Revision in Aufkleberprozess gewonnen

egal 05.10.2008 02:51 Themen: Repression Ökologie
Revision gewonnen- Oberlandesgericht kippt Urteil des Amtsgerichtes
Hamburg Altona in „Tschüss-Vattenfall“-Aufkleber-Prozess
Im Verfahren gegen eine 22-jährige Aktivistin wegen
Sachbeschädigung hatte das Amtsgericht Hamburg-Altona die Angeklagte im
April 2008 zu 15 Tagessätzen verurteilt, weil sie einen
„Tschüss-Vattenfall“-Aufkleber auf ein Wahlplakat geklebt hatte. Das
skurrile daran: Die SPD hatte sich explizit gegen eine Strafverfolgung
ausgesprochen und nur weil die Staatsanwaltschaft ein besonderes
öffentliches Interesse bejahte, kam es überhaupt zum Prozess.

Dieses Urteil wurde nun in Revision vom Oberlandesgericht aufgehoben.
Das Gericht stellte fest, dass es unzulässig gewesen sei, den
Hauptbelastungszeugen der Polizei nicht zu laden und lediglich dessen
Bericht zu verlesen. Darüber hinaus sei nicht belegt worden, ob der
Aufkleber sich hätte ablösen lassen. Dies ist aber ein notwendiges
Kriterium, damit der Straftatbestand der Sachbeschädigung erfüllt ist.
Gerügt wird außerdem, dass die Tatsache, dass sich die SPD als
„Geschädigte“ auf einen Dialog mit der Angeklagten einlassen wollte und
sich explizit gegen eine Strafverfolgung ausgesprochen hatte vom
Amtsgericht als nicht relevant eingestuft worden war.

Außerdem sei es nicht in Ordnung, aus Polizeiberichten abgeschlossener
und eingestellter vorhergehender Verfahren zu zitieren ohne eben jenes
Verfahren komplett in die Beweisaufnahme einzubringen. Auch die
Einziehung weiterer Aufkleber, welche die Angeklagte mit sich führte,
wurde als nicht ausreichend begründet und somit für unzulässig erklärt.

Das Revisionsgericht hat das Verfahren ans Amtsgericht zurückgegeben.
Dort soll von einem anderen Richter erneut entschieden werden.

frühere Artikel auf indy dazu:

 http://de.indymedia.org/2008/04/213569.shtml

 http://de.indymedia.org/2008/04/213164.shtml
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Ergänzungen

Beschluss OLG im Wortlaut

egal 08.10.2008 - 00:53
H a n s e a t i s c h e s 0 b e r l a n d e s g e r i c h t

2. Strafsenat

B e s c h 1 u s s
In der Strafsache
...


Verteidiger: Rechtsanwalt
Hoffmann,
Eichhofstraße 14,
24117 Kiel

hier betreffend Revision der Angeklagten gegen das Urteil der Abteilung 328 des
Amtsgerichts HamburgAltona vom 15. April 2008

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 18. Sep
tember 2008 durch
den Vorsitzenden Richter
am Oberlandesgericht Harder
die Richterin
am Oberlandesgericht Schlage

die Richterin
am Amtsgericht Zimmerling

einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts HamburgAltona, Abteilung 328, vom 15. April 2008 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an eine andere Abteilung des Amtsgerichts HamburgAltona zurückverwiesen.
G r ü n d e:

Das Amtsgericht HamburgAltona hat mit Urteil vom 15. April 2008 gegen die Angeklagte wegen Sachbeschädigung auf eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen á Euro 8, erkannt; es hat eine Zahlungserleichterung eingeräumt und bestimmt: "Die Aufkleber, 35 Stück, werden eingezogen" (in der Formel des schriftlichen Urteils nachgeschoben: "Asservatennummer 1362607"). Dagegen hat die Angeklagte am 22. April 2008 Antrag auf Zulassung der Berufung erhoben und diesen zugleich begründet; nach am 23. Mai 2008 erfolgter Urteilszustellung hat sie durch Verteidigerschriftsatz eine Berufungsbegründung angebracht. Am 4. Juni 2008 ist das Rechtsmittel durch Verteidigerschriftsatz als Revision spezifiziert und diese mit dem Antrag auf Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache sowie mit einer ausgeführten Verfahrensrüge und der nicht ausgeführten Sachrüge begründet worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO angetragen.

11.

Die Revision der Angeklagten ist zulässig (§§ 335, 341, 344, 345 StPO); insbesondere stand dem innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erklärten Obergang zur Revision nicht entgegen, dass die Angeklagte zuvor zwei Berufungsbegründungen eingereicht hatte, da diesen wegen des in der ersten Begründung erklärten Vorbehalts des Oberganges und der in der zweiten Begründung enthaltenen Ankündigung des Oberganges nicht die Bedeutung einer Festlegung auf das Rechtsmittel der Berufung zukam. In der Sache hat die Revision vorläufigen Erfolg.

1. Es kann dahinstehen, ob die erhobene Verfahrensrüge einer gegen § § 244 Abs. 2, 250 S, 2 2.Mod. StPO verstoßenden Verlesung des die eigene Beobachtung des Tatgeschehens betreffenden Berichtes eines Polizeibeamten nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO den Zulässigkeitsanforderungen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügt. Der Schuldspruch mit den Feststellungen ist bereits auf die Sachrüge hin aufzuheben (dazu nachstehend 2.),
2. Die Beweiswürdigung zu den Schuldspruch nach § 303 Abs. 2 StGB tragenden Feststellungen hält der durch die allgemeine Sachrüge veranlassten revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, weil sie lückenhaft ist.

a) Ungeachtet der Verfahrensvorschrift des § 267 Abs. 1 StPO ist es sachlichrechtlich geboten, in den Urteilsgründen die wesentlichen Beweiswürdigungserwägungen des Tatgerichts mitzuteilen (vgl. BGHSt 14, 162; 15, 1, 3, Gollwitzer in LöweRosenberg, StPO, 25. Aufl., § 267 Rdn. 55 m.w.N.). Der Umfang der Darlegungspflicht bestimmt sich nach der Beweislage und nach der Bedeutung der Beweisfrage unter Berücksichtigung des Verteidigungsvorbringens (vgl. BGHSt 12, 311, 315; Gollwitzer, a.a.O., Rdn. 56 m.w.N., MeyerGoßner, StPO, 51. Aufl., § 267 Rdn. 12 m.w.N.). Das Fehlen einer Darlegung ist ausnahmsweise unschädlich, wenn wegen geringer Bedeutung der Sache und wegen klarer, ohne weiteres einsichtiger Beweislage die der Tatsachenfeststellung zu Grunde liegende tatrichterliche Beweiswürdigung sich von selbst versteht (vgl. BGH bei Dallinger in MDR 1975, 198; Gollwitzer, a.a.O., Rdn. 53 m.w.N.).

Daraus folgt, dass die Zuverlässigkeit von Zeugenangaben jedenfalls insoweit zu erörtern ist, als der Angeklagte die Aussage verweigert hat und die Schuldfeststellungen allein auf der Angabe des Belastungszeugen beruhen (vgl. OLG Koblenz in VRS 50, 442; siehe auch BGH in StV 2000, 599) oder nach den Umständen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Zeugenangaben bestehen können (vgl. Gollwitzer, a.a.O., Rdn. 60 m.w.N.). Letzteres gilt namentlich, wenn sich das Tatgericht in der Hauptverhandlung keinen persönlichen Eindruck von dem Zeugen hat verschaffen können und dessen Angaben nicht hat hinterfragen könilen, weil eine schriftliche Äußerung des Zeugen oder ein Protokoll über dessen Vernehmung verlesen worden ist (vgl. BGH in StV 1997, 512, 513). Solchen Zeugenangaben kommt ein reduzierter Beweiswert zu (vgl. BGHSt 29, 109, 111 f.), weshalb ihre Zuverlässigkeit besonders sorgfältig zu prüfen ist (vgl. Gollwitzer, a.a.O., § 251 Rdn. 69 m.w.N.) und das Tatgericht sein Bewusstsein von dem potentiell geringeren Beweiswert aufzuzeigen hat (vgl. Gollwitzer, a.a.O., Rdn. 102 m.w.N.).
Die sachlichrechtlich gebotene Darlegung der Beweiswürdigung kann im Allgemeinen nicht durch eine Darlegung der Beweiserhebung und Wiedergabe namentlich von Zeugenaussagen ersetzt werden (vgl. BGH bei Kusch in NStZRR 2000, 293; MeyerGoßner, a.a.O., Rdn. 12 m.w.N.). Eine solche bloße Dokumentation der Beweisaufnahme verfehlt die Aufgabe der Urteilsgründe, die wertenden Erwägungen des Tatgerichtes für das Revisionsgericht prüfbar darzulegen.

b) Den aufgezeigten sachlichrechtlichen Anforderungen genügen die Urteilsgründe des Amtsgerichts hier in mehrfacher Hinsicht nicht.

aa) Der Feststellung, die Angeklagte habe den SprechblasenAufkleber auf dem Parteiplakat an der Abbildung des Politikermundes angebracht, kommt zentrale Bedeutung für den Schuldspruch nach § 303 Abs. 2 StPO zu. Obwohl die Angeklagte die Aussage zur Sache verweigert hat, erschöpft sich die Beweiswürdigung in der Mitteilung, auf Grund des verlesenen Berichtes des Polizeibeamten Bohne vom 21. September 2007 stehe fest, dass die von dem Polizeibeamten "bei der Tatbegehung beobachtet(e)" Angeklagte den Aufkleber auf das Plakat geklebt habe (UA S. 4 Mitte).

Es fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der Zuverlässigkeit des Berichtes und der darin geschilderten Beobachtung. Zum einen bleibt offen, unter welchen Umständen der Polizeibeamte die Beobachtung getroffen hat, insbesondere ob seine Beobachtungsmöglichkeiten unbehindert waren. Zum anderen bleibt unerörtert, ob die Identifizierung der Angeklagten als Täterin etwa wegen Beobachtungsdistanz oder Verwechslungsmöglichkeit mit anderen agierenden Personen irrtumsbehaftet sein kann; ein Aufgriff der Angeklagten durch den Polizeibeamten Bohne und eine Personalienüberprüfung am Tatort sind weder festgestellt noch als Berichtsinhalt mitgeteilt; ein Wiedererkennen in der Hauptverhandlung scheidet aus, weil der Polizeibeamte dort nicht vernommen worden ist. Damit, dass es keinen persönlichen Eindruck, von dem Zeugen hat gewinnen und dessen Angaben nicht hat hinterfragen können, setzt sich das Tatgericht nicht auseinander, es zeigt schon kein Bewusstsein von diesem Beweiswürdigungskriterium auf.
Schließlich bleibt offen, ob die Beobachtung "bei der Tatbegehung" auch das festgestellte vorherige Anbringen von Aufklebern "an verschiedenen Örtlichkeiten", welches das Amtsgericht nicht als Straftat abgeurteilt hat, umfasst.

bb) Zu der in den Subsumtionserwägungen nachgeschobenen Feststellung, der Aufkleber sei „fest mit dem Plakat verbunden" gewesen und habe .nicht ganz einfach ohne jegliche Beschädigung vom Grundplakat abgezogen werden" können (UA S. 5 oben), fehlt jegliche Beweiswürdigung, obwohl dieser Feststellung maßgebliche Bedeutung für das Tatbestandsmerkmal des § 303 Abs. 2 StGB, das Erscheinungsbild werde "nicht nur vorübergehend" verändert, zukommt. Namentlich der verlesene Bericht des Polizeibeamten Bohne vermag diese Feststellung nicht zu tragen, weil nach dessen mitgeteiltem Inhalt der Beamte die Angeklagte "bei der Tatbegehung" beobachtet hat, wohingegen eine anschließende Untersuchung des Aufklebers und Plakats nicht referiert wird, auch aus der in den Urteilsgründen erwähnten Einnahme des Augenscheins von den Lichtbildern. können sich Art oder Wirkung des Klebemittels nicht ergeben haben.

Da schon die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist, kann dahinstehen, ob die Feststellung hinreichend bestimmt ist ("nicht ganz einfach"; "ohne jegliche").

cc) Zur festgestellten fehlenden Einwilligung der Partei in die Anbringung des Aufklebers, der Bedeutung für das Tatbestandsmerkmal "unbefugt" im Sinne des § 303 Abs. 2 StGB zukommt (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 303 Rdn. 20), verhält sich die Beweiswürdigung nicht. Die Nichterteilung einer Einwilligung versteht sich hier wegen der Besonderheiten der tatrichterlichen Erwägung, die Partei habe (nachträglich) zum Ausdruck gebracht, sich "auf die Kommunikation mit der Angeklagten einlassen" zu wollen, hier ausnahmsweise nicht von selbst.

cl) Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht der Schuldspruch. Das amtsgerichtliche Urteil ist deshalb mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1, Abs. 2 StPO) und die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 54 Abs. 2 StPO).

Dem neu entscheidenden Tatgericht werden folgende Hinweise erteilt:

1. Entgegen der durch die Verteidigung im Verfahrensverlauf geäußerten Auffassung besteht kein Verfahrenshindernis. Insbesondere hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 303 c StGB). Zwar findet sich diese Erklärung in dem durch das Amtsgericht erlassenen Strafbefehl, doch liegt dem Erlass ein Antrag der Staatsanwaltschaft zu Grunde, die sich folglich die Bejahung zu Eigen gemacht hat. Die somit formell wirksame Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ist entgegen dem Verteidigungsvorbringen materiell der gerichtlichen Oberprüfung entzogen (h.M., vgl. BVerfGE 51, 176, 184 ff.; BGHSt 16, 225, 228 ff.; Fischer, a.a.O., § 230 Rdn. 3 m.w.N. zum Meinungsstand).

2. Die in dem aufgehobenen Urteil mitgeteilte Beweiswürdigung zu demjenigen festgestellten Sachverhalt, der einem nach § 45 Abs. 2 JGG abgeschlossenen früheren Verfahren wegen bei Vorgehen gegen Genmaisanbau begangener Sachbeschädigung einschließlich polizeilicher Kontrolle und Ingewahrsamnahme zu Grunde gelegen hat, ist lückenhaft. Auch insoweit hat das Amtsgericht lediglich mitgeteilt, es sei ein Polizeibericht gemäß § 256 StPO verlesen worden. Eine Beweiswürdigung (siehe oben Il. 2. a)) fehlt; materieller Sachverhalt und polizeiliches Einschreiten können sich auch nicht aus dem wie mitgeteilt verlesenen Bundeszentralregisterauszug ergeben haben. Zu der festgestellten Erteilung eines Ermahnungsschreibens verhält sich die Beweiswürdigung nicht. Damit ist rechtsfehlerfrei zustande gekommen nur die Feststellung, die Staatsanwaltschaft Hamburg habe am 11. Dezember 2006 in einem wegen Sachbeschädigung (Tatzeit 30. Juli 2006) geführten Verfahren nach § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen.

Gleichwohl hat das Amtsgericht strafschärfend nicht nur auf die Missachtung einer von dem früheren Verfahren ausgehenden Warnwirkung ("bereits einschlägig aufgefallen ist", UA S. 5), sondern zusätzlich auf eine von polizeilicher Kontrolle und Gewahrsamsnahme ausgehende Warnwirkung sowie auf eine durch Vorverhalten, nämlich frühere Tatbegehung, belegte Disposition zur Missachtung der Rechte Dritter bei eigenen Meinungsäußerungen (UA S. 5, 3.Abs.) abgestellt. Damit ist anerkannten Grundsätzen zur Bewertung und Feststellung strafrechtlichen Vorlebens und der diesbezüglichen Beweiswürdigung nicht genügt.

Falls das Tatgericht der Begehung einer früheren einschlägigen Tat indizielle Beweisbedeutung bei der Überzeugungsbildung zur bewussten und gewollten Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat zumessen will oder wenn es strafschärfend nicht allein die früheren Verurteilungen bzw. Verfahrensabschlüsse, sondern auch die . eingeschliffene Begehung der ihnen zu Grunde liegenden Taten werten will, hat es folgende Abstufungen zu beachten (siehe auch Senatsbeschluss vorn 5. April 2005, Az.: II 43/05):

Zum einen kann die Missachtung der von einer früheren Verurteilung oder einem früheren spezifischen Verfahrensabschluss ausgehenden Warnwirkung strafschärfend herangezogen werden. Hierzu genügt die auf eigener Überzeugungsbildung des nunmehr erkennenden Gerichtes beruhende Feststellung der früheren Verurteilung bzw. des früheren Verfahrensabschlusses als solche, die regelmäßig auf die Verlesung des Strafregisterauszuges bzw. des früheren Urteils gestützt werden können.

Zum anderen kann eine Strafschärfung auf die Art der früheren Tatbegehung gestützt werden, insbesondere auf ihre Gleichartigkeit gegenüber den nunmehr verfahrensgegenständlichen Tatmodalitäten, oder auf eine eingeschliffene kriminelle Veranlagung; Entsprechendes gilt für die indizielle Heranziehung zur Überzeugungsbildung von der Begehung der neuen Tat. Dann muss sich das nunmehr entscheidende Gericht eine eigene Überzeugung davon bilden', dass der Angeklagte die frühere Tat begangen hat und welcher Sachverhalt zu Grunde gelegen hat (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 13), ohne dass die Feststellungen aus einem früheren Urteil eine Tatbestands oder Bindungswirkung entfalten (vgl. BGHSt 43, 106, 107). Zur Erleichterung von Beweisaufnahme und würdigung kann das nun entscheidende Tatgericht regelmäßig nach Urkundenverlesung von Feststellungen und Beweiswürdigung aus dem Vorstrafurteil auf Grund eigenverantwortlicher Prüfung diese früheren Feststellungen und Beweiswürdigung übernehmen (vgl. auch zu den Grenzen auf Grund Aufklärungspflicht oder Beweisanträgen BGHSt 43, 106, 108), hat dieses alles aber zur revisionsgerichtlichen Oberprüfung in seinen eigenen Urteilsgründen darzulegen, wobei es regelmäßig verfehlt ist, statt einer zusammenfassendes Darstellung die gesamten früheren Urteilsgründe wiederzugeben. Fehlt es wie bei Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 JGG an früheren Urteilsgründen, verbleibt es für die erforderliche Beweiswürdigung zu der früheren Tat bei den allgemeinen Anforderungen (zu diesen siehe oben II. 2. a)).

3. Das Amtsgericht hat im aufgehobenen Urteil "die Aufkleber, 35 Stück, eingezogen" (§ 74 StGB). Nach in den Einziehungserwägungen nachgeschobenen Feststellungen, die wiederum einer Beweiswürdigung entbehren, handelt es sich um bei der Angeklagten sichergestellte "weitere" (also nicht den auf dem Parteiplakat angebrachten) Aufkleber und hat die Angeklagte "diese Aufkleber auch auf weitere Objekte kleben woll(en), um ihre Meinung damit kundzutun" (UA S. 6). Allein mit dieser Verwendungsabsicht hat das Amtsgericht die Einziehung gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründet, zu den Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 StGB verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

Damit hat das Amtsgericht nicht erkennbar bedacht, dass § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB keinen eigenständigen Einziehungstatbestand enthält, sondern die Tatbestandsmerkmale des § 74 Abs. 1 StGB voraussetzt und nur das Eigentumserfordernis des § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB ersetzt (vgl. BGH bei Dallinger in MDR 1972, 386, Joecks in MünchKommStGB, § 74 Rdn. 1, 21 m.w.N.). Der Einziehungsgegenstand muss also durch die angeklagte und tatrichterlich festgestellte (vgl. Schmid in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 74 Rdn. 16 m.w.N.) vorsätzliche Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sein (zur Vorbereitungsbestimmung vgl. näher Joecks, a.a.O., Rdn. 12 m,w.N.). Da hier nicht der auf dem Parteiplakat angebrachte, sondern weitere Aufkleber betroffen sind, kommt die Modalität in Betracht, dass auch diese Aufkleber zur Begehung der abgeurteilten Tat bestimmt gewesen waren, etwa weil es vorn bloßen Zufall abhing, welchen der mitgeführten mindestens 36 Aufkleber die Angeklagte auf das Parteiplakat setzte. Hierzu bedarf es tatrichterlicher Erwägungen, die das Amtsgericht auf Grund seines rechtsfehlerhaften Ausgangspunktes unterlassen hat.

Im Übrigen ist der Einziehungsgegenstand in der Urteilsformel konkret zu beschreiben (vgl. Fischer, a.a.O., § 74 Rdn. 21 m.w.N.). Beachtlich ist allein die in der Hauptverhandlung verkündete Urteilsformel, nicht hingegen eine abweichende Fassung im schriftlichen Urteil (vgl. MeyerGoßner, a.a.O., § 260 Rdn. 6, § 268 Rdn. 4 f., 9 f.).
Zu der Anwendbarkeit des § 256 StPO führt das OLG Düsseldorf in dem Beschluß vom 16.7.2007 III5 Ss 105/07 57/07 1, StV 2007, S. 518 aus:

"Nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO können Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben, in der Hauptverhandlung verlesen werden. Die durch das 1. JuMoG v. 24. 8. 2004 eingefügte Vorschrift dient der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden und der Hauptverhandlung. Sie betrifft »Protokolle und Vermerke über Routinevorgänge, wie Beschlagnahme, Spurensicherung, Durchführung einer Festnahme, Sicherstellungen, Hausdurchsuchungen etc.«, bei denen der Polizeibeamte »ohnehin in der Hauptverhandlung kaum mehr als das bekunden kann, was in dem Protokoll bereits schriftlich festgelegt ist«, und soll vermeiden, daß »insbes. ein Polizeibeamter, dessen Tätigkeit auch nur zu einer Indiztat.Yache im Prozeß beiträgt, als Zeuge aussagen muß (BTDrucks. 13/4541, s. 22; BR-Drucks. 378/03, S. 61).

Gemäß dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers sollte weder die Aufklärungspflicht des Gerichts eingeschränkt was von Verfassungs wegen auch problematisch wäre noch die differenzierte Regelung der §§ 251 ff. StPO außer Kraft gesetzt werden. Nach wie vor »darf das Gericht sich bei der Auswahl unter mehreren Beweismitteln regelmäßig nicht damit begnügen, den mit der Gefahr größerer Unzuverlässigkeit behafteten sachferneren Beweis zu erheben, sofern qualitativ bessere Beweismittel zur Verfügung stehen. Vielmehr hat das Gericht bei der Erforschung einer Straftat und bei der Ermittlung der für Schuld und Strafe maßgebenden Tatsachen in die erkenntnismäßig bestmögliche Sachnähe zu den Tatsachen zu treten, die für Unrechtstatbestand, Schuld und Sanktionen beweisrelevant sind« (BVerfGE 57, 250, 277). § 244 Abs. 2 StPO verpflichtet den Tatrichter demnach in aller Regel, sich des sachnächsten Beweismittels zu bedienen und dieses Beweismittel in der nach Gegebenheit bestmöglichen Form zu verwenden (BGHSt 46, 73 ,79)."

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Ja supi — einer von Vielen

Ja supi — einer von Vielen

Urteilstext — wichtig!

Mehr davon! — Kleiber

ich bin enttäuscht — littlesister