Kundgebung: Polizei konfisziert Wurfziele

Anna Panek 16.06.2008 17:31 Themen: Militarismus Soziale Kämpfe
Berlin: Schätzungweise 250 Menschen nahmen heute an einer maßgeblich vom Berliner Sozialforum und Erwerbsloseninitiativen organisierten Kundgebung teil. Polizei beschlagnahmte Portraits von Clems, Scholz und Hartz.
Schätzungweise 250 Menschen nahmen heute an einer maßgeblich vom Berliner Sozialforum und Erwerbsloseninitiativen organisierten Kundgebung mit Gewerkschaftsbeteiligung am Brandenburger Tor in Berlin teil. Verlangt wird eine Anhöhung des Regelsatzes auf mindestens 420 EUR (Gewerkschaften) bzw. mindestens 500 EUR (Sozialforum, Erwerbsloseninitiativen).

Die Kritik der Protestierenden wendet sich gegen die für denselben Tag geplante Bundestags-Anhörung zur HartzIV-Gesetzgebung, die das Bündnis angesichts der Kürze (eine Stunde) als eine "Farce" bezeichnet.

Knapp eine halbe Stunde nach Beginn der Kundgebung beschlagnahmten Einsatzkräfte der Polizei aufgestellte Kartons, die mit roter Farbe beworfen werden sollten. Auf den Kartons waren Portraits von Wolfgang Clement, Olaf Scholz und Peter Hartz abgebildet. Peter Grottian, Sozialwissenschaftler, emeritierter FU-Professor und Mitglied des Berliner Sozialforums, zeigte sich empört und wütend angesichts der Konfiszierung. Er forderte die sofortige Rückgabe der beschlagnahmten Konterfeis.

Die Polizei bezeichnete dies als eine "vorbeugende Maßnahme", da ansonsten eine "Beleidigung" zu befürchten sei. Nicht ausgesprochen, aber gemeint war eine Amtsbeleidigung, nur bei einer solchen kann u.U. - nach sorgfältiger Abwägung - vorbeugend beschlagnahmt werden. Eine Anzeige lag nicht vor, auf den Protest der Demonstranten wurde keinerlei Rücksicht genommen. Zur damit vollzogenen Beschneidung der Demonstrations- und Meinungsfreiheit war von den Beamten keine Stellungnahme zu erhalten. Die 'Bewerfungsaktion' war im Vorfeld - um eben diese Eventualität auszuschließen - als Kunstperformance angekündigt worden. Die Hoffnung, daß wenigstens die Freiheit der Kunst respektiert würde, wurde von den vor Ort anwesenden Einsatzkräften kommentarlos zunichte gemacht. Schließlich wurden symbolisch die verbliebene Holzkonstruktion sowie zwei als Merkel und Schröder maskierte Teilnehmer stellvertretend beworfen.

Vor Beginn der Kundgebung hatte das Sozialforum erhofft, daß die symbolische Aktion in der Lage wäre, den Zorn der Betroffenen zu verdeutlichen: "die Bundestagsanhörung, die heute stattfindet, ist bekannterweise von Oppositionsfraktionen einberufen worden, also von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der LINKEn. Die großen Parteien haben zu dieser Anhörung nichts anzubieten. Die Farce besteht darin, daß man sich gerade mal eine einzige Stunde Zeit für die Thematik nimmt. Daß es notwendig ist, sich mit der Regelsatzerhöhung neu auseinanderzusetzen, daß die betroffenen Erwerbslosen seit der Bildung der großen Koalition Einkommensabstürze zu verzeichnen haben - damit findet keine ernsthafte Auseinandersetzung statt. Eine Stunde: das ist keine Klärung, auch keine Würdigung des Problems, das ist blanker Zynismus und eine Verhöhnung der Betroffenen", sagte Peter Grottian. "Das kann man so nicht hinnehmen, deswegen hatten wir diesen Protest organisiert. Doch nicht als einen Protest, der nur inhaltlich die Anhörung als Farce kritisiert. Die symbolische Attacke gegen die Verantwortlichen für HartzIV sollte den Zorn der betroffenen Erwerbslosen zeigen, dazu beitragen, daß die derzeitige Linie - die Beibehaltung des jetzigen Regelsatzes - nicht weiter aufrecht erhalten werden kann."

Angesichts des neuerlichen Anstiegs des Rüstungsetats 2008 auf über 29 Mrd. Euro sei die jetzige Verteilung von Ausgaben nicht hinnehmbar: "daß die Rüstungsausgaben weiter steigen, zeigt deutlich, daß die Ressourcen völlig fehlgeleitet sind. Es wäre schön, wenn die Friedensbewegung sich mehr rühren, etwas angriffslustiger würde. Wenn es beispielsweise zu regelrechten Blockaden von Rüstungsbetrieben käme - schließlich sind die antimilitaristischen Themen der Friedensbewegung mit der sozialen Frage kombinierbar".




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Ergänzungen

klagen

egal 16.06.2008 - 18:54
auf herausgabe klagen und auf amtsmißbrauch
es wurde sicherlich auch kein beschlagnahmeprotokoll verfasst.wer warum welche vermögenswerte beschlagnahmte.ich biete 200 €für so ein kunstwerk
aktion wiederholen und vorher auch das werfen anmelden
amtbeleidigung ? was ist das denn,das sind personen des öffentlichen lebens da ist satiere erlaubt.
eingabe an den zuständigen inneminister die dienstanweisungen der polizei von vor 45 dem geltenten recht anzupassen um rechtsicherheit der beamten zu gewährleisten denn diese begingen eine schweren eingriff in die grundrechte.wie auch immer voll drauf

erste Medienstimmen

jemand, irgend. 16.06.2008 - 19:05
das rbb hat dazu eine erste Meldung online:
 http://www.rbb-online.de/_/nachrichten/politik/beitrag_jsp/key=news7588317.html
Die dort gezählten 100 sind allerdings untertrieben. Gegen 11:30h dürften an die 300 Teilnehmer vor Ort gewesen sein, jedenfalls mehr als 200.

Das "clems" im Untertitel scheint sich übrigens auf 'Clement' zu beziehen, vielleicht könnte ein mod hier korrigieren...

Zur Ergänzung von xx: schwer zu glauben, daß es den Erwerbslosen so gut geht (die Ergänzung ist nicht vollständig, aber der Zusammenhang ist zu vermuten), daß sie nicht mehr auf Demonstrationen gehen. Hoffnungsverlust der HartzIV-Empfänger und Zweifel an der Veränderbarkeit des Systems spielt hier sicher eine Rolle, generell mangelt es aber eher bei den Mobilisierungskapazitäten, die Bündnisse mit schwächeren thematischen Anziehungskräften besitzen - ohne Lobby und mit nur wenigen Aktiven, die mithelfen können, sind ein paar hundert Teilnehmer allemal ein gewisser Erfolg.

Pappbeleidigung?

irrelevant 16.06.2008 - 23:30
Die von einem Mitglied der AG Soziales Berlin im Vorfeld geäußerte Sorge, bei dem Bewerfen von Clement/Hartz/Scholz auf Pappe (letzten Endes eine denkbar harmlose Form der Kritik) könne es wegen Amtsinhabe Probleme geben, dürften sich auf "StGB: Vierzehnter Abschnitt - Beleidigung", und zwar auf § 185 (Beleidigung) und § 188 (Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens) beziehen. Der veraltete Ausdruck "Amtsbeleidigung" wurde vor Ort fälschlicherweise gebraucht.

Hier bleibt einiges schleierhaft: die "üble Nachrede" gegen einen Politiker bedarf der Schriftform. Hier ging es um Plakatportraits - also kann von der Notwendigkeit zur besonderen Vorsicht gegenüber Amtsinhabern keine Rede sein.

Eine "Beleidigung" wiederum kennt keinen Unterschied zwischen Amts- und Privatperson - und bedarf einer Anzeige (Als Antragsdelikt wird die Beleidigung allerdings nur auf Antrag des Verletzten oder eines sonstigen Antragsberechtigten verfolgt" (§ 194 StGB). Das gilt auch für Amtsinhaber: "(3) Ist die Beleidigung gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. Richtet sich die Tat gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der aufsichtführenden Behörde verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern und für Behörden der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts. (4) Richtet sich die Tat gegen ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder eine andere politische Körperschaft im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so wird sie nur mit Ermächtigung der betroffenen Körperschaft verfolgt".

Um zu einer 'vorbeugenden Maßnahme' greifen zu dürfen, muß es sich schon um eine Tat handeln, die "unter eine ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung fällt und schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war" (StGB, "§ 1 (1)). - was hier im Ernst niemand wird behaupten wollen. Von einer vorbeugenden Konfiszierung von Kartonportraits auf einer Demonstration höre ich jedenfalls zum ersten Mal. Riecht übel nach Amtsmißbrauch.

@Hönkel // Zeugenaufruf

Karl Kauder 17.06.2008 - 02:43
Lieber Hönkel bzw. liebe sonstige mögliche Zeugen,
könntet Ihr mir Fotos und wenn möglich auch Kontaktdaten von möglichen Zeugen zu dem Vorfall des umgestoßenen Fotografen senden:  karl.kauder@web.de
Vielen Dank
der
umgestoßene Fotograf

presse

links 17.06.2008 - 08:47
eine kurze dpa-meldung wurde übernommen von:
 http://de.news.yahoo.com/ddp/20080616/tde-sozialverbaende-demonstrieren-fuer-a-d9e70c2.html
 http://newsticker.welt.de/index.php?channel=beb&module=dpa&id=18066688
 http://www.pr-inside.com/de/sozialverbaende-demonstrieren-fuer-anhebung-r645232.htm

[ngo/ddp] auf  http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=18174

etwas ausführlicher von der taz:
 http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/1/polizei-nimmt-olaf-scholz-fest/

bei der jungen welt dagegen nur ein kurzbericht:
 http://www.jungewelt.de/2008/06-17/055.php


süddeutsche und tagesspiegel haben den anschluß noch nicht geschafft. letztere verdient sich soeben besonders den namen "zeitung": da sind derzeit 'tragische' fensterstürze statt nachrichten hoch im kurs...

video

Kristin 17.06.2008 - 17:15
Video ist auf tagesspiegel.de zu sehen

Öffentliche Anhörung

Stephan Knoblauch 17.06.2008 - 17:30
Bei der öffentlichen Anhörung, die im Paul Löbe Haus stattfand, war ich dabei.

Es waren unter anderem zugegen:BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände,Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände,Statischtisches Bundesamt,DGB,Deutscher Sozialgerichtstag e.V.,Paritätischer,Dr. Hilmar Schneider u.a..

Bei den Fragen an die Jeweiligen Vertreter kam heraus, das z.B. das Statischtische Bundesamt der Meinung ist, eine kürzere Zeit als fünf Jahre Erhebung sei nicht machbar. Eine Vertreterin der Justiz sagte, das Sanktionen von 30% auf Hartz IV seien zulässig, da "Sie aus der Praxis" käme.

Ein Vertreter sagte, es gäbe keine Objektiven Erkenntnisse für Bedürfnisse, deshalb seien sie schlecht darstellbar.

Nach der Anhörung sagte der BDA-Vertreter zu einer aufgebrachten Zuhörerin:" Versuchen Sie es doch mal mit Arbeit".


konstruktive Kritik

Rumpelstilzchen 17.06.2008 - 23:19
Als Teilnehmer an den gestrigen Sozialprotesten in Berlin möchte ich das Folgende ergänzen:

Das Spektrum der Teilnehmenden bestand aus GewerkschafterInnen, Sozialforum und vielen Menschen aus Erwerbsloseninitiativen bzw. unorganisierten Betroffenen. AnhängerInnen der mayday-Parade oder der autonomen und revolutionären Linken waren nicht mit Transparenten etc. erkennbar vertreten.

Der Grund für Letzteres hat sicherlich z.T. in der zeitlichen Fixierung auf die Anhörungsfarce der Linkspartei im Parlament gelegen. Auch gab es keine Plakatmobilisierung.
In Bezug auf die unmittelbar Betroffenen fällt mir aber ein gewisser paternalistischer Einschlag in Inhalt und Ausführung auf: Zahllose Erwerbslosengruppen fordern schon länger min. 500 Euro Grundsicherung als erster Schritt zu einem bedingungslosen Grundeinkommen, 30-Stunden-Woche, 10 Euro Mindestlohn und umfassende Legalisierungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Diese Forderungen wurden nicht explizit benannt und es sprach auch niemand aus diesem Spektrum, soweit ich es mitbekam. Stattdessen wurden abgespeckte Gewerkschaftsforderungen im 400er- bereich benannt und klassisch StellvertreterInnenpolitik betrieben. Es wird vom Sozialforum gesagt, die globalen sozialen Rechte, die einem vorenthalten werden, sollen sich angeeignet werden--- aber trotz oder eher wegen idealistischer Sprechweise geschieht das gerade nicht.

Stattdessen will ein emeritierter Professor Politikerbilder mit Farbe beschmieren, um den Zorn der Hartz-IV- EmpfängerInnen zu symbolisieren. Lieber Mitstreiter, können die das nicht selbst ? Auch wenn die Polizei in dem Fall vielleicht eher die Farbe mitgenommen hätte als die Bilder: Das Mindeste wäre gewesen, die Schwämmchen etc. zu verteilen. Selbstverständlich nur zum symbolischen Gebrauch.... Wenn den Leuten die Aktion zu fremdbestimmt oder zu pillepalle ist, oder sie lieber woandershin werfen wollen, dann wäre das Nicht- Mitmachen eben auch Ausdruck von Selbstbestimmung. Einkommensschwache sind keine dummen Opfer ! Manchmal sehen nicht nur Amtsmenschen, sondern auch wohlmeinende Liberale sie allerdings gerne in dieser Rolle...

Die PolizistInnen, die die Beschlagnahme durchführten, waren entgegen Gerüchten lt. Aufdrucken auf ihren grünen Sweatshirts (sind das eigentlich offizielle Uniformteile oder nicht eher halboffizielle Korpsgeist-"Wohlfühlklamotten"-- manche Einheiten haben auch so etwas!) "BFZ-- Direktionshundertschaft 3" Das heißt wohl Beweissicherungs- und Festnahmezug der Hundertschaft der 3. Polizeidirektion (City; C); also "C1" in der Wannenverschlüsselungssprache, da der 1. Zug jeder EHU die speziell ausgebildete Festnahmeeinheit ist. Das stimmte auch mit den Autos überein, sofern nicht nur "C" dranstand. Später kamen noch 2 Wannen der 12. EHU, saßen aber nicht ab, da alles sich beruhigt hatte. Macht Euch schlau über die Strukturen der Polizei, gerade auch in eher ruhigen Momenten !

Juristrisch dürfen (wohl nicht müssen) die Bullen leider nach ASOG auch "Antragsdelikte" wie Beleidigung in Keim verhindern-- das zählt als Prävention. Andererseits haben Personen des öffentlichen Zeitgeschehens wie die Abgebildeten nur eingeschränkte Persönlichkeitsrechte. Die müssen sich auch ohne "Kunstbezug" mehr kritisieren lassen als Onkel Otto und Tante Ayse, weil sie auch mehr Macht haben und zumeist von der Öffentlichkeit, in der sie stehen, profitieren. da ist das Persönlichkeitsrecht ausnahmsweise demokratisch.
Also war die geplante symbolische Färbung ggf. legal-- ein Fall für die Anwälte. Politisch legitim wäre sie allemal, was auch für den dadurch symbolisierten eigentlichen Aktionsinhalt gelten dürfte.

Rumpelstilzchen.

Zensur ?

Karl 19.06.2008 - 08:47
Seit gestern ist das Video auf tagesspiegel online plötzlich verschwunden.
Warum ? Dabei war der Polizeieinsatz auf diesem Video gar nicht zu sehen.
Nur wie Grottian fleissig die Bilder von Scholz und Clement bemalt.
Hat da jemand zensiert ? Weil das Video genau das zeigt, was die Cops verhindern wollten ?
Da sollte mal nachgehakt werden...

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