Besetzung Tempelhof: Senat stellt sich

borg 22.05.2009 15:50 Themen: Freiräume Medien Soziale Kämpfe
Eine Besetzung wird nicht geduldet. Das sagt diesmal nicht die Polizei, sondern die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer zur angekündigten öffentlichen Massenbesetzung des ehemaligen Flughafen Tempelhofs am 20.06.09. Das Bemerkenswerte daran ist nicht die Aussage, sondern die Tatsache, dass sich der Berliner Senat politisch zum Thema äußert, anstatt wahlweise die Polizei oder den Innensenat vorzuschicken. Warum der Senat unbequeme Fragen zu Stadtumstrukturierung, Gentrification und Mietexplosion meidet, wird auch im Laufe des Interviews mit Junge-Reyer deutlich. Denn ein „Tempelhof für alle“ will sie anscheinend nicht.
Die Stadtentwicklungssenatorin gibt ihr Interview mit der Berliner Abendschau im Anschluss an einen Beitrag zur angekündigten Massenbesetzung und der Frage der weiteren Nutzung von Tempelhof. Es folgt eine kleine Interpretation des Interviews. Der komplette und wirklich empfehlenswerte Sendbeitrag findet sich hier: Squat Tempelhof in der Abendschau

Abendschau: Was denken sie, wenn sie von den Plänen zur Besetzung des Geländes von Tempelhof hören?

Junge-Reyer: Ich kann gut verstehen, dass dieses wunderbare Gelände so anziehend ist, aber ich glaube, dass wir nicht einfach den Zaun entfernen sollten. Wir sind im Moment dabei zu überlegen (…) wie das Gelände sukzessiv geöffnet werden könnte.

Abendschau: Also partiell und vorübergehend?

J.-R.: Partiell, und dann im Laufe der Zeit nicht nur vorübergehend, aber nicht alles auf einmal. Man muss ja das Gelände sichern, man muss zum Beispiel Tore einbauen und ich glaube, man sollte es nicht nachts einfach geöffnet lassen. Und dann, sehen sie, sind ja schon im Moment sind ja schon viele unterwegs auch auf dem Gelände. D.h., dass es Rundfahrten gibt, am kommenden Dienstag z. B. die Stiftung Naturschutz wird sich das Gelände anschauen, an dem Tag der Offenen Tür jetzt zum Jahrestag der Luftbrücke sind viele auf dem Gelände gewesen und haben es sich angeschaut, es wird Marathonstaffeln geben und ich bin mir sicher demnächst werden die Skater kommen und sagen, auch wir wollen einen Tag auf diesem Gelände verbringen.

Letztendlich wird hier gesagt, dass der Zaun nicht jetzt oder in Zukunft dauerhaft geöffnet wird oder gar weg kommt. Das Gelände bleibt so oder so eingezäunt, wir nur zu besonderen Anlässen geöffnet und wird wahrscheinlich weiterhin bewacht. Dass viele bereits auf dem Gelände unterwegs sind, kann nicht bestätigt werden. Der Tag der Offenen Tür fand nur auf dem wiederum eingezäunten Vorfeld des Gebäudes statt. Ausgewählte Leute wurden zwar auf das Feld gekarrt, die große Masse durfte dabei aber nur zugucken, was auch einiges an Unmut hervorrief. Junge-Reyer wird jetzt zu den Plänen für Tempelhof gefragt:

Abendschau: Das zeigt ja, dass es auch ein gewisses Bedürfnis gibt und natürlich auch Begehrlichkeiten weckt von vielen. Also können sie da schon ein bisschen so vom Zeitplan was verraten, wann man denken könnte, dass es soweit ist, das man partiell und äh Tempelhofgelände öffnet? (!)

J.-R.: Es gehört uns ja noch nicht, und deshalb muss ich ein bisschen zurückhaltend sein, weil wir uns natürlich, hoffentlich als zukünftige Eigentümer, im Augenblick noch sehr abstimmen müssen. … Und dann werden wir sehen, dass wir eine Parklandschaft planen können, bei der ich darauf rechne, dass die Bevölkerung sich einmischt. Wir wollen noch vor den Sommerferien 2000 Berlinerinnen und Berliner, die in der Umgebung wohnen, fragen, wie sie es sich konkret vorstellen und wir wollen dann mit ihnen uns das Gelände genau anschauen.

Abendschau: Also es wird eine Beteiligung geben von Anwohner, für ihre Vorstellungen, da haben sie ein offenes Ohr für?

J.-R.: Selbstverständlich. Wir planen gemeinsam mit den Fachleuten. Aber das, was die Menschen, die in der Umgebung wohnen, sich vorstellen, das muss eine wichtige Rolle spielen. Wir wollen ja einen Park bauen, eine Parklandschaft, einen Central Park mitten in Berlin für alle Berlinerinnen und Berliner, aber vorrangig für die, die ganz in der Nähe wohnen.

Das Eigentumsargument stimmt natürlich formal, Teile des Geländes gehören noch dem Bund sollen aber bald auf das Land übergehen. Allerdings hält das den Senat bislang nicht davon ab, das gesamte Gelände und Gebäude zu verplanen. Die Konzepte für Wohnbebauung und Parklandschaft existieren schon seit längerem und auch in diesem Sommer wird das Gelände für verschiedene Messen, Events und Veranstaltungen genutzt. Es ist also schon jetzt eine politische Entscheidung des Senats, was wann und wie auf Tempelhof passieren wird. Interessant auch der Aspekt der „Beteiligung“. Die soll jetzt irgendwie noch stattfinden, jedoch nur für die Gestaltung des Parks in der Mitte. Gar nicht erst weiter kommentieren muss man in diesem Zusammenhang die Aussage „Wir planen gemeinsam mit den Fachleuten.“ Das Junge-Reyer an einen Central Park denkt, spricht für sich. Die Wohngegenden rund um den Central Park in New York gehören zu den exklusivsten weltweit.

Abendschau: Nun hat die Senatsbaudirektorin gesagt, einen ersten Bauplan wird es 2011 geben, so haben sie jetzt schon die Gartenbauausstellung angesprochen, die ist 2017, d.h. also, es wird noch sehr viel Zeit vergehen?

J.-R.: Nicht bis zur Öffnung des Parks, denn wir bauen ja eine Parklandschaft, die wir gemeinsam planen mit einer internationalen Gartenausstellung, und das, was Frau Lüscher dargestellt hat als Ergebnis des Columbiaquartierwettbewerbs, das bezieht sich vor allen Dingen auf die Möglichkeit, dort zu wohnen. Wohnen unmittelbar im Park, Arbeiten im Gelände und auf dem Bereich des Flughafengebäudes. Ich glaube, das ist hoch attraktiv, mit der Familie dort zu wohnen, abends dann in den Park zu gehen, ein Mal rum laufen, wen man das sieben Mal schafft, ist das schon ein Marathon. Ich glaube, dass wird hoch attraktiv werden.

Hier kommt Junge-Reyer auf den Punkt. Ein Central Park in der Mitte, Wohnen mit der Familie drumherum und dann noch arbeiten im Gebäude („Kreativ- und Kulturwirtschaft“ soll dort angesiedelt werden), alles „hoch attraktiv“. Gerade beim „Columbiaquartier“ kann diese hohe Attraktivität auch schon im Bild bewundert werden. (Dazu ein Artikel von Tempelhof für Alle: Egebnisse Wettbewerb Columbiaquartier) Was das noch mit den Interessen der Menschen aus der Umgebung zu tun hat, ist nur schwer zu verstehen. Das Klientel, was sie mit ihren Vorstellungen anspricht, wohnt zurzeit jedenfalls nicht am Flughafen. Was sie dann noch mit der Marathonrechnung sagen will, bleibt wohl ihr Geheimnis.

Abendschau: Jetzt haben sie ganz viel gesagt, was alles passieren wird, das nahe liegende, noch mal ganz kurz zur Besetzung, werden sie die verhindern oder nicht?

J.-R.: Ein Paar Aktionen außerhalb des Zauns, ich glaube daran sind wir Berlinerinnen und Berliner gewöhnt, eine Besetzung oder gar eine Zerstörung des Geländes oder eine Besetzung des Gebäudes wird nicht geduldet.

Dass bereits jetzt die wöchentlich stattfinden Zaunspaziergänge polizeilich überwacht und gegängelt werden, weiß Junge-Reyer vielleicht gar nicht. Die Besetzung scheint sie jedenfalls nicht so gut zu finden. Die Befürchtung einer Zerstörung des Geländes entbehrt aber jeder Grundlage. Was sollte man dort überhaupt zerstören und vor allem: Warum?


Alles in allem ein interessantes Interview. Zaun und Überwachung werden bleiben, Nutzungen im Interesse vieler verschiedener Leute sind nicht angedacht und auf lange Sicht auch nicht gewollt. Geschaffen wird eine weitere Adresse des neuen Berlins – alles ganz „hoch attraktiv“. Der Rest steht weiter vorm Zaun.

Da das viele Menschen befürchten, nimmt die angekündigte Besetzung weiter an Fahrt auf. Nach der Einschätzung von Beteiligten kommt Unterstützung aus ganz verschiedenen Richtungen. Die Aktion soll auf der einen Seite die Veränderungsprozesse in der Stadt angreifen und weiter auf deren unsoziale Auswirkungen hinweisen. Auch eine grundsätzliche Kritik an der kapitalistischen Transformation der Städte wird geäußert. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele ganz konkrete Rückmeldungen und ein reges Interesse aus den angrenzenden Kiezen. So wurde eine Vorfeldaktion mit verteilten Ankündigungen von Mieterhöhung ganz gut aufgenommen. Auch die Zauninterviews im Abendschaubeitrag spiegeln da einiges wider.

Das Besetzungskonzept selbst bleibt weiterhin geheim. Auf der Website von Squat Tempelhof wird darauf hingewiesen, dass letzte Informationen erst kurz vor dem 20.06. veröffentlicht werden, und sich ein regelmäßiges Besuchen der Website lohnt. Dennoch kann man sich schon jetzt anhand einiger Fragen auf die Aktion vorbereiten: Konzeptseite auf tempelhof.blogsport.de

Außerdem wird es in den nächsten Wochen Infoveranstaltungen geben, eine erste große in Berlin findet am Montag, 25.05., statt. (19:30 Uhr, K9 in der Kinzigstr.9 in Friedrichshain) Außerdem gibt es schon jetzt eine Reihe von kleineren Infoveranstaltungen in Neukölln, die dort durch Aushänge angekündigt werden.


Mehr Infos:

Website von Squat Tempelhof
Website von Tempelhof für Alle
MySpace-Spielerei von Squat Tempelhof
Mobivideo 1, Mobivideo 2

Indyartikel zu Squat Tempelhof
Bericht vom Tag der Offenen Tür / Fotos / Video
Bericht zu den verteilten Mieterhöhungen
Polizeipräsenz im Vorfeld
Pressespiegel zur Besetzung am 20.06.

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Ergänzungen

politisch besetzen!

jawohl 22.05.2009 - 18:20
Das Thema verfängt in der Umgebung durchaus, denn die Leute kennen das bereits - die Vorstellung, wie ihre Stadt aussehen soll, kommt immer von relativ weit oben und natürlich bestimmen, die die das Kapital haben zu gunsten selbiger, alles andere würde nicht Kapitlaismuskonform sein.

Die Scheinbeteiligungskonzepte, die hier im Interview erwähnt werden, sehen dann oft so aus: soll der Spielplatz jetzt das oder das Spielgerät haben, die Bank rot gelb oder grün sein - aber verplant ist natürlich meist alles schon im Vorfeld und wenn nicht, dann tun es sogenannte Investoren - aber genau zur richtigen Zeit (Krise) will eigentlich keiner so richtig - also sind wir gefragt, auch wenn sie uns nicht wollen.

Es ist schon echt verrückt, da ist ein riesen Gelände, mit nix drauf und es wird bewacht, als würde es sich um die Baustelle eines Endlagers für Atommüll handeln - zumindest kenne ich das in diesem Zusammenhang. Der Sicherheitsdienst fährt im 10 bis 20 minütigen Takt am Hochsicherheitszaun entlang und die Menschen stehen drumrum, schauen auf die Fläche und haben genug Phantasie sich den Wahnsinn vorzustellen, den andere hier in ihrem Namen planen...

da ist was

öko 22.05.2009 - 20:32
die große freifläche innerhalb der runden rollbahnen ist laut änderung des flächennutzungsplans weiterhin als zu erhaltene grünfläche geplant. neben parkartigen und sportanlagen, die wahrscheinlich eher zwischen den gebäudeblocks ausserhalb der rollbahnen geplant sind, stehen ca. 1/3 der großen freifläche nach § 26 bundesnaturschutzgesetz unter schutz.
geschützte biotoptypen: Frischwiesen (typische Ausprägung), Heidenelken-Grasnelkenflur
weiter sollen die wiesen lebensraum für vogelarten sein, die zu 50% auf der roten liste stehen... diese gebiete würden demnach garnicht zu betreten sein.

wegen der wichtigen stadtklimatischen funktion des frisch- und kaltluftaustausches müssen ebenso teile von bebauung freigehalten werden, was durch die feszgesetzten grünstreifen am östlichen rand auch vorgesehen ist.

schaut mal

pfingsten 22.05.2009 - 22:36
nächstes wochenende findet auf dem gelände die (größtenteils unkommerzielle) europameisterschaft der fahrradkuriere statt. das wird sicher lustig, und nebenbei darf man auch ganz legal mal ein stückchen von dem heißbegehrten gelände beschauen.


 http://www.ecmc2009.com/

Auch bei Mediaspree immer abgehobener: Junge-

flopserver 23.05.2009 - 12:29
Reiher, siehe:  http://www.bytes.kilu.de

Der Pfad der Zerstörung

Manfred Kleingärtner 23.05.2009 - 16:00
Dass die Senatorin in einem Munde von Besetzung und Zerstörung redet, ist natürlich weder ein Zufall noch einer Befürchtung geschuldet, wie sie sie wortwörtlich formuliert. Offenkundig wird doch eine subtile Verleumdungsstrategie: Dass Besetzung eine Zerstörung nach sich ziehen würde bzw. dass diejenigen, die besetzen wollen oder dazu aufrufen, pauschal als "Chaoten" abqualifiziert werden, die der Allgemeinheit etwas weg nehmen und kaputt machen könnten. Und damit geht die Legitimierung des Zaunes einher, benso wie die Hoheit des Senats über die Entwicklung: Wenn man nicht einzäune, werde zerstört, der Zaun sei ein Schutz, und wenn der Senat nicht die Hoheit behalte und nach jedem Event wieder hübsch abschließen lasse, dann ist früher oder später das ganze Abendland verloren.

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zum thema — große sprüche nix dahinter

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nur kurz erwähnt — müde