Lampedusa: Sturm auf die Festung Europa

medientanten_onkels 14.02.2011 12:20 Themen: Globalisierung Weltweit
Seit den Veränderung im Maghreb und der arabischen Welt und dem damit einhergehenden teilweisen Zusammenbruch der Behördentätigkeit, steigt der Flüchtlingsstrom vor allem aus Tunesien deutlich an. Die Flüchtlinge steuern mit meist gemeinsam gekauften Booten die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa an, auf der sich ein Auffanglager befindet.
Das Lager wurde vor wenigen Tagen wiedereröffnet. Es war längere Zeit nicht in Benutzung, weil bilaterale Abkommen zwischen Italien und den afrikanischen Mittelmeer-Anrainern den konstanten Strom von Flüchtlingen aus Afrika unterbunden haben. So haben die tunesischen Behörden bereits auf dem Festland oder in ihren eigenen Staatsgewässern die Flüchtlinge abgefangen.

Nun funktionieren diese Behörden nicht mehr und die Abkommen sind zunächst hinfällig. Das Lager auf Lampedusa ist für 800 Personen ausgelegt, derzeit befinden sich nach italienischen Angaben etwa 2600 Flüchtlinge auf der Insel. Das ist mehr als die Hälfte der einheimischen Bevölkerung. Da in den letzten vier Tagen mehr als 5000, allein gestern 1000 Menschen aus Tunesien eingetroffen sind, werden viele bereits weitergeflogen, um auf dem Festland in andere Lager verteilt zu werden.

Der italienische Innenminister bittet die EU um Hilfe. Er warnt davor, dass an der tunesischen Küste zehntausende Menschen zur Abfahrt bereit sind und die Behörden nicht in Lage sind, die Situation zu kontrollieren. Er spricht von einer sich anbahnenden „humanitären Krise“, die früher oder später auch Italien treffen werde. Italien bot Tunesien behördliche und militärische Hilfe bei der Bewältigung der Aufgaben an. Tunesien verbat sich allerdings eine Einmischung in innere Angelegenheiten des Landes.

In den letzten Tage sind wohl mindestens 33 Menschen bei dem Versuch, auf diesem Weg nach Europa zu gelangen, gestorben. 29 davon, weil sie nach italienischen Angaben von einem tunesischen Marineboot gerammt wurden.

Wer es geschafft hat, bittet um Hilfe. Ein Flüchtling: „Alle, die ihr hier seht, kommen aus Tunesien, wir haben Angst. Unsere Revolution hat nichts verändert. Wir wollen nur die Möglichkeit, in Europa zu arbeiten. Ich rede nicht allein von Italien, sondern von ganz Europa. Wir bitten das italienische Volk: Helft uns!“

Es ist davon auszugehen, dass sich die Möglichkeit über Tunesien nach Europa zu gelangen in Afrika herumspricht. Das bedeutet, dass in den nächsten Monaten wohl mit einem stärkeren Migrationsstrom innerhalb Afrikas Richtung Norden zu rechnen ist. Das wiederum wird dafür sorgen, dass die EU ihre Anstrengungen intensivieren wird, die Festung Europa gegen diesen Zustrom zu verschließen.

Dies ist eine aus Zeitgründen kurz gehaltene Zusammenfassung von Medienberichten. Quellen sind vor allem tagesschau.de, euronews.net, stern.de und wikipedia.org. Um Ergänzungen wird gebeten.
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Ergänzungen

Innenkommissarin Malmström morgen in Berlin

... 14.02.2011 - 15:09
Verantwortlich für einen Einsatz der zivil-militärischen EU-Grenztruppe Frontex ist im administrativen Sinne die EU-Kommission und mithin die Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström. Malmström wird morgen mittag beim sogenannten "Europäischen Polizeikongress" erwartet. Am Nachmittag protestieren NetzaktivistInnen gegen die Politik der Europäischen Union und mithin Malmström wegen Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung.

Während Italiens Innenminister Maroni gern die auch innerhalb der Europäischen Gendarmerietruppe (EGF) verwendeten italienischen Polizeisoldaten der Carabinieri in Tunesien stationieren will, wird Malmström womöglich die Verwendung von Frontex als die zivilere Initiative lancieren. Beides illustriert den Kampf um Vorherrschaft in Tunesien nach der Revolte.

Lesenswert:  http://www.fr-online.de/politik/carabinieri-nach-tunesien/-/1472596/7187640/-/index.html

"Malmström: Passagierdaten an Terrorfahnder"

cccp 14.02.2011 - 16:04
EU-Kommissarin Cecilia Malmström am 16.02.2011 in Berlin

Laut aktuellem Programm wird die EU-Kommissarin für Inneres Cecilia Malmström ("data retention is here to stay") am 16.02.2011 um 12:00 Uhr auf dem 14. Europäischen Polizeikongress in Berlin sprechen.

Die Ortsgruppe Berlin hat organisiert, sie mit einer Kundgebung (Beginn 16:00 Uhr; das Motto könnte z.B. sein "data retention is NOT here to stay") direkt vor dem BCC zu empfangen/verabschieden. Dabei wollen wir sie lautstark wissen zu lassen, dass wir die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung endgültig vom Tisch haben wollen und auch keine "Vorratsdatenspeicherung light" mögen. Darüber hinaus werden wir auch die Kritik an den geplanten EU-Netzsperren und die Fluggastdatenspeicherung (PNR) vorbringen. Von 15:00 bis 16:00 Uhr wird das Gen-Ethische Netzwerk auf den zunehmenden Aufbau und die europaweite Verknüpfung von DNA-Datenbanken hinweisen.

Die Anmeldung der Kundgebung bei der Versammlungsbehörde ist erfolgt (stationäre Kundgebung, kein Demozug). Die Nutzung des Platzes vor dem BCC ist mit der Polizei abgesprochen; also lasst euch nicht abweisen. Texte des Liedes "Die Gedanken sind frei" auf deutsch und englisch werden vor Ort verteilt.

Etwas schwierig ist es, im Februar an einem Mittwoch ab 12:00 Uhr mehr als eine handvoll Leute zu mobilisieren. Hier sind also alle gefragt, damit wir möglichst sichtbar sind.

14. Europäischer Polizeikongress

Der 14. Europäische Polizeikongress findet am 15./16.02.2011 im Berliner Congress Center (BCC) am Alexanderplatz statt. Im vergangenen Jahr sorgte der Rauswurf eines für seinen Arbeitgeber teilnehmenden IT-Experten für Aufmerksamkeit. Ihm wurde grundlos ein "Verstoß gegen die Geschäftsbedingungen" vorgeworfen, weil er u.a. auch Mitglied des Chaos Computer Clubs ist.

Gegen den Europäischen Polizeikongress und die dort verbreitete "Sicherheits"ideologie gibt es seit mehreren Jahren intensive Proteste und Widerstand. Beispielsweise fand dieses Jahr am 29./30.01. ein Gegenkongress unter dem Titel entsichern-Kongress statt.

An alle Dumpfbacken

osten 14.02.2011 - 18:00
Mensch stelle sich vor, 1989 hätte die Regierung der BRD und ihre getreuen in der EU etc. die Bundespolizei oder gar Bundeswehr an die Mauer, den Todesstreifen zwischen den beiden deutssprachigen Staaten oder an der österreich-ungarischen Grenze gestellt und den "kletternden, fliehenden" Ossi die Knarre vors Gesicht gehalten oder gesagt, he bleibt drüben - rennt doch bitte nicht in Eurer Unglück... Wenn ich die Nachrichten über die vorwiegend jugendlichen Menschen aus Nordafrika sehe und die Reaktion in der EU, dann balle ich die Faust und sage: mehr Flüchtlinge, viel mehr müsten kommen!!!

Doppelmoral und eine Verachtung der Menschenwürde, das macht die Politik aus, die die EU am Mittelmeer seid vielen vielen Jahren betreibt. Die sozialen Probleme, die politischen Verhältnisse waren "uns" schon immer egal, hauptsache die Festung ist dicht und "wir" können billig in den Urlaub...Kotze über diese Polittechnokraten

DDR-Denken 2011

Raul Tuka 14.02.2011 - 19:37

Carabinieri in Tunesien

nachbartante 14.02.2011 - 20:28
Ich wage zu bezweifeln, dass es um Carabinieri, geschweige denn um Eurogendfor-Kräfte geht, die Maroni auf Tunesischem Hoheitsgebiet gern einsetzen möchte. Wahrscheinlicher ist, dass er speziell an die Guardia di Finanza denkt. Maroni scheint vielmehr italienische Polizeikräfte zu meinen, die sich sozusagen in bilateralem Einverständnis an der Abriegelung der Küsten und Gewässer Tunesiens beteiligen.

Tunesien hat Hilfsangebot

zurückgewiesen 15.02.2011 - 00:04
Brüssel (dapd). Tunesien hat ein Hilfsangebot Italiens wegen des Ansturms von Tausenden Flüchtlingen auf die italienische Insel Lampedusa zurückgewiesen und sich gegen jede Einmischung in seine Angelegenheiten verwahrt. Die Übergangsregierung werde sich gegen jeden "Angriff auf ihre Souveränität" zur Wehr setzen, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur TAP am Montag das Außenministerium in Tunis. Die EU zeigte sich besorgt und bot Rom Unterstützung an.




In den vergangenen Tagen sind mehr als 4.000 Flüchtlinge auf Lampedusa gelandet. Der italienische Innenminister Roberto Maroni sprach von einem "biblischen Exodus" und bot Tunis die Entsendung von Patrouillen an. Der italienische Innenminister Franco Frattini reiste am Montag zu Gesprächen mit der dortigen Übergangsregierung nach Tunesien.

Ein Sprecher von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström erklärte, Italien habe wegen der Flüchtlingswelle noch keine Unterstützung aus Brüssel angefordert. Bei einer Bitte aus Rom sei etwa eine rasche Entsendung von EU-Grenzschutzexperten möglich, sagte Michele Cercone. Er verwies auf Griechenland: Dort unterstützen EU-Experten unter anderem aus Deutschland die griechischen Grenzschützer bei der Sicherung der Grenze zur Türkei.

Ein Grund für den Flüchtlingsandrang auf Lampedusa ist, dass die tunesischen Behörden ihre Grenze nach dem Regimesturz nicht mehr so stark absichern. EU-Chefdiplomatin Cathrine Ashton reiste am Montag nach Tunis und wollte das Thema ansprechen.

Italien und die EU seien "mit nie da gewesenen Umständen konfrontiert", sagte Kommissionssprecher Cercone. Brüssel sei sich des außergewöhnlichen Drucks auf Italien bewusst. Die EU-Asylbehörde sowie Grenzschutzexperten analysierten seit Samstag die Situation und suchten Wege, den italienischen Behörden zu helfen.

Eine Weiterleitung der Flüchtlingsströme in andere EU-Staaten ist derzeit nicht möglich. Das sogenannte Dublin-II-Abkommen legt fest, dass Asylbewerber bis zur Prüfung ihrer Anträge in dem Land bleiben müssen, in dem sie europäischen Boden betreten haben.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte am Montag am Rande einer Tagung der Deutschen Islamkonferenz über die Flüchtlinge aus Tunesien, er wünsche sich, dass die Tunesier in ihrem Land blieben, um den Übergang zu einer Demokratie mitzugestalten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle kündigte an, die Europäische Union werde die Lage analysieren und über Maßnahmen entscheiden. Er appellierte im Deutschlandfunk an die Menschen in Tunesien, in ihrer Heimat zu bleiben, den demokratischen Wandel zu unterstützen und sich am wirtschaftlichen Aufbau zu beteiligen.