Prenzlauer Berg: Einstürzende Altneubauten
Berlin Prenzlauer Berg: Die Immobilienfirma Econ-Cept KolleBelle will expandieren. Nachkriegsbauten am Wasserturm, Bäume und Grünanlagen sollen bis 2013 Luxus-Wohnungen und Tiefgaragen weichen. Eine neue Mieterinitiative will jedoch um ihren Wohnraum und das Grün vor der eigenen Haustür kämpfen.
Betroffen seien die Mieterinnen und Mieter der Nachkriegsbauten in der Belforter Straße 5 bis 8, Straßburger Straße 33 bis 36 und Metzer Straße 35 bis 37. Die Firma ECON-CEPT KolleBelle KG, Erbauerin des benachbarten Palais KolleBelle, wolle dort innerhalb von zwei bis drei Jahren , einen siebenetagigen Wohnblock. Dies geht aus einem Rundschreiben einer neuen Miterinitiative hervor.Um das neue Bauvorhaben umzusetzen, müssten demnach die ersten Aufgänge der Belforter Straße 8 und Straßburger Straße 33 abgerissen und die Belforter Straße 5 bis 7 und Straßburger Straße 34 bis 36 um zwei Etagen erhöht werden. Die parkähnlichen Grünflächen und Bäume müssten zwei Tiefgaragen weichen.Die Mieter, die mitunter bereits seit 50 Jahren in den Häusern leben, befürchten außerdem Beschädigungen ihrer Häuser während der Bauarbeiten, die zum kompletten Abriss ihrer Wohnhäuser führen könnten. Für sie wären die nächsten Jahre mit Baulärm, Schmutz und blockierten Parkplätzen verbunden.
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Ergänzungen
Investorenpsycho und Mieterzusammenhalt
So schreibt Bahr in einem Brief, der an alle Mieter/innen ging, nicht nur von den geplanten Baumaßnahmen (siehe oben), sondern droht auch gleich mit Repressalien, falls sich die Betroffenen nicht fügen sollten: Gnädigerweise wolle er nach dem kompletten Abholzen des zahlreichen Baumbestandes zwecks Bau zweier Tiefgaragen auch wieder neues Grün anlegen. Und den Einbau einer neuen Heizungsanlage wolle er freundlicherweise nicht per Modernisierungsumlage durch die Mieter/innen bezahlen lassen. Dies beides sind jedoch keine Zusicherungen Bahrs, sondern immer unter dem Vorbehalt "wenn sich die gesamte Planung realisieren lässt." Eine unverholene Drohung also, die Betroffenen gegebenenfalls empfindlich zu bestrafen, falls sie ihre Mieterrechte in Anspruch nehmen und dem Umbau ihres Zuhauses in ein weiteres Mekka der Bionade-Bourgeoisie nicht tatenlos zusehen sollten.
Pech gehabt hat Bahr anscheinend mit der sozialen Zusammensetzung der Betroffenen: Da die meisten seit Jahrzehnten in den 1959-62 erbauten Wohnungen leben, gibt es dort einen - gerade in diesem ansonsten durch hohe Fluktuation gekennzeichneten Kiez - eine sehr gut vernetzte Bewohnerschaft mit ähnlichen sozialen Interessen. So waren auf den ersten Mieterversammlungen jeweils rund 100 Mieter/innen anwesend. Die Stimmung scheint auf Sturm zu stehen. Eine gute Voraussetzung für einen solidarischen Zusammenhalt unter den Betroffenen. Wenn die Mieter/innen geschlossen auftreten, sich nicht vereinzeln lassen und entschieden auf ihren Mieterrechten beharren, haben sie tatsächlich gute Chancen, dass das Bauprojekt Rainer Bahrs, das den Auzug von mindest 20 Mietparteien erfordert, nicht zum Zuge kommt.
Übersicht per Luftbild
- Nebenan, zur Kollwitzstraße hin, ist die Brache mittlerweile mit dem Luxusprojekt "Kolle Belle" (ab 3000€/qm) und einem weiteren banachbarten Neubau zugebaut. Nur in der Kollwitzstraße 20 gibt es noch ein schmales freies Baugrundstück.
- Auf der anderen Seite der Kollwitzstraße: links oben der Bauspielplatz und am linken Bildrand das vor einigen Jahren fertig gestellte Bauprojekt mit dem LPG Biosupermarkt drin (vor drei Jahren eröffnet)
- Rechts oben der Wasserturmplatz mit dem alten Wasserspeicher
Weitere Infos:
- Fotos vom "Kolle Belle" beim Architekturforum:
http://www.deutsches-architektur-forum.de/forum/showthread.php?s=a009cf7f826386fee5ac555fcc675d02&t=6960&page=4
- Internetseite des Entwicklers "econcept Immobilien und Projektentwicklung KG (GmbH & Co)" mit Sitz in der Schwedter Straße 9b:
http://www.econcept.de/
- Hinweis auf Zündelei in der Tiefgarage des noch leer stehenden Gebäudes und darauf, dass dort mal Jahre zuvor eine Wagenburg geräumt wurde:
http://www.morgenpost.de/berlin/article1072507/Feuer_in_Luxuswohnanlage_Polizei_vermutet_Anschlag.html
Zunehmendes Problem: Abriss für Luxusbauten
Also erstrecken die Begehrlichkeiten der Immobilienheinze mittlerweile auch auf schlichte Wohnungen der 50er und 60er Jahre. Damals galten noch andere Maßstäbe fürs Bauen: Auf einem Grundstück sollte auch im Innenstadtgebiet nicht mehr Bruttogeschossfläche zugelassen werden als das Grundstück selbst groß war. Bei einem fünfstöckigen Gebäude ergeben sich also Freiflächen um das Gebäude herum, die dem vierfachen der Grundfläche des Gebäudes entsprechen. Würde jedes einzelne Geschoss einzeln aufs Grundstück gelegt, fänden dort alle Etagen nebeneinder Platz.
Nach heutigen Maßstäben - die Baunutzungsverodnung sieht mittlerweile sehr kleine Abstände zwischen Gebäuden vor - sind diese Grundstücke also nicht ausgelastet. Es ergeben sich drei Möglichkeiten, die auch miteinander kombiniert werden können:
1. Nachverdichtung zwischen den Bestandsgebäuden
2. Aufstockung der Gebäude
3. Abriss und Neubau
Wenn genug Kapital da ist und die Lokalpolitik mitspielt, dann kann Nr. 3 am meisten Gewinn abwerfen. Zumindest dann, wenn es sich beim Bestand um recht sclichte und kleine Wohnungen mit relativ eng geschnittenen Küchen, Bädern und Fluren handelt. Diese Wohnungen lassen sich auch nach einer Modernisierung nicht zu Luxuspreisen vermietern oder verkaufen. Ein Neubau nach anspruchvollsten Standards wirft also sehr viel mehr ab und übersteigt damit gegebenenfalls auch deutlich den Wertverlust durch Abriss des Bestands.
Es lässt sich auch mit der ökonomischen Gentrification-Theorie, dem "Rent-Gap"-Modell erklären: Wenn in einem Stadtteil aus einem Grundstück deutlich mehr herauszuholen ist als aus dem jetzigen Zustand der Gebäude und Wohnungen, dann lohnt sich auch eine hohe Investition (mal ganz grob fahrlässig vereinfacht).
Eine Erläuterung der Rent-Gap-Theorie findet ihr im Recht-auf-Stadt-Wiki:
http://wiki.rechtaufstadt.net/index.php/Theorien_zur_Gentrifizierung#Production-side_Theory:_Warum_wird_gentrifiziert.3F
Ein krasses Beispiel für Abriss günstigen Wohnraums und geplanten Neubau von Luxuswohnungen ist der Fall Barbarossaplatz in Schöneberg: In Schöneberg ist teilweise ein enormerer Aufwertungsdruck zu verspüren. Am Barbarossaplatz sollen 106 Wohnungen, erbaut 1964, abgerissen werden. Auch eine öffentliche Grünfläche soll weg. Und der Bezirk unterstützt den Immobilienkonzern HochTief dabei, weil er die Aufwertung der Gegend vorantreiben will.
Mehr Infos dazu:
http://barbarossastr59.dreipage2.de/
Aktuellere Übersicht (Karte)
Der Unterschied in der Bebauungsdichte zwischen den 50/60er Bauten einerseits und den Vorkriegs- und Nachwendebauten andererseits wird ziemlich deutlich.
Und anhand der Karte lässt sich auch vorstellen, wie ein Abriss der Aufgänge Straßburger 33 und Belforter 8 den Weg freimachen können für eine neue Blockrandbebauung entlang der Straßburger Straße.
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Solidarität — und so....
Berliner Kurier hetzt gegen Liebig — Motte