Anti-Knastaktion vor Frankfurter Buchmesse

In orangen Gefängnisoveralls und mit jeweils zwei Holzstäben als Symbol für Gitter und "eingeschlossen sein" trugen Menschen verschiedener Free Mumia Gruppen Briefe/Texte von Gefangenen selbst, Statistiken aus dem Gefängnissystem und Berichte über Hinrichtungen in den USA vor.

Mumia als "Voice of the Voiceless" (Stimme der Unterdrückten) hat in seiner bereits Jahrzehnte anhaltenden Haft zu vielen Aspekten der Isolationshaft und der Todesstrafe geschrieben und andere Gefangene damit ermutigt, es auch zu tun. In den beigefügten Audios gibt es in deutsch und englisch Aufnahmen über Kevin Cooper (Death Row St. Quentin, California), Hank Skinner (Death Row, Texas) oder Frances Newton (hingerichtet 2005 in Huntsville, Texas) und Troy Davis (hingerichtet vor wenigen Wochen in Georgia). Einige Overalls mit Bildern der Gesichter hingerichteter Gefangener lagen auf dem Boden.

Die Klassenjustiz hinter den allermeisten Todesurteilen der USA kam in einem Bericht über Pflichtverteidigung zur Sprache. Während die allermeisten Gefangenen nicht über die durchschnittlich 200.000$ verfügen, die es benötigt, um sich im statistischen Durchschnitt angemessen gegen eine Mordanklage in den USA zu verteidigen, enden sie meist mit unmotivierten Pflichtverteidiger_innen ab. Entweder sind das frische Universitätsabgänger_innen, die in anderen Rechtsgebieten ausgebildet und völlig ohne Erfahrung sind, oder aber gescheiterte Anwält_innen, die nur von staatlichen Aufträgen zu überleben versuchen. Die 2005 in Texas hingerichtete Frances Newton sagte kurz vor ihrer Hinrichtung, dass sie ihren damaligen Pflichtverteidiger nur zwei Stunden vor ihrem Verfahren kennengelernt habe und er sich nie für ihre Geschichte oder die Suche nach entlastenden Beweisen interessiert habe (1). Dieses Schicksal teilen inzwischen Hundertausende der 2,5 Millionen Gefangenen in den USA, also weit über den Todestrakt hinaus.

Peter Gingold, ehemaliger antifaschistischer Widerstandskämpfer und VVN/BdA Mitglied wurde zitiert, der sich bis an sein Lebensende vor wenigen Jahren für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal eingesetzt hat: "Wenn wir Menschen zur Solidarität mit Mumia Abu-Jamal mobilisieren, alarmieren wir sie gegen den Rassismus. Eine Pflicht, die die jüngste deutsche Geschichte uns diktiert. (...) Niemals darf in Vergessenheit geraten, wie mit der Herrenrassen-Ideologie eine ganze Nation dazu gebracht wurde, pflichtgemäß als nationalen Auftrag Völkermassen als 'minderwertig', als nicht lebensberechtigt anzusehen und industriell auszurotten."

Der politische Gefangene Leonard Peltier forderte in einem Beitrag Freiheit für Mumia: "Solange ihr alle bereit seid, für Gerechtigkeit zu arbeiten, können alle politischen Gefangenen immer noch auf Freiheit hoffen. Wirkliche Macht beginnt von unten und geht nach oben, nicht anders herum. Freiheit für Mumia!" (2)

Besondere Aufmerksamkeit erregte ein größengenaues Modell vom Grundriss einer Zelle an der Straßenbahnhaltestelle vor der Messe. Auf 3,2 mal 1,80 Meter leben Gefangene in Supermax Gefängnissen (3) der USA oft mehrere Jahrzehnte. In Mumias Fall wird das werktags von 1 - 2 Stunden Käfig im Hof unterbrochen (4), in dem immer nur zwei Gefangene zusammen sind. Ansonsten besteht völlige Kontaktsperre und Geräuschisolation. Das elektrische Licht wird in der komplett weiß gestrichenen Zelle von außen gedimmt und ist nie vollständig aus.

Mit Betroffenheit und Applaus reagierten die Zuschauer_innen. Am Haupteingang vor der Buchmesse harrten viele längere Zeit aus, um alle Beiträge zu hören, bevor sie Infomaterial mitnahmen und weiter gingen. Ein Buchhändler spendete spontan für die Kampagne. Auch in der Buchmesse beteiligten sich Verlage an der Aktion, in dem sie Infotafeln an ihren Ausstellungsständen anbrachten.

Auch auf der parallel stattfindenden Occupy Aktion vor der Europäischen Zentralbank verteilten Free Mumia Aktivist_innen einen Flyer mit einem Kommentar zu den Wallstreet Aktionen von Mumia Abu-Jamal (5).

Diese gemeinsame Aktion von verschiedenen Free Mumia Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet war der Auftakt zu einer Freilassungskampagne. Anton Mestin vom Berliner Free Mumia Bündnis: "Dass die Bedrohung der staatlichen Hinrichtung von Mumia nun (fast) abgewendet scheint, ist ein riesen Erfolg der weltweit aktiven Solidaritätsbewegung. Nach dem Mord an Troy Davis vor wenigen Wochen im US Bundesstaat Georgia wiegt das umso mehr. Jetzt rufen wir alle auf, sich für Mumias Freiheit einzusetzen. Die Zeit ist reif."


-------------------------------
Anmerkungen

(1) "Frances Newtons letzte Worte - Chronik einer Hinrichtung", ConVoi Film 2005
 http://programm.ard.de/TV/arte/2011/06/12/frances-newtons-letzte-worte/eid_287246464986597?list=main&archiv=1

(2) zitiert nach "Mumia Abu-Jamal", Bibliothek des Widerstands, Laika Verlag 2011
 http://www.laika-verlag.de/bibliothek/mumia-abu-jamal

(3) "Super Max Gefängnis" = Höchste Sicherheitsstufe, ähnlich dem Stammheimer Hochsicherheitstrakt, allerdings in der öffentlich/privaten Gefängnisindustrie inzwischen für über eine Million Gefangene in den USA Alltagsrealität.

(4) zitiert nach „Das hier ist ein übler Ort, an dem schlimme Dinge geschehen“
Zu Besuch bei Mumia Abu-Jamal – Anton Reiner und Michael Schiffmann –
 http://www.mumia-hoerbuch.de/text/besuchsbericht.pdf

(5) Die USA - Krieg nach außen & Krieg nach innen - Occupy Wallstreet !
Kolumne von Mumia Abu-Jamal 05. Dezember 2010
 http://media.de.indymedia.org/media/2011/10//317838.pdf