Eurasien für Anfänger
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung überrasche ihre Leser am 24. Oktober mit ganz neuen Einschichten. Deutschland sei keine „Gallere im Atlantischen Ozean“, so schloss der Publizist Dimitrios Kisoudis sein Plädoyer für eine „eurasische“ Ausrichtung deutscher Außenpolitik ab. Deutschland sei ein Land im „mittleren Westen Eurasiens“, das sich durch eine „Fehlorientierung“ an der „transatlantischen Partnerschaft“ mit den USA von der „eurasischen Landmasse“ abschneide. Durch eine Allianz mit Russland, die vornehmlich auf der Kooperation im Energiesektor aufbauen solle, würde Deutschland Teil des „Energieraumes Eurasien“ werden. Seit dem Ende des kalten Krieges erhalte die „Frage nach der geopolitischen Ordnung Eurasiens“ wieder hohe Priorität, erklärte Kisoudis knapp vor dem 20. Jahrestag des Mauerfalls.
Niemals zuvor ist wohl ein geopolitischer Bruch mit Washington derart explizit in der Zeitung propagiert worden, die nicht Zufällig als Zentralorgan der deutschen Bourgeoisie gilt. Verblüffend ist auch die Offenheit des Verfassers, mit der er die Quelle seiner geopolitischen Inspirationen benennt: Der „Anführer der Eurasischen Bewegung“, Aleksandr Dugin, entwerfe eine „Großraumordnung von Cádiz bis Wladiwostok“, die zunehmen unter der „jungen Elite Russlands auf Anklang“ stoße.
Die positive Bezugnahme auf diesen aufstrebenden russischen Großmachtideologen deutet auf einen Kurswechsel innerhalb der FAS hin, ließ doch das deutsche Elitenblatt noch am 11. April 2008 den kometenhaften Aufstieg Dugins kritisch als einen reaktionär-revolutionären Kampf gegen die „Hydra des Liberalismus“ kommentieren. Tatsächlich begann Dugin seine Karriere im Spektrum reaktionärer und ordinär faschistischer Kräfte, als er in den Neunziger Jahren zu den Führungsmitgliedern der russischen Nationalbolschewistischen Partei gehörte. Zudem war er kurzzeitig in der antisemitischen Bewegung „Pamjat“ (Erinnerung) und der Nazipartei „Russische Nationale Einheit“ aktiv.
Im Laufe seines politischen Aufstiegs, der über Beratertätigkeiten für diverse russische Politiker bis hin zur Professur an der Moskauer Universität in 2008 führe, formte Dugin seine Ideologie des Neo-Eurasismus aus, die perfekt auf die strategischen russischen Großmachtambitionen abgestimmt ist. Diese manichäische Ideologie sieht die Welt in einem jahrtausendealten titanischen Kampf zwischen Eurasiern (mit Russland als deren derzeitiges Zentrum) und Atlantikern (angeführt von den USA) verwickelt. Die eurasischen Mächte seien traditionell, organisch und hierarchisch organisiert, wohingegen in den atlantischen „Seemächten“ liberale und kosmopolitische Vorstellungen dominierten. Und dieser Kampf zwischen den beiden Zivilisationen – der teilweise geheim war und zwischen Geheimgesellschaften geführt wurde – nähere sich heute seinem Endstadium.
Dugin nimmt also die amerikanische Propaganda, wie sie beispielsweise Neokonservativen zur Legitimierung amerikanischer Expansion herangezogen wird, beim Wort und entwirft in Anlehnung an die neurechte Idee des Ethnopluralismus eine Gegenideologie, in der kulturelle Traditionen dem amerikanischen Mantra von „freedom and democracy“ entgegengehalten werden. Die Eurasier sind demnach in ihren nationalen Traditionen, in hierarchisch gegliederten Gesellschaftsformationen fest eingebettet. Jeder Mensch ist zuerst Mitglied einer bestimmten Nation, eines Kulturkreises oder ethnischen Gruppe – und in zweiter Instanz erst Mensch. Die Menschen werden nicht mehr durch ihre Zugehörigkeit zu einer biologischen Rasse, sondern durch ihre Kulturgemeinschaft definiert. „Du bist nichts, deine Kultur ist alles“, so könnte die eurasischen Maxime Dugins formuliert werden.
Eine derartig „ethnopluralistisch“ fundierte Ideologie harmoniert mit dem multiethnischen Charakter Russland. Alle in Übereinstimmung mit ihren kulturellen Traditionen verbleibenden Ethnien haben ihren Platz innerhalb des angestrebten Eurasischen Imperiums. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu der US-Ideologie der „Neocons“ – die ja alternativen zum gegenwärtigen Weltsystem schlicht für undenkbar halten – liegt in dem pseudorevolutionären Charakter des Duginischen Denkgebäudes, der sich zum widersprüchlichen Begriff der „Konservativen Revolution“ bekennt. So wie die derzeitige US-Hegemonie von den Eurasiern noch gebrochen werden muss, so sollen die Derzeit von „atlantischen“, also liberalen Werten dominierten Gesellschaften wieder eine „revolutionäre“ Hinwendung zu ihren Traditionen – selbst wenn diese erst noch erfunden werden müssten - durchmachen.
Schließlich übt diese eurasische Ideologie auch eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf deutsche Reaktionäre aus, fungieren doch gerade deutsche Wegbereiter des Faschismus wie Carl Schmitt als wichtige Stichwortgeber für Dugin. Die Bezeichnung der eurasischen Landmächte als „Tellurokratien“ und der atlantischen Seemächte als „Tallasokratien“ übernahm Dugin beispielsweise direkt von Schmitt. Auch das imperialistische Konzept einer eurasischen Hegemonie stammt aus dieser trüben Quelle, wie Kisoudis in dem eingangs erwähnten Artikel ausführte: „Dugin entwirft seine "Pax eurasiatica" in Anlehnung an Carl Schmitts Konzept einer europäischen Monroe-Doktrin. Der Hegemon verbittet sich Interventionen "raumfremder Mächte" und beschränkt die Souveränität der anderen Völker im Großraum. Behielte jedes Volk sein Recht auf nationale Selbstbestimmung, könnte es nach Belieben mit raumfremden Hegemonen anbandeln, um sich der Friedensordnung zu entziehen.“ Nichts dürfte auch den gegenwärtigen deutschen Großmachtambitionen weiter entgegenkommen als dieser alte deutsche Entwurf einer eurasischen Friedhofsordnung, an deren Verwirklichung Berlin schon zwei mal scheiterte.
Die positive Bezugnahme auf diesen aufstrebenden russischen Großmachtideologen deutet auf einen Kurswechsel innerhalb der FAS hin, ließ doch das deutsche Elitenblatt noch am 11. April 2008 den kometenhaften Aufstieg Dugins kritisch als einen reaktionär-revolutionären Kampf gegen die „Hydra des Liberalismus“ kommentieren. Tatsächlich begann Dugin seine Karriere im Spektrum reaktionärer und ordinär faschistischer Kräfte, als er in den Neunziger Jahren zu den Führungsmitgliedern der russischen Nationalbolschewistischen Partei gehörte. Zudem war er kurzzeitig in der antisemitischen Bewegung „Pamjat“ (Erinnerung) und der Nazipartei „Russische Nationale Einheit“ aktiv.
Im Laufe seines politischen Aufstiegs, der über Beratertätigkeiten für diverse russische Politiker bis hin zur Professur an der Moskauer Universität in 2008 führe, formte Dugin seine Ideologie des Neo-Eurasismus aus, die perfekt auf die strategischen russischen Großmachtambitionen abgestimmt ist. Diese manichäische Ideologie sieht die Welt in einem jahrtausendealten titanischen Kampf zwischen Eurasiern (mit Russland als deren derzeitiges Zentrum) und Atlantikern (angeführt von den USA) verwickelt. Die eurasischen Mächte seien traditionell, organisch und hierarchisch organisiert, wohingegen in den atlantischen „Seemächten“ liberale und kosmopolitische Vorstellungen dominierten. Und dieser Kampf zwischen den beiden Zivilisationen – der teilweise geheim war und zwischen Geheimgesellschaften geführt wurde – nähere sich heute seinem Endstadium.
Dugin nimmt also die amerikanische Propaganda, wie sie beispielsweise Neokonservativen zur Legitimierung amerikanischer Expansion herangezogen wird, beim Wort und entwirft in Anlehnung an die neurechte Idee des Ethnopluralismus eine Gegenideologie, in der kulturelle Traditionen dem amerikanischen Mantra von „freedom and democracy“ entgegengehalten werden. Die Eurasier sind demnach in ihren nationalen Traditionen, in hierarchisch gegliederten Gesellschaftsformationen fest eingebettet. Jeder Mensch ist zuerst Mitglied einer bestimmten Nation, eines Kulturkreises oder ethnischen Gruppe – und in zweiter Instanz erst Mensch. Die Menschen werden nicht mehr durch ihre Zugehörigkeit zu einer biologischen Rasse, sondern durch ihre Kulturgemeinschaft definiert. „Du bist nichts, deine Kultur ist alles“, so könnte die eurasischen Maxime Dugins formuliert werden.
Eine derartig „ethnopluralistisch“ fundierte Ideologie harmoniert mit dem multiethnischen Charakter Russland. Alle in Übereinstimmung mit ihren kulturellen Traditionen verbleibenden Ethnien haben ihren Platz innerhalb des angestrebten Eurasischen Imperiums. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu der US-Ideologie der „Neocons“ – die ja alternativen zum gegenwärtigen Weltsystem schlicht für undenkbar halten – liegt in dem pseudorevolutionären Charakter des Duginischen Denkgebäudes, der sich zum widersprüchlichen Begriff der „Konservativen Revolution“ bekennt. So wie die derzeitige US-Hegemonie von den Eurasiern noch gebrochen werden muss, so sollen die Derzeit von „atlantischen“, also liberalen Werten dominierten Gesellschaften wieder eine „revolutionäre“ Hinwendung zu ihren Traditionen – selbst wenn diese erst noch erfunden werden müssten - durchmachen.
Schließlich übt diese eurasische Ideologie auch eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf deutsche Reaktionäre aus, fungieren doch gerade deutsche Wegbereiter des Faschismus wie Carl Schmitt als wichtige Stichwortgeber für Dugin. Die Bezeichnung der eurasischen Landmächte als „Tellurokratien“ und der atlantischen Seemächte als „Tallasokratien“ übernahm Dugin beispielsweise direkt von Schmitt. Auch das imperialistische Konzept einer eurasischen Hegemonie stammt aus dieser trüben Quelle, wie Kisoudis in dem eingangs erwähnten Artikel ausführte: „Dugin entwirft seine "Pax eurasiatica" in Anlehnung an Carl Schmitts Konzept einer europäischen Monroe-Doktrin. Der Hegemon verbittet sich Interventionen "raumfremder Mächte" und beschränkt die Souveränität der anderen Völker im Großraum. Behielte jedes Volk sein Recht auf nationale Selbstbestimmung, könnte es nach Belieben mit raumfremden Hegemonen anbandeln, um sich der Friedensordnung zu entziehen.“ Nichts dürfte auch den gegenwärtigen deutschen Großmachtambitionen weiter entgegenkommen als dieser alte deutsche Entwurf einer eurasischen Friedhofsordnung, an deren Verwirklichung Berlin schon zwei mal scheiterte.
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Ergänzungen
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
nord-süd konflikt
ich meinte damit, den nicht zu vergessen und ins bewußtsein zu rufen.
die welt ist kein abbild irgendwelcher kontinentalplatten, sondern muß sich emanzipatorisch, kollektivistisch, aufs leben beziehend, dieses zu bewahren weiterentwickeln und einen lebenswillen zu haben. es bleibt ein stetiger prozess, auch der aussprache zwischen den völkern. unbedingte absage an rassismus, vermeidung von kriegen wegen ethnischer konflikte ist pflicht und muß antifaschistem gedankengut. mutter
erde muß vor raubbau geschützt werden. menschenrechte geschützt werden, vielleicht hatte
der autor auch ein paar glas wein oder met zuviel.
kritisch bleibt natürlich, deutschland als "galeere europas" zu empfinden und dabei als mittleren westen mit zentralmacht russland...ist doch tendenziös
evrasia > atlantik
Sinn des Textes?
Mir kann das herzlich Wurst sein wenn die FAZ nun aufeinmal auf Kuschelkurs mit Russland geht, das ist besser als vom Terrorstaat Nr. 1 abhängig zu sein, aber auch nicht viel besser.
Erst recht, wenn diese Abhängigkeit oder Zugehörigkeit aufgrund der Interessenslagen von Großkonzernen nun verschoben wird.
Gazprom ist auch nicht anders als Texaco. Die global Player sind und bleiben die Motoren für ein System, dass auf ein Maximum an Profit in kürzester Zeit bei maximaler Vernutzung von Mensch und Natur stehen....
So wat?
Alter Wein in neuen Schläuchen
Außer natürlich diejenigen, die durch {Korruption, Erbschaft, Geld, Vetternwirtschaft, Putsche, etc.} und damit verbundenen "höheren" Positionen in der Nahrungskette der Nation etwas gleicher sind, als andere. Wenn jetzt Russland die neuen USA sind, ändert sich für die Menschen nicht viel -- nur dass sie jetzt unter einem anderen Herrscher buckeln dürfen. Opportunismus wie er im Buche steht, kaum sägt die USA merklich an ihrem absteigenden Ast, sucht der Konservative von heute neue Bündnispartner für seine Ideologien und Allmachtsansprüche. Augen und Ohren offen halten!
@seppi
getan hat.
@
tha- ist optimal, aber -asso- muß schon sein im westlichen eurasien ;-) (ich nehme mal an es ist irgendwie aus ner slawischen sprache übertragen worden. bei russisch u.a. hättste's grad so wie's geschrieben ist so - obwohl das "th" im zarenrussisch vermutlich eher 'n "f"ita = theta gewesen wäre.)
ein guter, interessanter artikel. keine ahnung ob der den kritikerInnen nicht einfach zu hoch ist, aber es dürfte eher beißreflex sein. pochemu? nehmt ihn einfach als zustandsbeschreibung (denn als solche ist er brilliant).
@ carpendale
"die welt ist kein abbild irgendwelcher kontinentalplatten"
doch, das ist sie. und *genau deswegen* muß sie sich so weiterentwickeln, wie du es sagst.
denn von ort a nach ort b zu kommen, braucht immer eine gewisse zeit. geographische distanzen bedingen kulturelle distanzen.
und damit diese kulturellen distanzen nicht in ethnozentrismus, nationalismus und ähnliche höchst destruktive faschistoide ideen umschlagen, muß dem austausch von information und der migration von menschen vorschub geleistet werden.
wir sind die einzige spezies, die sich andere "harte" grenzen als geographische glaubt leisten zu können; das ist unnatürlich, und die kriege der vergangenheit sind ein blutiger beleg dafür *wie* unnatürlich. die genetische evolution hatte noch keine zeit, und mit einem mechanismus auszustatten, der uns von selbst unseren selbstgezogenen grenzen gemäß leben läßt; also muß es die kulturelle evolution nivellieren. (dann kommst relativ schnell zu erkenntnis, daß das letztliche ziel einer abschaffung *aller* menschengemachten grenzen ein durchaus mit unserem biologischen naturell sehr kompatibles ist. hey, ungefähr *alles* was nicht die intelligenz einer seepocke hat lebt so, und selbst ein vogel der zum brüten ein territorium verteidigt, streift im rest des jahres in der gegend umher und lernt neue "leute" kennen und tauscht sich mit diesen aus.)
zb eine "mittelmeerunion". in vielen sachen - klima zb als eine wichtige - wird sie vieles einfacher machen. wenn es gelänge, reaktionäre an der machtübernahme zu hindern, wird ein solcher regionalbund auch beim thema "migration" vieles zum guten wenden können.
insofern hoffe ich auch, daß die globalen machtstrukturen mittelfristig zu einem pluralistischen miteinander von regionenbündnissen unter inbezugnahme der randgebiete devolvieren. also eine "eu light"[*], mit türkei, rußland, ukraine, kaukasusbund als beratenden mitgliedern. die amerikas sind beinahe schon auf dieser ebene vernetzt, und die synergien sind bereits nach 10 jahren oder so augenfällig.
let's face it: das modell der "supermächte" ist gescheitert. es noch einmal zu versuchen, ist töricht. die welt hat nicht die richtige größe, um mit einem bi-oder tripolaren system stabil zu laufen. der un-sicherheitsrat funktioniert so lala; es ist das absolute minimum würde ich sagen. es braucht eine denationalisierung der globalen machtstruktur mit mindestens einem dutzend zentren, dann könnte es erst mal funktionieren denk ich.
http://books.google.com/books?id=MrYdq40KQiAC&pg=PA19 (von 1928 - die eine oder andere ungenauigkeit und anachronismus ist drin)
[*] das gegenwärtige system birgt eine extreme gefahr durch einen "kalten putsch" von berlusconis, lukaschenkos, polnischen katholiken, schwatzgelds, pamyatniks (-> slowenien, ungarn hatten bereits probleme) etc. es hat einen kritischen fehler, und muß in weiten teilen ersetzt werden.
@carpendale
@carpendale
@punkgirl des monats
in 4 jahren vielleicht doch wieder pds wählen?