Schanzenfest: Gefahrengebiet? Mietenwahnsinn!

feierlustig 22.07.2011 23:43 Themen: Freiräume Kultur Soziale Kämpfe
Wie die Polizei Hamburg über NDR bekanntgegeben hat, findet das diesjährige Schanzenfest am 20. August statt. Anwohnerinnen und Anwohner nehmen diese Einladung zum Tanz an und haben in einer Erklärung vor Übergriffen der Polizei auf das Fest gewarnt. Eine Gefahr im Stadtteil seien nicht Proteste am 1. Mai oder das jährlich stattfindende Schanzenviertelfest, sondern steigende Mieten, Gentrifizierung, rassistische Kontrollen und die Einrichtung von sogenannten Gefahrengebieten. Es wird dazu aufgerufen ins Schanzenviertel zu kommen und sich am Fest zu beteiligen. Möglichen Übergriffen der Polizei im Anschluß des Festes soll durch Öffentlichkeit und Präsenz auf den Straßen begegnet werden. Von Seiten der Polizei wurde in den Medien angekündigt ein Großaufgebot bereitzustellen. Sorge bereitet nicht nur das Schanzenfest sondern auch ein Tags darauf stattfindes Radrennen mit dem Hauptsponsor Vattenfall. Im folgenden eine Dokumentation der im Stadtteil verteilten Erklärung von Anwohner_innen zum Schanzenfest.
Gefahrengebiet?
Mietenwahnsinn!

Steigende Mieten, Vertreibung und die Gewalt der Ökonomie bestimmen den Alltag in den Städten. Zweifelsohne sind Menschen bedroht in einer Gesellschaft, die nach kapitalistischen Sachzwängen gestaltet wird, in der Abweichungen als Störfaktoren bekämpft werden, in der Obdachlose, Drogenkonsument_innen oder Sexarbeiter_innen auf der Straße verfolgt werden und sich das Leben den Standortfaktoren der Marke Hamburg anpassen soll.

Doch Stadt ist ein Ausdruck der unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen und keine Investorenarchitektur oder sandstrahlgereinigte Hochglanzfassade. Eben so sicher ist deshalb immer auch der Widerstand gegen diese Verhältnisse.

Gegen steigende Mieten und Leerstand

Der Senat macht derzeit viel heiße Luft um den Neubau von Wohnungen. Doch statt Wohnungsnot effektiv zu bekämpfen, werden vor allem neue Räume für den Imobillienmarkt geschaffen und die Aufwertung in den Stadtteilen weiter getrieben.

Aufwertung, Verdrängung und Vertreibung haben viele Formen. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen nimmt im Schanzenviertel ebenso zu wie Leerstand und Luxussanierung. Wo einst Wohngemeinschaften oder Familien gewohnt haben, beziehen zunehmend erfolgreiche Besserverdienende große geräumige Wohnungen, um sich anschließend über sogenannte Randgruppen auf der Straße zu beschweren und damit politische Legitimation für repressive Maßnahmen herzustellen. Im Rahmen der Gentrifizierung sorgt dies in der Folge z.B. dafür, das die Besitzer_innen einer Eigentumswohnung reicher werden, während die Mieten weiter steigen und die Mieter_innen ärmer werden. An anderer Stelle werden die Interessen von Familien höher gewertet als z.B. die von Obdachlosen. Sozialpolitische Verschärfungen wie etwa restriktive Hartz IV-Auflagen in Form von Mietobergrenzen, aber auch ein zugeschriebener Migrationshintergrund, ein ungesicherter Aufenthaltsstatus oder eine fehlende Arbeitserlaubnis können den Zugang zu Wohnraum, insbesondere in innerstädtischen Bereichen, erschweren oder gar verunmöglichen.

Das Leben im Stadtteil orientiert sich für uns an einem solidarischen Begriff von Gesellschaft. Dies bedeutet Parteilichkeit mit denen, welchen existentielle Rechte entzogen werden und die ausgegrenzt werden, Kritik an denen, die von dieser Entwicklung auf Kosten anderer profitieren wollen. Dazu gehört auch, eine Stadtentwicklung zu kritisieren, die Wohnraum als Geschäft und Privileg für Menschen mit Geld betrachtet. Platz und Bewegungsfreiheit, eine Wohnung oder ein Wagenplatz sind für uns keine Frage des persönlichen Besitzes, sondern das gesellschaftliche Recht aller.

Die aktuellen Wohnungsbauprogramme sind vor allem ein politisches Instrument, die Stadtteile im ökonomischen Sinne des Senates weiter aufzuwerten und damit den Mietenwahnsinn zu verschärfen. Statt Wohnraum im Interesse aller zu vergesellschaften, werden durch den Senat neue privatwirtschafliche Investitionsräume geschaffen und die Stadt auf vielen Ebenen privatisiert. Statt irgendwie Wohnungen zu bauen, die später in erster Linie der Mittelschicht zugute kommen, ist es notwendig, eine solidarische Stadt zu entwickeln mit der Vorgabe, die vorhandenen Ungerechtigkeiten nicht zu verschärfen, sondern abzuschaffen. Wir wollen weder, dass unter dem Vorwand des Wohnungsbaus jede Grünfläche in Hamburg plattgehauen wird, noch, dass Bauwagenplätze oder Menschen auf der Straße vertrieben werden.

Die fortlaufende Zerstörung von günstigem Wohnraum durch Leerstand und Luxussanierung, die fortschreitende Umstrukturierung und Aufwertung in den Stadtteilen bleiben ein zentraler Faktor der Wohnungsnot. Hausbesetzungen und Proteste gegen Gentrifizierung bleiben ein wirksames Mittel der Selbstverteidigung.

Stadt selbst machen

Zwei bis dreimal im Jahr wird das Schanzenviertel mittlererweile zum Gefahrengebiet erklärt. Der Begriff besitzt für uns eine Surrealität, die wir auf dem Schanzenfest aufgreifen und darstellen wollen.

Eine Gefahr im Stadtteil geht nicht von denen aus, die Stadt selbst machen, wie auf der Demonstration für den Erhalt der Roten Flora am 30. April, und sich damit gegen Aufwertung, zunehmende Außengastronomie, Ballermannisierung und damit auch zunehmende rassistische, sexistische und homophobe Übergriffe wehren, sondern von jenen, die diese Zustände aufrechterhalten wollen. Von Stadtentwicklungspolitiker_innen und Polizeibeamt_innen, von Miethaien und denen, die es sich leisten können, von allen, die nach unten treten, von Innensenatoren, die meinen, es gehe darum, wer das Sagen habe im Schanzenviertel: „selbsternannte Kräfte oder der Hamburger Senat“.
Gemeint waren und sind damit Anwohner_innen, die sich gegen Aufwertung wehren, zum Teil an den Rand der Stadt verdrängt wurden, um anschließend im Schanzenviertel mit Platzverweisen belegt zu werden. In mehreren hundert Platzverweisen um den 1. Mai manifestierte sich eine selektive Repression und offener Rassismus gegenüber Jugendlichen oder alternativ aussehenden Menschen. Aber auch ältere und szeneuntypische Anwohner_innen waren von Polizeiübergriffen und Gewahrsamnahmen betroffen. Ein solch orwellsches Szenario der totalen Kontrolle soll und wird sich nicht mehr ohne Widerstand wiederholen.

Keine Platzverweise, Gefahrengebiete und Sperrgebietsverordnungen!

Wo die Menschen, die hier leben und sich die Straße nehmen, zum Feind erklärt oder illegalisiert werden, wird Repression und Anpassung an herrschende Normen zum Klebstoff des Zusammenlebens gemacht. Wer oder welche ein Gefahrengebiet im Schanzenviertel ausruft, beschreibt damit vor allem sich selbst und die Gewalt eines Normalzustandes, welcher erhalten werden soll. Nicht was auf den Straßen der Stadt vorgeht, wo Bedürfnisse sich hinwenden und überschlagen oder wo Ängste und Hoffnungen verborgen sind.

Wo Sperrgebietsverordnungen wie in St. Georg erlassen und Sexarbeiter_innen damit an den Rand der Stadt verdrängt und kriminalisiert werden, verschlechtern sich deren Lebensverhältnisse und Möglichkeiten zur Selbstbestimmung. Nicht die Gesundheit und die Bedürfnisse der Betroffenen stehen im Vordergrund, sondern die Wertsteigerung von Immobillien und die Interessen einer etablierteren Mittelschicht. Solidarität im Stadtteil bedeutet deshalb Parteilichkeit zugunsten derjenigen, die in Bürgerbeteiligungsverfahren und öffentlichen Diskursen über den runden Tisch gezogen werden, keine Stimme und keine Rechte haben sollen.

Wir befinden uns im Widerspruch gegen eine Law and Order Politik, die Drogenkonsument_innen gewaltsam von St. Georg in die Schanze, nach St. Pauli oder an den Rand der Stadt verdrängt. Wir wenden uns gegen eine Politik, die Hilfsprojekte dichtmacht, dafür Polizei auf die Straßen stellt, die Lebensverhältnisse von immer mehr Menschen verschlechtert und dann auch noch behauptet, im Interesse eines Gemeinwohls zu handeln.

Öffentliche Räume aneignen - Leerstand besetzen!

So wie wir Leerstand besetzen, um Leben in die Häuser zu tragen, so tragen Gefahrengebiete den Leerstand der Häuser und Wohnungen auf die Straßen. Aber wir werden uns nicht vertreiben lassen! Ein Ausnahmezustand auf der Straße befindet sich im Widerspruch zur Realität des Schanzenfestes, den Lebensbedingungen im Stadtteil, der Situation und Praxis der Roten Flora oder anderen Projekten und Initiativen um Recht auf Stadt in Hamburg.

Eine vermeintliche Gefahr resultiert gemeinhin aus einer Bedrohung. Die Propaganda polizeilicher Gefahrengebiete behauptet, zwei mal im Jahr wäre ein solcher Zustand im Schanzenviertel erreicht. Wir als Menschen, die hier leben, haben einen völlig anderen Blick auf die wirklichen Gefahren, die uns tagtäglich begegnen. Steigende Mieten und die Kommerzialisierung des Stadtteils gehören ebenso dazu wie polizeiliche Repression.

Schanzenfest bleibt Widerstandskultur!

Um einer Kommerzialisierung des Straßenfestes zu begegnen und um den sich selbst erfüllenden Gefahrengebieten der Innenbehörde etwas entgegen zu setzen, wurde ein Termin des Schanzenfestes bisher noch nicht öffentlich gemacht. Dies sollte zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen und so gab es außer Mundpropaganda keine Veröffentlichungen. Wir halten es für überaus bemerkenswert, dass der Termin des diesjährigen Schanzenfestes nun von der Hamburger Polizei veröffentlicht wurde. Wir schließen daraus erstens, dass die Menschen und Initiativen hier im Stadtteil ganz offensichtlich von der Polizei beschnüffelt und überwacht werden, und zweitens, dass es ein ein scheinbar unstillbares Bedürfniss der Innenbehörde nach Medienrandale gibt.

Nachdem die Polizei vor allen anderen bereits ihr Kommen angekündigt hat, wollen auch wir als Anwohner_innen uns nicht lange bitten lassen. Wir fordern alle auf, sich am 20. August zum Teil einer kritischen Masse zu machen, die auf der Straße bleibt und diese der Repression nicht widerspruchslos überlässt. Wir werden gegen mögliche polizeiliche Übergriffe oder Platzverweise intervenieren und die Polizei nicht unbeobachtet lassen. Wasserwerfer und Großaufgebote der Polizei haben während und nach dem Fest nichts im Schanzenviertel verloren und schon gar nicht, die Straßen in menschenleere Korridore zu verwandeln.

Beteiligt euch am Straßenfest, kommt ins Schanzenviertel, habt Spaß und feiert, macht unkommerzielle und politische Stände, nehmt euch die Straße als Ort der Kommunikation und des Widerspruchs. Markiert am Samstag, dem 20. August die wirklichen Gefahren in diesem Gebiet und der Stadt, um die Gefahrengebiete der inneren Sicherheit zu delegitimieren.

Mietenwahnsinn und Gentrifizierung stoppen!
Einstellung aller Verfahren gegen Hausbesetzer_innen - Freiheit für Oz und alle anderen, die diese Stadt bunt werden lassen!
Im Schanzenviertel, St. Georg und überall: Recht auf Straße für Alle!

Straßenfest im Schanzenviertel
Samstag 20. August
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Ergänzungen

Mietenwahnsinn stoppen!

Wohnraum vergesellschaften 24.07.2011 - 22:49
Mehr Infos zur Kampagne "Mietenwahnsinn stoppen":
 http://mietenwahnsinn.rechtaufstadt.net/

nix da

nix da.... 26.07.2011 - 20:01
juhu...!!!
endlich wieder feiern...termin ist auch pestens...
nicht meckern hingehen...
 http://www.youtube.com/watch?v=tifwc7aESSA&feature=related

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Termin passt doch — Anwohner

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