MP Bouffier gestresst wg. illegaler Politjagd

Im Namen des Volkers 28.10.2011 12:17 Themen: Repression

Vor fünf Jahren wurden PolitaktivistInnen in Gießen mit ausgedachten Vorwürfen inhaftiert. Seitdem jagen sie nach den Akten, um Rechtsbrüche nachweisen zu können. Immer wieder kommen so neue Absurditäten ans Licht. Jetzt endlich gelang es, die LKA-Ermittlungsergebnisse einzusehen. Ergebnis: Die ganze Aktion war deutlich höher angesiedelt als bisher behauptet. Und nun kommt Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier wieder unter Druck. War er der Drahtzieher?

Seit über 5 Jahren jagen AktivistInnen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt in Saasen nach den Akten über Hintergründe einer absurden Polizeiaktion im Jahr 2006. Diese hatte Kritiker des damaligen Innenministers und heuten Ministerpräsidenten Volker Bouffier festgenommen und einen mit erfundenen Vorwürfen in Haft schmoren lassen. Dumm nur, dass die Polizei den nicht nur ganz woanders selbst observiert hatte, sondern dass es gelang, diese Observation aus Polizeiakten selbst zu rekonstruieren und dabei als Höhepunkt auch noch einen Vermerk des Haftrichters zu finden, dass dieser die Observation bitte verschweigen möge. Ergebnis: Das Ding ging nach hinten los und seitdem ist Vertuschung angesagt. Doch die Betroffenen und der Gießener Anwalt Tronje Döhmer erwiesen und erweisen sich als zäh. Inzwischen ist das Verfahren beim Frankfurter Oberlandesgericht. Denn dort klagen ein Betroffener und der Anwalt dagegen, dass alle Staatsanwaltschaften Verfahren gegen beteiligten PolizistInnen, RichterInnen und Bouffier eingestellt haben. Von dort erhielten sie nun, was ihnen die Staatsanwaltschaften nie geben wollen: Die Ermittlungsergebnisse des Hessischen Landeskriminalamtes zu den ganzen Vorgängen. Diese haben zum einen Auswertungsberichte mit präzisen Quellenangaben und einigen eigenen Einschätzungen gefertigt. Zum anderen finden sich die Vernehmungsprotokolle beteiligter Polizeiführer. Einige weitere Aktenbestandteile, z.B. Auszüge aus elektronischen Verlaufsprotokollen, sind ebenfalls neu. Nach Durchsicht dieser Akten ergeben sich folgende neue oder nun durch Ermittlungsergebnisse abgesicherte Fakten:

 

1. Die Operation ist von höchster Landespolizeiebene initiiert und geplant worden.

Am 9. Mai 2006 fand in Wiesbaden auf Einladung des Landespolizeipräsidiums (LPP) und unter Leitung des damaligen Landespolizeipräsidenten Nedela das Planungstreffen für die Operation statt. Anwesend waren neben Nedela der Inspekteur der Polizei Hessen, Münch (heute Landespolizeipräsident), und weitere hochrangige Polizeifunktionäre, darunter der Präsident, Raisch, und der Staatsschutzchef des Landeskriminalamtes (HLKA), Stiller, sowie hochrangige Polizeiführer aus dem PP (Polizeipräsidium) Mittelhessen. Nicht anwesend war der Gießener Polizeipräsident Schweizer, der zu dem Zeitpunkt in Urlaub war. Aufzeichnungen über dieses Treffen wurden nicht gemacht bzw. sind nirgends im Laufe des Ermittlungsverfahrens aufgetaucht. Auch im weiteren Verlauf ist die Landespolizei ständig eingebunden. Die Auswahl des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) als Observationsgruppe trifft das Landespolizeipräsidium.
Damit ist die Behauptung widerlegt, dass Planung und Entscheidung Sache der Polizei Mittelhessen war.

Belege aus den neuen Akten (also jeweils zusätzlich zu den schon vorgetragenen Fundstellen):

  • Bl. 204f.
    Die gesamte Operation wurde auf Landesebene entwickelt. Ein Planungsgespräch fand am 9.5.2006 im Landespolizeipräsidium in WI statt. Anwesend waren der Landespolizeipräsident, Nedela, der Inspekteur der Polizei Hessen, Münch, und weitere hochrangige Polizeifunktionäre, darunter der Staatsschutzchef des LKA, Stiller, sowie hochrangige Polizeiführer aus dem PP Mittelhessen. Eingeladen wurde von der Landespolizeiebene.
  • Bl. 255
    "Aus den ausgewerteten Unterlagen geht hervor, dass das LPP über die Festnahme des Bergstedt informiert-worden war und selbst einen Sachstandsbericht durch den Inspekteur der Polizei, Herrn Münch, angefordert hatte. Auch wenn die "abschließende Einsatzverantwortung" dem PPMH oblag, wurde das LPP immer und aktuell zum jeweiligen Stand, auch über die Festnahme des Bergstedt hinaus, informiert. Der Grund für diesen lnformationsfluss an das LPP hat sich aus den hier ausgewerteten Unterlagen nicht erschlossen.
    Auch der Grund "Anlass der Häufung von politsch motivierten Propagandataten in Form von Sachbeschädigungen" der Besprechung im LPP, der letztendlich in einer gezielten Einsatzanordnung für das MEK mit dem genannten Ziel Bergstedt endete, bleibt weiterhin zu hinterfragen."
  • Ab Bl. 270: Vernehmung Ullmann (stellv. Polizeipräsident Mittelhessen
    Dabei auf Bl. 273: Bouffier war in Gespräche involviert, die vor der Planungsbesprechung am 9.5.2006 stattfanden.
    Bl. 274: Landespolizeichef Nedela ist Berichterstatter und zentrale Figur bei dem Treffen.
  • Bl. 276: Zitiert wird eine Aussage vom LKA-Staatsschutzchef Stiller über das MEK: "Im Ergebnis wurde seitens des Herrn ... LPP der Einsatz des MEK/ HLKA angeordnet mit der Begründung, dass dieses MEK schon immer ein Staatsschutz-MEK gewesen sei - ein Umstand, der mir bis dahin nicht bekannt war." Ullmann bestätige die Rolle des LPP hierbei: "Es ist zutreffend, dass durch Herrn LPP entschieden wurde, dass das MEK für diesen Einsatz vorzusehen ist." Danach wäre der MEK-Einsatz von der Landespolizei angeordnet worden, was zeigt, dass die wesentliche Initiative von dort ausging.
  • Ab Bl. 279: Vernehmung Jacobi (Chef der Polizeidirektion Gießen)
    Dabei auf Bl. 281: Nedela leitet Treffen am 9.5.2006.
  • Vernehmung Schweizer (Polizeipräsident Mittelhessen)
    Auf 6. Seite: Viele Verweise auf zentrale Rolle der Landespolizei.

2. Neben der Ansiedlung auf Landespolizeiebene gibt es weitere Hinweise auf Bezüge zum Innenminister(ium).

Bereits seit längerem ist bekannt und belegt, dass die Polizeipresseinformation zur Operation vom 15.5.2006 (18:18 Uhr) aus dem Innenministerium kam.
Direkt nach Abschluss der Operation (Festnahme am 14.5.2006 morgens) traf sich der Gießener Polizeipräsident Schweizer mit Innenminister Bouffier an dessen Wohnhaus. Es war Sonntagmorgen. Angesichts dessen, dass dort nur einfache Sprühereien vorlagen, die auch – einschließlich der Täter – der Polizei bereits seit Wochen bekannt waren (siehe Punkt 5.), ist die Behauptung, es sei eine routinemäßige Tatortbesichtigung durch den Polizeipräsidenten gewesen, absurd. Tatsächlich dokumentiert sich hier die direkte Verbindung zum damaligen Innenminister Bouffier.
Am Tag des Planungsgesprächs, d.h. am 9.5.2006, kam es laut Ermittlungsergebnis auch zu einer Rücksprache mit Landespolizeipräsident Nedela, der mit Innenminister Bouffier zur Innenministerkonferenz in München weilte (so in der Vernehmung auf Bl. 273, tatsächlich war die Innenministerkonferenz aber einige Tage früher - dieser Widerspruch ist bis heute nicht aufgelöst). Das Planungsgespräch fand um 19.30 Uhr statt, d.h. Nedela wäre dann auffällig schnell von München zurückgefahren. Das auch Bouffier von den Planungen zumindest mitbekam, ist nicht nachweisbar, aber angesichts dieser Lage wahrscheinlich.

Weitere Belege aus den neuen Akten:

  • Vernehmung Schweizer
    Auf 8. Seite: Bericht über ein persönliches Gespräch ziemlich sofort und zudem am Sonntag mit Bouffier. Der oberste Polizeichef von Mittelhessen guckt sich schnöde Graffities ohne besondere Inhalte an, sie so seit Wochen in Gießen gesprüht werden und wo die Polizei den Täterkreis auch schon kennt und mehrfach erwischt hat – das allein kann nicht der Grund gewesen sein!
    "Ich habe mich im Laufe des 14.05.2006 entschlossen, mich vor Ort über den Umfang der Farbschmierereien zu informieren. Bei dieser Gelegenheit traf ich mit Minister Bouffier zusammen, der nach meiner Erinnerung während dieser Zeit mit dem Fahrzeug angefahren kam. Dies nahm ich zum Anlass, ihn als meinen obersten Dienstherrnerikua über die besonderen Ereignisse in den frühen Morgenstunden und die laufenden polizeilichen Maßnahmen zu unterrichten."
  • Bl. 301: Der Beteiligte Münch war Kontaktmann zum Innenministerium: "Ich bin seit Amtseinführung im Mai 2006 Inspekteur der Hessischen Polizei und Referatsleiter des LPP 1 innerhalb der Abteilung LPP. Mir obliegt die strategische, fachliche Steuerung der Hessischen Polizei im Benehmen mit der Abteilung Polizei innerhalb des lnnenministeriums."

3. Ziel war die Festnahme der Zielperson (so in den Akten bezeichnet) Jörg Bergstedt bei einer Straftat.

Es ist eindeutig, dass die beteiligten Polizeikräfte nichts unternehmen sollten, was eine Straftat verhindert. Die Festnahme sollte nach einer (erwünschten!) Straftat nach StPO erfolgen – genau so stand es dann auch im Festnahmeprotokoll des PK Freitag. Die Observation wurde jedoch nach dem Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG), also nach Polizerecht, beschlossen. Dieser Widerspruch fiel auch den LKA-Ermittlern auf und wurde so bezeichnet. Er bedeutet, dass die Operation von Beginn an auf planmäßig begangenen Rechtsbrüchen basierte.
Von Anfang an liefen parallel zu Observation und Vorbereitung einer Festnahme die Prüfung der Möglichkeiten einer Inhaftierung. Das geschah, als überhaupt noch keine Anhaltspunkte für die weitere Entwicklung vorlagen, d.h. mehrere Tage vor dem 14.5.2006. Mehrfach erwähnen die LKA-Ermittler, dass als Begründung eine hohe Dichte von politisch motivierten Straftaten im Frühjahr 2006 benannt wurde, für die sich aber keinerlei Beleg finden konnten.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 208 und 236/237:
    Ziele des MEK-Einsatzes werden benannt, u.a.: "Ziel der Observation ist die beweiskräftige Festnahme der ZP während einer relevanten Straftat.
    Taktische Vorgabe: Tarnung vor Wirkung." (ZP = Zielperson)
    Damit wird nicht Prävention, sondern das Stattfinden einer Straftat und die Festnahme dabei als Ziel genannt. Damit verfehlt die Polizei ihre Aufgabe, Straftaten zu verhindern und handelt folglich auch nicht auf der Rechtgrundlage HSOG, weil dieses nur der Prävention dient, nicht der Festnahme bei einer Straftat. Folglich ist die ganze Maßnahme von Vorneherein erkennbar rechtswidrig.
    Diese Bewertung ist auch vom LKA-Berichtschreiber als "Anmerkung" zu finden:
    "Die oben angeführte präsidiale Anordnung zur Observation des Bergstedt begründet sich rechtlich auf das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), hier § 15 Abs. 2 Ziffer 2 und 3.
    Die hier begründete Observation hätte somit einen "präventiven" Charakter gehabt; sie hätte also zum Schutz der Öffentlichkeit Straftaten verhindern müssen.
    Aus den oben benannten Maßnahmen, die durch das MEK erbracht werden sollten, sind von mir jedoch lediglich "repressive" Maßnahmen i. S. der StPO zu erkennen, und zwar u.a. die "beweiskräftige Festnahme der ZP während einer relevanten Straftat".
    Es stellt sich für mich somit von Anfang an dar, dass Ziel der Observation Festnahme des Bergstedt während einer Straftat war.
  • Bl. 209
    Wiederholung der Feststellungen mit Hinweis, dass aus das MEK von einer repressiven Maßnahme ausging, also das HSOG als Rechtsgrundlage falsch war.
  • Bl. 211
    "Erst ab der Ortsgrenze Giessen wurden die Zielpersonen lückenlos observiert, um Sachbeschädigungen etc. an den gefährdeten Objekten feststellen zu können"
  • Bl. 223:
    "Gegen 01:10 Uhr kam vom Kommandoführer KOHLENBERG per Handy die Anweisung, Bergstedt bei Antreffen nicht zu kontrollieren, sondern lediglich diesbezügliche Feststellungen an die Einsatzzentrale weiterzuleiten. Die Weisung sei unmittelbar von der EZ ergangen."
  • Bl. 227:
    "Durch KELBCH wurde die Streife in Kenntnis gesetzt, dass bei der Feststellung von "verdächtigen Personen" die Leitstelle über Handy informiert werden sollte. Maßnahmen sollten unterbleiben, da sich operative zivile Einheiten in Gießen. befänden, "...die die Verfolgung verdächtiger Personen aufnehmen und auf frischer Tat ertappen wollten...".
  • Bl. 234
    "Hauptziel war hier eine "qualifizierte Täterfestnahme" in Verbindung von Observationsmaßnahmen des oben benannten Tatobjektes."
  • Bl. 235:
    "Ziel war es
    - beweisgesicherte Festnahmen bei Antreffen auf frischer Tat durchzuführen und
    - gegebenenfalls die Voraussetzungen für den Unterbindungsgewahrsam zu prüfen und entsprechende Maßnahmen zu treffen"

Der Unterbindungsgewahrsam von Bergstedt wurde schon Tage vorher diskutiert.

  • Dazu Bl. 222: "Darüber hinaus findet sich bereits im Einsatzbefehl die Formulierung "gegebenenfalls die Voraussetzungen für den Unterbindungsgewahrsam zu prüfen und entsprechende Maßnahmen zu treffen". Es ist zu klären, wieso bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ein gefahrenabwehrender Unterbindungsgewahrsam in Erwägung gezogen wurde."

Es wurden zudem offenbar sogar andere Straftaten toleriert oder Straftäter laufen gelassen, um den unschuldig Verfolgten Bergstedt belasten zu können - siehe Zusammenstellungen zu den Abläufen bei der CDU und den GCE-Sprühereien

Hinweise ergeben sich, dass die Ladung zum Haftantritt durch die Staatsanwaltschaft und der polizeiliche Wille, dass Straftaten geschehen, in Zusammenhang stehen.

  • Auf Bl. 235 steht dazu: "Weiter muss hier die Frage gestellt werden, woher dem Verfasser des Einsatzbefehles der PD Gießen, EPHK R. WEBER, bereits bei der Erstellung bekannt war, dass Bergstedt am 10.05.2006 seine Haftantrittszustellung zugestellt bekommen, bzw. warum er die Aufforderung zum Haftantritt auf den 09.05.2006 datiert hatte."

Es wird deutlich formuliert, dass die Polizei auf jeden Fall eine Inhaftierung wollte - doch eine Grundlage dafür noch fehlte. Daher erörterte und versuchte sie verschiedene: Bl. 245 dazu: "Aus den Erkenntnissen des BERGSTEDT aus der tatzeitnahen Vergangenheit gehen bis zu diesem Zeitpunkt keine einzelnen strafbaren Handlungen hervor, die letztendlich zu einer Untersuchungshaft geführt hätten. lm Rahmen weiterer Zeugenvernehrnungen wäre daher zu hinterfragen, seit wann und von wem freiheitsentziehende Maßnahmen (nach HSOG) als Ziel des polizeilichen Handelns vorgegeben wurden.
Nach erfolgter erkennungsdienstlicher Behandlung wurde die Entlassung des festgenommenen Bergstedt wurde durch die Bereitschaftsstaätsanwältin Fleischer, StA Gießen, verfügt. Es stand somit fest, dass eine Vorführung des Bergstedt beim Haftrichter keine Untersuchungshaft nach sich ziehen würde.
Parallel zur Abarbeitung der Haftsache am 14.05.2006 wurde mittels der Assessorin LEUER und KHK MANN der Antrag auf Unterbindungsgewahrsam vorbereitet.
Es ist aus den Unterlagen des PPMH nicht ersichtlich, welches Besprechungsergebnis im LPP erzielt und wie dieses in Bezug auf die Einsatzmaßnahmen
umgesetzt wurde. Maßgebliche Vorgabe war die"beweisgesicherte Festnahme" des BERGSTEDT. Dies geht sowohl aus meinen vorgehefteten Vermerken als auch aus den Einsatzbefehlen der PD Gießen und der Einsatzanordnung des MEK HLKA hervor."

 

4. Zum Zwecke der Beschuldigung der Zielperson wurden Tatverdächtige in der Nacht auf den 14.5.2006 an der CDU-Geschäftsstelle bewusst laufen gelassen.

Laut jetzt vorliegenden Ermittlungsergebnissen wurden die zwei Personen, von denen eine später als die Zielperson benannt wurde, durchgehend beobachtet einschließlich ihrem Verschwinden. Das beobachtende MEK bat explizit darum, keine Streifenwagen zu schicken. Offenbar war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass es sich bei den Beobachteten nicht um die Zielperson handelte. Die LKA-Ermittler werteten das bewussten Laufenlassen von Tatverdächtigen als Strafvereitelung im Amt.
Das Ergebnis widerspricht damit eindeutig den Behauptungen von Staatsanwaltschaften und Polizei, sie hätten die Zielperson Bergstedt im Spenerweg vermutet.

Belege aus den neuen Akten:

  • Dazu auf Bl. 212/213: "ln Anbetracht der Tatsache, dass
    - MEK-Kräfte zu Observationsmaßnahmen der CDU-Geschäftsstelle eingesetzt waren,
    - von den möglichen.Tätern Personenbeschreibungen vorlagen,
    - ein Entfernen dieser Personen vom Tatort im Bericht des MEK's erwähnt wurde,
    - das MEK anschließend den Bereich der CDU-Geschäftsstelle uerlaßt, als bekannt wird, dass der Bergstedt sich im Bereich der Justizgebäude Gutfleischstraße befinden soll, ohne eine
    - Fahndungsmaßnahme nach den unbekannten Tätern zu veranlassen und
    - der Leiter des MEK-Einsatzes darum bat, dass die Streifen weg bleiben sollen..."
    muss man hinterfragen, inwieweit hier der Straftatbestand der Strafvereitelung im Amt gemäß 258 StGB bzw. § 258 a StGB verwirklicht ist.
    Diesbezüglich wird von darauf hingewiesen, dass die gesamte Einsatzmaßnahme gemäß Anordnung durch das PPMH sich auf die Person des Bergstedt konzentrierte.
    Eine der diesbezüglichen vorgegebenen taktischen Maßnahmen für das MEK lautete "Tarnung vor Wirkung"!
  • So nochmal auf Bl. 236/237.
  • Bl. 209
    Wiederholung der Feststellungen mit Hinweis, dass aus das MEK von einer repressiven Maßnahme ausging, also das HSOG als Rechtgrundlage falsch war.

 

5. Die Täter der „AV GCE“-Sprühereien in der Nähe des Wohnhauses von Innenminister Bouffier waren der Polizei schon zwei Monate vorher bekannt.

Zum Zeitpunkt 14.5.2006 hatte die Polizei bereits mehrfach Sprühereien mit diesen Abkürzungen festgestellt und auch zweimal (einmal im März 2006 und einmal im April 2006) die Täter feststellen können. Diese waren jedoch auf freiem Fuß und auch, wie die DNA-Analyse der Latexhandschuhe ergab, erneut die Täter. Trotz dieses Wissens wurde die Zielperson als Verdächtiger benannt.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 93 der Akte (PDF: Seite 422) finden sich die Belege, dass die Polizei erstens schon vorher wusste, wem die Sprühereien "AV GCE" zuzuordnen waren - und auch am 14.5.2006 und direkt danach ausreichend Hinweise für die Nichttäterschaft des unschuldig Verfolgten Bergstedt erhielt.
  • Dazu auf Bl. 93: "In dem Vermerk des BROERS vom 15.05.2006 zur Überprüfung weitere Tatorte im Bereich Gießen Altenfeldsweg und Spenerweg, schreibt er zu Unterpunkt b. Posener Str.9: "...Frau Schmidt gab an, dass die Farbschmiererei in der Nacht von Samstag auf Sonntag begangen wurde...(...)...Allerdings habe sie von Nachbarn gehört, dass es sich beiden Tätern um eine Gruppe junger Leute gehandelt hätte..."
  • Als einer der Täter der ,,Farbschmierereien wurde an Hand der gefundenen DNA-Spuren im sichergestellten Latex-Handschuh der ... ermittelt.
  • Recherchen im Polizeisystem führten zu dem Ergebnis, dass diesem und anderen bekannten Heranwachsenden bereits am 27.03.2006 und 18.04.2006 Sachbeschädigungen durch Farbschmierereinen u. a. mit dem Kürzel "GCE, AV-GCE" zugeordnet werden konnten. Sachbearbeitende Dienststelle in Gießen war die ,,AG Graffiti"."

6. Der Aufenthalt der Zielperson Bergstedt war auch in der Polizeizentrale bekannt sowie in den Daten vermerkt, die für den Antrag auf Unterbindungsgewahrsam ausgewertet wurden.

Das geht aus der Analyse dieser Daten durch die LKA-Ermittler eindeutig hervor. Die LKA-Ermittler notieren mehrfach, dass sie keinen Grund finden konnten, warum die entlastende Information nicht verwendet wurde.
Das Ergebnis widerspricht damit eindeutig den Behauptungen von Staatsanwaltschaften und Polizei, sie hätten durch Übermittlungspannen nicht vom tatsächlichen Aufenthaltsort der Zielperson gewusst.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 243:
    "Auffällig ist jedoch, dass aus dern Antrag zum Unterbindungsgewahrsam des Bergstedt nicht der Eintrag des Leitstellenprotokolls "02:50:47 4 02.47 Uhr Durchsage O-Schutzstreife S 2, dass Bergstedt im Bereich der Gutfleischstr. gesehen wurde. Er war offensichtlich allein unterwegs." hervorgeht."
  • Bl. 259
    "Nach staatsanwaltlicher Verfügung sollen die festgenommenen Personen, darunter Bergstedt; nach erkennungsdienstlicher Behandlung entlassen werden. Parallel zur Haftsachenbearbeitung wird der Antrag auf Unterbindungsgewahrsam vorbereitet. Informationen für diesen Antrag dürften aus dem Leitstellenprotokoll verarbeitet worden sein. Auffällig ist jedoch, dass ein den Bergstedt entlastender Eintrag nicht Verwendung findet."

7. Am Morgen des 14.5.2006 wies die Bereitschaftsstaatsanwältin die Freilassung aller vier Inhaftierten an. Die Polizei hielt sich nicht daran.

Auch das ist eine neue Information. Die Polizei hätte alle vier Verhafteten, also auch die Zielperson freilassen müssen. Mit dem Trick, einen Unterbindungsgewahrsam bei einem fügsamen Richter zu beantragen, umging die Polizei die Anweisung der Staatsanwaltschaft, alle Inhaftierten freizulassen.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 241
    "Nach Aktenlage sollten nach Beendigung der erkennungsdienstlichen Behandlung alle 4 Festgenommenen vereinbarungsgemäß entlassen werden."
    "Gemäß der oben aufgeführten Rücksprache der KOK'in Cofsky um 07:48 Uhr mit der Staatsanwältin Fleischer verfügte diese eine Entlassung aller Festgenommenen nach Abschluss der erkennungsdienstlichen Behandlung."
  • Bl. 245
    „Es wird deutlich formuliert, dass die Polizei auf jeden Fall eine Inhaftierung wollte - doch eine Grundlage dafür noch fehlte. Daher erörterte und versuchte sie verschiedene: "Aus den Erkenntnissen des BERGSTEDT aus der tatzeitnahen Vergangenheit gehen bis zu diesem Zeitpunkt keine einzelnen strafbaren Handlungen hervor, die letztendlich zu einer Untersuchungshaft geführt hätten. lm Rahmen weiterer Zeugenvernehrnungen wäre daher zu hinterfragen, seit wann und von wem freiheitsentziehende Maßnahmen (nach HSOG) als Ziel des polizeilichen Handelns vorgegeben wurden.
    Nach erfolgter erkennungsdienstlicher Behandlung wurde die Entlassung des festgenommenen Bergstedt wurde durch die Bereitschaftsstaätsanwältin Fleischer, StA Gießen, verfügt. Es stand somit fest, dass eine Vorführung des Bergstedt beim Haftrichter keine Untersuchungshaft nach sich ziehen würde.
    Parallel zur Abarbeitung der Haftsache am 14.05.2006 wurde mittels der Assessorin LEUER und KHK MANN der Antrag auf Unterbindungsgewahrsam vorbereitet.
    Es ist aus den Unterlagen des PPMH nicht ersichtlich, welches Besprechungsergebnis im LPP erzielt und wie dieses in Bezug auf die Einsatzmaßnahmen
    umgesetzt wurde. Maßgebliche Vorgabe war die"beweisgesicherte Festnahme" des BERGSTEDT. Dies geht sowohl aus meinen vorgehefteten Vermerken als auch aus den Einsatzbefehlen der PD Gießen und der Einsatzanordnung des MEK HLKA hervor."

8. Die LKA-Ermittler fanden etliche Lücken und forderten umfangreiches Beweismaterial aus Polizei-Datenbeständen an.

Mit Abgabe der Ermittlungsberichte benannten die LKA-Ermittler etliche Lücken und Unklarheiten. Daraus entstand eine lange Liste notwendiger Datensätze, die sie für ihre Arbeit benötigen würden. Die Staatsanwaltschaft solle diese vor allem vom Polizeipräsidium Mittelhessen anfordern.
Es gibt zudem Hinweise auf verschwundene oder vernichtete Informationen.
Die Rechtmäßigkeit des MEK-Einsatz nach den Richtlinien für das MEK wurde nicht geprüft (Bl. 255). Erkennbar ist im Bericht auch formuliert, dass alles reichlich dubios, aber politisch hoch angesiedelt ist: "Aus den ausgewerteten Unterlagen geht hervor, dass das LPP über die Festnahme des Bergstedt informiert-worden war und selbst einen Sachstandsbericht durch den Inspekteur der Polizei, Herrn Münch, angefordert hatte. Auch wenn die "abschließende Einsatzverantwortung" dem PPMH oblag, wurde das LPP immer und aktuell zum jeweiligen Stand, auch über die Festnahme des Bergstedt hinaus, informiert. Der Grund für diesen lnformationsfluss an das LPP hat sich aus den hier ausgewerteten Unterlagen nicht erschlossen.
Auch der Grund "Anlass der Häufung von politisch motivierten Propagandataten in Form von Sachbeschädigungen" der Besprechung im LPP, der letztendlich in einer gezielten Einsatzanordnung für das MEK mit dem genannten Ziel Bergstedt endete, bleibt weiterhin zu hinterfragen" (alles Bl. 255).

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 235:
    "Weiter muss hier die Frage gestellt werden, woher dem Verfasser des Einsatzbefehles der PD Gießen, EPHK R. WEBER, bereits bei der Erstellung bekannt war, dass Bergstedt am 10.05.2006 seine Haftantrittszustellung zugestellt bekommen, bzw. warum er die Aufforderung zum Haftantritt auf den 09.05.2006 datiert hatte."
  • Bl. 247
    "Die weiterhin zusätzlich geführten Objektschutzlisten vom 09.05 – 10.06.06 konnten "bislang nicht gefunden werden"."
  • Bl. 108:
    Auftrag der Staatsanwaltschaft WI an das HLKA: "die Ermittlungen fortzuführen.
    lm Einzelnen sollen folgende Ermittlungsschritte getätigt baru. folgende Unterlagen beigezogen werden, soweit sie den Unterbindungsgöwahrsam zum Nachteil des Anzeigeerstatters betreffen:
    a) Anforderung der Einsatzpläne, der Besprechungsprotokolle und der Auflistungen der eingesetzten Kräfte der Hessischen Bereitschaftspolizei sowie allgemein des Schriftverkehrs zwischen der Hessischen Bereitschaftspolizei und dem PP Mittelhessen.
    b) Anforderung der Besprechungsprotokolle des PP Mittelhessens zur Vorbereitung des Einsatzes gegen den Anzeigeerstatter.
    c) Ermittlung des verantwortlichen Beamten des PP Mittelhessen, der den Einsatz des MEK im Umfeld des Unterbindungsgewahrsams angefordert bzw. koordiniert hat. Dabei soll auch der Grund des Einsatzes ermittelt und aktenkundig gemacht werden.
    d) Ermittlung der Besetzung der Einsatzzentrale des PP Mittelhessen in der Nacht der Festnahme des Anzeigeerstatters (Anforderung der Einsatzpläne, soweit noch vorhanden).
    d) Anforderung der Ermittlungsvorgänge des ZK 10 des PP Mittelhessen in Bezug auf den Unterbindungsgewahrsam gegen den Anzeigeerstatter sowie das unter dem Aktenzeichen 501 Js 12450/06 gefrlhrte Ermittlungsverfahren der StA Gießen.
    e) Anforderung des Ermittlungsvorgangs gegen die bislang unbekannt gebliebenen Jugendlichen, die auf Bl. 21, 29 der Ermittlungsakte 501 Js 124A5106 der StA Gießen eine kurze Erwähnung finden.
    f) Anforderung der Gesamtunterlagen über den Einsatz des früheren MEK im Umfeld des Unterbindungsgewahrsams gegen den Anzeigeerstatter beim Hessischen Landeskriminalamt.

9. Die LKA-Ermittler schätzten die Zahl der als Beschuldigte zu führenden Personen (also Verdächtige der Beteiligung an den Straftaten) viel höher ein als der Anzeigeerstatter Bergstedt.

Bei der Übergabe der Ermittlungsberichte regte die LKA-Ermittler aus ihrer Sicht an, wesentlich mehr BeamtInnen in den Beschuldigtenstatus zu setzen als der Anzeigeerstatter (Zielperson Bergstedt) mangels Wissen benannt hatte. Es schieden ausschließlich diejenigen aus, die nur als Befehlsempfänger in die Straftaten verwickelt waren.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 107
    Zitat eines Vermerks der Staatsanwaltschaft WI vom 11.8.2008: "Es fand heute (nach Urlaubszeit) eine erneute Besprechung mit dem HLKA/Abt. Interne Ermittlungen hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise statt. Dabei wurde erörtert, dass nicht alle mittlerweile namentlich bekannten Polizeibeamten aus dem Bezirk des PP Mittelhessen, die in irgendeiner Form an dem Unterbindungsgewahrsam beteiligt waren, aus dem bisherigen Zeugenstatus in einen Beschuldigtenstatus überführt werden müssen. Der Anzeigeerstatter hat zudem nur gegen wenige Beamte konkret Strafanzeige erstattet. Hinsichtlich einiger Beamter, insbesondere Streifenbeamte und Beamte der Bereitschaftspolizei, hat sich kein Anfangsverdacht ergeben, da nach Aktenlage nur Weisungen von DienstvorgeseEten ohne eigene Entscheidungsbefugnisse befolgt worden sind."

10. Nach der Vorlage des Ermittlungsberichtes und der Hinweise der LKA-Ermittler aus weitere, nötige Untersuchungen (siehe Punkt 8. und 9.) stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.

Nach Übergabe des Ermittlungsberichtes und der Anregungen durch die LKA-Ermittler wird das Verfahren ziemlich abrupt eingestellt. Eine Erklärung dafür findet sich nicht. Die Anregungen der LKA-Ermittler werden an keiner Stelle aufgegriffen. Durch die Einstellung des Verfahren werden sie vielmehr formal gehindert, weiter zu ermitteln. Die Einstellung des Verfahrens wird begründet, dass sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für Straftaten ergeben hätten. Tatsächlich ist das Gegenteil wahrscheinlicher: Das Verfahren wurde eingestellt, weil der Tatverdacht überwältigend war, die Spitze mindestens der Landespolizei tief verstrickt war und weitere Ermittlungen mit Sicherheit weiteres belastendes Material hervorbringen würde. Genau das sollte offensichtlich verhindert werden.
Im weiteren Verfahren wurden auch, trotz gegenteiliger Behauptungen, nie die angeregten oder irgendwelche anderen, weiteren Ermittlungen durchgeführt.

11. Die Beschuldigten verweigerten die Aussage.

Kein Beschuldigter trug zur Aufklärung bei. Ein Staatsschützer beantragte sogar Rechtsschutz beim Land Hessen.
Im Einstellungsbeschluss wird diese Aussageverweigerung den Betroffenen zum Vorteil, weil dadurch angeblich eine Überführung nicht mehr möglich sei.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 244
    „Keine Klärung des Nicht-sagen-Vermerks: "Warum im Originalantrag Blatt -3- die obere Textpassage geklammert und mit dem handschriftlichen Vermerk "nicht sagen!" versehen wurde, kann ebenfalls nicht geklärt werden."

12. Das erst spät vernommene MEK behauptete starke Erinnerungslücken außer in dem für eine Einstellung hilfreichen Detail, bei der Observation gescheitert zu sein.

Auffällig sind die dürftigen Vernehmungsprotokolle des MEK. Trotzdem dienen einige Aussagen aus diesen als Grundlage für die Einstellung – nämlich mit der Behauptung, eine Observation am Gerichtsgelände hätte in der Nacht auf den 14.5.2006 gar nicht stattgefunden. Dem widersprechen die zeitnah erstellten Vermerk eines MEK-Beamten und eines der eingesetzten Streifenwagen. Beide wurden in dem Einstellungsbeschluss aber gar nicht berücksichtigt, obwohl sie in den Ermittlungsakten deutlich benannt wurden. Hier entsteht der Verdacht, dass die – recht späten – Aussagen des MEK dem Ziel der Einstellung dienten und deshalb auch die präzisieren und, wegen der Zeitnähe, gewichtigeren Vermerke verschwiegen wurden.

13. Von den TäterInnenkreisen (beteiligte BeamtInnen der Observation, Festnahme und Gefangenhaltung) unabhängige ZeugInnen wurden nicht vernommen.

Wie die Akten zeigen, wurden weder die Justizbeamten, die in der Nacht auf den 14.5.2006 Dienst schoben und auch nach dem Ermittlungsergebnis Angaben zu den Vorgängen hätten machen können, noch weitere Beteiligte wie z.B. die Betroffenen vernommen.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 260
    "Ergänzend dazu weise ich darauf hin, dass die Justizwachmeister der Justizvollzugsanstalt Gießen, die in der Nacht 13.05.2006/14.05.2006 den Bergstedt beim Federballspielen beobachtet haben könnten, ermittelt wurden. Eine Zeugenvernehmung wurde auch hier noch nicht durchgeführt."

14. Die Zielperson Bergstedt wurde am 14.5.2006 in die JVA Gießen und am 18.5.2006 in die JVA Preungesheim eingeliefert in einen „Unterbringungsgewahrsam“.

Das ist rechtlich überhaupt nicht möglich. Zweimal brachten Polizei- bzw. Justizbeamte einen Gefangenen mit falscher Rechtsgrundlage ins Gefängnis. Und beide Male akzeptierte ein Gefängnis die Aufnahme, obwohl der Rechtsgrund für eine Aufnahme überhaupt nicht geeignet war.

Belege aus den neuen Akten:

  • Bl. 41: Formular der Aufnahme in die JVA Frankfurt. Dort ist als Tat "Bevorstehung von Straftaten" und als Bemerkung "Unterbringungsgewahrsam nach HSOG" zu lesen. Damit ist klar, dass eine Aufnahme erfolgte, die rechtlich nicht geht und deren Grund auch schon nicht mehr bestand. Es handelt sich NICHT um einen Irrtum, dass hier schon die Haftstrafe vollzogen wird.
  • Bl. 47: Vermerk Cofsky bestätigt die JVA-Einlieferung nach HSOG.

Soweit die Auswertung der Akten, immerhin von insgesamt über 4000 Blatt in vier Ordnern. Aus diesen Erkenntnissen formte die Frankfurter Rundschau am 25.10.2011 einen neuen Bericht - und der führte zu einigen Konsequenzen. Insbesondere die SPD forderte Aufklärung und legte einen neuen Fragenkatalog vor, der nun vom Innenministerium zu beantworten sei. Die Grünen hängten sich mit Kritik an und die Linke forderte Bouffiers Rücktritt, wenn sich das so als wahr herausstellen würde. Doch in einem blieben sich die meisten treu: Mit den Betroffenen will jaum jemand etwas zu tun haben - die kulturellen Gräben zwischen ParlamentarierInnen und unabhängigen AktivistInnen scheinen weitgehend unüberwindlich.

 

Die aktuellen Entwicklungen seit Klageerhebung beim OLG in den Medien

Am 29.8.2011 schickte der Anwalt des Betroffenen den Antrag auf gerichtlichen Entscheid an das Oberlandesgericht Frankfurt. Darin enthalten: Eine komplette Anklage mit Beweismitteln und Begründung. Denn was die Staatsanwaltschaften verweigerten, mussten nun Betroffener und Anwalt selbst machen - und können es einmal dem OLG zur Entscheidung vorlegen. Nimmt dieses den Antrag an, so kommt es zum Verfahren (mit einer Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde, die nicht anklagen will ...). Wird der Antrag abgelehnt, ist der juristische Versuch, die Justiz zur Selbstkritik zu bringen, gescheitert. Alles Andere als Letzteres wäre eine Überraschung, denn ein Satz gilt in den Funktionseliten als sehr wichtig: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus ...

Aus "Bergstedt kämpft weiter", in: FR, 8.9.2011 (Rhein-Main-Teil)
Der mittelhessische Anarchist Jörg Bergstedt dringt darauf, dass Schuldige für seine unrechtmäßige Inhaftierung vor Gericht gebracht werden. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat er jetzt ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren beantragt. Die Version der Generalstaatsanwaltschaft, die die Einstellung aller Verfahren bestätigt hatte, bezeichnete er als „märchenhafte Ablaufbeschreibung“.
Die Ermittler wiesen diesen Vorwurf zurück. Sie beantragten beim OLG, Bergstedts Ansinnen schon aus formalen Gründen als unzulässig abzuweisen, wie der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Günter Wittig, der Frankfurter Rundschau sagte. So enthalte die 44-seitige Antragsschrift nicht, wie erforderlich, eine Schilderung der umstrittenen Ereignisse, die ohne Rückgriff auf Akten vollständig sei. ...
Alle Ermittlungen gegen Polizisten und Richter verliefen aber ebenso im Sande wie Vorermittlungen gegen den heutigen Ministerpräsidenten Bouffier. Jüngst bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt die Einstellung aller Verfahren.
Sie vertrat dabei eine neue Version, die bisher weder von der Landesregierung noch von Ermittlern formuliert worden war. Danach soll Jörg Bergstedt nicht durchgehend observiert worden sein – und damit als möglicher Tatverdächtiger doch nicht ausscheiden.
Bergstedts Anwalt Tronje Döhme entgegnete jetzt in seinem Schriftsatz, die Generalstaatsanwaltschaft habe Polizei-Vermerke ignoriert, die seinen Mandanten entlasteten. Stattdessen würden nicht nachprüfbare Beweise für die neue Version angeführt. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Bergstedt tatsächlich zum Tat-Zeitpunkt beim Federballspielen gesehen wurde. Gegen 2.30 Uhr soll ein Loch in die Eingangstür der CDU-Geschäftsstelle in Gießen gebohrt, zehn Minuten später Graffiti in der Nähe von Bouffiers Wohnhaus gesprüht worden sein. Zum einen macht Bergstedt, der beider Taten verdächtigt wurde, darauf aufmerksam, dass die Orte zu weit auseinanderlägen, als dass ein einzelner Täter in Betracht käme.
Zum anderen standen die Badmintonspieler nach bisherigen Polizei-Protokollen von 1.42 Uhr an unter Beobachtung. Der Generalstaatsanwalt hatte hingegen angegeben, dass es bis 2.47 Uhr eine Beobachtungslücke gebe und Bergstedt daher doch als Täter in Frage komme. Diese Angabe sei „nicht nachvollziehbar“, heißt es in Bergstedts Schriftsatz. „Offenbar werden kritiklos mögliche Schutzbehauptungen der Beschuldigten übernommen.“
Die Ermittlungsbehörde hatte sich auf Vernehmungen der Beamten eines Mobilen Einsatzkommandos (MEK) gestützt, die Bergstedts Anwalt nicht einsehen durfte, sowie auf ein nicht namentlich gezeichnetes Ablaufprotokoll aus dem Polizeipräsidium Mittelhessen, das bisher auch in keiner Behörden-Stellungnahme erwähnt worden war. Angesichts der begrenzten Größe der Gießener Staatsschutzabteilung erscheine es „nicht glaubhaft“, dass der Autor nicht zu ermitteln sei, argumentiert Bergstedts Anwalt.
Er erhebt in diesem Zusammenhang schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Nach seiner Einschätzung sei „eine Fälschung – mit oder ohne Wissen bzw. sogar Zutun der an Erfindungen arbeitenden Generalstaatsanwaltschaft – zu vermuten“. Der Anwalt erhebt daher sogar den „Verdacht der Strafvereitelung im Amt“. Dies weist die Generalstaatsanwaltschaft „mit Entschiedenheit“ zurück. Sprecher Wittig sagte: „Es gibt nicht die geringsten Hinweise auf Fälschung oder Manipulation in den Akten.“

Spaßigerweise meldete sich auch der Petitionsausschuss des Landtages mal wieder und schickte eine Zwischennachricht, dass über die Angelegenheit noch beraten würde. Datum der Zwischennachricht: 8.9.2011. Datum der Petition: 30.6.2007!

Die Generalstaatsanwaltschaft meldete sich und tat das Erwartete: Sie beantragte, die Klage abzuschmettern. Dann aber folgte erstmal eine Überraschung: Das OLG gab die Akten heraus, die die Generalstaatsanwaltschaft verweigert hatte. Und die Papiere hatten es in sich. Denn anders, als zunächst vermutet, hatten zwei LKAler präzise ermittelt und einen brisanten Bericht verfasst. Die Staatsanwaltschaft hatte dann nicht ohne Ermittlungen, sondern wegen der Ermittlungen eingestellt - weil diese heftig belastendes Material enthielten!
Aufgrund der unklaren Rechtslage bezüglich der Öffentlichkeit solcher Akten wird hier darauf verzichtet, sie ins Netz zu stellen. Allerdings verfassten der Kläger und sein Anwalt eine Stellungnahme, um die eigene Klage zu ergänzen. Außerdem recherchierte die Frankfurter Rundschau erneut: Artikel vom 25.10.2011 mit Kommentar. Das nun brachte Bewegung in die Sache - und so passierte ein bisschen mehr:

 

Wer hält zu Bouffier?

Die CDU. Und die FDP mit dem Gießener Landtagsabgeordneten Wolfgang Greilich, der schon recht deutlich monierte, dass sich überhaupt jemand darum kümmert, ob mit unabhängigen AktivistInnen rechtmäßig umgegangen wird. Das bot immerhin einen tiefen Einblick in die Denklandschaft solcher Leute.
Grüne und Linke haben sich bisher ganz zurückgehalten, was zumindest beim innenpolitischen Sprecher der Grünen, Jürgen Frömmrich, auch an einer ziemlich konservativen Einstellung liegen dürfte, während die Linken neben dem Problem politischen Tiefschlafs auch noch mit ihrer Abneigung gegen unabhängige PolitakteurInnen ringen.

Das galt bislang auch für die meisten Medien. Der Vorgang ist schon alt und von den Betroffenen sind die grundlegenden Widersprüche schon im Herbst 2006 nachgewiesen und im Sommer 2007 im Buch "Tatort Gutfleischstraße. Die fiesen Tricks von Polizei und Justiz" minutiös dokumentiert worden. Am 18. Juni 2007 verglich das OLG in einem bemerkenswerten Urteil das Vorgehen in Gießen mit Methoden aus dem Dritten Reich. Berichtet hatte damals kaum jemand. Erst die aktuellen neuen Enthüllungen und die Pressekonferenz der SPD am 26.10.2011 brachte mehr Medien dazu, zu berichten. Für den Hessischen Rundfunk sogar ein Novum - mehrere Jahre galt in dem Sender, dass Projektwerkstatt und Projektwerkstättler nicht in politischen Zusammenhängen erwähnt werden durften. In der Hessenschau vom 26.10.2011 war fand das ein Ende.

Ungefragte Schützenhilfe bekommen Bouffiers CDU- und FDP-Netze auch von linksradikaler Seite. Denn nach wie vor ist es äußerst schwer, die Vorgänge in Veranstaltungen im Rhein-Main-Gebiet zu thematisieren. Linksautoritäre Kader aus marxistischen und anarchistischen Gruppen sorgen, mitunter auch mit platter Gewaltandrohung, dafür, dass keine Veranstaltungsräume oder VeranstalterInnen z.B. die Ton-Bilder-Schau "Fiese Tricks von Polizei und Justiz" bereit stehen. Überall gibt es allerdings die Möglichkeit, sich diesen anschaulichen Bericht der Ereignisse im Internet als Filmmitschnitt einer Veranstaltung in Regensburg anzusehen. Wer Lust hat, das - ergänzt um die aktuellen Entwicklungen - mal als Original zu zeigen, kann sich in der Projektwerkstatt unter 06401/903283 oder kobra(at)projektwerkstatt.de melden.

Eine Veranstaltung ist in Frankfurt aber demnächst geplant: Donnerstag, 10.11. um 20 Uhr in Frankfurt (Club Voltaire) - ein Informationsgespräch zu Willkür von Justiz und Polizei mit Jörg Bergstedt (Veranstalter: HU Frankfurt).

 

Angehängt: Was eigentlich passierte - in Kurzform

Es gibt inzwischen mehrere Abhandlungen über die absurde Nacht und das nachfolgende Gezerre um Akten, Anzeigen und mehr. Das Geschehen selbst liegt über 5 Jahre zurück. Es dauerte mehrere Monate, bis die Betroffenen und ein Anwalt die Hintergründe des merkwürdigen Polizeieinsatzes und der Verhaftungen klären konnten. Da aber wurde dann klar: Geplant war Größeres - offenbar waren Polizei und Innenministerium von der Hoffnung geblendet, ihre KritikerInnen endlich mal länger mundtot machen zu können. Denn dem 14.5.2006 vorweg gingen jahrelange Auseinandersetzung über Innenpolitik, Vertreibung aus der Gießener Innenstadt, Überwachung, Abschiebungen und mehr. MancheR mag sich noch an den Kamera-Gottesdienst erinnern, der in Gießen "uraufgeführt" wurde, an umfangreiche Fakes und Plakatveränderungen z.B. zu Wahlen oder an eine rechte frühe Fälschung der Polizei, wie aus einer Gedichtelesung ein Brandanschlag gebastelt wurde. Das Straßentheater Mars-TV wurde in dieser Zeit entwickelt - und die Polizei krönte alles mit einer abgefahrenen Polizeistatistik, nach der linksradikale Kriminalität von 2002 auf 2003 in Gießen um 657 Prozent gestiegen war.

Als Anfang Mai 2006 zweimal die gemeinsame Anwaltskanzlei der Innenminister von Hessen (damals: Bouffier) und Thüringen (damals: Gasser) attackiert wurde, entwickelten Innenministerium, Landes- und regionale Polizei den Plan, die StörerInnen aus dem Verkehr zu ziehen. Zwar hat nie jemand herausgefunden, wer die frechen Angriffe auf die Kanzlei startete, aber der Anlass war trotzdem klar. Idee war, die AktivistInnen aus der Projektwerkstatt zu einer neuen Attacke zu reizen, sie die auch ausführen zu lassen (alle Polizeieinheiten wurden angewiesen, nicht mehr einzugreifen), aber das Ganze durch eine High-Tech-Überwachungspolizei, das MEK, zu überwachen. Genau das lief in der Nacht auf den 14.5.2006 auch ab: Ein uniformierte Kommando überfiel vier Menschen auf dem Weg zur Projektwerkstatt nahe dem Ort Reiskirchen. Obwohl die Polizei wegen einer Observation genau wusste, dass die AktivistInnen nichts Verbotenes getan, sondern vor Gerichten und Knast Federball gespielt hatten, sperrte sie alle vier ein (einen mehrere Tage), beschlagnahmte Kleidung, containertes Essen und Fahrräder, wollte drei Personen zur Abgabe von DNA zwingen und durchsuchte ohne Rechtsgrundlage die Projektwerkstatt. Dazu dachte sie sich Straftaten mit politischen Hintergrund aus, verschleppte Beschwerden, sperrte Leute mit gefälschten Akten in falsche Knäste usw. Die (Nicht-)Aufarbeitung geriet zur Meisterstunde Gießener Rechtssprechung, wegen der Dominanz des hessischen Innenministers in seiner Heimatstadt Gießen auch „Bouffiersches Recht“ genannt. Nun wurden - nach 5 Jahren Vertuschungsermittlungen - die Verfahren gegen beteiligte RichterInnen, PolizeibeamtInnen und den inzwischen zum Ministerpräsidenten aufgestiegenen Mitdrahtzieher eingestellt. Dafür erfand der Generalstaatsanwalt einen dubiosen handschriftlichen Vermerk ohne Datum, Unterschrift und ungeklärter Urheberschaft. Auf dem stände, dass die Observation damals nicht geklappt hätte und daher das seit fünf Jahren auch von Polizeiseite immer wieder bestätigte Alibi des Betroffenen doch keines sei. Der reichte dann mit seinem Anwalt Döhmer Klage ein, um einen gerichtlichen Entscheid zu erhalten. Das OLG, wo diese Frage nun zu klären ist, machte dann immerhin schon mal eines anders als die Staatsanwaltschaften: Sie rückte die Akten heraus - und seitdem liegt das neue brisante Material vor.

Weitere Rückblicke:

 

"Fiese Tricks von Polizei und Justiz": Ton-Bilder-Schau und Buch zu diesem und mehr Fällen

Mit dem Untertitel "Fiese Tricks von Polizei und Justiz" entstand 2007 ein Buch mit 15 Kapiteln voller Recherchen hinter den Kulissen von Justiz und Polizei. Das Besondere: Nicht die Betroffenen erzählen, sondern die Absurditäten werden mit den Akten der TäterInnen in Robe und Uniform belegt.
Zudem existiert eine Ton-Bilder-Schau. Sie kann auch als Veranstaltung "gebucht" werden - garantierte 2,5 Stunden Mischung aus Krimi, Kabarett, Theater und Recherchevortrag! Inzwischen existieren mehrere Varianten online: Einmal als Filmmitschnitt einer Veranstaltung in Regensburg. Und zum zweiten als Reihe von Internetseiten, die mit Tonmitschnitten untermalt sind. Die Auszüge stammen aus dem Mitschnitt einer Veranstaltung Anfang Januar 2007 in Königs-Wusterhausen - quasi der Uraufführung der Ton-Bilder-Schau (nachdem deren Wirkung schon mit kleineren Bausteinen auf kleineren Veranstaltungen auffiel). Wer Interesse hat, diese Veranstaltung auch mal in die eigene Stadt/Region zu holen - das ist möglich! Kontakt über kobra@projektwerkstatt.de oder Tel. 06401/903283.

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Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Solidarische Grüße — Nordhessen

Gute Aufarbeitung! — RaMireZ

StaatsWAS? — ym

Und nu? — Mein Name