Die Arbeitslose Arbeitsgesellschaft

Tomasz Konicz 07.09.2009 08:34 Themen: Blogwire Globalisierung Weltweit
Die Wirtschaftskrise als Krise der Arbeitsgesellschaft: Der Kapitalismus ist zu produktiv für sich selbst geworden. Konkurrenzvermitteltes streben nach Profitmaximierung führt dazu, dass immer weniger Lohnabhängige in immer kürzerer Zeit immer mehr Waren herstellen können. Konjunkturprogramme helfen da nicht dauerhaft.

Detroit kann getrost als der Ursprungsort der Autogesellschaft bezeichnet werden. Von dieser im nördlichen US-Bundesstaat Michigan gelegenen Metropole, in deren Umland die als „Big Three“ Bezeichneten Automobilhersteller Ford, der General Motors und Chrysler beheimatet waren, ging die Massenmotorisierung der Vereinigten Staaten aus. Das Modell Detroit bildete auch die Grundlage für die „Automobilmachung“ aller avancierten Industrienation nach dem Zweiten Weltkrieg, die – in Wechselwirkung mit den enormen Folgeinvestitionen zum Aufbau der entsprechenden Verkehrsinfrastruktur - die Grundlage für die lange Nachkriegsprosperität legte. Wie unter einem Brennglas lassen sich aber nun in dieser „Autostadt“ die eigentlichen Ursachen der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise in aller Schärfe besichtigen.

Detroit bildet nun ebenfalls sozusagen das „Ground Zero“, den Ursprungs- und Brennpunkt der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise, die sich vor allem als eine Krise der durch die Expansion der Autoindustrie bis in die Siebziger Jahre hinein formierten Arbeitsgesellschaft erweist. Die explosionsartig ansteigende Arbeitslosigkeit in dieser Region geht mit einem rapiden Verfall der städtischen Infrastruktur, sozialer Zerrüttung und einer Verödung ganzer Stadtteile einher, die an die Zustände in den Zusammenbruchregionen der Dritten Welt erinnern. In der Stadt Detroit, deren Einwohnerzahl von 1,85 Millionen in 1950 über knapp eine Million in 2000 auf nur noch 820.000 in 2008 fiel, kletterte die offiziell registrierte Arbeitslosenquote im vergangenen Juli auf inzwischen 28,9 Prozent. Im gesamten Großraum Detroit mit seinen 4,2 Millionen Einwohnern Waren 17,3 Prozent aller Erwerbsfähigen im selben Zeitraum arbeitslos gemeldet. Selbstverständlich handelt es sich hier um die statistisch „bereinigte“ Erwerbslosenquote, die weder die geringfügig Beschäftigten, noch die Arbeitslosen erfasst, die bereits die Stellensuche aufgegeben haben.

Die explodierende Arbeitslosigkeit in der Region ist einer regelrechten Deindustrialisierung geschuldet, die das inzwischen als Rostgürtel (Rust Belt) bezeichnete, ehemalige industrielle Kernland im Nordosten der USA erfasst hat. So halbierte sich de facto die Anzahl der Industriearbeitsplätze in Michigan von 900.400 im Januar 2000 auf 453.800 im Juli 2009. Die in den USA unter dem Namen „Cash for Clunkers“ aufgelegte – und bereits ausgelaufene – Abwrackpremie hinterließ in Michigan nur einen bescheidensten Effekt: die Anzahl der Industriearbeitsplätze stieg von Juni auf Juli um ganze 600.

Ein ähnlicher Prozess vollzog sich in den gesamten Vereinigten Staaten, wo die um die Anzahl der Industriebeschäftigten (Manufacturing) von circa 17 Millionen auf knappe 12 Millionen schrumpfte. Auch auf Bundesebene stoppte das milliardenschwere amerikanische Konjunkturprogramm vorerst das weitere Wachstum des zuvor explosionsartig anschwellenden Herrs der Arbeitslosen, das laut offizieller Statistik 9,4 Prozent aller Erwerbsfähigen umfasst. Seriöse Schätzungen gehen hingegen von einer reellen Arbeitslosenquote um die 20 Prozent aus.

Die insgesamt auf 972 Milliarden US-Dollar geschätzten Konjunkturmaßnahmen der US-Regierung können diese sich vollziehende Auflösung der Arbeitsgesellschaft nur verzögern – aufhalten können sie sie nicht. Den wichtigsten Stützpfeiler der US-Konjunktur bildete der private Konsum, doch gerade die Löhne der hoch verschuldeten amerikanischen Arbeiter und Angestellten brechen im Zuge der Krise ein. Die Löhne und Gehälter in der privaten US Wirtschaft fielen immer Juli 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,04 Prozent – das sind ca. 380 Milliarden US-Dollar, die den privaten Konsum nun nicht mehr zur Verfügung stehen. Diesen Einbruch Können auch die um 45 Milliarden US-Dollar gestiegenen Vergütungen im Staatssektor nicht mehr ausgleichen.

Diese Mindereinnahmen der amerikanischen Lohnabhängigen führten zu Gesunkenen Arbeitskosten in Höhe von 5,9 Prozent im zweiten Quartal 2009, nachdem diese im ersten Quartal bereits um 5 Prozent sanken. Diese fallenden Arbeitskosten (und somit sinkende Massennachfrage) gehen mit einer rapide steigenden Produktivität der amerikanischen Wirtschaft einher. Im zweiten Quartal dieses Jahres legte die Produktivität der amerikanischen Industrie um 6,6 Prozent zu. Die Financial Times Deutschland (FTD) sah in dieser Entwicklung sogar ein „spektakuläres Comeback“ der US-Industrie, die hierdurch wettbewerbsfähiger würde.

Ironischerweise verwechselt hier die FTD die Ursache der gegenwärtigen Krise mit einem Ausweg aus der Weltwirtschaftskrise. Es ist gerade diese verhängnisvoller Wechselwirkung zwischen permanent steigender Produktivität der Industrie und sinkender – Mehrwert generierender! - Industriebeschäftigung, die in letzter Instanz für die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise verantwortlich. Die staatlichen Konjunkturprogramme, die staatliche Verschuldung, lassen dieser verhängnisvoller Dynamik – noch – nicht zu voller Entfaltung gelangen. Dies verhinderte aber auch der finanzmarktgetriebene Kapitalismus der letzten drei Jahrzehnte, der mit der Ausbildung von die Spekulationsblasen (von der Asienkrise über die Internetspekulation bis zur Immobilienblase) und exzessiver privater Verschuldung ebenfalls schuldenfinanzierte private Nachfrage erzeugte. Der in den letzten Dekaden wuchernde Finanzsektor ist somit nicht für die gegenwärtige Krise der Arbeitsgesellschaft verantwortlich – er verzögerter deren Ausbruch, indem er die besagten Widersprüche der Warenproduktion immer weiter durch zunehmende Verschuldung verzögerte und auch zuspritzte.

Selbstverständlich wird diese Krise der Arbeitsgesellschaft ebenso die anderen Industriegesellschaften mit ähnlicher Wucht ergreifen. Trotz eines Konjunkturprogramms von circa 468 Milliarden US-Dollar stieg die offizielle Arbeitslosenquote in Japan im Juli dieses Jahres auf 5,7 Prozent – dies ist der höchste Wert seit Ende des Zweiten Weltkrieges. In der Eurozone hingegen wurde einer Erwerbslosenquote von 9,5 % im selben Monat erhoben. Deutschland kann nur dank der Bundestagswahl sich über eine Gnadenfrist beim massenhaften Arbeitsplatzabbau freuen. Nach Ablauf der Abwrackpremie und der Bundestagswahl dürfte selbst die gnadenlos geschönte, offizielle Erwerbslosenzahl bald wieder die 5 Millionen überschreiten. Selbst IWF Chef Strauss-Kahn Schätzt inzwischen, dass die Arbeitslosigkeit global bis 2011 weiter ansteigen werde.

Man könnte auch sagen, der Kapitalismus ist zu produktiv für sich selbst geworden. Gerade weil immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr Waren herstellen können, finden sich immer größere Teile der Bevölkerung der Industrieländer in Arbeitslosigkeit und sozialer Marginalisierung wieder. Frei nach Marx gesagt: Es sind die Produktivkräfte, die in dieser Systemkrise die fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sprengen.
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... 08.09.2009 - 08:54

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