Hundertschaft gegen Zahltag xxl in Köln

agenturschluss 04.12.2008 17:21 Themen: Antirassismus Freiräume Globalisierung Repression Soziale Kämpfe
Der vierte Tag der inzwischen in Köln traditionellen Aktion "Zahltag!", die sich gegen die Verarmung, Entrechtung und Entwürdigung durch HartzIV und dessen tagtäglichen Vollzug auf den Ämtern richtet, begann mit einem im Foyer des "Kalk-Karree" angerichteten Frühstücksbuffet, zu dem den überwiegend unfreiwilligen Besucher der verschiedenen dort untergebrachten Ämter Informationen zu ihren Rechten, Beratung im Umgang mit den Behörden und ganz konkret Begleitung auf die Amtsstuben angeboten wurde. Geendet hat der vierte Tag des diesmal auf die gesamte Woche ausgedehnten "Zahltag XXL" jedoch mit dem gewalttätigen Einsatz einer Hundertschaft der Kölner Bereitschaftspolizei gegen die Protestierenden. Offenbar ist die Geduld der Kölner SozialpolitikerInnen mit dem sich formierenden Widerstand von Erwerbslosen und anderen Gruppen gegen die staatliche Verarmungspolitik und die systematische Entrechtung und Entwürdigung durch SachbearbeiterInnen vor Ort am Ende - jeglicher Protest wird in Köln scheinbar von nun an mit der "harten Hand des Staates" beantwortet: Von der Standortleitung des Kalk-Karrees herbeigerufen, ging am heutigen Mittag nach einem Redebeitrag der DemonstrantInnen im Ausländeramt eine Einsatzhundertschaft gewaltsam gegen die Protestierenden vor, denen sich im Verlauf des Vormittags immer mehr BesucherInnen des Kalk-Karrees angeschlossen hatten.
Die Proteste der ZahltaglerInnen wurden zum ersten Mal auf eine ganze Woche ausgedehnt, in der verschiedenen Einrichtungen des HartzIV-Vollzugs - von verschiedenen ARGEn über Maßnahmeträger, Profiling-Betrieben und 1-Euro-Job-Vermittler - überraschend besucht und aktionistisch angegangen wurden. Der Widerstand gegen die staatliche Politik und die lokale Umsetzung besonders in Köln, das nicht nur in diesem Bereich als Modell-Stadt dient, richtet sich konkret nicht nur gegen zu Unrecht verweigerte Zahlungen und bis hin zur Zwangsräumung verschleppte Anträge; vielmehr zeigen die Erfahrungen vor Ort, dass auf deutschen Ämtern zahllose entwürdigende Eingriffe in die Privatsphäre bis hin zu Einschüchterungen, Verunglimpfungen und Beleidigungen auf der Tagesordnung stehen. Dass es nach drei an verschiedenen Aktionsorten gelungenen "Zahltagen!" ausgerechnet am vierten Tag im Kalk-Karree zu einer Aufkündigung der "Befriedungs-Strategie" durch die Kölner ARGE-Leitung kam, ist daher kein Zufall: Denn im "Kalk-Karree" wurden mehrere ehemalige Verwaltungsbereiche aus den Bezirksrathäusern zusammengefasst und ausgegliedert, die in der Mitte der Gesellschaft offenbar nicht länger erwünscht sind. Konkret werden hier vor allem sogenannte "Randgruppen" verwaltet: im Köln-Karree - im Volksmund "Kalkatraz" genannt, weil sich die Vereinzelung, Disziplinierung und Entwürdigung der BesucherInnen bereits in der gefängnisartigen Bauweise und der allgegenwärtigen Präsenz eines Apparats von "Sicherheits"kräften spiegelt - hat die Stadt Köln u.a. das Ausländeramt, das Wohnungsamt, das Behindertenreferat, das Jugendamt und die "Resozialisierungsabteilung" der Kölner ARGE untergebracht; hier werden also zentral all diejenigen verwaltet, denen man einen Zugang zu den "zuständigen" Behörden im eigenen Stadtteil offenbar nicht zubilligt, und für die man prophylaktisch einen erhöhten "Sicherheits"-Etat vorsieht: vor allem Nicht-Deutsche, Wohnungslose, ehemalige Strafgefangene, Jugendliche - der heutige "Zahltag!" hat mit der Besetzung des Foyers von Kalkatraz einen Ort ausgesucht, an dem wir verdeutlichen wollen, dass die soziale Frage nicht unabhängig von anderen Teilungspraktiken und "Sondergesetzgebungen" und "Sonderämtern" thematisiert werden kann (Positionspapiere, Flugblätter und Redebeiträge verschiedener Gruppen sind unter www.zahltag-jetzt.org abrufbar).

Mit der Ausdehnung auf andere Sektoren des staatlichen Armutsverwaltungs-, Repressions- und Disziplinierungsapparats wurde von den Protestierenden jedoch offenbar eine von der Stadtverwaltung gesetzte Grenze überschritten: Nach den Erfahrungen des ersten Kölner "Zahltag!", bei der behelmte und mit Schlagstöcken und Schildern bewaffnete Einsatzhundertschaften das Foyer der ARGE Mitte in der Luxemburger Straße das Bild bestimmten und die Stimmung unter den Betroffenen derart eskalierte, daß sie ausser Kontrolle zu geraten drohte, galt es der städtischen Sozialpolitik zunächst, solche Bilder zukünftig zu vermeiden. Im Gegenteil war es bislang die Strategie, die "Zahltag!"-Proteste auszuhungern und die von Schikanen Betroffenen zunächst einmal ruhig zu stellen. So werden die SachbearbeiterInnen für den "Zahltag!" angewiesen, vor allem im Falle von begleiteten Betroffenen Barauszahlungen, diesmal in Höhe von 100€, auszugeben, eine Überweisung des ausstehenden Restbetrags der nicht erfolgten Leistungen zu versprechen und jegliche sonstige Schikane wie unbegründete Leistungskürzungen, verschleppte oder unauffindbare Anträge, vorgeblich fehlende Unterlagen oder Eingliederungsvereinbarungen und Zuweisung zu Profilern und 1-Euro-Jobs zu unterlassen, um Unmut an diesem speziellen Tag nicht aufkommen zu lassen. Hatte doch die ARGE-Leitung deshalb selbst eingeräumt, dass sie den "Zahltag!"-Aktiven das Foyer der ARGE-Mitte die Zahltag-Woche über gern zur Verfügung stellt. Dass dies eine Strategie ist, um die Proteste unter Kontrolle und die - vor allem politischen - Kosten so gering wie möglich zu halten und örtlich auf die Luxemburger Straße zu begrenzen , zeigt der heutige Einsatz der Bereitschaftshundertschaft in den Räumen des den Blicken der gesellschaftlichen Mitte entzogenen Kalk-Karrees, der mit dem gewalttätigen Einsatz von PolizistInnen gegen die protestierenden Erwerbslosen und andere sowie einer Festnahme endete. Am Mittag wurde für heute der "Zahltag!" von den AktivistInnen selbst beendet, um der drohenden Räumung und weiteren gewalttätigen Vorgehen durch die Polizei zuvorzukommen.

Die Tendenz, jeglichen Protest gegen die staatlich verordnete und städtisch umgesetzte "Sozial"-Politik durch den Einsatz von Polizeikräften nötigenfalls gewaltsam im Keim zu ersticken, zeigte sich bereits am gestrigen Nachmittag: Im Rahmen des "Zahltag!" fand eine sogenannte "Umsonst-Fahr"-Aktion statt, die sich in Zeiten zunehmender Verarmung und einer allumfassenden Anforderung an individuelle Mobilität und Flexibilität für das Recht auf die uneingeschränkte und kostenlose Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln stark machte. Begleitet von Samba-Klängen wurden in verschiedenen Straßen- und U-Bahnen der Stadt Flugblätter an die Fahrgäste verteilt und Redebeiträge gehalten, die von den Mitfahrenden zum überwiegenden Teil sehr positiv aufgegriffen und diskutiert wurden. Für die Kölner Verkehrsbetriebe, die KVB, offenbar zuviel: Nachdem der Versuch, die AktionistInnen durch den hauseigenen Sicherheitsdienst und das Anhalten der U-Bahnen festzusetzen, misslang, kamen mehrere Wagen der örtlichen Polizeikräfte mit Martinshorn und Blaulicht zum Einsatz, um die Umgebung des Wiener Platzes in Köln-Mülheim weitläufig nach den "Störern des Bahnfriedens" abzusuchen und diese, wenn möglich, dingfest zu machen.

Der Einsatz staatlicher Gewalt gegen unsere Proteste wird uns jedoch nicht davon abhalten, auch morgen (und in Zukunft) weiter für unsere Rechte einzutreten, Menschen im Umgang mit staatlicher Politik und Behördenwillkür zu unterstützen und die zunehmende Verarmung, Entrechtung, Kontrolle und Disziplinierung immer größerer Bevölkerungsteile zu thematisieren. Hartz IV betrifft eben nicht nur die "Anderen", Hartz IV erreicht auch in die Fabrik und das Autohaus. Repressionen und Entwürdigungen per Gesetz und Wirtschaftslage mögen für die Einzelnen unterschiedlich aussehen - unsere Stärke entfalten wir nur gemeinsam, indem wir diejenigen, die Gesetzesvorlagen im Einzelfall - und mit Unterstützung von Hundertschaften - umsetzen, nicht länger allein begegnen, ob an der ARGE, im "Ausländeramt", in der Fabrik oder in Kalkatraz.

Und deshalb machen wir morgen gleich weiter:
Pünktlich um 8.00 an der ARGE-Mitte, Luxemburger Str.
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Ergänzungen

Morgwen Abend Zahltag-Party!!!

.... 04.12.2008 - 18:10
Morgen 8:00 Uhr wieder Arge Luxemburger Straße. 121

Und nicht Vergessen:

Freitag, 5. Dezember, 21 Uhr Zahltag-Party:

in der Lotta (Karthäuserwall 1, Clodwigplatz) oder 0160/6896831 (ab 21:30 Uhr)anrufen.

Seid Wild! Seid unbrechenbar!

PS: Zivi-Auto der Bullen von heute: schwarzer Opel saphira kenzeichen: k il 2864

Va zu Zahltag

ohje wieder ein Name 04.12.2008 - 18:23

Aufruf Zahltag AK

Donnerstag, 11. Dezember VA: Einführung in die Kritik der Arbeit!
19 Uhr Alte Feuerwache Köln (Melchiorstr.3)



Für jeden ist Arbeit selbstverständlich. Sie nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Es wird mehr Arbeit gefordert, Arbeit soll sich lohnen und ein sicherer Arbeitsplatz sei eine gute Aussicht. Aber wir sollen uns auch für die Arbeit lebenslänglich bilden, „Chancen erkennen“ und „Herausforderungen annehmen“.

Arbeit scheint also indiskutabel. Aber warum arbeiten wir?

Wieso beschäftigen wird uns selbst so sehr damit uns in Arbeit zu bringen? Wieso soll man sich seit dem 6. Lebensjahr möglichst gut bilden um später eine Arbeit zu finden? Und wieso soll man nicht sagen, dass Arbeit scheiße sei?

Mit dem Wandel der Arbeitsorganisation in den 70er Jahren hat die Krise der Arbeitsgesellschaft eingesetzt. Ihre Folgen sind Massenarbeitslosigkeit und Prekarisierung. Seit dem wird man von Ideen zur Arbeit erschlagen. Die einen wollen die Arbeit retten, damit wir nicht arm werden. Die anderen uns das Elend der Verhältnisse mit Werten und Leuchtreklame schönreden. Arbeitnehmern wird eine Bringschuld eingeredet um nicht „selbstverschuldet“ arbeitslos zu werden. Hauptsache alles wird getan, dass die Zahnräder in der kapitalistischen Maschine weiterlaufen. Geradezu irrelevant erscheint es dabei, dass es überhaupt nicht so viel Arbeit gibt wie nötig und welches Elend durch die neuen Arbeitsformen zugemutet wird.

Referent von der Gruppe Krisis
Donnerstag, der 11. Dezember, 19 Uhr
Alte Feuerwache Köln (Melchiorstr.3)

Noch ein Fotobericht

... 06.12.2008 - 16:43