Proteste beim Gentechnik-D-Treffen 2010, 6.9.

Uwe Schmidt 15.09.2010 20:06 Themen: Biopolitik Ökologie

Auch dieses Jahr versammelte sich die Elite des Gentechnik-Lobbyismus im idyllischen Stiftsgut Üplingen, 50 km westlich von Magdeburg. InnoPlanta, der aktivste deutsche Lobbyverband für Agro-Gentechnik, hatte zum InnoPlanta-Forum geladen. Doch auch dieses Jahr blieben sie nicht unter sich. Gentechnik-KritikerInnen hielten drei Tage lang Mahnwache und empfingen Monsanto, KWS, Pioneer & Co. am Montag mit buntem Protest.

Die einzige Durchgangsstraße durch das 100-Häuser-Dorf Üplingen war mit unzähligen gentechnik-kritischen Transparenten versehen. Dort war z.B. zu lesen: "Da die Ko-Existenz als Lüge entlarvt ist, auf wessen 'Genehmigung' wagt ihr euch zu berufen?" oder "Patente stillen keinen Hunger". Damit bezogen sich die KritikerInnen z.B. auf die Gebetsmühlen-artig wiederholte Behauptung der Befürworter, Agro-Gentechnik könne den Welthunger bekämpfen. Auch während des InnoPlanta-Forums war dazu nichts Neues zu vernehmen. Doch die Gentechnik-Kritiker hielten diesen Aussagen am Samstag u.a. einen Vortrag des Pfarrers Andreas Riekeberg aus Wolfenbüttel entgegen: Er führte aus, dass der Weltagrarbericht der UNO und ein Positionspapier des Evangelischen Entwicklungsdienstes längst festgestellt hätten, dass Gentechnik die Ernährungssouveränität der Menschen weltweit einschränke. Eine bäuerliche, individuell strukturierte Landwirtschaft sichere dagegen die Ernährung der Menschen. Außerdem seien die Zahlen des weltweiten Gentechnikanbaus der ISAAA, auf die Gentechnik-Befürworter sich stützten, künstlich hochstilisiert. Die von InnoPlanta behauptete "weltweite Realität" der Gentechnik sei deshalb übertrieben.

Zwei Ausstellungen waren entlang der Straße zu finden – eine zu den Gentechnik-Seilschaften und eine mit gesammelten Sprüchen aus der GentechnikbefürworterInnenszene. Ist schon spannend, wie sich diese mit dem Etikett der Sachlichkeit daherkommende Pack so äußert ...

 

Am Tag des InnoPlanta-Forums selbst versammelten sich um die 50 Gentechnik-KritikerInnen und konfrontierten die anreisenden VertreterInnen der Gentechnik-Branche mit ihren Vorwürfen. Doch diese zogen sich trotz behaupteter Dialogbereitschaft kommentarlos hinter die Mauern des Stiftsgutes zurück. Nur der immer gesprächsbereite Dampfplauderer Jany kam einmal heraus vor die gut gesicherten Tore. Vorher mussten sie sich aber alle durch einen beidseits der Zufahrt postierten, bunten Aktionsreigen kämpfen.

  • Zwei Musikgruppen begleiteten die bunte Menge, zunächst die Lebenslaute mit klassischer Musik und dann sie Sambagruppe von Attac BS mit mitreißenden Rhythmen.
  • Ein Hunger“kind“ bat um mehr Gentechnik
  • Eine Beratungsstelle für Fördermittelsüchtige bot die Dienste an.
  • Den Hereinfahrenden wurden Geldscheine angeboten.
  • Transparente schmückten den Weg.
  • Vom Baum erschallen Durchsagen.
  • Ungestüme Gentechnik“freundInnen“ forderten die Todesstrafe für Genfeldschänder.

Immer wieder erschallte der Ruf „Wir wollen keine Gentechnikmafia!“ - in Anlehnung an das Urteil des Oberlandesgerichtes in Saarbrücken, dass dem Versuch wichtiger Gentechnik-SeilschafterInnen, die Kritik zu verbieten, einen Riegel vorgeschoben hatte.

Unschöner Abschluss waren Maßnahmen der Polizei. Diese hatte schon während des gesamten 6.9. genervt. Eine ausgedachte Straftat wurde von ihnen genutzt, um ständig in die Demo zu gehen und Personalien zu kontrollieren. Das Ganze könnte auch in Zusammenhang mit einer Art Rasterfahndung in gentechnikkritischen Kreisen stehen. Rund um die umkämpften Standorte BioTechFarm und AgroBioTechnikum werden Nachbargrundstücke überprüft, immer wieder Personalien kontrolliert. BewohnerInnen von Üplingen berichteten von zivilen Ermittlern aus Rostock, die in ihrem Dorf (das ja in der Börde liegt) agierten. Gerichtssäle werden geräumt und alle Personalien erhoben. DemoteilnehmerInnen werden überprüft. Blinde Anklagen erhoben - und fast immer sind, wie Akteneinsichten zeigten, sind die Landeskriminalämter beteiligt oder sogar die Hauptakteure.
Bei der Abfahrt der SeilschafterInnen wechselte die Polizei zudem ziemlich plötzlich ihre Strategie im Umgang mit der Demo. Diese durfte bis dahin und auch entsprechend dem Auflagenbescheid alle Fußwege und die Straße nutzen, musste aber die Autos einzeln durchlassen. Das lief auch so. Doch gegen 17 Uhr begann die Polizei, die AktivistInnen von der Straße zu drängeln, bildete schließlich einen kleinen Kessel auf dem der Zufahrt gegenüberliegenden Fußweg und ging immer ruppiger gegen tanzende und Transparente-schwingende DemonstrantInnen vor. Bei einer Attacke wurde ein Demonstrant durch den angrenzenden Grundstückszaun gestoßen, der einbrach. Zwei DemonstrantInnen wurden schließlich in Gewahrsam genommen - eine gar nicht zulässige Maßnahme nach Versammlungsrecht.


Von InnoPlanta-Seite wurde versucht, die Anzahl der AktivistInnen kleinzureden, aber es war unübersehbar, dass sich der Protest seit dem letzten Jahr vervielfacht hatte. Und auch bei Gesprächen mit der örtlichen Bevölkerung wurde Unmut über die groß-herrschaftliche Gentechnik-Anlage laut. "Wir sind sehr zufrieden mit der Resonanz auf unsere Aktion," bestätigte Dirk Jessen. "Wir werden sicher auch nächstes Jahr wieder hier sein." Die üblichen Geplänkel zwischen Ordnungshütern und Versammlungsteilnehmern über die Freiheiten von KritikerInnen und BetreiberInnen blieben auch diesmal nicht aus, hielten sich aber im Rahmen. Interessanterweise versteckten sich die Gentechnikseilschaften auch nach dem Treffen. Bislang gab es nur einen etwas versteckten Text des neuen Forum Grüne Vernunft mit einer Beschreibung der Abläufe aus Sicht der erlaubterweise als Gentechnikmafia bezeichnebaren Zusammenhänge.

Die diesjährigen Preise für herausragende Förderung der Agro-Gentechnik gingen im Übrigen an den Leiter des Braunschweiger Versuchsfeldes und Gentechniker aus dem Seilschaften-Knotenpunkt an der RWTH Aachen, Stefan Rauschen, und den Ex-Öko-Journalisten und jetzigen Marktradikalen Michael Miersch.

 

Ein Höhepunkt der Mahnwache in den Tagen vor dem InnoPlanta-Forum am 6.9. war der Erfahrungsaustausch zwischen angereisten Gentechnik-KritikerInnen aus so unterschiedlichen landwirtschaftlichen Regionen wie Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, Thüringen, Hessen und Niedersachsen am Sonntagabend. Sie waren sich einig, dass Gentechnik in der Landwirtschaft kein örtlich begrenztes Problem sei, da die unkontrollierbare Verbreitung vor Landes- und Nationalgrenzen nicht Halt mache.

Besondere Kritik entzündete sich auch am Ort des Geschehen, nämlich des Üplinger Schaugartens, weil hier ungeprüfte und sogar verbotene Gentechnik-Pflanzen wie der MON810, als Freisetzungsversuche deklariert, wüchsen und auskreuzen könnten. Sie würden hier zu reinen Anschauungszwecken gepflanzt, wie der Name des Schaugartens schon sagt, und nicht einmal wissenschaftlich genutzt. Das Kontaminationsrisiko werde also von Behörden und Betreibern völlig unnötig in Kauf genommen und auch noch mit öffentlichen Geldern finanziert.

 

Weitere Hinweise:

  • Ende Herbst 2010 erscheint das Buch "Monsanto auf Deutsch" zum Thema - vom gleichen Autor wie die Broschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit". Viel mehr Infos, präzise Quellen, mehr Personen- und Organisationsdaten. Der tiefe Blick in die Seilschaften der Agro-Gentechnik. Da voraussichtlich die Umwelt-NGOs, Grünen usw. mit ihren Apparaten die Veröffentlichung blocken werden, besteht wie bei der Broschüre wieder die Hoffnung, dass Basisinitiativen und -gruppen das Buch in Umlauf bringen (z.B. einen Stapel vorbestellen u.ä.).
  • In den nächsten Wochen gibt es einen Haufen von Strafprozessen gegen GentechnikgegnerInnen überall in der Republik verstreut - vor allem wegen den Feldbesetzungen am AgroBioTechnikum und auf der BioTechFarm (beide im Frühjahr 2009) sowie der Feldbefreiung in Gatersleben.
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Ergänzungen

Presseberichte

immerhin 17.09.2010 - 16:03
zwei stück:
Vorabbericht in der Neues Deutschland vom 6.9. (nicht online)
Aktionsbericht:
 http://www.taz.de/1/zukunft/umwelt/artikel/1/kritiker-muessen-draussen-bleiben/