Stammheim ohne die Brille von Stefan Aust

teilnehmender beobachter 05.11.2011 02:14 Themen: Kultur Repression Soziale Kämpfe
Ein neues Buch über die Todesnacht in Stammheim« widerlegt in vielen Punkten die staatsoffizielle Darstellung zu den Todesumständen der RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der Nacht zum 18. Oktober 1977 in der JVA Stuttgart-Stammheim. Im Rahmen des Roten Abend der Internationalen Kommunist_innen (www.interkomm.tk) hat der Autor Helge Lehmann seine Recherchen im Stadtteilladen Zielona Gora vorgestellt.
Im Publikum waren auch Genoss_innen, die noch in den 70er Jahren erfahren haben, wie jeder Zweifel an der staatlichen Selbstmordversion der Stammheim-Gefangenen nicht nur zu wütenden Reaktionen sondern zu staatlicher Repression und Haft geführt haben. So saß der Detmolder Student Christoph von Hören Ende der 80er Jahre mehrere Monate in Haft und erkrankte dort schwer, weil er mit zwei weiteren Genoss_innen eine Veranstaltung zu den Haftbedingungen der RAF-Gefangenen organisierte, auf der auch die Selbstmord-These in Frage gestellt wurde. Wie ein Referent der einladenden Gruppe erklärte, war die Frage Mord oder Selbstmord damals zu einer symbolisch aufgeladenen Frage geworden. So sei auch in der radikalen Linken jede Andeutung, dass auch ein Selbstmord in Isolationshaft Mord sei, als Verrat angesehen.

Nicht durch die Brille von Stefan Aust
In Zeiten, wo Jugendliche eine Disko in Osthessen meinen, wenn sie T-Shirts mit den Begriff Stammheim tragen, kann über die Ereignisse in Stammheim neu und von den Fakten ausgehend diskutiert werden. Dass hat Helge Lehmann auf der Veranstaltung in Berlin deutlich gemacht. Auf das Thema aufmerksam geworden ist er durch die Lektüre eines Buches von Stefan Aust. Dem naturwissenschaftlich kundigen Lehmann fiel dabei auf, dass einige der dort als Wahrheit beschriebenen Sachverhalte keinen wissenschaftlichen Kriterien standhalten können. Damit meinte er vor allem die Art des Waffenschmuggels in den Knast und die Waffentransporte innerhalb der Zellen, aber auch die angebliche Abhöranlage. Dass diese offensichtlich fehlerhaften Darstellungen allgemein geglaubt und nicht nachgeprüft wurden, ärgerte Lehmann. Vier Jahre nahm er sich Zeit, um zu recherchieren und selber nachzuprüfen. Das Ergebnis ist lesenswert, gerade auch für Menschen, die die damalige Version um Stammheim nur durch die Brille von Stefan Aust, der eine Art Stammheim-Monopol hat, kennen.
Lehmann zeigte auf der Veranstaltung auch praktisch, dass die offizielle Version nicht stimmen kann. So hatte er Aktenordner mit einer Schreckschusspistole präpariert, die ein etwa die Größe der Waffen hatte, die durch die Kontrolle nach Stammheim geschmuggelt worden sein sollen. Lehmann zeigte auf, dass eine solche Waffe sofort entdeckt worden wäre. Anders als bei anderen Veranstaltungen hat Lehmann im Zielona Gora darauf verzichtet, die Waffe abzufeuern, um zu demonstrieren, dass sie laut genug wäre, damit sie im Gefängnis gehört worden wäre. Aber in der Todesnacht von Stammheim hat keiner der befragten Häftlinge einen Schuss gehört, obwohl mehrere Angaben die ganze Nacht wach gelegen oder nur gedämmert haben. Ein Schalldämpfer wurde allerdings nirgends gefunden. Allerdings gibt es zahlreiche Indizien, dass einer verwendet wurde. So hat eine Schussanalyse bei Jan Carl Raspe ergeben, dass die Waffe soweit entfernt gewesen sein muss, als der Schuss fiel, dass genug Platz für einen Schalldämpfer. Bei Baader hat man auf eine solche Analyse verzichtet. Vielleicht, weil man befürchtete, dass ein ähnliches Ergebnis rauskommt? Übrigens, wer hat je erfahren, dass die angebliche Sprechanlagen, die sich die Gefangenen zur Kommunikation in den Zellen gebaut haben sollen, gar nicht funktioniert haben kann. Weil eine Zelle nicht belegt war, war sie unterbrochen. Wer Stammheim durch die Brille von Aust sieht, erfährt solche Details nicht. Lehmann hat nur einen kleinen Teil seiner Beweisführung am Mittwochabend ausbreiten können. Wer seine Recherchen weiter verfolgen will, sollte das Buch kaufen.


Nach 35 Jahren noch recherchieren?

Die Diskussion entbrannte um die Frage, warum bisher niemand solche Recherchen wie Lehmann machte. Zudem wurde gefragt, ob es fast 35 Jahre nach der Todesnacht von Stammheim noch Interesse an einer Aufklärung gibt. Doch es wurde auch an Lateinamerika erinnert, wo nach Jahrzehnten staatliche Verbrechen aufgeklärt wurden. Voraussetzung ist allerdings eine Bewegung von unten, die solche Ermittlungen vorantreibt. Auf absehbare Zeit gibt es eine solche Bewegung hierzulande nicht. Aber die Krise des Kapitalismus könnte auch wieder eine antagonistische Linke hervorbringen, und die könnte durchaus auch danach fragen, was am 18. Oktober 1977 geschehen ist? Dann können sie auf Lehmanns Recherche zurückgreifen. Dann könnte vielleicht auch noch geklärt, was ein Gefangener im 6ten Stock von Stuttgart Stammheim in der Nacht des 18. Oktober wahrnahm. Er sagte aus, dass an diesen Tag drei schwarze Limousinen in das Gefängnisareal einfuhren. Einen Tag später wiederholte diese Aussage. Lehmann hat nun entdeckt, dass in den Akten ein nicht unterschriebener Vermerk gefunden wurde, nachdme die Beobachtungen einige Tage vorher gemacht wurden .Wer die diesen Vermerk warum gemacht hat wurde nie erforscht. Schließlich hatten ja alle durch die Ausbrille geschaut und die Fragen um Stammheim für gelöst erklärt. Bis Helge Lehmann kam...
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Ergänzungen

keline Korrektur

teilnehmender beobachter 07.11.2011 - 00:46
Ein Fehker ha sich bei der Veranstaltungsbeschreibung eingeschlichen. Es geht um den Passus zur Schussentfernungsermittlung.

Bei Baader wurden 40cm Schussentfernung ermittelt. Bei Raspe wurde dieser Test nicht durchgeführt.

Brief an 5 Gefangene vom Roten Abend

interkomm 07.11.2011 - 01:18


Brief an Christian Gauger, Sonja Suder, Tobias, Gülaferit Ünsal und Werner Braeuner

Wir schicken Euch solidarische Grüsse vom Roten Abend der Internationalen Kommunist_innen im Stadtteilladen Zielona Gora in Berlin am 2.11. . Dort haben wir uns mit einer neuen Untersuchung über die Todesnacht von Stammheim am 18.10. informiert, die deutlich machte, dass die offizielle Version in entscheidenden Punkten nicht stimmen kann. Weil wir wissen, dass politische Repression und Gefangenschaft immer ein zentraler Bestandteil von Macht und Herrschaft ist, haben wir am Beginn der Veranstaltung über Eure Situation informiert. Wir schicken Euch dieses Schreiben, weil wir denken, bei aller politischen Differenzen: Wir wollen Euch draußen haben, um gemeinsam mit Euch zusammen für eine kommunistische Gesellschaft zu streiten. Solange ihr weggeschlossen seit, wollen wir Öffentlichkeit herstellen und unser mögliches tun, damit mitbekommt, was wir diskutieren.
Beschlossen am Roten Abend am 2.11.


Infos zu den angeschriebenen Gefangenen.

Christian Gauger und Sonja Suder sind politische Aktivist_innen, die wegen angeblicher Mitgliedschaft bei den Revolutionären Zellen nach einen jahrelangen Rechtsstreit von Frankreich nach Deutschland ausgewiesen worden sind. Während Gauger wegen schlechter Gesundheit Haftverschonung hat, sitz Sonja Suder weiter in Untersuchungshaft.

Mehr Infos:  http://www.verdammtlangquer.org/


Gülaferit Ünsal ist eine türkische Linke, die kürzlich von Griechenland ausgeliefert worden und sitzt in Berlin in U-Haft. Ihr Prozess wird ebenfalls in Berlin stattfinden.
Sie ist in der JVA für Frauen, Alfredstr. 11, 10365 Berlin - Lichtenberg.

Werner Braeuner war in der Erwerbslosenbewegung aktiv und wurde 2001 wegen der Tötung eines Arbeitsamtsdirektors zu einer zwölfjährigen Haft verurteilt. Vor einigen Monaten kämpfte er mit einem Hungerstreik gegen seine Haftbedingungen:
Mehr Infos:  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/braeuner.html
Tobias ist Fotograf und linker Aktivist. Er sitzt seit dem 24.9.2011 wegen angeblicher Autobrandstiftung in der JVA Moabit in Untersuchungshaft.

Brief von Tobias:
 http://www.abc-berlin.net/%ef%bb%bfbrief-von-tobias-vom-17-10-2011

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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schmidt helmut stramm gestanden

EMZ 06.11.2011 - 05:38
meine güte.... wieviele jahrzehnte werdet ihr euch noch daran aufhalten die wurden umgebracht........
ja klar das sagt doch schon der rapper eins minus zwei(EMZ).... seitdem wurden andere, viele millionen auch umgebracht.

solidarität mit allen politischen gefangenen!

rote elli 07.11.2011 - 19:56
erstmal ist jede/r gefangene/n ,der/die umgebracht wird,eine/r zuviel!! denn es darf nicht sein,daß menschen aufgrund der (isolations)folter krepieren und auch nicht,daß irgendwelche andren (bull-ett-en,geheimdienste,andre knackis,.............)menschen im und außerhalb des knastes ermorden!! mensch könnte nun sagen,daß es von daher scheißegal ist,ob die genoss-inn-en in stammheim aktiv umgebracht oder durch die HERRschenden verhältnisse dort krepierten!! aber natürlich ist das alles noch ne stufe härter,wenn da leute aktiv hand dran gelegt haben!! und es ist schon recht heftig,daß die wahrheit vermutlich nicht mehr ans licht kommt,weil "einfache" bedienstete,die vielleicht doch was "falsches" hätten mitkriegen können,offenbar zum schweigen gebracht wurden (wie???????)! denn die "selbstmord"story kann schon deshalb nicht stimmen,weil sich keine frau wie irmgard möller selber mehrfach in den bauch stößt,um sich umzubringen und jan-carl raspe sich von hinten erschießt!! und die gefangenen haben auch immer gesagt,daß,wenn die HERRschenen sagen,sie hätten sich umgebracht,wir denen das nicht glauben sollen und ich tus auch immer noch nicht!! was ist denn z.b. davon zu halten,daß es bei der erschießung von wolfgang grams von allen bullen(das waren damals wirklich nur typen!)bis auf einen die gleiche aussage in richtung notwehr(in einer situation,wo wolfgang grams auf den schienen lag!!)gab und ausgerechnet dieser bulle dann "zufälligerweise" auf der autobahn einen tödlichen unfall hatte? und immer wieder darüber aufzuklären,wie die HERRschenden reagieren,wenn sie zuviel wind von vorne kriegen,dazu ist es nie zu spät!! ich grüße alle politischen gefangenen und sende an sie meine solidarischsten grüße!