Pogrom in Rostock 1992: Zeitzeugen-Interview

Überleben in Altona 24.08.2012 17:45 Themen: Antifa Antirassismus
Um die Bedingungen für diejenigen, die sich damals gegen den Naziterror und das rassistische Klima im wiedervereinigten Deutschland stellten etwas plastischer darzustellen, gibt es im Folgenden ein Interview mit 2 Aktivisten (M. und B.), die 1992 während der Pogrome nach Rostock fuhren, bzw. an der großen antifaschistischen Demo am Wochenende nach den Pogromen in Rostock teilnahmen. Beide waren damals noch relativ jung, ungefähr im Führerscheinalter. Aufgrund des großen Zeitraums, der zwischen den Ereignissen von damals und heute liegt, sind natürlich viele Erinnerungen verblasst, bzw. einiges nur schwer zu rekonstruieren. Dennoch geben die Antworten der beiden einen guten Einblick über die Situation vor 20 Jahren.

Überleben in Altona (ÜiA): Was bedeutete es, Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre als Antifaschist aktiv zu sein?

M.: Ende der 1980er Jahre hatte man es auch in Nord-Schleswig-Holstein mit einer immer offener und zugleich auch militanter auftretenden Naziszene zu tun, die sich damals vor allem aus den altbekannten dumpfen und brutalen „Naziglatzen“ zusammensetzte. Vor allem in den (Groß) Städten, aber auch auf dem Land kam es immer öfter zu militanten Auseinandersetzungen mit eben diesen noch eher unorganisierten „Naziglatzen“. Bevorzugtes Angriffsziel der Nazis waren in dieser Zeit besetzte Häuser und linke Zentren, aber auch Flüchtlingswohnheime. Ab Ende der 1980er machte sich eine zunehmende „Pogromstimmung“ bemerkbar. Auch Aufgrund dessen gab es in Schleswig-Holstein eine gute Vernetzung innerhalb der linken Szene, auch nach Hamburg bestanden gute Kontakte. Dies ermöglichte es uns, auf Naziangriffe schnell reagieren zu können. In dieser Zeit war oft die Rede von antifaschistischer „Feuerwehrpolitik“. Das heißt, irgendwo kam es zu größeren Ansammlungen von Nazis und es drohten Übergriffe oder es gab diese tatsächlich, oder es kam zu solchen Ankündigungen/Gerüchten, dann haben wir versucht ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Damals haben wir uns so relativ oft die Nächte um die Ohren schlagen müssen.
Gleichzeitig gab es in der linken Szene der Stadt, aus der ich komme, auch eine enorme Aufbruchsstimmung, es gab mehrere Hausbesetzungen, viele Leute aus verschiedenen Spektren waren aktiv und auch das Kulturelle, wie z.B. Konzerte, kam nicht zu kurz.

ÜiA: Wie war die gesellschaftliche Stimmung damals?

M.: In der (bürgerlichen) Öffentlichkeit wurden Übergriffe von Nazis meist verharmlost oder verschwiegen. Teilweise war es sogar so, dass bei diesen Gewalttaten ein rechtsextremer Hintergrund vehement bestritten wurde. Sowas hat ja bis heute Kontinuität…

B.: So weit ich mich erinnere, war die Stimmung zu der Zeit ziemlich aufgeheizt. In den Medien, z.B. in der BILD-„Zeitung“ wurde gegen Ausländer gehetzt. Viele Politiker aus unterschiedlichen Parteien wollten das Asylrecht verschärfen. Und die rechtsextreme DVU holte1992 über 6 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein!

ÜiA: Wie seid ihr auf die Situation in Rostock aufmerksam geworden? Internet und Co gab es damals ja noch nicht…

M.: Unsere Informationsquellen waren damals in erster Linie Telefonketten und Infoläden. Aufgrund der guten Vernetzung der Norddeutschen Szene und somit auch nach Rostock wusste man schon relativ schnell, also 1 oder 2 Tage vor der „richtigen“ Eskalation, was sich dort zusammenbraute und die Infos über die Situation in Rostock wurden schnell weitergegeben. Die Szeneinterne Mobilisierung nach Rostock ging dann ziemlich schnell.

B.: Ich meine, dass ich es nur im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört habe. Vielleicht wurde ich auch von Freunden darauf aufmerksam gemacht.

Üia: Was war für euch ausschlaggebend, nach Rostock zu fahren?

B.: Ich war über das Ausmaß der Ausschreitungen ziemlich geschockt, es ging ja über mehrere Tage ziemlich ab in Rostock, das Verhalten vieler Bürger, die dort wohnten, das Vorgehen der Polizei usw. fand ich ziemlich krass. Es war irgendwie klar, da dann zur Demo hinzufahren.

M.: Aufgrund der Situation in Rostock waren ich und viele andere schockiert und es war klar, dass man sofort was Unternehmen musste. Ich habe damals auch nicht großartig nachgedacht, was es bedeutete, nach Rostock zu fahren. Also natürlich war klar, dass es unter Umständen sehr Gefährlich werden könnte, aber das war angesichts der Vorkommnisse dort zweitrangig für mich.

ÜiA: Aus welchem Spektrum kamen die Leute, die damals nach Rostock fuhren?

B.: Es waren meist junge Leute, aber genaues weiß ich nicht mehr.

M.: Das war sehr gemischt, also natürlich alles aus „der Szene“, aber da die verschiedenen Spektren in der Stadt, in der ich damals wohnte, nicht so abgegrenzt voneinander waren, war quasi alles dabei, was die Szene zu bieten hatte. Also (Polit)Punks, Autonome, „Hippies“. Im Vergleich zu heute keine „klassische Antifa-Sportgruppe“.

ÜiA: Wie war die Situation in Rostock während des Pogroms?

M.: Für alle von uns, die damals nach Rostock gefahren sind, war das, was sich dort abspielte, etwas völlig neues, also im Hinblick auf die eigenen unmittelbaren Erfahrungen. Vorher war es so, dass man zwar immer öfter in militante Auseinandersetzungen mit Nazis auf der Straße verwickelt wurde und es auch dort des Öfteren zu gefährlichen Situationen kam, aber das war keinesfalls das, was uns in Rostock erwartete. Dadurch, dass ein großer Bürgermob vorhanden war, der die Nazis teilweise aktiv unterstützte, wurde bei uns die Unsicherheit verstärkt. Außerdem waren diverse Gerüchte im Umlauf, nicht nur was die Größe und die Dynamik des rassistischen Mobs betraf, sondern auch, wie das Vorgehen der Bullen vor Ort sein würde. Also es war schon klar, dass wir versuchen würden, vor Ort in Lichtenhagen zu intervenieren.
Aber nachdem ein Versuch nach Rostock-Lichtenhagen zu kommen, bzw. die Häuser in denen die Flüchtlinge bzw. die (Ex) „DDR-Vertragsarbeiter“ aus Vietnam wohnten, zu schützen, mehr oder weniger gescheitert war, entschieden wir uns wenigstens das JAZ (Anm.: Jugend Alternativ Zentrum) zu schützen. Einmal gelang es ja einigen von uns, einen großen Teil des Mobs für kurze Zeit vom „Sonnenblumenhaus“ zu vertreiben. Da man aber nur mit etwas über hundert Leuten unterwegs war, wäre ein Verbleiben an Ort und Stelle zu gefährlich gewesen. Es war ja auch unklar, wie lange man hätte vor Ort bleiben müssen. Und die Bullen, die den Mob Tagelang gewähren ließen, setzten alles daran, zu verhindern, dass Antifaschisten nach Lichtenhagen, geschweige denn in die Nähe des „Sonnenblumenhauses“ kamen.
Ferner gab es auch diverse Drohungen von Nazis, das JAZ anzugreifen. Also das war dann schon so, dass man dort stundenlang auf dem Dach lag mit der Zwille in der Hand und nicht wusste, ob die Nazis jetzt kommen oder nicht. Oder man beteiligte sich an der Infostruktur oder unterstützte die Infrastruktur des JAZ. So ging das mehrere Tage. Es herrschte allgemeine Verunsicherung vor Ort, angesichts des großen Mobs, der wenige Kilometer von uns entfernt tobte. Man darf auch nicht vergessen, dass die antifaschistische Gegenmobilisierung sehr spontan „organisiert“ wurde, weil für alles Andere ganz einfach keine Zeit mehr blieb.
Was mir positiv in Erinnerung geblieben ist, war die Tatsache, dass wir trotz allem relativ viele Leute vor Ort waren, das hat auch Mut gemacht. Man ist zwar, nachdem sich die Situation zum Wochenende hin etwas entspannte, mit einem mulmigen Gefühl nach Hause gefahren, um dann aber sehr entschlossen nach Rostock zur großen Antifa-Demo zurückzukehren.

ÜiA: An dem Wochenende nach dem Pogrom fand in Rostock eine antifaschistische Demo statt, an der sich ca. 20000 Menschen beteiligten. Wie gestaltete sich die Anreise?

B.: Vor der Demo hat die Polizei viele Busse aufgehalten und auch gekesselt.

M.: Die Bullen haben mit einem massiven Aufgebot weit vor Rostock, ich meine bei Bad Doberan, unsere Bus- und PKW Konvois aufgehalten und durchsucht. Desweiteren wurde auch jeder Einzelne akribisch durchsucht. Besonders krass fand ich die Massen an Bullen samt SEK´s, die u.a. mit diesen großen Hubschraubern (Anm.: Auch aus Gorleben und vom G8 in Heiligendamm bekannt) zu den Polizeischikanen auf der Anreise eingeflogen wurden. Auf einmal war gegen eine antifaschistische Mobilisierung all das möglich was eine Woche zuvor gegen einen rassistischen Lynchmob noch unmöglich schien...

ÜiA: Wie war die Stimmung auf der Demo?

B.: Eher entschlossen und wütend!

M.: Es war eine sehr große Demo. Aber es war unheimlich, durch die Wohnghettos zu ziehen, die Parolen hallten von den Wänden und es war alles wie aus ausgestorben. Man kam sich wie ein Fremdkörper vor, man fühlte sich unerwünscht.

ÜiA: Wie reagierten die Anwohner auf die Demo?

M.: Wenn es Reaktionen gab, dann negative. Man sah ab und zu Gesichter hinter den Gardinen. Außer den Demonstrierenden waren kaum Menschen auf der Straße.

B.: Nicht gerade wenige haben aus den Fenstern geguckt und die wurden dann von einigen Leuten aus dem Demozug bepöbelt. Selbiges erlebte man aber auch umgekehrt. Also ich fand´s ganz schrecklich in Lichtenhagen: Die Wohnanlagen, das Umfeld, die Atmosphäre, viele Leute, die da wohnten…

ÜiA: Mit welchem Gefühl seid ihr aus Rostock abgereist?

M.: Innerlich sehr zerrissen. Es war ein gutes Gefühl, mit so vielen Leuten nach ganz kurzer Mobilisierungszeit durch Lichtenhagen zu demonstrieren. Das gab Kraft. Anderseits war da die Befürchtung, dass der Pogrom weitergehen wird und dass es die Bürger vor Ort nicht interessiert. Vor dem Hintergrund hatten wir ein ungutes Gefühl, die Rostocker Antifas wieder in diesem Klima alleine zu lassen.

ÜiA: Wie ging es danach weiter?

B.: Im November war dann der Anschlag in Mölln (Anm: Bei dem Brandanschlag durch Nazis auf zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser gab es neun z T. schwer verletzte und 3 Todesopfer, darunter 2 Kinder). Dort war ich danach dann auch auf der antifaschistischen Demo.

M.: Viele wurden in dieser Zeit politisiert, bzw. hatten das Bedürfnis etwas gegen den zunehmenden Naziterror zu unternehmen. Zu der Zeit war viel antifaschistisches Engagement zu spüren, es wurden Kontakte geknüpft zu Flüchtlingsheimen und es wurde Patrouille gefahren um diese zu schützen. Es gab des Öfteren Ankündigungen von Angriffen durch Nazis, Angriffe auf linke Projekte gab es auch immer wieder die Jahre über. In der Innenstadt der Stadt, in der ich damals wohnte, wurde den Nazis deutlich gemacht, dass sie sich dort nicht ohne massive Konsequenzen zu befürchten bewegen konnten. Rechte Wahlplakate überlebten im gesamten Stadtgebiet nicht eine Nacht…

ÜiA: Gab es Erfahrungen in HRO, die für Euch prägend waren?

B.: Bestimmt! So genau weiß ich das aber nicht mehr.

M.: So schockierend Rostock war, eine große Überraschung war es letztendlich nicht das so etwas möglich sein könnte(genauso wenig überraschend wie die Morde der NSU!). Es war letztendlich eine logische Konsequenz aus den Geschehnissen der Jahre zuvor und auch absehbar.
Es wurde in Rostock besonders deutlich, wozu ein deutscher Mob wieder in der Lage war (und ist).
Prägend… vielleicht insofern, als dass man umso mehr wusste, warum man wo steht und das es verdammt wichtig ist das niemals zu vergessen.

Antifaschistische Gedenkdemo/Kundgebung:

25. August 2012:
11.00 Uhr – Kundgebung zum Gedenken an die Pogrome von – Lichtenhagen, Rathaus Rostock
14.00 Uhr – Bundesweite Demonstration ab Bahnhof Rostock-Lütten Klein

Überleben in Altona
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Ergänzungen

20 Jahre Gewalt in Rostock-Lichtenhagen

NieWieder 24.08.2012 - 18:57
20 Jahre Gewalt in Rostock-Lichtenhagen: Ein bedenkenswertes Jubiläum und eine unvollendete Debatte

Ralf Julke
22.08.2012

Am Samstag, 25. August, erinnern bundesweit organisierte Demonstrationen in Rostock an eines der schäbigsten und finstersten Ereignisse in der jüngeren deutschen Geschichte. Vom 22. bis 26. August 1992 herrschte in dem Rostocker Stadtteil Lichtenhagen Ausnahmezustand. Gewalttätige Randalierer belagerten ein Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter, die am 24. August von der Polizei evakuiert werden mussten. Und 3.000 Neugierige applaudierten dem Gewaltexzess auch noch.

Was jetzt im Vorfeld der Demonstrationen am 25. August in Mecklenburg-Vorpommern geschieht, wird vielen Sachsen vertraut vorkommen. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) versucht das beteiligte Bündnis "20 Jahre nach den Pogromen – Das Problem heißt Rassismus" und die Demonstranten zu kriminalisieren. Er befürchte "linksextremistische Übergriffe" beim Gedenken an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Deshalb werde ein Großaufgebot der Polizei vor Ort sein. „Es wird nicht passieren, dass wir zu wenige Einsatzkräfte haben. Da bin ich ein gebranntes Kind“, wird Caffier zitiert.

"Mit dieser Anspielung auf das Polizeiversagen von 1992 stellt Caffier den antirassistischen Protest bewusst auf eine Stufe mit den Pogromen von Nazis und Rassisten. Der Minister sollte noch einmal darüber nachdenken, wer vor 20 Jahren in Rostock-Lichtenhagen tobte: Nazis und ein rassistischer Mob und nicht Linke“, erklärt dazu das Bündnis. „Lorenz Caffier beweist mit seiner Äußerung, wie wenig in den letzten 20 Jahren in Deutschland dazugelernt wurde. Diejenigen, die gegen Rechts aufstehen, werden kriminalisiert und die tödliche Gefahr, die von Nazis ausgeht, verharmlost.“

Es ist der alte Eiertanz deutscher Politiker, die um ein harmonisches und weltoffenes Außenbild ihrer Regierung mehr besorgt sind als um die Gefahren des latenten Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus - übrigens alles "Tugenden", mit denen sich Ressentiments und Ängste schüren lassen. Die dann wieder irgendwie dem politischen Machterhalt nutzen.

Das war 1992 in Rostock so, als die Polizei nicht frühzeitig eingriff und den Spuk mit Verhaftungen beendete. Das ist selbst in einer so weltoffenen Stadt wie Leipzig so - Thema Unterbringung der Asylbewerber. Eine Diskussion, die das Sozialdezernat ganz sachlich und fachlich in den gewählten Gremien vorgesehen hatte, und die durch den Auftritt seltsamer Zeitgenossen binnen weniger Tage sehr fremdenfeindliche Töne bekam.

Da passte natürlich die Veröffentlichung der Ergebnisse aus der Bürgerumfrage 2011 gut, die genau nach diesen Ressentiments fragte, dabei die in der Soziologe etablierten Fragestandards anwandte, die für den friedlichen Leser natürlich befremdlich klingen.

Bedienen Fragen, die das Argumentationsmuster vor allem rechtsextremer Parteien aufgreifen, diese Ressentiments oder legen sie nur offen, was sowieso da ist und jederzeit von Leuten, die keinerlei Rücksicht auf Leben und Frieden der Mitmenschen nehmen, mobilisiert werden kann? Eine durchaus ernst zu nehmende Frage. Denn woher nahm die NPD in Sachsen ihre Wahlergebnisse von teilweise über 10 Prozent wie 2004?

Rostock-Lichtenhagen war auch deshalb so nachhaltig, weil sich im Nachgang die bundesdeutsche Asylgesetzgebung immer mehr verschärfte. Bis heute ist nicht untersucht, ob und inwieweit die Anschläge von 1992 nicht sogar inszeniert waren - nicht um die rechtsextremen Parteien in die Parlamente zu hieven, die nach Lichtenhagen einige heute längst wieder vergessene Erfolge vor allem in Westdeutschland feierten, sondern um von den misslungenen ersten Schritten im deutsch-deutschen Einigungsprozess abzulenken. Denn 1992 wurde sichtbar, dass es im Osten keine blühenden Landschaften geben würde, sondern dass es - gegen die üblichen politischen Versprechungen - erst einmal ein wirtschaftliches Tabula rasa geben würde.

Und wenn es um Geld und Arbeit und gesellschaftliche Akzeptanz geht, hört bei vielen Zeitgenossen ganz schnell die Friedfertigkeit auf. Diverse Umfragen und Studien behaupteten in den Folgejahren, dass der Rechtsextremismus im Osten in Folge der jahrelangen Diktaturerfahrungen ein besonders fruchtbares Feld gefunden habe. Aber die Studien der Leipziger Forscher Oliver Decker und Elmar Brähler für die Friedrich-Ebert-Stiftung haben mittlerweile recht deutlich gezeigt, dass chauvinistische und rassistische Einstellungen kein Privileg des Ostens sind und auch nicht nur der bildungsferneren und arbeitslosen Schichten.

Es ist ziemlich sicher, dass die Diskussion um solche Einstellungen in Deutschland längst weiter wäre und offener geführt würde, wenn nicht auch und gerade die so genannte "Mitte der Gesellschaft" mit diesen Haltungen so ihre Probleme hätte.

Und so finden sich die ausländerfeindlichen Einstellungen auch in Leipzig in allen Gesellschaftsschichten, mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Selbst 7 Prozent derjenigen, die mit mehr als 2.000 Euro im Monat honoriert werden, äußerten die Ansicht, dass man Ausländern jede politische Betätigung verbieten sollte. Bei denen, die weniger als 1.400 bzw. weniger als 800 Euro verdienen, stieg dieser Wert auf 16 Prozent. Es gibt über die meisten Einkommensgruppen hinweg rund ein Viertel der Befragten, die mit "teils / teils" dazu ihre Position diffus lassen. Die Mehrheit aber in allen Gruppen lehnte die Aussage ab. Genauso, wie die meisten die Aussage ablehnen "Die Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg".

Dieser Aussage stimmen selbst bei den ganz Armen nur 13 Prozent zu. Dafür ist die Stellungnahme zu "Die in Leipzig lebenden Ausländer sind eine kulturelle Bereicherung für die Stadt" meist im Wischiwaschi-Bereich - rund die Hälfte der Befragten antwortet mit „teils / teils“. Was dann wirklich die Schnittstelle benennt, an der in Deutschland seit 20 Jahren tatsächlich Schweigen herrscht. Politisch gewolltes Schweigen. Man schwatzt zwar viel über Integration, fordert sie meistens aber von den anderen. In der Befragung kam das in der Aussage zum Tragen "Die Ausländer sollten ihren Lebensstil an den der Deutschen anpassen ..."

Ist natürlich eine mehr als unsinnige Frage. Denn auch Leipzigs Statistikern fiel auf, dass man selbst als in Deutschland Geborener mit dieser Frage Probleme bekommt: An den Lebensstil welcher Deutscher soll man sich da anpassen? An den der Lederhosenträger oder den der kleinen Möchtegern-Nationalisten? Dass hier 38 Prozent aus Verzweiflung "teils / teils" ankreuzten, versteht man gut. 52 Prozent stimmten der Aussage dann aber mehr oder weniger zu. Was ein Schlaglicht wirft auf die jüngste Leipziger Asyldebatte: Was nicht ausdiskutiert wird, wird zur Keule. Und die wird von seltsamen Leuten geschwungen.

Nein. Niemand muss sich irgendeinem Lebensstil anpassen. Reich wird eine Stadt durch die Vielzahl ihrer Lebensstile. Kultur ist der Reichtum dieser Stile, nicht das, was einige Leute als homogene Sozialstruktur oder ähnlichen Humbug bezeichnen. Und die lebendigsten Städte weltweit sind diejenigen, in denen die Kulturen miteinander kommunizieren - London, New York, Berlin.

Mal abgesehen davon, dass die innovativsten Wirtschaften immer diejenigen sind, die weltoffen sind und die klügsten Köpfe aus aller Welt anziehen können. Womit wir in Sachsen wären und in Leipzig, wo die Integrationsmodelle auch nicht so wunderbar funktionieren, wie mancher glaubt.

Deutlich wurde aber auch durch die "Bürgerumfrage 2011", dass die Ängste und Vorurteile abnehmen, je mehr und je öfter die Befragten mit Ausländern zu tun haben. Regelmäßigen Kontakt zu Ausländern haben übrigens 55 Prozent der Leipziger. Je jünger, umso mehr. Und je mehr Kontakt sie zu Ausländern haben, um so seltenerer pflegen sie rassistische oder chauvinistische Ressentiments. Die natürlich etwas mit Selbstbild und Selbstbewusstsein zu tun haben - mit Bildung auch. Wer Angst hat vor allem Neuen, allem Fremden und allen unerklärlichen Veränderungen, der sucht häufiger Sicherheit hinter den Plakatwänden von Nationalstolz, provinzieller Überheblichkeit und Abwehr alles Unbekannten.

Rostock-Lichtenhagen ist dieser Tage wieder so ein Jubiläum, das daran erinnert, wieviel in Deutschland unausgesprochen vor sich hin gärt. Dann und wann schwappt es - wie im Fall der Terrorzelle "NSU" - an die Öffentlichkeit. Aber man kann den Politikern dabei zuschauen, wieviel Mühe sie darauf verwenden, das unleidige Thema so schnell wie möglich wieder vom Tisch zu kriegen und lieber nicht zu genau in die Akten zu schauen. Oder schauen zu lassen.

Eine Kundgebung gibt es in Rostock am Samstag, 25. August, 11 Uhr im Stadtzentrum. Um 14 Uhr beginnt eine Demo vom S-Bhf. Rostock Lütten Klein.

 http://www.l-iz.de/Leben/Gesellschaft/2012/08/20-Jahre-Gewalt-in-Rostock-Lichtenhagen-43328.html

Mehr zu den Demonstrationen in Rostock: stopitkampagne.blogsport.de

Rostock war ein Trauma

Antifa aus Niedersachsen 24.08.2012 - 19:54
zur ziet list mensch immer wieder zeitzeugen berichte von linken die in rostock waren.
ich bin vor 20 jahren am samstag nach rostock gefahren. zusammen mit drei leuten aus meiner antifa gruppe. 500 km, das auto voll mit waffen und helmen. zu allem entschlossen dem deutschen mob entgegen zutreten. angekommen in rostock war ich sehr erschrocken darüber wie wenig autonome da waren. es gab im juz ein treffen nach dem anderen in dem es darum ging nach lichtenhagen zu fahren. nach dem es mehrfach geplant war aber wieder abgesagt wurde ( zu gefährlich) sind wir mit leuten aus berlin nach lichtenhagen gefahren.
anschleichen, entdeckt werden und zurück ins juz, später mit mehr leuten noch mal nach lichtenhagen, diesmal entschlossener. die ersten bürgen,nazis (es wurde kein unterschied gemacht) bekammen aufs maul. dann der angriff auf der brücke und die nazis sind gerannt.
die bullen waren die ganze zeit zuschauer erst nach dem angriff auf die nazis/mob stürmten sie los und nahmen mich und etwa 120 genossenInnen fest.
6 tage turnhalle zusammen mit den nazis die festgenommen wurden. die bullen standen in der mitte und trennten die lager. samstag dann großdemo und noch mehr hass im bauch.

mittlerweil bin ich über 40 aber das jahr 1992 werde ich nie vergessen.
auf der einen seite schade das man nicht mehr so wild und entschlossen ist auf der anderen seite bin froh das es damals keine toten gab.


am meisten haben mich nach rostock die leute genervt die jedes mal wenn die bullen aufmarschierten ihn entgegen riefen "wo wart ihr in rostock".

ich rief ihnen immer entgegen und wo warst du.

die eskalation in rostock hätten verhindert werden können und somit einiges an nazi stress
erspart.

Auch im AIB

dddd 24.08.2012 - 21:43
Auch im neuen Antifa Infoblatt gibt es ein gutes Interview zum Thema. ..und weiter gute Artikel im Schwerpunkt. Aus vielen interessanten Perspektiven wird auf das Pogrom zurückgeblickt: Auf den Umgang der Öffentlichkeit, der Polizei und der Politik mit den Angriffen, auf die antiziganistische Dimension der Pogrome - und vorallem (selbstkritisch) aus der Sicht antifaschistischer Aktivist_innen. Da können wir einiges für heute draus lernen...

Einige Artikel sind hier Online:  http://www.antifainfoblatt.de
Ein weiterer hier:  http://www.antifa.de/cms/content/view/1923/1/
Betellen könnt ihr das Heft unter:  http://aib.nadir.org/index.php/abo

Radiosendung zur Sache

Hörerin 24.08.2012 - 22:24
FSK hat zu Rostock und Hoyerswerda, daß hier gesendet:
 http://studentischesmilieu.wordpress.com/2011/11/14/radiosendung-allein-schon-deutschland-ii/
 http://www.fsk-hh.org/blog/2012/08/21/der_jahrestage_wegen_vom_ertragreichen_deutschen_boden_und_seinen_naehrstoffen
Hier gibt es ja einiges an Augenzeug_innen. Café Morgenland stand mitten drin und wurde isoliert, wie vielleicht auch "Antifa aus Niedersachsen". Hintergrund: Deutsche Linke wollten weiterhin ans Volk glauben dürfen und an Klassenkampf u.ä. apellieren. Das gehört zu der ganzen Geschichte, wie der Satz am Schluß von "Antifa aus Niedersachsen".

wiedervereinigtes Deutschland ?

InRuR 30.08.2012 - 02:59
der erste Satz dieses postings:
"Um die Bedingungen für diejenigen, die sich damals gegen den Naziterror und das rassistischeKlima im wiedervereinigten Deutschland stellten etwas plastischer darzustellen..."

beinhaltet eine Forumlierung, die gerade in einem antifaschistisch, geschichtsbezogenen Beitrag so nicht unwiedersprochen stehen gelassen werden kann.

Denn das grundgesetzliche Wiedervereinigungsgebot (in den Grenzen von 1937), welches jahrzehntelang bis 89/90 Staatsdoktrin war , wird somit ebenso ausgeklammert, wie die jahrzehntelange revanchistische Praxis von CDU, CSU, Vertriebenen bis Nazis

siehe dazu :
"Wiedervereinigung" ein revanchistisches, rechtes Dogma
 http://inrur.info/wiki/%22Wiedervereinigung%22_ein_revanchistisches,_rechtes_Dogma

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Etwas versachlichen! — Anarchist....

Progromstimmung — Stefan