Mexiko/Puebla: Drehkreuz für Menschenhandel

humanressource 28.12.2009 22:06
Ein Artikel in der mexikanischen Zeitung "La Jornada" vom 24.12.2009 legt den Zusammenhang zwischen dem in einen Kinderporno-Ring verstrickten Gouverneur von Puebla, Mario Marin Torres, und dem eklatanten Anstieg des Verschwindens von Frauen zwischen 14 und 29 Jahren nahe.
3323 Frauen sind in der Regierungszeit von Mario Marin in Puebla verschwunden



Autorin: Monica Camacho



- NGO und Abgeordnete klagen: Netzwerke von Menschenhandel und Ausbeutung von Personen handeln straflos in Puebla.

- Im Bundesstaat laufen zwei Gruppen von Menschenhändlern zusammen, konstatiert der Bericht der Nationalen Menschenrechtskommission CNDH und der NGO CEIDAS.

- Sie werfen lokalen Behörden und Vertrauensmann vor, die Ermittlungen zu behindern und Informationen zurückzuhalten.





Puebla, Mexiko, 23. Dezember 2009.

Laut Zahlen der Landes-Staatsanwaltschaft (PGJ) wurde seit 2005, als Mario Marin Torres von der PRI sein Amt antrat, das Verschwinden von 3323 Frauen gemeldet.


Irma Ramos Galindo, Koordinatorin der lokalen Fraktion der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), und das Netz für Sexuelle und Reproduktive Rechte, bringen dieses Phänomen in Zusammenhang mit dem Menschenhandel zur Prostitution, und sie berufen sich dabei auf einen Bericht der Nationalen Kommission für Menschenrechnte (CNDH) und der NGO "Zentrum für Studien und Forschung zu Entwicklung und Sozialarbeit" (CEIDAS). Dem Dokument zufolge ist Puebla das Wegekreuz zweier Routen, die von Menschenhändlerringen benutzt werden.



Galindo Ramos signalisiert, dass der Menschenhandel im Bundesstaat nicht arbeiten könnte ohne den Schutz von bundesstaatlichen und kommunalen Behörden. Die Abgeordnete hat bei Staatsanwalt Rodolfo Igor Archundia Sierra beantragt, ein Spezialprogramm zur Aufklärung des Verschwindens einzurichten, da die Mehrzahl der Vermisstenmeldungen als "Einzelfälle" klassifiziert und aus Mangel an Beweisen oder Interesse eingestellt wurden. Die Antwort der Beamten ist bisher gleich Null.



In einem Interview berichtete Ramos Galindo, dass sie am 24. November während der Sitzung des Landes-Innenausschusses versucht hatte das Thema erneut anzugehen.



"Ich habe zwei Anträge an den Staatsanwalt für Voruntersuchungen und Prozesskontrolle der PGJ, Victor Perez Dorantes, gesandt, um ihn zu bitten, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Auf den dritten Antrag hin bat er mich schriftlich, in die Behörde zu kommen, um es persönlich zu besprechen. Er hat mir keine Antwort gegeben.", klagt sie.



Juan Carlos Lopez Rojas, Presseverantwortlicher der Staatsanwaltschaft, verweigerte ein Interview mit Perez Dorantes, ohne die Motive zu erläutern.



Die Zahlen der Staatsanwaltschaft zeigen, dass im Jahr 2005 der "Verlust" von 61 Frauen zwischen 14 und 29 Jahren angezeigt wurde. Im folgenden Jahr stieg die Zahl auf 137 und im Jahr 2007 sprunghaft auf 1402 Frauen, was einem Anstieg von 2228 Prozent gegenüber 2005 entspricht.



In 2008 wurden 1154 Fälle gemeldet. Im ersten Quartal dieses Jahres überholte Puebla den Bundesstaat Chihuahua mit 256 gemeldeten Verschwundenen, während im nördlichen Bundesstaat 40 gezählt wurden.



In der ersten Jahreshälfte 2009 meldete die Staatsanwaltschaft 569 verschwundene Frauen, so dass man davon ausgeht, dass der Bundesstaat gegen Ende Dezember wieder die Marke von 1000 Anzeigen überschreiten wird



Die fünf Jahre, in denen sich die Zahl der verschwundenen Frauen in Puebla vervielfacht hat, decken sich mit der Regierungszeit Marin Torres, der im Jahr 2006 angeklagt wurde, auf Anordnung von Kamel Nacif Borge, eines in Netzwerke von Kinderpornografie und Menschenhandel zur Prostitution verwickelten Unternehmers, die Inhaftierung der Journalistin Lydia Cacho veranlasst zu haben.



Am 4. Dezember, im Rahmen des jährlichen Berichts durch die Präsidentin der Landes-Kommission für Menschenrechte (CEDH), Marcia Maritza Bullen Navarro, zeigten zwei Dutzend Aktivistinnen des Netzwerks für Sexuelle und Reproduktive Rechte in Puebla Plakate mit der Aufschrift:"3323 verschwundene Frauen verdienen nicht deine Aufmerksamkeit?"



Vianeth Rojas Arenas, ein Mitglied des Netzes, machte die Staatsanwaltschaft und die Landes-Kommission für Menschenrechte (CEDH) für das Agieren der Menschenhandel/Trafficking-Netze in Puebla verantwortlich. Weit entfernt davon, dieses Verbrechen zu bekämpfen, behinderten sie die Nachforschungen und verheimlichten Informationen, versicherte sie.



"Der Handel mit Frauen in Puebla ist sehr stark. Das haben Menschen wie Lydia Cacho, das Netz für Sexarbeit und das Kollektiv "Straßenbrigade" veröffentlicht. "Es ist bedauerlich, dass die Verantwortlichen für Strafverfolgung und Menschenrechte in Puebla Komplizen der Verbrecher sind ", klagte sie.



Die Nationale Menschenrechtskommission und CEIDAS veröffentlichten in diesem Jahr eine Studie zu den Grundvorraussetzungen, die den Menschenhandel in Mexiko ermöglichen. In dem Dokument wird erwähnt, dass durch Puebla zwei Routen von Menschenhändlerringen mit Prostitutionsabsicht führen.



Die beiden Routen haben die US-amerikanische Grenze zum Ziel. Die erste passiert Hidalgo und erreicht Chihuahua und Tamaulipas, die zweite durchläuft Mexiko-Stadt, Michoacan, Guadalajara und Sinaloa und endet in Sonora und Baja California.



Dem Bericht zufolge werden die Opfer in die USA gebracht und von dort aus auf die Bahamas und nach Spanien. Der Rest wird in der mexikanischen Republik verteilt.



Die Sonderabteilung der Bundesstaatsanwaltschaft für Gewaltdelikte gegen Frauen und Menschenhandel verorten Puebla innerhalb der 16 Bundesstaaten, in denen die höchste Zahl von Vorermittlungen wegen Menschenhandel begonnen werden.



In dieser Gruppe sind Coahuila, Chihuahua, Jalisco, Guanajuato, Nayarit, Hidalgo, Mexiko-Stadt, der Bundesstaat Mexiko, Morelos, Tlaxcala, Veracruz, Chiapas, Guerrero, Oaxaca und Yucatan.



Quelle:

La Jornada 24.12.2009 "Durante el sexenio de Mario Marín han desaparecido 3,323 mujeres en Puebla"

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Ergänzungen

Hintergrund

humanressource 29.12.2009 - 00:27
Der Bundesstaat Puebla im Zentrum Mexikos macht hier einen Negativ-Rekord. Mit über 3000 Verschwundenen seit 2005 macht es der Stadt Ciudad Juarez den rang streitig, die zur Jahrtausendwende negativ von sich hören machte:

 http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenmorde_von_Ciudad_Ju%C3%A1rez

Über 300 ermordete junge Frauen in wenigen Jahren. Die Handschrift der Täter war eindeutig sexualisierte Gewalt als Geste der Unterwerfung von Frauen unter die Männerherrschaft.
Die Ermittlungen liefen schleppend und schlampig, so dass die Mütter einiger Opfer die Organisation "Nuestras hijas de regreso a casa" (Für die Rückkehr unserer Töchter nach Hause) gründeten, die versuchte, den "Fall Ciudad Juarez" publik zu machen und eigene Nachforschungen betrieb.

 http://es.wikipedia.org/wiki/Nuestras_Hijas_de_Regreso_a_Casa

Schon bald wurde klar, dass hinter den Taten organisierte Netze stehen, gedeckt von Beamten in Behörden und Regierung. Die Organisatorinnen erhielten Drohungen, ihre Anwälte wurden eingeschüchtert, eine der Gründerinnen wurde 2001 ermordet. Juarez ist mittlerweile international bekannt für diese Morde.

Dieses Phänomen beschränkt sich jedoch nicht auf die Nordgrenze allein, in ganz Mexiko herrschen gesellschaftliche Verhältnisse, die es Menschenhändlerringen - und organisiertem Verbrechen im allgemeinen - leicht machen, ihren Verbrechen nachzugehen: die Aufklärungsquote von Verbrechen liegt bei unter 1%, gedeckt aus Angst, Bestechung oder Mittäterschaft.

Frauen und Kinder zählen scheinbar nichts, ein Menschenleben auch nicht. So kommt es täglich zu Dutzenden von auf offener Straße Ermordeten, Verschwundenen und Entführungen. Junge Frauen sind da nur die Spitze des Eisbergs.

Dennoch begünstigt dieses Klima diese Verbrechen. Als Ende 2005 der Gouverneur von Puebla im Zentrum Mexikos die Journalistin Lydia Cacho an der Karibik "verhaften" ließ - entführt, wie gerichtlich festgestellt wurde -, kam es zu Protesten im ganzen Land. Dem Gouverneur Mario Marín wurden Verbindungen zu einem Kinderponografie-Ring nachgesagt, belastende Telefonate sind heute noch im Internet anzuhören.

 http://www.jornada.unam.mx/pederastia/?seccion=llamadas

Es gab mehrere Demonstrationen mit mehr als 40.000 Menschen in Puebla, die den Rücktritt Maríns forderten. Er ist bis heute im Amt.

In einem Land, in dem die Polizeien und Justizbehörden mit dem organisierten Verbrechen verquickt sind, kann diesem nur Einhalt geboten werden durch internationale Öffentlichkeit. In diesem Sinne wurde hier die Übersetzung eines Artikels aus der mexikanischen Zeitung "La Jornada" vom 24.12.2009 gepostet.

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weitere Informationen zu Menschenhandel:

Wikipediaseite mit vielen Quellen:
 https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Menschenhandel

Guter Hintergrundartikel auf www.reset.to:
 http://reset.to/knowledge/handelsware-mensch-menschenhandel-im-21-jahrhundert

Infos zu Ciudad Juarez:

Seite aus der ila 317:
 http://www.ila-web.de/artikel/ila317/cdjuarez_feminicidios.htm

Seite mit Amnesty International Dokument:
 http://www.chiapas98.de/news.php?id=795