Organisierung für den Kommunismus

D E B A T T E N B E R I C H T 12.07.2011 12:19
Seit März wurde von einem Diskussionskreis von – aus unterschiedlichen trotzkistischen Traditionen kommenden – Einzelpersonen eine neue Organisierungsdebatte angestoßen. Sie versuchen damit auf einen Vorschlag der – aus norddeutschen autonomen Zusammenhängen entstanden – Kleinorganisation Avanti, einer Mitgliedsgruppe der Interventionistischen Linken (IL) (1), für eine neue „kommunistische Perspektive“ zu antworten:
„Dem – wahrscheinlich und hoffentlich weitgehend abgeschlossenen – Zerfallsprozess der Linken, wohnt gleichzeitig die Chance für einen Neuanfang inne. Das gilt auf dem Gebiet der Utopie ebenso wie für Organisationskonzepte oder für eine neue Kultur der Zusammenarbeit verschiedener linker Strömungen jenseits der alten Spaltungslinien. Die triste und repressive Realität des Staatssozialismus à la DDR versperrt nicht mehr länger den Blick darauf, was kommunistische Perspektiven für das 21. Jahrhundert sein können. […]. Dabei kann es aus unserer Sicht heute nicht mehr wie bei den traditionellen kommunistischen Parteien um Strukturen gehen, die auf Zentralismus und Gefolgschaft aufbauen, sondern wir sehen Autonomie, Vertrauen und das bewusste Herstellen von Gemeinsamkeit als die zentralen Prinzipien unserer Organisation an.“
( http://www.avanti-projekt.de/sites/default/files/InterventionWeb.pdf).

Mittlerweile gibt es die ersten Stellungnahmen von weiteren Gruppen-Zusammenhänge und Einzelpersonen aus unterschiedlichen Spektren. All diese Debattenbeiträge werden für die gemeinsame Fortsetzung der Diskussion in dem neuen blog „Neue antikapitalistische Organisation? Na endlich!“ gesammelt.(2)

ANTIKAPITALISMUS - UND WAS NOCH?

Mit diesem Namensvorschlag ist auch schon der erste der bisher zur Sprache gekommenen Diskussionspunkte benannt: Soll der Antikapitalismus wirklich dermaßen einseitig im Zentrum von Selbstdarstellung, Inhalten und Strategie der neuen Organisation stehen? Oder müssen die Begriffe „kommunistisch“ und „revolutionär“ heute breiter gefaßt werden? Der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) schließt sich in seinem Debattenbeitrag letztgenannter Auffassung an: „Dem Eintreten gegen männliche Unterdrückung, Sexismus und Homophobie sowohl auf politischer als auch auf privater Ebene als auch im Rahmen linker Organisationen und Politik messen wir eine zentrale Bedeutung bei.“ ( http://www.rsb4.de/content/view/4336/84/1/2/)
Bei „Avanti. Projekt undogmatische Linke“ wird ohnehin mehrheitlich die Auffassung vertreten, daß „Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus [… die] grundlegende[n] Strukturen [sind], die unsere heutige Gesellschaft wesentlich organisieren. […]. Sie sind miteinander verwoben, unterstützen sich gegenseitig und widersprechen sich auch manchmal. Alle drei Unterdrückungsformen sind gleichwertig.“(3) (Eine Minderheit bei „Avanti“ ordnet das Verhältnis von Rassismus zu Kapitalismus und Patriarchat analytisch etwas anders ein.) Gegen die These von der analytischen und strategischen Gleichwertigkeit hatten die Debatteninitiatoren gewisse Vorbehalte erkennen lassen, in den blogs „Entdinglichung“ und „Theorie als Praxis“ wurde sie dagegen unterstützt.(4)

DER GEEIGNETE ZEITPUNKT?

Insbesondere zwei Autoren der Berliner online-Zeitung „trend“, Karl-Heinz Schubert und Meinhard Creydt, bezweifeln, daß gegenwärtig der geeignete Zeitpunkt für ein derartiges Organisierungsprojekt ist. Deren – passagenweise etwas geschichtsdeterministisch-fatalistisch klingenden – Ausführungen hält Frank Braun aus Köln entgegen, daß sich allein schon durch eine Vernetzung der zersplitterten revolutionären Linken die Möglichkeit verbessern würden, die von Schubert und Creydt verlangten analytischen und programmatischen Vorarbeiten für eine spätere Organisationsgründung tatsächlich zu leisten und nicht nur zu postulieren.(6)
In diesem Sinne hatte die Sozialistische Kooperation, die ihren regionalen Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen hat, bereits im März vorgeschlagen: „wir [streben] eine Kooperation bereits existierender antikapitalistischer, jedoch meist zersplitterter Kräfte an. Es gilt, einen gesellschaftlich wahrnehmbaren antikapitalistischen Pol aufzubauen, der die solidarische Debatte zur Lösung anstehender Fragen pflegt und darüber hinaus gemeinsame Kampagnen und Initiativen voranbringt. Dabei erwarten wir keinen ‚Bruch’ und auch kein ‚Abschwören’ von der eigenen biografischen Vergangenheit oder organisatorischen Bindungen. Jede/r ist willkommen, der/die sich solidarisch einbringen will und mithilft, damit der Wind sich dreht und dem Kapitalismus eine Alternative entgegen gestellt werden kann. Keine der derzeitigen Strömungen oder Gruppierungen der politischen Linken ist derzeit aus sich heraus in der Lage, die anstehenden Aufgaben zur Schaffung einer antikapitalistischen Linken bewältigen zu können. Kooperation ist an der Tagesordnung!“ ( http://www.sozialistische-kooperation.de/soko_faq/soko_faq_antikap_netzwerk.pdf)
Auch diese Passage verweist freilich auf die Wichtigkeit des ersten Diskussionspunktes: Wenn die erste Frage im nicht-klassenreduktionistischen Sinne beantwortet wird, dann wäre auch insofern nicht nur von einem antikapitalistischen, sondern auch anti-patriarchalen und anti-rassistischen Pol zu sprechen – soweit unter gegenwärtigen Bedingung gemeinsame Organisationen von Frauen und Männern überhaupt anti-patriarchal sein können; und entsprechend im Falle des Rassismus.

PROGRAMMATIK

Insbesondere Robert Schlosser hat die Frage nach der Programmatik der evtl. zu gründenden Organisation aufgeworfen. Er schreibt: „Gäbe es eine politische Organisation, die konsequent
– für die Rente mit 60,
– eine Begrenzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden die Woche bei vollem Lohnausgleich,
– eine Begrenzung von Nacht- und Schichtarbeit auf ‚unökonomisch’ sinnvolle und notwendige Bereiche,
– für eine Selbstverwaltung der Sozialversicherungen durch die Versicherten, Bestreitung der Kosten durch das Kapital und Beseitigung aller privaten Sozialversicherungen,
– für die Anhebung des Arbeitslosengeldes I und Verlängerung der Dauer seiner Auszahlung,
– für die Abschaffung der indirekten Steuern und drastische Erhöhung der direkten Steuern auf hohe Einkommen,
– für unendgeldlichen öffentlichen Nahverkehr,
– für gebührenfreies Studium,
– für eine einheitliche Ganztagsschule bis zum 10. Schuljahr
streiten würde,
[…], dann wäre das […] eine […] Organisation, die […] keineswegs sozialistisch zu nennen wäre“. Trotzdem lohne es sich im Kapitalismus für derartige Forderungen zu streiten, und eine Organisation, die dies tue, könne zu einem „Parteibildungsprozess des Proletariats“ beitragen. Allenfalls dieser und nicht eine Parteigründung, die allerdings auch von den Debatteninitiatoren nicht vorgeschlagen wurde, stehe heute auf der Tagesordnung.(7)
Wal Buchenberg schlägt vor, die von Schlosser genannten – das System der Lohnarbeit als solches nicht in Frage stellenden – Forderungen zu einem „revolutionäre[n] Minimalprogramm“ auszubauen und nennt folgende Ergänzungspunkte:

(Fortsetzung nach dem Info-Kasten)


### INFO-KASTEN: WICHTIGE DEBATTEN BEITRÄGE ###

-- „Neue antikapitalistische Organisation? Na endlich! Worüber müssen wir uns verständigen und worüber nicht“ von Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg
 http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=10744&Itemid=129

-- „Kontrovers, aber erfrischend. Berliner Initiative schiebt Diskussion um Neugruppierung der radikalen Linken an“ von Rainer Balcerowiak
 http://www.jungewelt.de/2011/06-24/039.php?sstr=Sch%F6neberg

-- „Eine wirklich ‚Neue Linke“ muss emanzipatorisch sein – oder sie wird nicht sein“ von Barbara Suhr-Bartsch
 http://arschhoch.blogsport.de/2011/06/27/eine-wirklich-neue-linke-muss-emanzipatorisch-sein-oder-sie-wird-nicht-sein/

-- „Nächster Versuch“ von tos
 http://www.lafontaines-linke.de/2011/06/naechster-versuch-neue-antikapitalistische-organisation-debatte/

-- „Erste Anmerkungen zu ‚Zehn Punkte, über die wir diskutieren sollten’ von Entdinglichung
 http://entdinglichung.wordpress.com/2011/06/05/erste-anmerkungen-zu-zehn-punkte-uber-die-wir-diskutieren-sollten/

-- „Der sofortige Aufbau einer revolutionär-proletarischen Partei’ steht nicht auf der Tagesordnung von Karl-Heinz Schubert
www.trend.infopartisan.net/trd0611/t290611.html

### ENDE DES INFO-KASTENS ###


„– Kommunalisierung und Demokratisierung von Energieversorgung, Lebensmittelversorgung und Transportwesen,
– Kommunalisierung und Demokratisierung des Bildungswesens,
– Kommunalisierung und Demokratisierung aller Staatsfunktionen, einschließlich der Militärgewalt“.(8)
So beispielhaft-unsystematisch und weitgehend klassenzentristisch wie die genannten Forderungen auch sind – sie machen doch immerhin deutlich, daß eine der in der weiteren Diskussion zu klärenden Frage lautet: Soll es um eine Organisation gehen, die explizit revolutionäre Positionen einnimmt und für diese in sozialen Bewegungen, Bündnissen usw. argumentiert? Oder um eine Organisation, die nur beansprucht, die Interessen von Lohnabhängigen im gegebenen Rahmen konsequenter zu verfechten als dies die Linkspartei tut?

SCHUTZ VOR REPRESSION UND INNERORGANISATORISCHE DEMOKRATIE

Noch bevor die aktuelle Organisierungsdebatte richtig in Gang kam, hatte Inge Viett bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt die grundsätzliche Notwendigkeit einer revolutionären Organisation postuliert, die in Teilbereichen klandestin organisiert sein müsse: „Eine Organisation/Partei, kann zwar fortschrittlich, antikapitalistisch, marxistisch/leninistisch sein, aber nicht revolutionär, wenn sie nicht in bestimmten Bereichen (Kommunikation, Strukturen, Verantwortlichkeiten) klandestin ist.“ Denn eine kämpferische Praxis stoße unweigerlich auf Repression. „Aus diesem Grund dürfen eine revolutionäre Organisation nicht komplett offen vom Klassengegner einzusehen, die Mitglieder und Strukturen nicht alle bekannt, das inhaltliche, logistische und finanzielle Vermögen nicht jederzeit angreifbar sein usw.“
Dagegen wandte Edith Bartelmus-Scholich, Redakteurin der Online-Zeitung scharf-links, ein: „Eine solche Partei ohne zur Gesellschaft offene Debatten, mit verdeckten Strukturen und Leitungen, die sich aus miteinander vertrauten Kadern zusammensetzen, leistet […] keinen emanzipatorischen Beitrag. Sie wird nicht von den Mitgliedern regiert. Lernprozesse erreichen so nicht die nötige Breite.“

DIE DEBATTE IST ERÖFFNET


(1)  http://www.dazwischengehen.org/

(2)  http://arschhoch.blogsport.de/2011/06/25/antworten-und-andere-texte/

(3)  http://www.avanti-projekt.de/avanti/grundsatzpapier/kapitel2

(4)  http://entdinglichung.wordpress.com/2011/05/17/hinweis-auf-einen-debattenbeitrag-zu-neue-antikapitalistische-organisation-na-endlich-woruber-mussen-wir-uns-verstandigen-und-woruber-nicht/#comment-3150 und  http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/15/antikapitalistisch-ist-nicht-revolutionaer-genug/

(5)  http://www.trend.infopartisan.net/trd0611/t290611.html und  http://www.trend.infopartisan.net/trd7811/t227811.html .

(6)  http://arschhoch.blogsport.de/2011/07/06/jeder-schritt-wirklicher-bewegung/

(7)  http://www.trend.infopartisan.net/trd7811/t017811.html

(8)  http://marx-forum.de/diskussion/forum_entry.php?id=5446

(9)  http://www.kommunisten.at/article.php?story=20110104144910605

(10)  http://www.scharf-links.de/90.0.html?&tx_ttnews[pointer]=11&tx_ttnews[tt_news]=13991&tx_ttnews[backPid]=48&cHash=410b412307

(11)  http://anticapitalistas.org/ und  http://es.wikipedia.org/wiki/Izquierda_Anticapitalista
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Ergänzungen

Der Artikel als pdf-Datei

D E B A T T E N B E R I C H T 12.07.2011 - 12:40

Oben stehender Artikel zum Ausdrucken und Lesen.

(1) Quelle des Fotos:  http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/52/Rosa_Luxemburg.jpg/220px-Rosa_Luxemburg.jpg

Trotzkisten!!

InSektenBeauftragter 13.07.2011 - 21:59
Dazu passt ein Text über linke Retroutopien.
(Auszug)

 http://ostendfaxpost.redio.de/polit/politsekten27.html#Linke_Utopien

Trotzkistengruppen haben ihren utopischen Zustand in die Sowjetunion zur Zeit Lenins verlegt. Was nach Trotzki kam war für sie nur noch ungenießbar. Diesen Zustand wiederherzustellen ist ihr Fernziel. Das Trotzki nicht weniger bedenkenlos die Machtmittel nutzte als Stalin, ignorieren sie dabei.

Fortsetzung (v. 26.7.) zum Artikel

D E B A T T E N B E R I C H T 27.07.2011 - 19:06

Fortsetzung vom 26.7.11 zu obenstehendem Artikel:

 http://de.indymedia.org/2011/07/312585.shtml?c=on

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Wenn das... — D E B A T T E N B E R I C H T

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