Skandalprozess in Fürth

Kritischer Jurist 20.05.2008 00:40 Themen: Repression
Skandalprozess in Fürth – Kreidebeschriftung als Sachbeschädigung

Am 18.04. fand in Fürth bei Nürnberg ein Prozess statt, dessen Ergebnis und Verlauf einen Skandal darstellt.
Angeklagt waren 4 Heranwachsende und ein junger Erwachsener 18-21 wegen Sachbeschädigung gem. § 303 II. Tathandlung soll das Beschriften von Hauswänden mit Straßenmalkreide gewesen sein. Geladen waren 11 Zeugen, wobei nur einer als Zeuge im eigentlichen Sinne aufgetreten war, da die andern (Hausbesitzer + Polizisten) nichts zur Tat aussagen konnten.
Der Zeuge sagte aus, er hätte nachts eine Gruppe von 6-7 schwarz gekleidete Gestalten mit Mützen und/oder Kapuzen gesehen, von denen 2 einen Laternenpfahl und den Boden beschrifteten. Angeklagte Tatobjekte waren jedoch ein Privathaus, ein Chinarestaurant und ein Plus-Supermarkt. Wobei der Plus-Supermarkt noch während des Verfahrens herausgenommen wurde, da an diesem die Beschriftung bereits durch Regen und Witterung kaum noch sichtbar war. Die Hausbesitzer konnten alle nicht genau sagen zu welchem Zeitpunkt ihre Hauswand beschriftet wurde, es hätte auch vor der Tatnacht geschehen sein können. Einer hatte sich den Schaden bis dahin noch gar nicht selbst betrachtet. Zum Strafantrag, der ja bei Sachbeschädigung erforderlich ist, kam es, da die Polizei selbst die Hausbesitzer ermittelte und ihnen das Stellen eines Strafantrags „nahelegte“.

Hervorzuheben ist, dass für keinen der Angeklagten ein definitiver Tatbeitrag zuordenbar wäre, es für gemeinschaftliche Begehung oder auch für Beihilfe an den Tatbestandsmerkmalen fehlt, da bloßes anwesend-sein beim Tatgeschehen nicht ausreichend ist. Mindestens ein den Haupttäter bestärkendes aktives Tun oder ein garantenpflichtwidriges Unterlassen müsse gegeben sein. Bloßes Mitlaufen in einer Gruppe ist kein aktives Tun, das die Haupttat bestärkt, zumal der Zeuge aussagte, niemand hätte erkennbar Schmiere gestanden; ein garantenpflichtwidriges unterlassen kommt ebenso nicht in Frage, da die Täter gegenüber den Hausbesitzern keine Garantenstellung innehatten.
Weiter ist nicht beweissicher geklärt, dass die verhandelte Tat an den fraglichen Tatobjekten vorgenommen wurde.
Schließlich – und mit am schwerwiegendsten – wiegt der Fakt, das Kreidebeschriftungen an Hauswänden keine Sachbeschädigung i.S.d. § 303 II darstellen können. Siehe hierzu die Bundestagsdrucksache 15/5313, 3 – dort wird „Kreide- und Wasserfarbenauftrag“ explizit als Beispiel für „nur unerhebliche, nicht dauerhafte und daher nicht vom Tatbestand umfasste Fälle“ bezeichnet. Dieser Ansicht hat sich die Kommentarliteratur angeschlossen.

Der Anwalt der Angeklagten ging auf alle genannten Punkte ein und brachte diese vor. Er wies daraufhin, dass keine Straftat vorliege, dass nicht klar sei, ob die Angeklagten überhaupt eine Tathandlung begingen und wenn dann sei ungeklärt, ob an den fraglichen Tatobjekten und dass Mittäterschaft und Beihilfe ausgeschlossen seien.
Wer nun glaubt der Skandal liege lediglich in der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft – vertreten durch Silvia Körzdörfer, liegt falsch.
Richter Gerd Engelhardt stellte sich gegen den Willen des Gesetzgebers, sowie gegen die herrschende Meinung und sah eine Sachbeschädigung als gegeben. Er meinte, da die Hauswände aus Sandstein bestehen und ein Hausbesitzer vergeblich versucht habe, diese mit einem Schwamm zu reinigen, seien die Veränderung nicht nur unerheblich.
Hat jemand schon einmal versucht Sandstein mit einem Schwamm zu putzen (?!?) 2-minütiges Draufhalten mit einem Gartenschlauch dürfte wohl erfolgsversprechender sein!!!!

Aller weiteren Zweifel und Unsicherheiten bei der Beweisaufnahme zum Trotz verurteilte er die Angeklagten zu 2 Wochenenden Jugendarrest; den Erwachsenen zu 60 Tagessätzen. Wem dies krass erscheint, der höre und staune, dass er damit noch unter der aberwitzigen Forderung der Staatsanwältin nach 2 Wochen Dauerarrest, sowie 90 Tagessätzen (=Vorstrafe) blieb.

Bei anderen Sachbeschädigungsverfahren, in denen es allerdings um Graffiti mit Sprühlack geht, ist üblich bei jugendlichen Ersttätern Arbeitsstunden zu geben; und erst bei Wiederholung zu Jugendarrest überzugehen. Beispielsweise ein Verfahren in dem ein Grafitti-Sprüher mit 15 erwischt wurde (eine Wand großflächig besprüht); dann mit 19 noch einmal (Sprühen von Sprüchen an mehrere Wände); und schließlich mit 20 ½ noch einmal beim beschriften eines Strassenschilds mit einem Lackstift. Ergebnis: beim 1. Mal Arbeitsstunden, beim 2. Mal ein Wochenende und beim 3. Mal eine Woche Arrest.
Man vergleiche: Vorliegend Ersttäterschaft + „Sachbeschädigung“ mittels KREIDE! Zu fordern, einem Ersttäter eine Vorstrafe (90 Tagessätze) zu geben, grenzt an Rechtsmissbrauch.

Wenn man nach Gründen für das skandalöse Vorgehen von Staatsanwaltschaft und Richter sucht, so ist auf jeden Fall zu nennen, dass die Angeklagten Antifaschisten sind, die Kreidebeschriftungen politische Parolen sind und die Tatnacht einer Demonstration gegen Nazizentren in Fürth vorausging.

Der Skandal geht sogar noch ein bisschen weiter: Richter Engelhardt, der leugnete, dass es sich um einen politischen Prozess handle, verurteilte die 3 Heranwachsenden wegen Beihilfe, beim 4. Angeklagten nahm er jedoch Haupt-Täterschaft an, mit der Begründung, dass dieser der Anmelder der tags drauf stattfindenden Demo sei und damit ein Interesse daran hätte, dass auf der Demoroute politische Botschaften zu lesen wären.

Aber nein dies war kein politischer Prozess – da der Richter ja auch beteuerte gegen Nazis zu sein - und politische Justiz, das gibt es schließlich in Deutschland nicht…Rechtsstaat quo vadis?

P.S. Selbstverständlich legen die Verurteilten gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein. Es ist nicht nur für diese persönlich (In ihrer Akte steht nun: verurteilt wegen Sachbeschädigung!!!!!) oder insgesamt politisch wichtig, diesen Prozess zu gewinnen sondern unsres Erachtens nach auch juristisch-dogmatisch relevant!

Kritische Juristen Nürnberg/Fürth/Erlangen
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Ergänzungen

Link zur Drucksache; Vorstrafe

Rogue 20.05.2008 - 12:39
Tatsächlich bemerkenswert, Kreideauftrag als Sachbeschädigung zu verfolgen. Hier mal der Link zur o.g. Bundestagsdrucksache 15/5313 (siehe S.3), zum Nachlesen (als pdf):

 http://dip.bundestag.de/btd/15/053/1505313.pdf

(Kleine Anmerkung noch: eine Vorstrafe entsteht erst "ab" 90 Tagessätzen, d.h. also bei einer Verurteilung zu 91 Tagessätzen und mehr. Die Forderung der StA hätte hier noch nicht zu einer Vorstrafe geführt. Was natürlich nichts daran ändert, dass das Ganze vollkommen überzogen ist!)

Viel Erfolg für das weitere Verfahren!

Bericht über Kreideterrorismus

ronald schill 20.05.2008 - 12:56
Ein erster Bericht über die Sache und den Prozessverlauf erschien hier:

 http://de.indymedia.org/2008/04/213991.shtml

Übrigens hoffe ich, hier noch ein paar Schmankerl aus Richter Engelhardts Urteilsbegründung zu lesen. Die hat sicher Unterhaltungswert.

Der erfahrene Jurist Engelhardt

Leitfigur 20.05.2008 - 23:36
Schon witzig, dass sich ein Amtsrichter auf Indymedia selbst verteitigt.
Die Frage ist nur, warum unser achso erfahrener und toller Jurist Engelardt in seinem hohen Alter immernoch nur Jugendrichter am Amtsgericht Fürth geblieben ist.
Vielleicht liegt es ja daran, dass fanatisch orientiert auftritt und insbesondere den mangelden Willen zur Differenzierung zwischen Recht und Politik bzw. politischer Meinungsäußerung besitzt. (Sie wissen was gemeint ist Herr Engelhardt!)
Desweitern liegt es vielleicht auch daran, dass er keine geschichtlichen Kenntnisse besitzt. Zum einen meinte er im Prozzes, dass schwarz(!!) gekleidete Jugendliche ihn an den KuKluxKlan erinnern würden und zum anderen vergleicht er in seiner Urteilsbegründung linke Kreideparolen an Hauswänden mit rechtsextremer Gewalt.

@unkritischer Jurist: Auslegung

Rogue 22.05.2008 - 23:36
Zum Kommentar, "dass vor gericht weder irgendwelche obskuren bundestagsdrucksachen (!?) noch schöngeistge theorien aus kommentaren irgendwen interessieren, sondern lediglich die ständige rechtsprechung" (Rechtschreibung wie im Original), ist anzumerken, dass RichterInnen Normen auslegen müssen (hier eben die Strafnorm des § 303 Abs. 2 StGB).

Dabei sind die gängigen Auslegungsmethoden anzuwenden (würde man polemisch formulieren, so wie im o.g. Kommentar, könnte man sagen: das lernt man im ersten Semester; aber Polemik hilft in der Sache nicht weiter), u.a. auch die historische Auslegung oder die teleologische Auslegung (nach dem Sinn und Zweck der Norm). Siehe dazu z.B. die Ausführungen der Wikipedia:

 http://de.wikipedia.org/wiki/Auslegung_(Recht)#Die_Canones_nach_Savigny

Gerade im Rahmen der historischen Auslegung spielen amtliche Begründungen eine wichtige Rolle. Und der Verweis auf die sog. “ständige Rechtsprechung” ist unangebracht, wenn es sich um eine eher junge Norm handelt, wie es vorliegend der Fall ist. Der Abs. 2 des § 303 StGB ist erst 2005 eingefügt worden. Eine “ständige Rechtsprechung” muss sich da ja erst herausbilden. Daher ist es auch ratsam, die Urteile nicht so stehen zu lassen und in die nächste Instanz zu gehen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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und — egal

amtsrichter — egal

Straftäter? — xyz

kritisch sind eure jurakenntnisse — (muss ausgefüllt werden)

bis vors verfassungsgericht — deutschlandhasser