Prozess um NPD Plakat in Demmin

gerichteesser 13.03.2012 22:24 Themen: Antifa Repression
Manchmal reichen schon sechs Zuschauer_innen, um den Gerichtssaal einer ostdeutschen Kleinstadt zum Platzen zu bringen. Dem Demminer Amtsrichter fehlte am heutigen Dienstag, den 13.3.2012, O-Ton, bei sechs Zuschauer_innen „die Luft zum Atmen“. Auch den anwesenden MAEX-Beamten (Mobile Aufklärung Extremismus, Mecklenburg Vorpommern) war der Rausschmiss von 4 der 6 Zuschauer_innen durch den Richter als fulminanter Prozessauftakt wohl nicht genug. Sie setzten noch eins drauf und verlangten von allen Anwesenden die Personalien. Vorgeblicher Anlass der Personalienkontrolle: Das Aufhängen eines Plakates an einer Laterne neben dem Gericht mit der Aufschrift: „Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen.“, das den Besucher_innen kurzerhand in die Schuhe geschoben wurde.

Ein Plakat war auch Gegenstand der Verhandlung, welche heute um 10 Uhr im Saal 2 des improvisierten Gerichtsgebäudes in Demmin begann. Den beiden Angeklagten wurde vorgeworfen, während des Landtagswahlkampfes im Sommer 2011 NPD-Plakate abgerissen und damit Sachbeschädigung begangen zu haben.
Zum Tathergang machten die Angeklagten bisher keine Aussagen, jedoch verdeutlichte einer von ihnen in einem politischen Statement, wie wichtig es ist, volksverhetzende Propaganda auch aus dem Demminer Stadtbild zu entfernen. Die Aussagen der geladenen Polizeizeugen waren nicht wirklich erhellend und zum Teil widersprüchlich. Das Plakat, an dem sich die Angeklagten angeblich zu schaffen gemacht hatten, war auch nicht beschädigt. Selbst bei der damaligen Durchsuchung der Angeklagten konnten keine Werkzeuge festgestellt werden. Als ein Zuschauer auf die Stabilität der Kabelbinder hinwies, mit denen die Wahlplakate befestigt waren, wurde allen braven Staatsdienern bewusst: Diese sind nicht mit bloßen Händen zu öffnen! Die Lüge eines Polizeibeamten wurde als so unerträglich empfunden, dass er sogleich mit einer Luftschlange geschmückt wurde. Auch der anwesende MAEX-Beamte konnte diesen hinterhältigen Angriff nicht vereiteln.
Fazit des heutigen ersten Prozesstages: Die Beweislage ist denkbar dünn. Also wird der Richter doch noch auf den dritten Zeugen zurückgreifen müssen, welcher heute unentschuldigt fehlte. Vermutlich wird auch dies nichts bringen, denn es ist aus den Akten gar nicht ersichtlich, was der 3. Zeuge überhaupt zur Klärung des Falls beitragen kann. Trotzdem wird es am nächsten Mittwoch ein erneutes Stelldichein am Demminer Amtsgericht geben. Clownsnasen, Konfetti und kreative Einwürfe sind gern gesehen!

Vordergründig mag es sich bei dem Prozess um eine Lappalie handeln, aber auf das engagierte Publikum reagierten die MAEX-Beamten und ihre Kolleg_innen der Demminer Streife sehr allergisch und unangemessen aggressiv. Kaum aus dem justiziellen Wohnzimmer entlassen, mussten sich die Teilnehmer_innen einer diskussionsreichen Personalienaufnahme unterziehen. Es wurden zwei Streifenwagen angefordert und fadenscheinige Begründungen vorgebracht, um die durch politischen Kontrollwahn motivierte Identitätsfeststellung zu rechtfertigen. Höhepunkte dieses Schauspiels unter freiem Himmel waren polizeiliche Aussagen wie „Sehe ich denn aus wie der Weihnachtsmann?“ (eindeutig mit ja zu beantworten!) oder das Bedürfnis des Polizeikommandanten, die Echtheit eines Reisepasses mit seinen Fingern erfühlen zu wollen. Dem Polizisten reichte es nämlich nicht aus, dass der Betroffene ihm den Ausweis nur zeigen, aber nicht aushändigen wollte – was diesem dann eine kurzfristige Ingewahrsamnahme bescherte. Offenbar fehlte dem Demminer 5-Star-Sheriff die grundlegende rechtliche Kenntnis, dass niemand verpflichtet ist, einem Polizeibeamten seinen Ausweis auszuhändigen oder ihn überhaupt bei sich zu tragen. Der Hinweis auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurde mit der Aussage „Wir kennen schon unsere Rechte!“ abgetan. Nicht alle Beamt_innen beließen es bei verbaler Argumentation: Eine Betroffene zog ihren Ausweis scheinbar nicht schnell genug aus der Tasche, woraufhin ihr von einer Polizistin und einem MAEX-Beamten die Arme verdreht wurden. Aber offensichtlich ist die Anwendung körperlicher Gewalt zu rechtfertigen, wenn zur Aufklärung einer Ordnungswidrigkeit wie dem Aufhängen eines Plakates an einer Laterne – kurzzeitig als Straftat hochgejubelt - Personalien aufgenommen werden müssen. Zudem von Leuten, bei denen man gar nicht wusste, was sie überhaupt mit der inkriminierten Plakataufhängung zu tun haben sollten. Schließlich waren ja auch die MAEX-Beamten zur angeblichen Tatzeit gar nicht in der Umgebung des Tatortes. Somit konnten sie nur auf die Mutmaßung zurückgreifen, dass alle, die sich nicht in ihrer eigenen Sichtnähe aufhielten zum möglichen Täterkreis zählten. Aha. Also halb Demmin.
Nun, dieser eher peinliche Versuch, offensive Prozessbegleitung in Demmin zu verhindern, wird nicht aufgehen. Kommt alle nächste Woche zum Showdown: Mittwoch, den 21.3., 12 Uhr, Amtsgericht Demmin - es wird wieder spannend.

Ein weiteres Vorbereitungstreffen für Rostocker Aktivist_innen gibt es am nächsten Montag um 20 Uhr – den Ort erfahrt ihr per Mail an:
demmin.n (ätt) gmx.de
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Nordkurier

leserIn 14.03.2012 - 06:26
 http://www.nordkurier.de/cmlink/nordkurier/lokales/demmin/zeugen-in-widerspruche-verstrickt-1.402299


Zeugen in Widersprüche verstrickt

Heinz Wittmer (links) und Daniel Brisch demonstrierten gestern, dass sie lieber Plakate aufhängen als abreißen. Das wollten sie auch in jener Nacht des 30. August 2011. Nur kamen sie nicht zum Plakatieren. Stattdessen standen sie jetzt vor Gericht, weil sie in Demmin NPD-Plakate beschädigt haben sollen.

Von unserem Redaktionsmitglied
Kirsten Gehrke

Haben die beiden Angeklagten in Demmin NPD-Plakate abgerissen oder nicht? Das konnte nicht eindeutig geklärt werden. Ein Zeuge erschien nicht. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

Demmin.„Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen“ prangt an einer Laterne vor dem Demminer Amtsgericht im Neuen Weg. Vor dem Prozess machen Daniel Brisch und Heinz Wittmer das, was sie gerne machen. Plakate aufhängen. Dafür sind sie bekannt, nicht fürs Abhängen. Doch genau das wird ihnen vorgeworfen. Im Saal II des Gerichtsstandortes Neuer Weg wird es gestern eng, zu eng. Im kleinen Raum finden nicht alle interessierten Besucher Platz. Wer steht, den fordert Richter Jörg Blasinski auf, den Saal zu verlassen. Doch es regt sich Protest. „Ich finde es unglaublich, einfach unfassbar“, sagt eine Frau aufgebracht. Ein Mann will sich beim Gerichtspräsidenten beschweren. Schließlich gehen die jungen Leute hinaus, nachdem Blasinski ihnen ein Ordnungsgeld und Zwangsentfernung angedroht hat.
Drinnen verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift. Brisch und Wittmer sollen in Demmin am 30. August 2011 gegen Mitternacht Landtagswahlplakate der NPD beschädigt haben. In der Treptower-, Zetkin- und Jarmener Straße sollen sie die Kabelbinder abgenommen und auseinandergerissen, dann die Plakate liegen gelassene haben. In der Jarmener Straße seien sie dabei von der Polizei auf frischer Tat ertappt worden. Das will Wittmer so nicht sehen. Die Polizei habe zwei Leute gefunden, die dafür bekannt seien, gegen Neonazis zu sein und gerne klettern. „Aber sind das auch die Täter?“, stellte der 43-Jährige in den Raum. Die beiden Polizisten, die in jener Nacht Dienst hatten und als Zeugen geladen sind, verstricken sich in Widersprüche. Polizeihauptmeister M. sagt aus, dass jemand im Revier angerufen hatte, dass zwei Männer mit Fahrrad durch die Stadt ziehen und Plakate abreißen. Dem seien sie nachgegangen. Kurz hinter den Bahnschienen auf Höhe der Seelenbinderhalle hätten sie einen Mann mit einem Rad gesehen, einen zweiten auf einer Laterne, der dort oben herumgewerkelt habe. Während sein Kollege mit dem Herrn an der Lampe sprach, habe er die Personalien des anderen festgestellt. Auf Drängen Brischs, ob er wirklich gesehen hat, wie an einem Plakat herumgefummelt wurde, meint M. „Er war auf dem Mast und das war’s.“
Wittmers Anwalt Michael Noezel indes zitiert aus dem Bericht aus der Akte, dass der Mann schnell von der Laterne heruntergeklettert sei und sich das Rad schnappen wollte. Dadurch sei der Eindruck entstanden, sie wollten fliehen. „Wir waren schnell“, meint dagegen M. Den Angeklagten Brisch kenne er von Demonstrationen, wie in Alt Tellin, und der polizeilichen Arbeit. An einem Politischen Aschermittwoch sei er schon auf eine Laterne gestiegen und habe sich festgebunden. Auf die Frage Noezels, ob die Beamten die Angeklagten am Tatort durchsucht haben, antwortet M. mit Nein. „Wieso sollten wir?“, fragt er. Die Kabelbinder seien durchtrennt worden, ob durchgekniffen oder durchgeschnitten könne er nicht sagen. Noezel fragt noch einmal, ob sein Mandant Hilfsmittel dabei hatte, denn mit bloßer Hand die Kabel abzureißen, sei kaum möglich. „Das kann ich nicht sagen, wir haben sie nicht durchsucht“, erklärt M.
Sein Kollege Polizeioberkommissar Me. sagt etwas anderes. Aus seiner Sicht war ein Zeuge auf dem Revier erschienen und habe von Plakatzerstörern berichtet. Den Tatort an der Seelenbinderhalle bestätigt Me., auch dass jemand an einem Fahnenmast herumgefummelt habe. Als sie dort ankamen, sei der Mann von der Laterne geklettert. Sie hätten die beiden „Erwischten“ belehrt und aufgeklärt, dass sie eine Anzeige wegen Sachbeschädigung erwartet, und hätten einen Platzverweis ausgesprochen. Bei einer groben Durchsuchung hätten sie kein Werkzeug, wie eine Kneifzange, gefunden. Wie die Binder an den Plakaten geöffnet wurden, wisse er nicht. „Zerschnitten waren sie nicht“, sagt Me. Auch er kenne die Angeklagten aus Einsätzen bei Demos. Auf eine politische Diskussion habe er sich nicht eingelassen. Es sei anzumerken gewesen, dass die Männer eine Abneigung gegenüber der NPD hatten. Als Polizist sei er aber neutral, es sei ihm egal, solange etwas rechtsstaatlich sei. Er halte von keiner Partei etwas, das habe er gesagt, als er gefragt worden sei, was er von der NPD halte.
Me. bestätigt, dass es vor der Landtagswahl mehrfach Anzeigen gab wegen Sachbeschädigung. Richter Jörg Blasinski bricht die Verhandlung ab. Ein dritter Zeuge ist nicht erschienen. Die Sitzung wird am kommenden Mittwoch, 21. März, um 12 Uhr fortgesetzt.
Draußen kommt es dann zu einer verbalen Auseinandersetzung mit offensichtlichen Mitarbeitern der Maex (Mobile Aufklärung Extremismus), einer Sondereinheit der Landespolizei, als die Gruppe der Prozessbesucher noch zusammensteht. Die „Beobachter“ schreiben sich augenscheinlich alle Kennzeichen der parkenden Autos auf.
Auf Nachfrage nach dem Warum, widersprechen die beiden Männer. Auch wollen sie ihre Namen nicht preisgeben, berichten Beteiligte. Stattdessen fordern sie die Personalien von den Personen in der Gruppe, holen sich dazu Verstärkung von der Demminer Polizei. Als Vorwand hätten sie das aufgehängte Plakat vor dem Gericht genommen. Es sei nur darum gegangen, die Namen herauszubekommen, glaubt ein Beteiligter. So funktioniere die „Kontrolle von politischen Gruppen“.

Gerichte sind zum Essen da

far 14.03.2012 - 09:00
Nachdem der Richter alle Menschen die keinen Stuhlplatz mehr finden konnten aus dem Saal - obwohl dieser kleine Raum dieses Wort nicht wirklich verdient - verscheucht hatte, begann nach kurzer Belehrung der Staatsanwalt mit der Anklageschrift .... und plötzlich klingelte ein Handy .... es war das des Richters ... hihi, herrlich.
Naja, ansonsten lässt sich sagen, dass der erste Bullenzeuge schon nach 2 Minuten keinen Bock mehr auf die Verhandlung und die Fragen hatte. Total mürrisch fragte er ständig "Hab ich das nicht schon beantwortet?". Und als dann seine Aussage so ein bisschen widersprüchlich zu der seines Kollegen wurde, wusste er auch nicht so ganz was er sagen sollte. Er war auch mehr als verwirrt als die Angeklagten selber Fragen stellten. Dabei konnte er doch eigentlich ganz entspannt sein, ein Kollege der MAEX saß doch die ganze Zeit neben ihm.

Die Diskussion mit dieser Truppe und weiteren Demminer Cops war wirklich sehr amüsant. Die haben sich so lächerlich gemacht und ich denke mal, wenn sie den Artikel im Nordkurier heute gelesen haben, werden sie auch wissen warum sie sich lächerlich gemacht haben ;)

polizei-infos

leserIn 20.03.2012 - 10:28
Polizei rechtfertigt Maex-Einsatz

Demmin.Haben die Angeklagten Plakate der NPD zerstört oder nicht? Diese Frage soll am morgigen Mittwoch, dem 21. März, am zweiten Prozesstag vor dem Amtsgericht Demmin im Neuen Weg geklärt werden. Vor einer Woche war ein Fortsetzungstermin anberaumt worden, weil ein Zeuge nicht vor Gericht erschienen war (der Nordkurier berichtete).
Unterdessen hat die Polizei das Vorgehen ihrer Mitarbeiter der Sondereinheit Maex (Mobile Aufklärung Extremismus) gerechtfertigt. Nach der Gerichtsverhandlung waren die Personalien der Prozess-Besucher sowie Kennzeichen parkender Autos aufgenommen worden. Wie Andreas Scholz, Pressesprecher im Polizeipräsidium Neubrandenburg, auf Nachfrage des Nordkurier erklärte, seien im Zuge einer Ordnungswidrigkeit die Identitäten der Personen vor dem Gerichtsgebäude festgestellt worden. Mit Ordnungswidrigkeit ist offensichtlich ein Plakat gemeint, das vor dem Prozess an einer Laterne aufgehängt wurde. Es habe ein Verstoß gegen eine gültige Satzung der Hansestadt Demmin vorgelegen, so Scholz. Nach Fertigung einer entsprechenden Anzeige seien die Notizen, die sich die Maex-Leute gemacht haben, wieder gelöscht worden, da diese für das weitere Verfahren nicht mehr benötigt wurden. Der Prozess geht morgen um 12 Uhr weiter. (kis)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Unter- — stützerIn