Tote Flüchtlinge und deutsche Lippenbekenntnisse

Antifa Teheran Köln 07.02.2012 18:38 Themen: Antifa Antirassismus Blogwire Repression Weltweit
In der Nacht zum 29.01.2012 nahm sich der 29-jährige Mohammad Rahsepar aus dem Iran in der Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg das Leben. Schon seit Monaten spielte er mit Selbstmordgedanken, der Heimarzt empfahl dringlichst eine Verlegung Rahsepars. Die Heimleitung ignorierte diesen Antrag und gibt sich nun überrascht. Dabei haben die elenden Flüchtlingsbaracken in Bayern eine Geschichte; diese wird durch die iranische Exilcommunity wieder aufgerollt. Sie ruft für den 13. Februar zu einer Demonstration in Würzburg auf.
Bayerns tote Leichen im Keller

Am Tag seines Suizids klagte Rahsepar. über Kopfschmerzen und wünschte einen Krankenhausbesuch. Dieser wurde ihm zugesprochen. Er wurde nachmittags in die Uniklinik Würzburg gefahren, abends gegen 20:30 Uhr kehrte er zurück. So lautet die offizielle Aussage der Heimleitung. [1] Rahsepars Freunde aus der Gemeinschaftsunterkunft (GU) und seine Verwandten, zu denen wir Kontakt aufgebaut haben, erzählten uns weitere Details dieses Tags, die die GU Würzburg schwer belasten: Rahsepar wurde ohne jegliche Begleitperson in der Uniklinik abgesetzt. Durch sprachliche Schwierigkeiten gelang es ihm nicht, auszudrücken warum er das Krankenhaus aufsuchte. Er wurde in ein Wartezimmer verfrachtet und musste mehrere Stunden warten. Als er zum wiederholten Male versuchte, sein Befinden zu formulieren und er keine Reaktion erhielt, beschloss er völlig frustriert die Uniklinik zu verlassen – zu Fuß! Denn die GU sah sich nur für seinen Hinweg verantwortlich. Der zerfahrene und aufgelöste Rahsepar erzählte bei seiner Ankunft diese Geschichte seinen Freunden, bevor er in sein Zimmer ging, sich einschloss und sich erhängte. „Er ist aus dem Iran geflohen für die Freiheit“, sagt ein Freund Rahsepars aus der GU, „das ist das Ergebnis.“

Rahsepars Flucht aus dem Iran, wo er sich als Polizist Befehlen widersetzte und gefoltert worden war,
war von Anfang an mit starken traumatischen bzw. posttraumatischen Schäden verbunden. Solche psychischen Belastungen von Flüchtlingen werden in der BRD nicht beachtet, wenn MitarbeiterInnen des „Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge“ im Erstgespräch mit den Flüchtlingen einen Nachweis brauchen, dass die Befragten wirklich politisch Verfolgte sind und nicht zurückkehren können. [2] Die MitarbeiterInnen, die dieses oft schwierige und triggernde Gespräch mit den Flüchtlingen führen, haben keinerlei medizinische oder gar fachgerechte Ausbildung und sind im Regelfall typisch-deutsche Schreibtisch-Beamte. Rahsepar litt nach seinem Erstgespräch an solchen traumatischen Belastungen.

Der GU-Arzt Prof. August Stich sagt aus, dass der seit seiner Ankunft in Würzburg zunehmend depressive Rahsepar bereits seit Dezember über Selbstmordgedanken gesprochen hat. Das medizinische Team beantragte „unter höchster Dringlichkeit“ eine Veränderung der Unterbringung des Iraners, z.B. eine Verlegung die Uniklinik oder zu seiner Schwester nach Köln. in der GU jedenfalls seien die notwendigen Voraussetzungen für seine Behandlung nicht gegeben. Der Arzt, Freunde von Rahserpar sowie die „Internationale Föderation iranischer Flüchtlinge“ (IFIF) machen die „entmündigenden“, „menschenverachtenden“ [3] (Stich) Zustände in der Würzburger GU sowie die Missachtung der medizinischen Empfehlung eines Ortswechsels verantwortlich für den Suizid. Der Heimleiter sowie verschiedene bayrische Regierungssprecher behaupten, es bestehe kein sicherer Zusammenhang zwischen Suizid und Lebensverhältnisse in der GU; der Antrag nach Ortswechsel sei zudem nicht ausreichend gewesen, da „kein akutes psychiatrisches Krankheitsbild und eine entsprechende Gefährdung“ [4] festzumachen war. Rund 70 BewohnerInnen (verschiedene Herkunft, verschiedene bzw. keine Religionszugehörigkeit) des Heims haben aus gezieltem und angekündigtem Protest am Folgetag des Suizids ihr Essen nicht abgeholt. Die GU-Leitung nimmt Wind aus den Segeln: sie sieht in dieser Aktion keinen Protest, sondern weist lediglich auf Trauerpraxen von Muslimen hin.

Der aktuelle, massive Imageschaden der GU Würzburg ist kein Novum, sondern vielmehr eine Kontinuität. Die Sendung „Monitor“ fertigte bereits im September 2011 eine kritischen Reportage über bayrische GUs an. [5] Dort zeigen sie verkommene und heruntergekommene Barracken, teilweise über 150 Jahre alt. Sie interviewen verschiedene Flüchtlinge in verschiedenen Heimen, die die katastrophalen Lebensbedingungen beschreiben; „wie Tiere“ fühlen sie sich, und zum Miteinander sagen sie: „Wir hassen uns nicht, aber so wie wir leben müssen, werden wir dazu gebracht, uns zu hassen.“ Auch der Würzburger Mediziner Stich kommt hier zu Wort, und er bestätigt die krankheitsfördernden Bedingungen in den GUs: er konstatiert „eine Zunahme an den Symptomen von psychiatrischen Erkrankungen, von Belastungsstörungen durch die Realität des Lebens in den Lagern.“ Stich kommt zum Schluss, dass diese GUs die Menschen „wirklich krank machen“. Schließlich zeigt die Reportage gegen Ende hin die bayrische Sozialministerin Christine Haderthauer, die auf die Frage nach der Schließung der GU Würzburg aufgrund unzulässiger Verhältnisse für die BewohnerInnen antwortet: „So ist es. Dafür setze ich mich ein“ Dieses Interview war vom April 2011.

„Refugees not welcome“ – deutsche Zustände á la Fortress Europe

Der Fall drückt neben den elenden Lebensverhältnissen für Flüchtlinge in Deutschland insbesondere den rassistischen Normalzustand aus; Heimleiter und Regierungssprecher bestreiten einen Zusammenhang zwischen Suizid und den Umständen, denen sie den Flüchtlingen aufzwingen. Die Leugnung des
Protestcharakters der Hungerstreikenden (trotz expliziter Ankündigung als solcher) und die Verklärung dessen als religiöse Trauermethode ist die dreiste Spitze dessen, wie Staat und Politik Flüchtlinge betrachten und dementsprechend mit ihnen umgehen: statische, stereotype Fremdkörper und nebenbei auch potentiell gefährlich. Dieser Gedanke ist aber nicht neu.

Interessant ist die rege, teils äußerst kritische Berichterstattung mehrerer deutscher Medienplattformen. Dabei handelt es sich mit Sicherheit nicht um den ersten Suizid in einem deutschen Flüchtlingsheim. Warum also diese Medienresonanz? Schließlich geht es hier doch gar nicht um einen entführten, gestrandeten, sportlich erfolgreichen oder wie auch immer gearteten deutschen Staatsbürger, dem Standardsubjekt der Nachrichtenproduktion in der BRD. Die exiliranische Szene in Deutschland ist es, insbesondre die „Internatioanle Föderation iranischer Flüchtlinge“, die dieses Thema erfolgreich skandalisiert hat. Durch diesen öffentlich wirksamen Schritt geraten die widerwärtige Migrationspolitik der vor allem beim Flüchtlingsthema ach so fortschrittlichen BRD ein wenig ins Kreuzfeuer; hier und da wird eine neue Asyl-Debatte gefordert [6]; Reaktionen der Heimleitung und vor allem der bayrischen Regierung sind dann doch eher Beleg für ihr produziertes Elend als der Versuch, diesen Ruf reinzuwaschen.

Solch eine breit getragene Skandalisierung deutscher Migrationsverhältnisse, wie sie gerade stattfindet, unterstreicht den fadenscheinigen Charakter der BRD im Hinblick auf die iranische Protestbewegung; sie erinnern uns an das Zusammenspiel solidarischer Lippenbekenntnisse zur iranischen Opposition einerseits und tüchtigem Business zwischen deutscher Wirtschaft und den Revolutionsgarden der Islamischen Republik andererseits. Verurteilungen der Gewalt und die Selbstinszenierung der offenen, freiheitlichen Demokratie liefen parallel mit massenhaften Ablehnungen von Notasylanträgen iranischer DissidentInnen der „grünen Bewegung“. Gab es dann mal einige wenige bewilligte Anträge, wurden eifrig Pressemitteilungen verfasst und in alle relevanten Blätter gestreut; für seine Toleranz klopfte man sich selbst auf die Schulter. Dass bei einigen wenigen angenommenen Anträgen dabei mehrere Hundert bis Tausend Anträge abgelehnt wurden – und das in der Hochzeit des Flüchtlingsstrom aus dem Iran postum 2009 nach Europa – fand kaum bis gar nicht Erwähnung.

Dieses Problem liegt aber nicht an besonders gemeinen Regierungen oder sadistischen Heimleitungen. Das Problem ist strukturell. Die allgemeine Asylpolitik sieht es nämlich nicht vor, ganz viele Flüchtlinge aufzunehmen und dann zu „integrieren“, wie es einige Gutmenschen-SozialdemokratInnen fälschlicherweise rumposaunen. Das bayrische Ministerium begründet die Zuweisung in GUs nicht mit schritthaften, integrativen Maßnahem o.Ä. Diese Unterbringung „soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern.“ Dies ist kein bayrisches Problem, schließlich spricht auch die Zentrale Ausländerbehörde in Köln bei ihrer Selbstbeschreibung von „Aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“ und „Rückkehrmanagement“ [7] . Das Prinzip heißt also alles andere als „Integration“, sondern vielmehr Abschreckung. Die, die da sind, sollen wieder verschwinden. Nur ganz wenigen wird der Weg in die deutsche Gesellschaft, dem eifrigsten Club von kapitalistischem Hauen und Stechen in Europa, „erlaubt“.

Die Skandalisierung der Flüchtlingspolitik ist allerdings in einen größeren Kontext zu setzen. Das deutsche Muster bezüglich Lippenbekenntisse zur iranischen Freiheitsbewegung und der praktischen Tatenlosigkeit ist nämlich kein Unikat, sondern findet auf größerer Ebene in Europa statt. Während in Zeiten der Krise im sog. Arabischen Raum soziale Eruptionen die sicher geglaubten Despoten umstürzen, klatschen sie – die selbsternannten Progressiven, Aufgeklärten in Europa –in die Hände und sprechen den „Rebellen“ ihre Unterstützung (mal praktischer, meist aber verbaler Natur) zu. Doch die Revolution verläuft nicht immer ganz blumig; hier ist das letzte Gefecht noch nicht gewonnen und der Diktator gibt nicht nach (Syrien), dort entfacht die revolutionäre Übergangsphase ein teilweise fatales Machtvakuum mit gefährlichen Dynamiken (Ägypten); so oder so, krisenhaft sind diese Region allemal, und viele Menschen wollen oder müssen verschwinden. Geht es dann um konkrete, praktische Unterstützung Europas im Sinne offener Grenzen für (politische) Flüchtlinge dieser Länder, klatscht niemand mehr in die Hände. Dann sind wir wieder beim Projekt „Fortress Europe“ und die Arme werden verschränkt; die für ihren Kampf Beglückwünschten und Bejubelten werden an den Grenzen Europas dann selbst bekämpft.

Mohammad R.s Suizid ist die verzweifelte Zuspitzung eines Schicksals, wie es mehrere Tausend in Deutschland und noch viel mehr in Europa ertragen müssen. Es zeigt, dass vor allem in aufständischen Phasen wie 2009-2012 große, barmherzige Sprüche der europäischen Appeasement-PolitikerInnen gelungene Show sind – ihre Taten sprechen eine andere Sprache. Reden wir nicht nur über Sanktionen, Embargos und Flugverbotszonen, sondern von kritischer, umfassender, emanzipatorisch motivierter aber auch praktischer Solidarität, so bleiben wir dabei: Es helfen keine Appelle an den Staat. Ganz aktuell zeigt das die Schuldabwehr-Haltung rund um Rahsperars Suizid.


Für den 13. Februar (12 Uhr, Sternplatz Würzburg) organisiert ein Bündnis aus AsylberwerberInnen aus Würzburg und die IFIR unter dem Motto „In Erinnerung an Mohammad Rahsepar“ eine Kundgebung gegen die deutsche Flüchtlingspolitik. Wir unterstützen diese Aktion.
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Ergänzungen