brennen unsere herzen noch?

reformgruppe süd-ost 25.09.2009 12:24
brennen unsere herzen noch?

ein paar gedanken über den anstehenden »autonomen kongress« in hamburg(vom 9-11.10.2009 im rahmen der feierlichkeiten „20 jahre besetzung der roten flora“)
brennen unsere herzen noch?
ein paar gedanken über den anstehenden »autonomen kongress« in hamburg (vom 9-11.10.2009 im rahmen der feierlichkeiten „20 jahre besetzung der roten flora“)

innerhalb der letzten paar jahre ist das niveau praktisch militanter auseinandersetzung sowohl international als auch in vielen orten deutschlands gestiegen. auf unterschiedlichen ebenen werden direkte aktionen in vielfältigen bereichen des alltäglichen kampfes als zentrale form wiederentdeckt und angewendet: angedrohte räumungen und gentrifizierungsprozesse treffen auf kontinuierlichen und oft harten widerstand, antimilitarismus wird wieder als wichtiges feld der praktischen aus-einandersetzung begriffen, neonazistischen aktivitäten wird entschlossen entgegengetreten, auch physische erscheinungen der staatsmacht, wie etwa polizei und ordnungsamt, scheinen zunehmend zum beliebten angriffsziel vieler leute zu werden. es passiert allgemein eine ganze menge - verglichen mit den düsteren jahren, die eher von internen szene-konflikten geprägt waren. nicht, dass es sie nicht mehr gäbe, aber in vielen städten haben sie doch abgenommen, bzw. an bedeutung verloren.

warum aber fühlen wir uns trotzdem immer noch so unzufrieden? wieso haben wir das gefühl, dass auch in dieser zeit relativen aufschwungs anarchistischer und autonomer aktivitäten was fehlt? zum teil glauben wir liegt das daran, dass das niveau der praktischen auseinandersetzung zwar gestiegen ist, die reflektion darüber, was wir tun, warum wir es tun und warum wir es in bestimmten formen tun aber gering ist oder sogar komplett ausfällt. obwohl häufig versucht wurde, eine gemeinsame
diskussion aus verschiedenen blickwinkeln zu eröffnen, sind diese versuche meist früher als später gescheitert. die nach heiligendamm ins leben gerufenen autonomen vollversammlungen in hamburg und vor allem in berlin waren anfangs gut besucht, verloren dann aber immer mehr mitstreiterInnen. es sieht oft so aus, als wären wir nicht dazu in der lage gemeinsam zu diskutieren und solidarisch zu streiten, oder besser gesagt: das gesprochene wort scheint nicht so beliebt zu sein in zeiten, in denen kommunikation oft im internet stattfindet. die digitale welt kann aber die intensität, die wärme und die gefühle einer direkten face-to-face kommunikation nicht ersetzen. statt vereinzelt vorm rechner zu sitzen, möchten wir uns noch immer stundenlang direkt miteinander unterhalten, und wenn es in einem verrauchten dunklen raum eines autonomen zentrums ist.

daran, uns zu fragen, wie und wo wir soziale kämpfe wahrnehmen, wie dort mit eigenen positionen interveniert werden kann, um zusammen mit den kämpfenden agieren zu können, fehlt vielen entweder das interesse (weil diese kämpfe von »anderen« menschen begonnen werden, die nicht zu »unserer szene« gehören), die geduld oder das zutrauen (vielleicht denken viele, dass es nötig ist adorno gelesen zu haben, um einen text zu schreiben). oder sie sind von den vielen bisher gescheiterten versuchen frustriert. viel zu oft überlassen wir die ausarbeitung solcher überlegungen menschen oder gruppen, die kein interesse daran haben, zum aufstand zu kommen, die konform gehen mit den spielregeln der spektakelgesellschaft und entsprechend handeln. wir können von gruppen wie der interventionistischen linken nicht erwarten, dass sie stellvertretend für uns niederschreiben, was uns am herzen liegt - ganz einfach, weil wir etwas anderes wollen. es geht uns nicht darum, eine vernünftigere, eine bessere demokratie zu schaffen oder mehr rechte zu erkämpfen, die doch immer von einem staat gegeben werden, inklusive kontrolle, sanktion, rücknahme. uns geht es letztlich immer um die frage, wie wir mit dieser kapitalistischen gesellschaft und dem staat endgültig schluss machen können - nicht durch reformen und gute presse, sondern durch die verbreitung und praktische umsetzung autonomer selbstorganisierung, durch direkte aktion und solidarität. es geht darum, selbst kämpfe anzufangen und an den kämpfen anderer teilzunehmen, uns dabei immer der eigenen widersprüche bewusst zu sein und die alte leier endlich zu vergessen, die sich in der autonomen szene noch immer großer beliebtheit erfreut: so zu tun, als ob »wir« bessere menschen wären und widerspruchsfreier als die »anderen«. wir sind immer noch teil dieser gesellschaft, auch wenn wir sie ablehnen, bekämpfen, ihre normen und ihren alltag radikal in frage stellen. es gibt keine befreite insel im kapitalismus.

wir möchten die frage aufwerfen, wie wir aus unserem sumpf ausbrechen können, wie wir mit anderen kämpfenden menschen in kontakt treten und gemeinsam - aus verschiedenen ecken und vielleicht mit verschiedenen mitteln, staat und kapital angreifen können. wir werden in zukunft alltagskämpfe von menschen wahrnehmen, auch wenn diese noch keinen politischen rahmen haben. wir werden sie nicht zu revolutionären akten umdeuten, aber mögliches subversives potenzial in ihnen erkennen. wir denken dabei zum beispiel an kollektives klauen. wie können wir eine kommunikation zwischen kämpfenden individuen, zwischen kollektiven aufbauen, die jenseits der vermittlung bürgerlicher medien funktioniert? antworten auf diese fragen gibt es in der geschichte, aber auch in der gegenwart genug, wir müssen nur die augen aufmachen. wir wollen nicht länger an irgendwelchen festbetonierten traditionen festhalten. wir wollen ihn erledigen, den bullen in unserem kopf.

wer sagt, dass wir, um eine demonstration zu organisieren unbedingt eine anmeldung brauchen?
wer sagt, dass wir, um unsere inhalte zu vermitteln unbedingt mit der bürgerlichen presse zusammenarbeiten oder uns selbst auf die journalistInnen-rolle zurückziehen müssen?
wer sagt, dass wir uns, wenn wir mit flüchtlingen zusammen kämpfen wollen, auf karitative arbeit und symbolische steigbügelaktionen für politikerInnen beschränken müssen?
wer sagt, dass freiräume erkämpfen legalisierung heißen muss?
wer sagt, dass die anderen menschen in dieser gesellschaft alle unfähig sind, sich zu verändern?
wer sagt, dass wir uns bei einem kongress »der autonomen« auf die übliche weise über die üblichen sachen unterhalten müssen? - über antirassismus, antifaschismus, antisexismus, etc. - in plenas, die moderiert werden, damit alles moderat wird, die oft keinen platz lassen für spontane und aufrichtige auseinandersetzungen, weil wir oft mehr an falscher harmonie interessiert sind als an unbequemen fragen.

wir sind an der weiteren reproduktion dieser althergebrachten verstaubten formen nicht interessiert. wir wollen nicht wieder nach selbstbestätigung suchen: mit uns selbst zu uns selbst sprechen, wie gut und emanzipiert wir sind im gegensatz zu den »anderen«. unsere zusammenhänge reichen uns nicht, unsere debatten reichen uns nicht, unsere praxis reicht uns nicht. was wir anstreben, was wir uns ersehnen, was uns drängt, ist viel zu intensiv für diese routine und bedeutet uns viel zu viel. wir können uns nicht mit der jetzigen situation zufrieden geben. wir wollen kämpfen für unsere träume und die momente ausweiten, in denen wir spüren, dass wir leben. jene kostbaren momente, in denen es uns gelingt die isolation zwischen uns niederzureißen und tatsächlich gemeinsam zu wissen, dass dieses leben verdammt noch mal kein traum sein muss.

wir möchten dahin kommen, die kapitalistischen verhältnisse umzukippen und zwar radikal. auch wenn es vielleicht nur eine kurze zeit sein wird, in der wir uns anders auseinandersetzen, bewegen, kämpfen, lieben, denken, werden wir uns aus dieser zeit die inspirationen holen, um im nächsten moment des aufbruchs unsere gesammelten erfahrungen anwenden zu können. uns verbindet viel mehr mit der revolte in griechenland und mit den sozialen kämpfen, die sich in den letzten jahren in frankreich entfalten als mit der »bolivarischen revolution« in venezuela.

wir möchten nicht alles kleinreden, was aus der autonomen bewegung hier entstanden ist. darum geht es uns nicht. aber mit der schlichten reproduktion bestimmter klischés kommen wir nicht weiter, sondern erhalten maximal den status quo - und das kann ja wohl nicht unser anspruch sein!

solange es uns nicht gelingt, unsere treffen auf eine art und weise zu organisieren, die es uns erlaubt klar und offen über unsere grenzen zu reden und dennoch präzise und entschlossen bestimmte fragen mit dem ziel aufzuwerfen, die gesamte kapitalistische realität ins wanken zu bringen - die unsere kämpfenden beziehungen in und gegen diese realität mitreflektiert und uns die kraft gibt, nicht vor konsequenzen für das eigene leben zurückzuscheuen; solange wir nicht versuchen unsere treffen in diese richtung zu entwickeln, werden wir weiter dazu verurteilt sein, uns in unsere nischen zu verkriechen - oder zurückzukehren in den schoß der bürgerlichen gesellschaft, was heißt, dem system zusätzliche kreativität und energie zu geben, statt alle kraft dagegen einzusetzen. statt dessen befürworten wir eine diskussion, in der es schließlich um diesen umbruch geht, um die verbreitung subversiver inhalte und aktionsformen, darüber, wie es gelingen kann, dass sich die flammen ausbreiten, die unsere herzen erwärmen? falls diese flammen in unseren herzen noch lodern und noch nicht von tradition, anpassung, kompromiss oder resignation erstickt worden sind.

wir möchten diese wette eingehen und zwar nicht alleine.
wir möchten mit euch solidarisch darüber streiten, wie es doch noch was werden kann mit der revolte, dem aufstand, denn wir haben noch nicht das interesse aufzugeben.
und wir möchten das unbedingt mit all denjenigen tun, die heute und in den letzten jahren am start sind. ganz gleich, ob sie gerade angefangen haben sich zu engagieren oder schon länger dabei sind. wir denken, dass eine lange autonome vita keine voraussetzung dafür sein darf, den kongress in hamburg in form und inhalt zu bestimmen. im gegenteil würde etwas frischer wind dem ganzen vielleicht ganz gut tun.

auch aus welcher »gruppe« die leute kommen interessiert uns nicht wirklich, ob antifa oder antira oder antimil oder oder. schließlich geht es uns, bei allem respekt den erfahrungen der einzelnen gegenüber doch darum, die verhältnisse umzukrempeln, in denen solche schubladen dazu verwendet werden, leute gegeneinander auszuspielen und fertigzumachen, um sie besser ausbeuten zu können. wir sollten mehr drüber reden, was wir tun, und weniger darüber, wer wir sind.

maßgeblich für die teilnahme an der diskussion sollte einzig der wille sein, gemeinsam wege zu finden, wie wir uns unser leben und unsere wünsche wieder aneignen können. mit diesem ziel werden auch wir im oktober nach hamburg fahren, um weitere anstösse für eine diskussion zu
geben und so hoffentlich dazu beizutragen, dass vielleicht übers nächste jahr diese debatte in gang kommt, die uns für unseren kampf gerade mehr als notwendig erscheint.

wir bemühen uns, einen längeren text kurz vor oder auf dem kongress zu veröffentlichen. wir schlagen für den kongress praktisch vor, nicht in ags über unterschiedliche themenstränge zu diskutieren, sondern zu aller erst und vorangig gemeinsam oder wenn nötig in kleineren gruppen die frage des aufstands zu erörtern. unser diskussionsvorschlag: texte aus griechenland im dezember und ihre bedeutung für uns.

reformgruppe süd-ost, september 2009
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Ergänzungen

Auch in Hamburg: TAG X

erika 25.09.2009 - 13:04
Tag der Urteilsverkündung im mg-Prozess
19 Uhr S-Bahnhof Sternschanze - Hamburg


 http://www.prp-hamburg.tk/

 http://einstellung.so36.net/1563

 http://perspektive.nostate.net/feuer_flamme_2009_aufruf.html

Klassiker der Autonomen-(Selbst)-Kritik

TaP 25.09.2009 - 15:19

Ich sag‘, wie’s ist aus der interim Nr. 26 – 28 v. 28.10., 04.11. und 11.11.1988:
 http://theoriealspraxis.blogsport.de/images/Ich_sag_wie_s_ist.pdf

Das reformistische Schaf im autonomen Wolfspelz. Autonome Theorie(n) zwischen vorkapitalistischer Idylle und spätkapitalistischem Reformismus [Kritik an der Autonomie Nr. 14]
 http://theoriealspraxis.blogsport.de/koproduktionen/anmerkungen-zum-reader-autonomie-organisierung/

Stand autonomer Bewegung. Langlauf oder Abfahrt im Sturz (Text 1.3 im Reader Von sozialen Bewegungen zur sozialen Revolution für die Libertären Tage, die 1987 [?] vom 16. bis 20.4. in Frankfurt am Main stattfanden)
 http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/18/doku-stand-autonomer-bewegung-langlauf-oder-abfahrt-im-sturz/

Weiterer Text zum Autonomen Kongress in HH

Autonome 10.10.2009 - 23:26
Der Text »Nicht blöd werden! Autonome auf dem Weg ins 22. Jahrhundert« des Autonomen Kongresses in Hamburg gibt es hier als pdf-Datei.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 14 Kommentare an

freude — rio t.

sehr schön — A.

Och bitte nicht — Icke

Das Radio hat die Rote Flora ersetzt — Omnipotente FSK-Hoererin

Das ist Blödsinn! — Hirni

@hirni — schneekette

@schneekette — muenger

@muenger — as himself

Autonome sind Rassistinnen — Blow Job for life

Total anmaßend — Alex

toll — dankesehr