentenrechts („Raubüberfall!“) und erwirkten beim Gründungsparteitag der Grünen durch ihren lautstarken Protest und ertrotztes Rederecht die Diskussion und Abstimmung über den Antrag der paritätischen Besetzung aller Parteiämter. Mit Erfolg – bei den Grünen und als Anspruch bei den anderen Parteien seither.
Spektakulär waren die Kirchen-Proteste: 1983 besetzte sie mit 10 Mitgliedern des Förderkreis die Münchner Frauenkirche um dort eine „Mütter-Fastenaktion für den Frieden“ abzuhalten – sie wurden vom Erzbischöflichen Ordinariat dafür ins Gefängnis gebracht. Mit „Heil Kind“, ihrem kinderzen-trierten Gruß, sollte 1988 der Papst begrüßt werden: „Schützt Kinder vor Allmächtigen – Sei Feminist – Heil Kind“. Die Polizei nahm sie vorsorglich „in Gewahrsam“, ihren MitstreiterInnen wurden die Transparente rabiat entrissen.
Und auch innerhalb der Autonomen Frauenbewegung stritt Mabry um feministische Ziele und Strategien:
So wendete sie sich u.a. entschieden gegen die Gleichsetzung von Feminismus und Lesbianismus („Feminismus ist die Theorie – Lesbianismus ist die Praxis“)
„Nicht Frauen ins Militär, sondern alle Männer raus aus den Militärs“ entgegnete sie Alice Schwarzer.
Denn Feminismus und Pazifismus waren für sie zwei Seiten einer Münze:
„Theoretisch und praktisch basieren unsere feministischen Ziele auf den Bedürfnissen eines jeden Kindes, das nach Völkermord, Krieg, Konzentrationslager und nach Hiroshima geboren wurde und das uns Erwachsenen immer ausgeliefert war und ist. Ändern wir - Frauen und Männer - unsere inhumanen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen nicht, dann erziehen wir die nächste Generation erneut zu Verbrechern und Selbstmördern und dann sind wir offensichtlich unfähig, etwas aus unserer Vergangenheit zu lernen.“ Hannelore Mabry

So kämpferisch sie als Feministin und Pazifistin war, so geduldig milde und verbrachte sie ihre letzten
Lebensjahre in zunehmender geistiger Umnachtung. Am 20. März starb sie im Beisein ihrer Tochter in einem Münchner Pflegeheim.


Gedenkfeier: Samstag, 27.4.2013, 11 Uhr, im Café der Seniorenresidenz am Westpark, Westendstr. 174, in München

Solveig Senft, Monika Brandmair – Bayerisches Archiv der Frauenbewegung (BAF) e.V.
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Das von ihr gegründete Bayerische Archiv der Frauenbewegung e.V. – eine Sammlung von Schriften der Alten und Neuen Frauenbewegung, ihren Forschungen, internationalen Briefwechseln, Protokollen und Bildmaterialien – ist vom renommierten Institut für Zeitgeschichte in München,  http://www.ifz-muenchen.de, übernommen worden.
Ihre Arbeiten können dort eingesehen und z.T. auch ausgeliehen werden.
Von Hannelore Mabry acquirierte Spenden und Nachlässe für das Archiv werden für wissenschaftliche Arbeiten zum Thema eingesetzt.
Eine Arbeit wurde bereits aus diesen Mitteln gefördert: Zellmer, Elisabeth: Töchter der Revolte? Frauenbewegung und Feminismus in den 1970er Jahren. Das Beispiel München
Siehe auch: Hannelore Mabry - Ein filmisches Portät von Helke Sander -Deutschland 2005 • 32 min • Farbe - Ein Dokumentarfilm über Hannelore Mabry - Frauenrechtlerin, Kinderrechtlerin, Schauspielerin, Kirchenkritikerin, Soziologin und Mutter. Helke Sander in ihrer Einleitung „Sie ist mehr oder weniger vergessen, was sie nicht verdient hat, denn auch sie hat dazu beigetragen, die Bundesrepublik frauenfreundlicher und demokratischer zu machen.“
Siehe auch:  http://de.wikipedia.org/wiki/Hannelore_Mabry

und:  http://hpd.de/node/15533

Süddeutsche Zeitung v. 27.3.2013, Artikel von Heribert Prantl: Forsche Feministin - Hannelore Mabry ist im Alter von 83 Jahren in München gestorben
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Ergänzungen