Eurasien für Anfänger

Tomasz Konicz 14.11.2009 08:50 Themen: Antifa Globalisierung
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung überrasche ihre Leser am 24. Oktober mit ganz neuen Einschichten. Deutschland sei keine „Gallere im Atlantischen Ozean“, so schloss der Publizist Dimitrios Kisoudis sein Plädoyer für eine „eurasische“ Ausrichtung deutscher Außenpolitik ab. Deutschland sei ein Land im „mittleren Westen Eurasiens“, das sich durch eine „Fehlorientierung“ an der „transatlantischen Partnerschaft“ mit den USA von der „eurasischen Landmasse“ abschneide. Durch eine Allianz mit Russland, die vornehmlich auf der Kooperation im Energiesektor aufbauen solle, würde Deutschland Teil des „Energieraumes Eurasien“ werden. Seit dem Ende des kalten Krieges erhalte die „Frage nach der geopolitischen Ordnung Eurasiens“ wieder hohe Priorität, erklärte Kisoudis knapp vor dem 20. Jahrestag des Mauerfalls.
Niemals zuvor ist wohl ein geopolitischer Bruch mit Washington derart explizit in der Zeitung propagiert worden, die nicht Zufällig als Zentralorgan der deutschen Bourgeoisie gilt. Verblüffend ist auch die Offenheit des Verfassers, mit der er die Quelle seiner geopolitischen Inspirationen benennt: Der „Anführer der Eurasischen Bewegung“, Aleksandr Dugin, entwerfe eine „Großraumordnung von Cádiz bis Wladiwostok“, die zunehmen unter der „jungen Elite Russlands auf Anklang“ stoße.

Die positive Bezugnahme auf diesen aufstrebenden russischen Großmachtideologen deutet auf einen Kurswechsel innerhalb der FAS hin, ließ doch das deutsche Elitenblatt noch am 11. April 2008 den kometenhaften Aufstieg Dugins kritisch als einen reaktionär-revolutionären Kampf gegen die „Hydra des Liberalismus“ kommentieren. Tatsächlich begann Dugin seine Karriere im Spektrum reaktionärer und ordinär faschistischer Kräfte, als er in den Neunziger Jahren zu den Führungsmitgliedern der russischen Nationalbolschewistischen Partei gehörte. Zudem war er kurzzeitig in der antisemitischen Bewegung „Pamjat“ (Erinnerung) und der Nazipartei „Russische Nationale Einheit“ aktiv.

Im Laufe seines politischen Aufstiegs, der über Beratertätigkeiten für diverse russische Politiker bis hin zur Professur an der Moskauer Universität in 2008 führe, formte Dugin seine Ideologie des Neo-Eurasismus aus, die perfekt auf die strategischen russischen Großmachtambitionen abgestimmt ist. Diese manichäische Ideologie sieht die Welt in einem jahrtausendealten titanischen Kampf zwischen Eurasiern (mit Russland als deren derzeitiges Zentrum) und Atlantikern (angeführt von den USA) verwickelt. Die eurasischen Mächte seien traditionell, organisch und hierarchisch organisiert, wohingegen in den atlantischen „Seemächten“ liberale und kosmopolitische Vorstellungen dominierten. Und dieser Kampf zwischen den beiden Zivilisationen – der teilweise geheim war und zwischen Geheimgesellschaften geführt wurde – nähere sich heute seinem Endstadium.

Dugin nimmt also die amerikanische Propaganda, wie sie beispielsweise Neokonservativen zur Legitimierung amerikanischer Expansion herangezogen wird, beim Wort und entwirft in Anlehnung an die neurechte Idee des Ethnopluralismus eine Gegenideologie, in der kulturelle Traditionen dem amerikanischen Mantra von „freedom and democracy“ entgegengehalten werden. Die Eurasier sind demnach in ihren nationalen Traditionen, in hierarchisch gegliederten Gesellschaftsformationen fest eingebettet. Jeder Mensch ist zuerst Mitglied einer bestimmten Nation, eines Kulturkreises oder ethnischen Gruppe – und in zweiter Instanz erst Mensch. Die Menschen werden nicht mehr durch ihre Zugehörigkeit zu einer biologischen Rasse, sondern durch ihre Kulturgemeinschaft definiert. „Du bist nichts, deine Kultur ist alles“, so könnte die eurasischen Maxime Dugins formuliert werden.

Eine derartig „ethnopluralistisch“ fundierte Ideologie harmoniert mit dem multiethnischen Charakter Russland. Alle in Übereinstimmung mit ihren kulturellen Traditionen verbleibenden Ethnien haben ihren Platz innerhalb des angestrebten Eurasischen Imperiums. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu der US-Ideologie der „Neocons“ – die ja alternativen zum gegenwärtigen Weltsystem schlicht für undenkbar halten – liegt in dem pseudorevolutionären Charakter des Duginischen Denkgebäudes, der sich zum widersprüchlichen Begriff der „Konservativen Revolution“ bekennt. So wie die derzeitige US-Hegemonie von den Eurasiern noch gebrochen werden muss, so sollen die Derzeit von „atlantischen“, also liberalen Werten dominierten Gesellschaften wieder eine „revolutionäre“ Hinwendung zu ihren Traditionen – selbst wenn diese erst noch erfunden werden müssten - durchmachen.

Schließlich übt diese eurasische Ideologie auch eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf deutsche Reaktionäre aus, fungieren doch gerade deutsche Wegbereiter des Faschismus wie Carl Schmitt als wichtige Stichwortgeber für Dugin. Die Bezeichnung der eurasischen Landmächte als „Tellurokratien“ und der atlantischen Seemächte als „Tallasokratien“ übernahm Dugin beispielsweise direkt von Schmitt. Auch das imperialistische Konzept einer eurasischen Hegemonie stammt aus dieser trüben Quelle, wie Kisoudis in dem eingangs erwähnten Artikel ausführte: „Dugin entwirft seine "Pax eurasiatica" in Anlehnung an Carl Schmitts Konzept einer europäischen Monroe-Doktrin. Der Hegemon verbittet sich Interventionen "raumfremder Mächte" und beschränkt die Souveränität der anderen Völker im Großraum. Behielte jedes Volk sein Recht auf nationale Selbstbestimmung, könnte es nach Belieben mit raumfremden Hegemonen anbandeln, um sich der Friedensordnung zu entziehen.“ Nichts dürfte auch den gegenwärtigen deutschen Großmachtambitionen weiter entgegenkommen als dieser alte deutsche Entwurf einer eurasischen Friedhofsordnung, an deren Verwirklichung Berlin schon zwei mal scheiterte.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

nord-süd konflikt — carpendale

Sinn des Textes? — Seppi

@seppi — punkgirl des monats

@ — tagmata

@carpendale — carpendale

@carpendale — howart karpfenteich