Zwickau: Hat der Spuk ein Ende?

ARTZ 08.01.2010 15:20 Themen: Antifa
Westsachsen als Versuchsfeld ostthüringer Nazi-Kader | Verborgene Strategien der »Freien Kräfte« | Nazi-Kameradschaft Zwickau führerlos | »Projekt Zwickau« gescheitert? | Ein Rückblick auf die vergangenen drei Jahre
Die Feiertage zwischen Weihnachten und Neujahr dienen vielen Menschen der Besinnung. Das vergangene Jahr lässt man Revue passieren und schon stehen neue Vorsätze auf dem Plan. Im nächsten Jahr soll das Leben gesünder und entspannter werden. Das zumindest haben sich die Deutschen einer Umfrage zufolge vorgenommen. Im Vergleich zu den Jahren davor spielen bei den "guten Vorsätzen" gesundheitliche Sorgen und familiäre Probleme eine größere Rolle.

Auch der Zwickauer Kameradschaftsführer Daniel Peschek nutzte den Jahreswechsel zur Selbstreflexion und bezeichnet sein »Projekt Zwickau« kurzerhand als gescheitert. Doch was war geschehen? Im Sommer des Jahres 2007 trat im bis dahin verschlafenen Zwickau urplötzlich eine aktionistische Nazi-Kameradschaft auf den Plan. Zunächst als »Autonome Nationalisten« später als »Freies Netz Zwickau« und zuletzt als »Nationale Sozialisten« machten sie die Straßen unsicher. Der Sächsische Verfassungsschutz bezeichnete sie stets als »Freie Kräfte«; dem Führer Peschek waren die Kameraden zuletzt wohl etwas zu frei. Aber der Reihe nach.

Angeblich "autonome" Nazis mit klarer Hackordnung

Der ersten größeren Nazi-Demonstration im September 2007 mit 200 TeilnehmerInnen durch die Zwickauer Innenstadt stand die Stadt Zwickau und ihre Bevölkerung völlig unvorbereitet gegenüber. Auf Seiten der Nazis gingen diesem Paukenschlag jedoch wichtige Entwicklungen voraus. Bereits für den 20. April 2007 wurde die Eröffnung eines NPD-Bürgerbüros durch Peter Klose angekündigt. Klose rückte am 5. Dezember 2006 als letzter verfügbarer Kandidat der NPD-Wahlliste für Matthias Paul in den Sächsischen Landtag nach und von nun an flossen monatlich einige tausend Euro von Dresden nach Zwickau. Neben der Miete für das Büro, wurde auch Kloses Mitarbeiter Christian Bärthel von diesem Geld bezahlt. Der einschlägig vorbestrafte Bärthel aus Ronneburg (Ostthüringen) leitete von nun an maßgeblich die Geschicke der NPD Zwickau.

Der Nazi-Kader Thomas Gerlach aus Meuselwitz (ebenfalls Ostthüringen) sah darin eine günstige Gelegenheit und schickte mit Daniel Peschek einen vielversprechenden Nachwuchsnazi nach Zwickau, welcher als Teenager eine klassische Bomberjacken-Nazi-Karriere in Meuselwitz durchmachte und bereits frühzeitig regelmäßig Demos besuchte. Hinzu kamen in jenem Zeitraum weiterhin Sören Leibnitz und Michael Frenzel von der Nazi-Hardcore-Band »Eternal Bleeding« aus Altenburg. Schließlich komplettierte noch Benjamin Klein aus Lucka das Quartett der »Nationalen Sozialisten - Altenburger Land«. Über die Zwischenstationen Leipzig und Altenburg fand nicht zuletzt auch Gunnar "Emo-Günni" Finder aus Ostbrandenburg den Weg nach Zwickau.

Fruchtbarer Boden in Zwickau

Schnell war die Verbindung zur Ortsgruppe der NPD hergestellt. In Sichtweite zum NPD-Büro gründeten die Thüringer eine Nazi-Wohngemeinschaft. Jetzt brauchte es nur noch einige willfährige Jugendliche aus der Stadt. Schon Anfang des Jahres 2007 begann der damals 20-jährige Peschek vorwiegend über die Internetcommunity »zwigge.de« verschiedene Jungnazis aus Zwickau um sich zu sammeln. Fündig wurde er vorallem in rechtsoffenen Kreisen der Fanszene des FSV Zwickau. Nun sollte es so richtig los gehen. Nur einige Tage nach Daniel Pescheks Registrierung bei »zwigge.de« gab es am 07. Januar 2007 bereits eine erste kleinere Nazi-Demo auf welcher die vielzitierte Parole "Nationaler Sozialismus jetzt" zu hören war.

Kaum waren die Seiten des »Freien Netz Zwickau« online, im Impressum tauchte der Name Alexander Schliwka auf, wurde auch schon die erste große Demonstration angekündigt. Der Marsch am 22. September 2007 wurde maßgeblich von etablierten Kräften des »Freien Netz« organisiert. Angemeldet zunächst von Thomas Gerlach höchstpersönlich, bevor NPD-Klose einsprang, um ein Verbot zu verhindern. Als Redner traten weitere "freie" Aktivisten aus Leipzig, Schkeuditz und Hof auf. Die Feuerprobe der neuen Kameradschaft galt wohl als bestanden.

Scheitern an der »Querfront«

Nun konnte mehr oder weniger in Eigenregie agiert werden. Die »Freien Kräfte Zwickau« konzentrierten ihre Aktivitäten vorzugsweise auf die wöchentliche Montagsdemo gegen »Hartz IV«. Beinahe ein Jahr lang suchten meist 20 bis 40 »Autonome Nationalisten« das Gespräch mit den Organisatoren. Den Leuten aus dem Umfeld der MLPD bot man jedoch erfolglos eine gemeinsame »Querfront« an. Zuletzt wurde von Seiten der Nazis schon beinahe um eine Teilnahmeerlaubnis gebettelt. Nebenbei waren so langsam ziemlich alle Kameraden polizeibekannt, da es am Rande immer wieder kleinere Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht gab.

Inzwischen versuchte NPD-Bärthel mit einer eigenen wöchentlichen Kundgebung eine neue Strategie. Doch auch dieses Prozedere wurde nur mit Desinteresse gestraft. Die Montagsdemos wurden den rechten "Revolutionären" dann doch recht schnell zu langweilig; die Teilnehmerzahlen sanken rasch. Die Stadt wurde unterdessen immer häufiger mit Nazi-Schmierereien überzogen und diverse Sachbeschädigungen am Büro der Partei »Die Linke« vorgenommen. Thomas Gerlach schaute sich das montägliche Treiben nur selten an. Zeuge des großen verbalen Knalls zwischen Gerlach und Peschek durften dennoch einige Antifas werden. An einem schönen Montag Anfang August 2008 mussten sich beide ihr Scheitern eingestehen.

Flucht nach vorn...

Das Kapitel Montagsdemo war damit mehr oder weniger abgeschlossen. Stattdessen wurde die Flucht nach vorn angetreten. Fast auf den Tag genau nach einem Jahr sollte es die zweite große Nazi-Demo geben. Diesmal erfolgte die Organisation in Eigenregie: als Versammlungsleiter traten Daniel Peschek, Gunnar Finder, Christian Bärthel und Peter Klose auf. Ein Schuss in den Ofen. Da es am 20. September 2008 bereits eine Nazi-Demo in Dessau geben sollte, wurde die Veranstaltung kurzfristig zur Kundgebung abgespeckt und die nächste Blamage war sicher. Drei Wochen später wurde die Demonstration mit etwa 200 TeilnehmerInnen ohne große Anteilnahme nachgeholt.

Nun konzentrierte sich die Gruppe auf kleinere Aktivitäten: der politische Gegner rückte ins Blickfeld. Diverse Vortrags- und Gedenkveranstaltungen wurden gestört. Die Nazis gedachten auf ihre eigentümliche Art den Opfern der antisemitischen Pogrome und den "Heldentaten" der Deutschen im Nationalsozialismus. Eine Gartenkneipe in Schedewitz diente für Nazi-Kameradschaftsabende. Referenten wie Thomas Gerlach, der schweizer Querfrontler Mario Friso,der Rechtsterrorist Peter Naumann oder der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt sollten die »Nationalen Sozialisten Zwickau« wieder auf Kurs bringen. Ein "Strategiewechsel" wurde angekündigt.

...und Ernüchterung in Sachen Demokratie

Für die Wahlen zum Zwickauer Stadtrat im Juni 2009 mobilisierten NPD Zwickau und »Freies Netz« die letzten Reserven. Peter Kloses Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag stand, unabhängig vom Ergebnis der NPD, zu diesem Zeitpunkt längst fest. Der Landesverband hatte fähigeres Personal gefunden, welches das Geld aus Dresden ebenfalls gut gebrauchen konnte. Mit Infoständen, unter anderem am Hitler-Geburtstag, Plakataktionen und einzelnen gewalttätigen Übergriffen gegen Andersdenkende sollte der Einzug in den Stadtrat erkämpft werden. Die aberwitzige Zahl von 16 (!) NPD-Kandidaten legte Zeugnis vom längst vorhandenen Realitätsverlust ab. Am Ende schaffte es "nur" Peter Klose in den Stadtrat. Die famosen Rechenspiele von Klose & Co. - "Wahlbetrug" - erinnerten an die legendäre "U-Bahn-Anfrage". NPD und Kameraden hatten am Ende also nicht die Stimmen, sondern vielmehr die Lacher auf ihrer Seite.

Zu diesem Zeitpunkt war Kameradschaftsführer Peschek schon weitestgehend von der Bildfläche verschwunden. Er hatte es doch glatt mit einem "Justizskandal" zu tun bekommen. Wegen Körperverletzung, unerlaubtem Waffenbesitz und Beamtenbeleidigung gab es hohe Geldstrafen. Da halfen auch die Zeugenaussagen von Leibnitz, Schliwka und Finder nichts. Bereits im Mai 2007 war die Gruppe gemeinsam auf einer unangemeldeten Nazi-Demo in Zeitz unterwegs und beging Straftaten. Nun zog sich Daniel Peschek zunehmend zurück. Die Internetseite »Freies Netz Zwickau« war ohnehin schon lange offline. Der Stadtratswahlkampf spielte sich auf den Seiten der NPD Zwickau ab. Statt Peschek war nun Oldschool-Nazi Tony Gerber als Frontmann der »Freien Kräfte« in der Öffentlichkeit.

Dann eben: Kampf um die Straße

Nach all diesen Rückschlägen saß der Frust tief bei den Kameraden, denn inzwischen hatte sich auch ansatzweise antifaschistischer Widerstand organisiert. Nun liefen die Aktivitäten der Nazis völlig aus dem Ruder. Nach dem "Kampf um die Parlamente" stand einmal mehr der "Kampf um die Straße" auf dem Plan. Bereits im April 2009 wurde ein Stadtrat der "Linken" in einer Diskothek niedergeschlagen. Zwei Wochen später wurden Besucher eines linken Festivals gezielt angegriffen. Nur eine Woche später griffen etwa 50 Mitglieder des »Freien Netz« eine Demonstration gegen rechte Gewalt mit Steinen an. In den folgenden Wochen gab es vermehrt Drohungen und tätliche Angriffe gegen Andersdenkende und mutmaßliche "Ausländer". Am 22. August probten die Kameraden dann wohl den "Volksaufstand".

Geradezu bezeichnend, dass die Lokalzeitung von "Fussballfans" berichtete, die sich am Rande des Stadtfestes Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert hätten. In Wirklichkeit waren es 40-50 Personen der Nazi-Kameradschaft, die lauthals verfassungswidrige Parolen grölend in Richtung Zwickauer Innenstadt zogen. Nach längeren Prügelattacken gegen die Polizei gab es, mal wieder, Personalienfeststellungen. Daniel Peschek war auch an diesem Tage nur Beobachter, denn weitere Straftaten konnte er sich nun nicht mehr leisten. Dennoch wartete schon das nächste Fettnäpfchen auf den einstmals stolzen Kameradschaftsführer.

Sag zum Abschied lieber gar nichts

Schon kurz nach den "Stadtfest-Krawallen" kursierte ein Video der Randale im Internet. Ein gefundenes Fressen für die Journalisten von »Spiegel-TV«. Nun brauchte es nur noch einen Trottel, der sich freiwillig vor ganz Deutschland zum Affen machen würde. Die Medienmacher fanden die perfekte Besetzung: Daniel Peschek. Der 23-jährige, der sich selbst gern als "Indymedia-Superstar" bezeichnet, konnte das Angebot nicht ablehnen und wollte ein letztes mal die Hauptrolle spielen. Zitat: "Es wurden definitiv keine antisemitistischen Parolen gerufen." Der Rest war mal wieder Hohn und Spott. Die selbst überraschten Kameraden vom »Freien Netz« werden es ihm gedankt haben.

Spätestens jetzt war die Luft endgültig raus. Statt eines weiteren Nazi-Aufmarsches, gab es eine antifaschistische Demo gegen den Naziladen »The Last Resort«. Mit Verbalattacken und Schmierereien wollten die Nazis ein Bedrohungsszenario schaffen und den antifaschistischen Widerstand mundtot machen. In einer aberwitzigen Aktion wurde schließlich sogar die Antifa-Demo selbst angegriffen. Ergebnis: gegen die fünf polizeibekannten Nazis ermittelt der Staatsschutz.

Wann hat der Spuk ein Ende?

Nun bestehen große Hoffnungen, dass der Nazi-Spuk in Zwickau doch bald ein Ende haben möge. Während andere Standorte der Internetplattform »Freies Netz«, teilweise erfolgreich, versuchten erneut online zu gehen, blieben diese Bemühungen in Zwickau aus. Peschek nutzte zuletzt gar sein persönliches »zwigge.de«-Profil, um gegen Linke Stimmung zu machen. Vor einigen Wochen war auch dieses Profil verschwunden und die frohe Botschaft Daniel Pescheks erreichte das "Weltnetz" via Myspace: "2010 wird das leben revolutioniert. seit zwickau weis ich was egoismus ist! politischer kampf? ein witz! kameradschaft? nur ein wort! 3jahre fürn arsch! ihr pfeifen! Stimmung: enttäuscht" (Fehler im Original).

Nach Gunnar Finder, Christian Bärthel und Benjamin Klein sucht nun auch Peschek die wohlige Wärme der heimatlichen Gefilde. Ob die Nazi-Hardcore-Größen Sören Leibnitz und Michael Frenzel demnächst nachziehen, bleibt abzuwarten. Zumindest ist auch ihr Projekt, die Zwickauer NSHC-Band »Diary Of A Dying Nation«, gescheitert. Doch sie haben ihr finanzielles Auskommen in Zwickau gefunden. Etwas befremdlich: Ihr Chef sitzt im Verwaltungsrat des Fußball-Traditionsvereins FSV Zwickau. Der Rest der Kameradschaft geht jetzt wieder gern ins Fußballstadion; hinter dem Banner des »A-Block-Zwickau« wird wieder genüsslich Bier geschlürft. Familie Klose hingegen will es sich wohl auf einem Bauernhof im Vorort Reinsdorf gemütlich machen. Mit etwas Glück, könnte also alles wieder gut werden, im ehemals verschlafenen Zwickau.


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Ergänzungen

etwaszuvoreilig

wennihrmichfragt 15.02.2010 - 13:09
Ich hätte den Artikel bis Dresden abgewartet. Jene Auflösungserscheinungen die ihr hier schildert können so nicht richtig sein.

Am Samstag haben sich etwa 60-70 Leute am Bahnhof eingefunden um nach Dresden zu fahren.
Ich hab den Zug dann einfach mal gemieden.
Es kann also von ausgegangen werden, dass sich die Nazis in einer Starre befinden, aber keines Weges die Flinte ins Korn geworfen haben.

Bleibt also wachsam!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

Schöner Artikel — Mandy.Ommsen

Ergänzung — texasinjuly

!!!! — ????

verwunderter — theo rethich

Abwarten — Stewe