rap4kids – untauglich gegen Kinderschänder

Martin Bayer 14.08.2011 15:47 Themen: Gender Kultur
„Wir haben es doch so gut gemeint!“ - Oder: Ein Rap-Video aus dem unterfränkischen Amorbach mit Harris, Yassir, Hassan Annouri, Marc Reis, Samah, Celo & Abdi sowie Demain zeigt, wie man es keinesfalls machen sollte.
„Die Botschaft ist kurz und knapp: Härtere Strafen für Kinderschänder fordert der Rap-Song `Steh auf´, den acht Musiker aus Deutschland und Österreich zusammen auf der Internet-Plattform Youtube veröffentlicht haben.“ So erfuhren die Leserinnen und Leser am 11. August in der regionalen Tageszeitung Bote vom Untermain/Main-Echo (Landkreis Miltenberg). Betont wurde dabei auch, dass mit Xenia Hügel eine 27jährige Amorbacher Kosmetikerin und Gelegenheitsautorin hinter der Sache steht. Die Videoaufnahmen wurden dann auch im unterfränkischen Kreis Miltenberg, genauer in Obernburg, Amorbach und Schneeberg gedreht. Und ein Miltenberger Kinderchor wirkte auch noch mit.

Zu ihrem rap4kids genannten Projekt konnte die Initiatorin die Rapper Harris, Yassir, Hassan Annouri, Marc Reis, Samah, Celo & Abdi sowie Demain gewinnen. „Die 27-Jährige sieht den Song als Aufruf an die Öffentlichkeit, die Augen zu öffnen und Pädophile härter zu bestrafen. Dabei sollte es keine Tabus geben, findet sie“, so die Zeitung. Der Hinweis auf „keine Tabus“ darf in der gesellschaftlichen Realität als Drohung verstanden werden. Eingerissen werden heutzutage nur noch Tabus, die einmal als Haltepfosten gegen die Eliminierung gesellschaftlicher Vernunft eingeschlagen wurden.

Eine Rücksprache bei Musikern bestätigte, dass bei „Steh auf“ nicht nur die Beats und die Abstimmung aufeinander schlecht geraten sind, sondern auch die Abmischung hundsmiserabel ist. Die Texte sind schon vom Reim und der Gestaltung her ungenügend.

Aus textlichen – genauer: aus inhaltlichen – Gründen distanzierte sich dann bereits vor der Beachtung durch das Main-Echo das Portal rap.de von dem rap4kids-Video: „Genau wie jeder andere Mensch mit auch nur einem Funken Mitgefühl macht es uns fassungslos und wütend, wenn schwachen, wehrlosen Kindern Gewalt angetan wird. Was uns allerdings davon abgehalten hat, den Track auf unserer Seite zu präsentieren, ist eine Zeile von Marc Reis, in der er rappt: `Ich hab keinerlei Akzeptanz, um es auf deutsch so zu sagen / ich fordere für Kinderschänder die Todesstrafe´. Eine Forderung, der wir uns auf keinen Fall anschließen wollen, weil wir sie für falsch und der Sache nicht dienlich halten.“ rap.de verweist auch auf eine fatale Nähe von Marc Reis zur NPD: Diese führt derzeit eine Aktion „Todesstrafe für Kinderschänder“ durch!

Das ist aber längst nicht alles, was an dem besagten Video kritikwürdig ist. Da macht es schon fast nichts mehr aus, wenn nicht einmal klar wird, gegen was den nun gerappt wird, gegen sexualisierte Gewalt an Kindern oder gegen Pädophile und Kinderpornos, was zwar beides ekelhaft und abscheulich ist, jedoch in der Behandlung des Themas einen Unterschied machen müsste. Denn bei 90 % der Täter ist z.B. davon auszugehen, dass sie nicht wirklich pädophil sind, sondern aus sadistischen Gründen oder weil sie gegenüber Kindern ihre Überlegenheit besser ausspielen können zu dem werden, was gemeinhin als Kinderschänder bezeichnet wird.

Im Refrain des Liedes heißt es „aber nur ihr da oben könnt was dafür tun“, was bei aller Kritik an einem Rechtssystem, das vor allem zur Bestrafung von Eigentumsdelikten erfunden wurde, nun wirklich nicht stimmt. Sexualisierte Gewalt und auch Kinderpornografie sind gesellschaftliche Probleme, die auch in dieser Gesellschaft behandelt werden müssen, nur eben nicht mit untauglichen Songs bzw. Videos.

In diesem nuschelt einer der Rapper z.B. etwas von „abnormale kranke Welt“, es sei „immer asozialer, was sich so dazu gesellt“. Sozialhass auf die, die irgendwie „unten“ oder „anders“ sind? Oder doch nur Genöle eines Mittelstandskids, das auf fürchterlich gefährlich und ungeheuerlich engagiert macht? Vermutlich aber einfach nur blödes, hingerotztes Gebabbel, das deshalb nicht überdacht wurde, weil der Rapper dazu gar nicht in der Lage ist.

Schlimm wird es, wenn den Mädchen ganz offen eine Mitschuld unterstellt wird: „Mit zehn fängt´s an, Hello Kitty, Bravo Girl, Pumps, mit zwölf Miss Sixty, Gucci-Shirts, die ersten Flirts im Juz mit älteren Jungs.“ Und gezeigt wird im Video ein Mädchen, das in knapper Kleidung wie eine Hure in der Unterführung an der Wand lehnt. Das sind Aussagen und Bilder, die der „Bitch“ oder “Slut“ eine Mitschuld an dem geben, was ihr passieren kann.

In typischer Hip-Hop-Pose des knallharten Kerls wird zudem zur Selbstjustiz aufgerufen: „Ich kann nicht garantiern, sollte es passiern, was ich mit ihm mache.“ Oder „Wenn das mein Kind wär, und ich wüßte wer du bist, häst du zwei Minuten später meine Waffe im Gesicht.“ Und: „Gebt mir eine Waffe, denn ich hätte kein Problem damit.“ Es bleibt zu hoffen, dass dies nur spätpubertäres Dicke-Hose-Gehabe ist. Wenn nicht, dann laufen da wahre Zeitbomben herum, potentielle Amokläufer.

Selbstverständlich kommt auch die Justiz ihr Fett weg: Kinderschänder würden zu lasch bestraft, wogegen „der Dealer ... wieder in sein Heimatland (muss). Verkehrte Welt!“ Das ehemalige gesellschaftliche Feindbild Dealer wird also auch hier vom Kinderschänder abgelöst. Rap, der sich so ungeheuer „anders“ gibt, aber längst schon im gesellschaftlichen Mainstream, an den Stammtischen und bei den bürgerlichen Parteien angekommen ist.

Dann kommt auch noch die schon von rap.de bemängelte Stelle: „Ich forder für Kinderschänder die Todesstrafe“ bzw. „diese Schweine haben ihr Recht auf Leben verwirkt“. Das ist nicht nur gegen die Verfassung, sondern die Forderung nach schlimmster faschistoider Rachejustiz. Und was ist mit den Tätern, die selbst Opfer sind und daher nicht zu einer verträglichen Sexualität finden konnten? Bekommen die als Täter den Kopf ab? Oder als Opfer unsere Solidarität? Aus der Therapie sind solche Täter-Opfer-Täter-Kreisläufe sogar über mehrere Generationen bekannt. Die Wahrheit ist komplizierter als sich ein einfaches deutsches Rapperhirn dies vorzustellen in der Lage ist.

Ganz eklig wird es aber immer im Refrain: „Wir sind euer Hab und Gut“ singt dort der Kinderchor. Wahrscheinlich, weil in diesem unserem Lande jede und jeder schließlich auf sein „Hab und Gut“ aufpasst. Diese seltsame Argumentation zum Schutz der Kinder könnte aber auch von den Pädophilen und Kindervergewaltigern unterschrieben werden, denn auch diese meinen, die Kinder seien ihr „Hab und Gut“. Etwas mehr nachdenken vor dem Schreiben eines Textes könnte Wunder wirken.

rap4kids zeigt, wohin es führen kann, wenn jemand es gut meint, aber alles andere als gut macht. Da wir aber in einer Gesellschaft leben, in der es ein Argument ist, dass „ich es ja so gut gemeint habe“ (falls die dazugehörende Tat nicht die Nachtruhe oder den Standort Deutschland stört), deshalb wird rap4kids auch weiterhin hochgelobt werden. Von diversen Medien, von Denkfaulen und von der NPD. Und von allen Pädophilen und Kindervergewaltigern, die durch ihre Zustimmung so schön von sich ablenken können.


Siehe auch:  http://rap.de/news/5857

Martin Bayer veröffentlicht auch bei www.kommunal.tk
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Ergänzungen

Weniger als 90%!

ich 14.08.2011 - 16:54
"Denn bei 90 % der Täter ist z.B. davon auszugehen, dass sie nicht wirklich pädophil sind, sondern aus sadistischen Gründen oder weil sie gegenüber Kindern ihre Überlegenheit besser ausspielen können zu dem werden, was gemeinhin als Kinderschänder bezeichnet wird."

Das ist nicht korrekt bzw. so nicht haltbar. Es gibt diebzgl. keine aussagekraeftige Datenbasis; man findet zuweilen etwa 50% paedophile unter Missbrauchstaetern (fast alle sind maennlich):
 http://kein-taeter-werden-ppd.charite.de/weitere_informationen/haeufig_gestellte_fragen/#c52750

Ergänzung

M. Bayer 14.08.2011 - 18:50
"Kinderschänder" ist eben die Bezeichnung der Videomacher; hätte es als Zitat in Anführungszeichen setzen sollen. Die 90 % habe ich aus einem therapeutischen Fachbeitrag. Ich gebe aber zu, dass hier die Faktenlage umstritten sein kann.

inhaltliche auseinandersetzung

bla 15.08.2011 - 13:05
eine sehr dezidierte auseinandersetzung anhand eines beispiels in marburg findet mensch hier:
 http://antifamarburg.wordpress.com/2011/04/15/todesstrafe-fur-kinderschander/

lesenswert!

Korrektur

Tobiwabohu 16.08.2011 - 21:54
Rap.de verweist nicht auf die Nähe von Marc Reis zur NPD sondern auf die Nähe seiner Aussage zu denen der NPD.
Weiter halte ich es für wenig dienlich sich polemisch undabwertend über eine gesamte Subkultur zu äußern.
Nicht jedes "Rapperhirn" ist so schelcht ausgestattet.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Vielleicht — solltest

respekt 4 — rap.de

Props — Digger

@ Gesabbel — Kool Moe Dee

@gesabbel — blök

So auch nicht — Rif