(B) Rückblick: HipHop- Randale 1997

Schönbohm Hate Crew 17.09.2010 11:55 Themen: Freiräume Repression
Am 16.September 2010 zog eine Demonstration gegen Gentrifizierung durch Berlin-Mitte.
Leblose Konsumstrassen und aufgebretzelte Tourist_innen prägen das Bild. Doch dieses Viertel war nicht immer so. Das Morgen stattfindende HipHop Konzi in Neukölln, der Prozess gegen einen Hundertschaftsführer und der Verlust von Freiräumen hängen zusammen.
Ein Rückblick auf den Herbst 97.
Das Verfahren gegen einen Berliner Polizeibeamten,siehe  http://de.indymedia.org/2010/09/290152.shtml reicht bis Ende der 90er Jahre zurück. Da fiel dieser Beamte das erste mal auf.

Zur damaligen Zeit war die Gegend um die Hackeschen Höfe noch geprägt von einer Subkultur, die heute fast verschwunden ist. Am Rosenthaler Platz lungerten viele Punks herum, auf der Oranienburger bewegten sich jugendliche Kleinkriminelle und am Hackeschen Markt gab es HipHop Konzerte. Bei einem dieser Konzerte war auch der oben erwähnte Beamte dabei.
Nach einem überzogenen Einsatz gegen Sprüher (der inzwischen übrigens im Lehrbuch für Polizeitaktik als exemplarischer Fall geführt wird) kam es zur Randale. In der Berliner Zeitung von damals liest sich das so:

 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1997/0922/lokales/0097/index.html
"Straßenschlacht in Mitte
Nach Festnahmen flogen Steine / Mit Baumaterial Straßensperren errichtet

Eine Straßenschlacht mit der Polizei haben sich rund 150 Menschen in der Nacht zum Sonntag am Hackeschen Markt im Bezirk Mitte geliefert. Anlaß der gewalttätigen Streitereien: Polizeibeamte hatten drei Personen festgenommen, die gegen 1.30 Uhr Flaschen auf eine vorbeifahrende Straßenbahn geworfen und mit Spraydosen Busse besprüht hatten.

Die Gruppe, die nach Angaben der Polizei der linksalternativen Szene angehört und zuvor das Konzert einer Punk-Band besucht hatte, versuchte die Festgenommenen aus dem Mannschaftswagen zu befreien. Polizisten wurden mit Steinen und Flaschen beworfen.

Daraufhin zogen sich die Beamten zurück und forderten zur Verstärkung eine Hundertschaft an. Zirka 50 Menschen begannen daraufhin, Steine zu sammeln und Straßensperren aus Materialien von den umliegenden Baustellen zu errichten. Als die angeforderten Beamten eintrafen, standen sie 400 Personen gegenüber ­ zahlreiche Schaulustige waren hinzugekommen. Diese behinderten die Beamten, die gegen die immer wieder mit Steinen und Flaschen werfenden Menschen vorgehen wollten.

Mehr als zwei Stunden benötigte die Polizei, um nach weiteren brutalen Rangeleien und Steinwürfen die Lage zu beruhigen. Sieben Gewalttäter wurden dabei vorläufig festgenommen. Mehrere Personen und Beamte wurden leicht verletzt. Der Verkehr mußte bis drei Uhr wegen der Auseinandersetzung umgeleitet werden. (hel.mg.)"

Das diese Jugendszene schon damals unbeliebt war legt dieser Artikel nah:

 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1997/0923/lokales/0099/index.html
"MITTE
Straßenschlacht war unpolitisch
Anwohner: Randalierer waren Gäste einer privaten Musik-Party in den Höfen

Einen Tag nach der Straßenschlacht am Hackeschen Markt in Mitte haben Anwohner und Augenzeugen der Version der Polizei, "linksalternative Randalierer" hätten Steine und Flaschen geworfen, widersprochen. Die Polizei hatte am Sonntag durch ihren Lagedienst mitteilen lassen, gegen 1.30 Uhr sei es zu einer Auseinandersetzung mit mehr als 150 Personen gekommen, in deren Verlauf sieben Personen festgenommen wurden. Anlaß für die Straßenschlacht war laut Polizei die Festnahme von drei Graffitisprühern. Die Anwohner der Rosenthaler Straße stellten den Sachverhalt von Sonnabend nacht anders dar: Laut Aussage der Hausverwaltung der Nummer 38 seien an der Randale nur Partygäste des Clubs "Tanzschule Schmidt" beteiligt gewesen, wo am Sonnabend eine private HipHop-Feier stattfand. Hausverwalterin Anja Schnappauf: "Nachdem Jugendliche den gesamten Innenhof mit Sprühdosen beschmiert hatten, gingen sie auf die Straße und sprühten die Bahnen an." Draufhin habe sie die Polizei gerufen. Nachdem diese eingetroffen sei, hätte sie den Beamten drei Männer gezeigt, die Flaschen geworfen hatten. Danach sei es zu den Steinwürfen gekommen, da über 50 Partygäste die Festnahme verhindern wollten. Die Polizei wollte am Montag von einer Zuordnung zur "linksalternativen Szene" nichts mehr wissen. (mg.)"

Die Gegend war noch nicht befriedet, zwei Wochen später:

 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1997/1006/lokales/0089/index.html
"Erneut Randale am Hackeschen Markt
Konzertbesucher terrorisieren die Nachbarn

In den Nächten zu Freitag und Sonntag attackierten Jugendliche an der Rosenthaler Straße die Polizei. Zum wiederholten Male verwüsteten am Freitag rund 200 Randalierer den Hofgarten des Café Rosental. Im Hausflur des denkmalgeschützten Hauses Rosenthaler Straße 38 und in benachbarten Gebäuden beschmierten die Jugendlichen die Wände mit Farbe, zerstörten die Scheiben von Künstlerateliers. Ausgangspunkt war ein HipHop-Konzert in der "Tanzschule Schmidt", einem Veranstaltungszentrum, das von der Betreiberin Sybille Schmidt an die Jugendlichen vermietet worden war. Zeugen berichten, daß die Lage gegen 23.30 Uhr eskalierte. Ein großes Polizeiaufgebot fuhr auf dem Weg zu einer Demonstration am Brandenburger Tor an den Hakkeschen Höfen vorbei. Die zwischen 16 und 20 Jahre alten Konzertbesucher warfen mit Flaschen nach den Polizeiwagen. Mehrere hundert Beamte sperrten daraufhin das Gelände ab. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten. Flaschen und Steine flogen auf die Polizisten. Unter Sprechchören " Bullen raus" wurden auch vorbeifahrende Autos beschädigt, der Straßenbahnverkehr am Hackeschen Markt war lahmgelegt. Einige Gastronomen sahen sich gezwungen, ihre Lokale zu schließen. Die Polizei nahm 13 Randalierer fest.

Sonntag früh blockierten Jugendliche erneut an der Rosenthaler Straße die Straßenbahn. Mehrere hundert Polizeibeamte rückten darauf an und nahmen die Personalien einiger Jugendlicher auf. (puz.)"

Der Politiker Wolfgang Wieland stellte eine kleine Anfrage an den Senat bezüglich der Prügeleinheit 23.Ehu und des Einsatzes an den Hackesche Höfen,
 http://www.polizeigewalt.de/index.htm?http%3A//www.polizeigewalt.de/docs/fall1/kleineanfrage.htm

Die Auschreitungen nach dem HipHop Konzert liegen nun genau dreizehn Jahre zurück. Mitte ist verloren. Nach den damaligen Streitereien in der Brunnenstrasse 7 trafen Investoren kaum noch auf Widerstand. Das gezielte Zerstören von subkulturellen Jugendbewegungen kann durchaus als Polizeitaktik angenommen werden.
Aktuell gibt es neue Versuche Jugendliche in staatlich verordneten Problembezirken zu erreichen und ihre Unzufriedenheit mit unserer Wut zu mischen. Zufällig spielt sich das in einem Kiez ab, der heute ähnlich von Aufwertung betroffen ist wie 1997 Mitte, nämlich Neukölln.
Dort findet morgen eine Kundgebung gegen Polizeigewalt statt und auch die Hundertschaftsschläger der Berliner Polizei werden vor Ort sein.
Guckste mal hier:  http://www.youtube.com/watch?v=5yInDhT2gn0 da wird übrigens auch "Collectif Mary Read" aus Frankreich auftreten.
Bleibt abzuwarten ob die Polizei abends in Neukölln die Nerven behält oder völlig durchdreht. Nach den Einsätzen die sie den ganzen Tag über haben ist der eine oder andere Ausraster von Beamten zu erwarten.
Diese Kundgebung am Reuterplatz kann aber auch unsere Verankerung in diesem Kiez festigen und dafür sorgen, das wir nicht in einigen Jahren durch Nordneukölln ziehen und das vorfinden , wa wir gestern in Mitte gesehen haben: aufgemotzte, inhaltsleere Strassen voll unkritischer Konsument_innen.
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Ergänzungen

Ich war damals dabei

Writer 17.09.2010 - 12:11
.. und bin immer ein bischen amüsiert, wie das heute beschrieben wird. Es gab damals übrigens eine ganze Reihe von Polizeiübergriffen auf Hiphop-Veranstaltungen. Fast sah es so aus, als wenn die Polizei nach dem Tod der Linken einen neuen Feind gefunden hätte. Aber das hatte sich irgendwann gelegt und um die Jahrtausendwende starb zusammen mit den Subkulturen auch die Hiphop-Szene. Heute wird mit den letzten Clubs aufgeräumt. Zum 1. Januar soll zum Beispiel der Icon - ein Überbleibsel der 90er Jahre - gesschlossen werden. Grund: Wessi-Spiesser ziehen in ein neugebautes Haus daneben ein und wollen ländliche Ruhe haben.

Kurzer Blogbericht zur Demo am Donnerstag

Kuno 17.09.2010 - 14:59

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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ACAB! — ACAB!

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