Vergewaltigung im Flüchtlingslager

Rosa Paulsen 14.01.2009 10:49 Themen: Antirassismus Gender Repression
Der ehemalige Hausmeister einer Flüchtlingsunterkunft in Nürnberg wird beschuldigt eine Frau aus Uganda brutal vergewaltigt zu haben. Gestern begann der Prozess, der am Donnerstag fortgeführt wird. Zeugenaussagen im Prozess und Expertinnen weisen jedoch über den Einzelfall hinaus. „Das Lagersystem schafft ein großes Machtgefälle zwischen Personal und BewohnerInnen und ermöglicht die sexuelle Ausbeutung und rassistische Unterdrückung“, erklärt Simone Fischer, Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrats. Die Organisation sieht nur eine Lösung: Die Schließung aller Flüchtlingslager.
Wegen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen muss sich Richard Schimpf (61), der ehemalige Hausmeister der Asylbewerberunterkunft in der Schloßstraße in Nürnberg vor dem Landgericht verantworten. Zwischen 2001 und 2002 soll er mit dem Generalschlüssel in das Zimmer einer Frau aus Uganda eingedrungen sein während sie schlief und sie vergewaltigt haben. Der Beschuldigte, der mittlerweile in Rente ist, streitet dies ab und glaubt an einen Racheakt da er bei Abschiebungen mitgewirkt hat. Ob es zu einer Verurteilung kommt hängt davon ob wem das Gericht augrund weiterer Zeugenaussagen glaubt. Am Dienstag wurde zunächst der Hausmeister und die Uganderin, eine Caritas-Mitarbeiter, sowie ein ehemaliger Zivildienstleistender befragt. Am Donnerstag sollen weitere Frauen aus der Unterkunft aussagen, die nach Angaben des Flüchtlingsrats ebenfalls von sexuellen Übergriffen durch den Hausmeister berichten werden. Eine weitere Frage ist ob die Tat als einfacher Mißbrauch gewertet wird, damit wäre sie schon verjährt – oder, da die Betroffen schlief, als Mißbrauch an widerstandsunfähiger Personen eingestuft wird womit eine Haftsrafe von zwei Jahren realistisch wäre.

Das es überhaupt zu der Anzeige kam ist das Resultat der jahrelangen Arbeit des internationalen Frauencafes in Nürnberg und dem Mut der Unganderin. Normalerweise kommt es nicht zu einer Anzeige, wie Claudia Gessl vom Frauencafe berichtet. Es gebe etliche Frauen, die von sexuellen Übergriffen in Flüchtlingslagern durch Hausmeister, Wachpersonal und Lagerleitung aber auch durch andere Asylbewerber berichteten. Normalerweise kommt es nicht zur Anzeige. Auch die Klägerin wollte erst nicht. Ihr als Asylbewerberin glaube ja eh niemand. Zudem haben Flüchtlingsfrauen oft Angst vor negativen Konsequenzen für ihr Asylverfahren und Schikanen in ihrer Unterkunft. Hinzu kommt die Scham, die auch deutsche Frauen oft davon abhält Anzeige bei Vergewaltigungen zu erstatten.
Auch die Aussage eines Zivildienstleistenden in dem Flüchtlingslager in Zirndorf, der die Klägerin kennt bestätigt das es sich um keinen Einzelfall handelt. Ihm sei immer wieder von Frauen berichtet worden dass der Hausmeister sie belästigt und angegrabscht habe, so der Zeuge. Anzeige erstatten wollten sie nicht und seine Vorgesetzten wollten nichts unternehmen da so etwas leicht ein „Skandälchen“ geben könnte. Der Hausmeister in Zirndorf ist daher auch heute noch im Dienst – mit Schlüsseln zu sämtlichen Zimmern, auch denen der Frauen. „Es ist ein Unding, dass Asylbewerberinnen oftmals im selben Haus mit Männern untergebracht seien und Hausmeister die Schlüssel zu den Frauenzimmern haben.“ , sagt Claudia Gessl.

Der Flüchtlingsrat schätzt solche sexuellen Übergriffe als systemimmanentes Ergebnis der Lagerunterbringung von Flüchtlingen ein. Die Machtposition des Personals gingen dabei Hand in Hand mit der Isolation und gesellschaftlichen Ausgrenzung durch Flüchtlingslager. Häufig gibt es in den Unterkünften Günstlingssysteme, da die Hausmeister beispielsweise größere Zimmer, zusätzliche Essens- und Hygienepakete oder eine schnelle Postauslieferung organisieren kann. Umgekehrt sind auch zahlreiche Strafmaßnahmen möglich die bis zur Umverteilung in Isolationslager wie in Böbrach im Bayerischen Wald reichen können. „Besonders neu angekommene Flüchtlingsfrauen wissen meist nicht, welche Befugnisse das Personal hat und kennen häufig ihre Rechte nicht.“, so der Flüchtlingsrat, „erschwert wird ihre Situation, wenn sie wenig oder kein deutsch können, keine Sozialkontakte haben und auch keine unabhängigen Beratungsstellen kennen. Das macht es für betroffene Frauen extrem schwierig, die Täter anzuzeigen“.

Allein in Bayern lebten derzeit etwa 8000 Flüchtlinge in 165 Gemeinschaftsunterkünften. Im Sommer wird sich der Bayerische Landtag mit dem Thema beschäftigen und die Lagerunterbringung auf den Prüfstand stellen. Damit die besondere Situation von Flüchtlingsfrauen dort berücksichtigt wird und der strukturellen Begünstigung sexueller Gewalt durch Lagerbedienstete ein Ende gemacht wird ist Lobbying, Protest und Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Der Prozess und die große Resonanz in Fernsehen, Zeitung und Radio sind dabei ein wichtiger erster Schritt.
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Ergänzungen

Theoretische Einschätzung

Lesender 14.01.2009 - 12:59
Aus
Tobias Pieper
Das Lager als Struktur bundesdeutscher Flüchtlingspolitik
Seite 332
http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000003666

Analytische Einordnung: der potentiell rechtsfreie Raum

Der Innenraum der bundesdeutschen halboffenen Lager lässt sich als potentiell rechts-freier Raum fassen. Die Möglichkeit zur Abwesenheit des bürgerlichen Rechts konstituiert sich aus einem Doppelprozess. Auf der einen Seite sind die BewohnerInnen als Rechtssub-jekte entrechtet, ihnen werden relational zum bürgerlichen Normsubjekt weniger Rechte zu-erkannt. Die andere Seite bildet der Lagerinnenraum, der durch seine formalen Vorgaben die Privatsphäre als den gesetzlich geschützten Rückzugs- und Schutzraum erodiert. Durch das zwangsweise enge Miteinander werden Rahmenbedingungen geschafft, in denen normale Rechte des Einzelnen auf Ruhe, Privatheit und Schutz strukturell nicht einforderbar sind. Diese beiden Prozesse verschränken und verstärken sich gegenseitig, sie konstituieren den Sozialraum Lager als Ort, in dem das Recht potentiell abwesend ist und der die ihm unter-worfenen Individuen der Macht der MitarbeiterInnen des Lagers ausliefert. Ihnen alleine kommt die Durchsetzung des Rechts zu. Die Abwesenheit des Rechts ist immer nur poten-tiell. Das Recht muss nicht abwesend sein, es entsteht ein Rechtsvakuum, welches durch die MitarbeiterInnen gefüllt oder vergrößert werden kann. Das Recht innerhalb des Lager-raums ist an die einzelnen Beschäftigten delegiert und diese haben auch die Möglichkeit, die Rechte der BewohnerInnen bewusst aufrechtzuerhalten. Als mächtigste Entscheidungsin-stanz bekommt die LeiterIn eine zentrale Bedeutung im Modus der spezifischen Strukturen des Lageralltags. Aus den Strukturen des potentiell rechtsfreien Raums ergibt sich auch die Möglichkeit, dass einzelne MitarbeiterInnen entgegen den Zielen der Leitung die Lagersitua-tion für die BewohnerInnen repressiv zuspitzen können. Dies habe ich an der Situation in dem Berliner Lager gezeigt (siehe Abschnitt 3.2.1.3.). Die Verantwortlichkeit für die Regulati-on dieses Raumes liegt aufgrund der hierarchischen Arbeits- und damit verbundenen Macht-verteilung immer bei der Leitung. In dem Abschiebelager Bramsche gibt es jedoch keine Handlungsdivergenz innerhalb der MitarbeiterInnen mehr, sie bilden aus der Perspektive der BewohnerInnen einen Machblock, alle Handlungen sind auf den Aufbau und die Zuspitzung von psychischem Druck und der ‚freiwilligen’ Ausreise ausgerichtet, die einzelnen Handlun-gen und Strategien werden durch den Lagerleiter koordiniert.

Doch auch im bundesdeutschen Lager besitzen die BewohnerInnen gewisse Rechte, (ge-setzlich) geschützt sind sie in jedem Fall vor Mord und Totschlag, wobei die behördliche Pra-xis der Ruhigstellungsvorrichtung in dem Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt/Brandenburg selbst die körperliche und psychische Unversehrtheit rechtlich gedeckt und bürokratisch or-ganisiert in Frage stellt (Siehe Abschnitt 3.3.3.4.; Gerbing/Zülch 2005: 163). Für die Bewoh-nerInnen die Konstitution des potentiell rechtsfreien Raums die gewaltsame Unterwerfung unter die Lagerbedingungen, die Zerstörung jeglicher Autonomie, die Zwangskollektivierung unter restriktiv kontrollierten Bedingungen mit dem einzigen Ausweg, ‚freiwillig’ zu ver-schwinden. Der beschriebene Doppelprozess erodiert die relational vorhandenen Rechte und setzt die BewohnerInnen den potentiellen Demütigungen und Übergriffen von MitarbeiterInnen als auch der anderen BewohnerInnen aus. Die innerhalb des Sozialraums Lager entstehende symbolische Ordnung produziert einen Macht-Wahrheits-Komplex (siehe auch Abschnitt 3.2.1.3.). Die unterschiedlichen SprecherInnenpositionen sind in ihrer Glaubwürdigkeit hie-rarchisiert, sie haben nicht den gleichen Stellenwert und sind mit unterschiedlichen Machtbe-fugnissen versehen, die die jeweiligen Erfahrungen und Aussagen mit differenten Wahr-heitsgehalten verbinden. Die symbolische Ordnung hängt mit der jeweiligen Position inner-halb des Lagers, differenziert nach BewohnerIn und MitarbeiterIn, nach der hierarchisch-arbeitsteiligen Position der MitarbeiterInnen zueinander, häufig weiter unter den Bewohne-rInnen strukturiert nach rassistisch gewerteten Herkunftsländern und Geschlecht. Der Lage-rinnenraum ist nach Außen abgeschlossen, der entstehende Macht-Wahrheits-Komplexe differenziert die Definitionsmacht über die eigene Erfahrung und die Wahrheitswerte, die la-gerinternen oder öffentlichen Aussagen zukommen. Nicht allen Positionen finden in gleicher Weise Eingang in den Diskurs, nicht alle Aussagen werden als Gehör relevante Wahrheit anerkannt.

Durch die Kopplung des Macht-Wahrheits-Komplexes mit Strukturen des potentiell rechts-freien Raums eröffnen sich in erster Linie für die MitarbeiterInnen Handlungsmöglichkeiten, die die individuelle Option des Übergriffs und der Überschreitung der eigentlich institutionell zuerkannten Machtbefugnisse immer mit beinhalten. Übergriffe sind in der Form des poten-tiell rechtsfreien Raums strukturell angelegt. Die aufgedeckten und in der Öffentlichkeit skandalisierten Fälle zeigen dies, auch wenn es in der Regel trotz dieser Aufdeckung zu kei-ner strafrechtlichen Verfolgung kommt. Zu stark ist der interne Macht-Wahrheits-Komplex des nach Außen abgeschlossenen potentiell rechtsfreien Raums mit den Herrschaftsstruktu-ren und der symbolischen Ordnung der Gesamtgesellschaft gekoppelt und verwoben. Eine Aufklärung und Dechiffrierung der Vorfälle würde gleichzeitig immer die gesellschaftliche Formation mit in die Kritik bringen, die die Konstitution von Räumen ermöglicht, in denen das Rechts potentiell abwesend ist.

Was tun?

fluechtlingsrat-bayern.de 15.01.2009 - 09:53
Endlich wird die sexuelle Gewalt an Flüchtlingsfrauen die durch die Lagerunterbringung hervorgerufen öffentlich gemacht, vielen Dank an die Nürnbergerinnen - Zeit ist es seit 20 Jahren. Es wäre denke ich möglich da politisch etwas ins Rollen zu bringen wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (v.a. Punkt 1-3):

1. Es müssen weitere Fälle dokumentiert werden, egal ob über anonymisierte Aussagen von Betroffenen oder anonymisierte Fallbeschreibungen von Beratungsstellen.

2. Daraus müsste ein Bericht angefertigt werden und am besten durch eine größere Organisation veröffentlicht werden um entsprechende Medienaufmerksamkeit herzustellen.

3. Mit dieser Dokumentation und der daraus resultierenden Forderung nach der Schließung von Flüchtlingsunterkünften, bzw. als ersten Schritt der Unterbringung von Frauen und Kindern in Wohnungen und Entlassung übergriffigen Personals, müsste gezieltes Lobbying gemacht werden.
a) Zum einen bei den Verantwortlichen der entsprechenden Unterkünfte (auch durch Dienstaufsichtsbeschwerden) um übergriffiges Personal möglichst schnell zu entfernen.
b) Bei Abgeordneten auf verschiedenen Ebenen (v.a. Bundestag und Landtage)
c) Bei Organisationen die Flüchtlingspolitisch und/oder Frauenpolitisch/antisexistisch aktiv sind. Wobei das ganze in einer gemeinsamen Resolution enden könnte. Diese könnue dann noch als Unterschriftenliste on- wie offline Verfügbar sein.

4. Öffentlichkeitswirksame Aktionen, Demonstrationen, lokale Pressegespräche und Veröffentlichung die sex. Gewalt in Lagern können das ganze Flankieren, ebenso wie klassische Kampagnenmaterialien mit einheitlichem Layout und poltischer Stoßrichtung im On- und Offline bereich.

5. Das ganze sollte dann auf einer Kampagnenwebsite mit klaren Forderungen an die Bundesregierung gebündelt werden.

Raus kommen würde wahrscheinlich keine Schließung aller Lager und die allgemeine Wohnungsunterbringung von Flüchtlingen - für realistisch halte ich jedoch das eine Männer-Frauen Trennung durchsetzbar wäre, männlichem Personal keine Schlüssel zu Frauenzimmern mehr zur Verfügung stehen würde und ev. die Unterbringung von Frauen in Wohnungen durchsetzbar wäre.

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