Demmin: Endlich erfolgreiche Proteste

Tim Krugfelch 09.05.2011 19:26 Themen: Antifa
Es ist ein erneuter Rückschlag für die Naziszene in MV. Nach dem blockierten Aufmarsch am 1. Mai in Greifswald (Bericht) regt sich nun auch in der "Provinz" Widerstand gegen die braunen Umtriebe. Vor einigen Jahren rief der Bürgermeister noch dazu auf, bei Naziaufmärschen "Türen und Fenster geschlossen zu halten". Nach der Intensivierung der Zusammenarbeit antifaschistischer Gruppierungen und der Zivilgesellschaft gelang es nun erstmals den schon traditionellen Naziaufmarsch massiv zu stören.

Massenpsychose und Kriegsverbrechen als Anlass

Sie wollten wohl noch einmal Helden spielen. Fanatisierte Anhänger des Nationalsozialismus reißen die Kleinstadt Demmin (Vorpommern) kurz vor Kriegsende noch in ihr Unglück, die zunächst von den Kämpfen weitgehend verschont worden war. Sie sprengen Brücken, ermorden russische Parlamentäre und Offiziere. Die Angst vor der roten Armee sitzt tief in der Bevölkerung. Jahrelange Propaganda vom "slawischen-bolschewistischen Untermenschentum" und tatsächlich seitens Angehöriger der roten Armee begangene Kriegsverbrechen, im Zuge der Niederringung der nationalsozialistischen Barbarei, verfehlten ihre Wirkung nicht. Nun fürchtet man in Demmin der Rache der Rotarmisten, die auch prompt folgt. Auch wenn der genauen Ablauf nicht geklärt ist, die Stadt wird geplündert und gebrandschatzt. Aus der nicht unbegründeten Angst vor Vergewaltigungen oder in der Annahme ein Leben ohne die geliebte Volksgemeinschaft sei nicht lohnenswert nehmen sich zahlreiche Einwohner das Leben.

Ein Trauma über das in der DDR nicht gesprochen werden durfte. Nach der Wende drängten sich sich mutmaßliche und tatsächliche Zeitzeugen auf. Obgleich Demmin nie den Rang einer "Gustloff", eines Dresden erreichte oder allgemein im Kontext von "Flucht und Vertreibung" auftaucht, fügte sich auch in Demmin in das gewandelte Geschichtsbild der neuen BRD ein. Kein Wunder also, dass auch hier Neonazis Chancen witterten mit ihrer Lesart der Geschichte auf Stimmenfang zu gehen.

Dass nur die Angriffe der Alliierten im allgemeinen und die der roten Armee im besonderen den Vernichtungswahn der Nationalsozialisten stoppen konnten, geriet dabei nämlich auch in den lokalen Zeitungen und der "oral history" schnell in Vergessenheit. Stattdessen geisterten teils absurde Angaben über die Anzahl der Suizide im Raum. Wie auch in Dresden, befassten sich Historiker intensiv mit der Aufarbeitung. Wobei es hier im Unterschied zu Dresden auch ein tatsächliches "Forschungsverbot" bestand. Aktenstudien im lokalen Museum bestätigten die alte Zahlen und verwiesen die Angaben der Neonazis, die sich auch jedes Jahr erhöhen ins Reich der Mythen.

Ungestörte Fackelmärsche

Die Neonazis versuchen die Ereignisse in ihrem Sinne zu vereinnahmen. Anhand von Demmin wird die Mär erzählt vom "alliierten Vernichtungswillen" und "Befreiuungslüge". Während Neonazis nicht selten versuchen durch Populismus Aufmerksamkeit zu erregen, sieht man gerade am Beispiel Demmin wessen Geistes Kind sie hin. Es ist der unverholend positive Bezug auf die NS-Verbrecher, welche erst den Anlass für die Ausschreitungen gaben, der sie entlarvt. Mehrere hundert Neonazis nahmen in den vergangenen Jahren an den Aufmärschen teil. Widerstand gab es dagegen kaum. Und so konnten die Nazis ihre Fackeln entzünden durch den Ort marschieren und Kränze in die Peene werfen, in der sich viele damals ertränkt hatten. Immerhin konnte der Kranz im letzten Jahr aus dem Wasser gefischt werden und 60 Menschen störten am Rande.

Brauner Mist stinkt

In diesem Jahr hingen am Rathaus Transparente gegen Rechts, eine Schule holte sich eine Wanderausstellung des VVN-BdA in ihre Räume. An einem Befreiuungsfest nahmen mehr als 300 Menschen teil. Jugendliche versuchten die Strecke zu blockieren, konnten jedoch von der Polizei geräumt werden. Unbekannte verteilten Gülle und Mist auf der Aufzugsstrecke und das Geräusch eines kreisendes Polizeihubschraubers, sowie antifaschistische Parolen versauten dann auch noch die stille Andacht. Zu guter Letzt konnten antifaschistische Kampfschwimmer auch in diesem Jahr den Kranz bergen und einer sinnvollen Verwendung zuführen.

Bereits am Nachmittag hatte ein von der Stadt organisiertes Bürgerfest begonnen. Neonazis, die vereinzelt versuchten auf das Gelände zu kommen, wurden vom Veranstalter abgewiesen. Im letzten Jahr hatten sich Anwohner zusammengeschlossen, um den Naziaufmarsch etwas entgegen zu setzen. Zwar konnte der Naziaufmarsch nicht blockiert werden, jedoch hatte dies auch kaum jemand ernsthaft erwartet. Während die Nazis versuchten im Fackelsschein still durch die Straßen zu ziehen, schallte es ihnen vom gegenüberliegenden Peeneufer lautstark entgegen. Parolen wie "Ihr habt den Krieg verloren!" und "Eene meene Nazis in die Peene" mussten die Nazis ertragen, die sich sichtlich darüber ärgerten, ging durch den Protest der bisherige Charakter ihrer Veranstaltung verloren. Neben 300 Beamten hatte die Polizei auch einen Hubschrauber eingesetzt, der durch seine Rotorengeräusche die Nazis mehrfach dazu zwang ihre Reden zu unterbrechen.

Anders als z.B. in Teterow, wo es im März seitens der Stadt aus Angst vor "Extremisten beider Lager" keinerlei offizielle Gegenaktivitäten gab, agierte hier die Stadt geradezu offensiv. Dieses Engagement, vor allem auch seitens der Zivilgesellschaft, zeigte nun Wirkung. In diesem Jahr wurde die Voraussetzungen dazu geschaffen, den Naziaufmarsch künftig noch vehementer zu bekämpfen, ihn in absehbarer Zeit zu blockieren und perspektivisch abzuschaffen.

Sorgen müssen sich die Nazis schon ohnehin machen. Schon letztes Wochenende konnten sie nur 350 Anhänger mobilisieren und blieben hinter den eigenen Erwartungen deutlich zurück. Mangels Alternativveranstaltungen am 8.Mai gibt es für die Nazis nun in Demmin keine Ausrede mehr. Mit nur 200 verfehlte man nicht nur deutlich die Vorjahreszahlen (2010: ~ 270). Es ist auch ein weiterer Rückschlag für den Landtagswahlkampf der NPD, die nun schon zum zweiten Male deutliche Mobilisierungsschwächen zeigt.

Antifa-Offensive 2011

Offensichtlich zeigen nun Aktionen Wirkung, die bereits länger zurückliegen. So fand im Sommer 2010 im Rahmen des linksradikalen "Ajucacamps" eine Demonstration in Demmin statt. Die antifaschistische Ska-Band "Feine Sahne Fischfilet" hatte absichtlich ihre CD-Releaseparty in Demmin stattfinden lassen, um linke Strukturen auf diese Art und Weise zu stärken.
Allgemein bewegt sich etwas in MV. In den letzten Monaten kam es verstärkt zu so genannte "Outings", die teilweise zum Rückzug einiger Naziakteure führten. Zum nunmehr vierten Mal brannte das Privatauto des NPD-Landesvize David Petereit. Gerüchten zur Folge soll die 'NSR - Nationale Sozialisten Rostock" aka 'Nur Schnell Rennen' ihren Ruf nicht gerecht worden sein. Mutmaßliche Mitglieder der 'NSR' sollen in jüngster Zeit mehrfach den Moment zur Flucht verpasst haben und eine für sie unerfreuliche Begegnung der antifaschistischen Art machen mussten. Gut besuchte linke Infoveranstaltungen und Konzerte, sowie die Erfolge von Greifswald und Demmin zeigen deutlich, dass die Aktivitäten zur Verhinderung des Wiedereinzugs der NPD in den Landtag deutlich an Fahrt zugelegt hat.

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Ergänzungen

Video vom Kranz

Kranzfänger 09.05.2011 - 23:11
Ein Video vom schlecht brennenden weilnassen Kranz ist hier zu finden:
 http://www.youtube.com/watch?v=BMwJZf-zqeY&feature=channel_video_title

Noch ist nicht alles gut

ptm 10.05.2011 - 17:45
Es war ein kleiner Erfolg für die Antifa in Demmin. Nichtsdestotrotz ist es beängstigend, wenn im Vorfeld Faschonasen an jeder Ecke stehen, ihre Scheisse offen auf Klamotten durch die Gegend tragen und ihre Golfs mit Kennzeichen à la "DM YO 88" unbehelligt parken können. Auch wenn im obrigen Artikel von einem verfehlten Ziel der Faschisten gesprochen wird, kann von Entwarnung keine Rede sein. Von nur 200 zu sprechen klingt wie Hohn. Es waren vorallem nicht nur die Streetfighter im Zug, sondern auch Familien und Kinder. Kaum einer maskiert und trutschig die Lüge vom Opferomiopa glaubend. Ohne Scham, ganz offen. Und hässlich, richtig hässlich. Gibts noch mehr Fotos und kennt jemand ein paar Namen?
Ein Feuerwerk wäre noch schön gewesen.

@ Antifaschistischer Hubschrauber

MV 10.05.2011 - 18:55
Noch nie in MV gewesen wa? Vergleiche einfach, dass was die Stadtoberen noch vor wenigen Jahren gemacht haben, mit dem was am Sonntag passiert ist.

Presse:  http://links-lang.de/presse/11073.php

 http://links-lang.de/presse/11070.php

Weitere Berichte

rhpk 10.05.2011 - 19:07
Es gibt noch mehr Fotos von den Nazis, der link wird hier demnächst veröffentlicht werden. Auch Namen und anderes sollt ihr bekommen.

Mit dem Demokratiefest waren auch ein paar mehr aus der Region Demmin unzufrieden. Das Ziel war aber auch, dass die Menschen aus Demmin aus den Häusern kommen und offen zeigen, dass sie gegen die Nazis sind. An diesem Punkt ist wirklich einiges passiert. Für die nächste Zeit sind auch diverse kulturelle Veranstaltungen in Planung. Und auch das wird den Nazis langsam das Wasser abgraben.

Wenn nicht mehr gelaufen ist lag es daran, dass es schwer ist Antifaschist_innen zu begeistern in die Provinz zu kommen. Ich würde mich freuen wenn in nächster Zeit da mehr läuft, seid kreativ, auch an anderen Orten in der "Provinz". Und falls die Faschos das nächste Jahr wieder laufen wollen sollten wir einfach mehr sein bei allen Aktionsformen. Diesmal waren es z.B. halt nur dreißig die sich hinsetzen, 20 die daneben stehen und ein paar Dutzend die es verpassten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Immerhin gab es diesmal mehrere direkte Aktionen, was es so davor nicht gab.

Fotos: Proteste gegen Naziaufmarsch in Demmin

Umbruch Bildarchiv 20.05.2011 - 12:56

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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"Antifaschistischer" Heli — ist trotzdem Bullenscheiße

@Kommentar von MV — Hubschrauberabsturz

Nazis kotzen richtig ab — youthcrew