Köln, Proteste gegen "Sozialkaufhaus"

agenturschluss 14.05.2008 01:52 Themen: Soziale Kämpfe
Die Creme de la Creme der Kölner Beschäftigungsindustrie ließ sich zur feierlichen Eröffnung des ersten Kölner Armenkaufhaus' vorfahren. SELBSTorganisierte 'Ladendiebe' und KEAs (Kölner Erwerbslose in Aktion) ließen es sich nicht nehmen, sie zu begrüßen.
Bürgermeister Josef Müller (CDU), der bereits seit Jahren den Einsatz von Arbeitslosen als 1-Euro-Jobber im eigenen Wohngebiet propagiert, ARGE-Geschäftsführer und ehemaliger Filialleiter des Internationalen Bunds (IB) in Köln, Klaus Müller-Starmann, sowie die Chefetagen fast aller 1-Euro-Jobträger in Köln trafen sich zum Stelldichein im neuen „Sozialkaufhaus“ der Diakonie Michaelshoven in Köln Kalk. Wo die Lieblingsfeinde sich versammeln, lassen sich deren Gegner nicht lange bitten.

Zwischen 10:00 und 12:00 Uhr wurde die offizielle Eröffnungsfeier zur geschlossenen Veranstaltung mit Häppchen und Saxofonmusik erklärt. Nachdem es einem Demonstranten gelang, einen sowohl drinnen als auch draußen hörbaren Redebeitrag zu halten, entschied man sich gar dazu, die Tür zu verschließen. So wurde der Protest im wahrsten Wortsinn nach außen bzw. auf die Straße getragen und hinterließ die anwesenden Feiergäste einstweilen mit dem unguten Gefühl, schlicht nicht zu wissen, was auf den Transparenten steht, die sie durch die Schaufenster hindurch nur von der Rückseite sahen.

Dies änderte sich, als die VIPs sich nach Ende der Pflichtübung nach draußen begaben und einige von ihnen sich der Kür stellten. Es ergaben sich durchaus interessante Diskussionen, die in zweifacher Hinsicht verwirrten. Zum einen die Feststellung, dass es ausgerechnet Leute der vermeintlich „untersten“ Angestellten-Ebene waren, die sich stellvertretend für ihre Chefs (oder darf/soll/muss man es mal wieder mit dem Begriff „Ausbeuter“ auf den Punkt bringen?!) so richtig ins Zeuch legen. Eine Frau mit 1-Euro-Job vergötterte unentgeltlich dieses Angebot und ließ sich nicht beirren von der Argumentation eines Demonstranten, dass es um ihre Situation VOR dem 1-Euro-Job gehe, welche sie letztlich zur Annahme einer so wahnsinnig gönnerhaften Entlohnung trieb. „Da bist weder Du schuld dran, noch ich.“, rief ihr der Demonstrant ins Gewissen, um auf die wahren Verantwortlichen hinzuweisen. Ob sich die Chance auf Festanstellung jener 1-Euro-Jobberin durch ihren Einsatz erhöht hat?

Die andere Verblüffung (oder Verbluffung?), dass ausgerechnet zahlreiche Mitarbeiter der Diakonie der Argumentation der Demonstranten unumwunden folgen und dieser nicht nur grundsätzlich zustimmen konnten. „Da haben wir ernsthaften Diskussionsbedarf.“, hieß die Bemerkung einer Diakonie-Mitarbeiterin.
Der in Köln bekannte Pfarrer Sankt Meurer musste erst mit sich selbst und dann mit den Argumenten kämpfen, ehe auch er die Kritik zur Vertafelung der Gesellschaft kapierte.

Es mögen 20 „Querulanten“ gewesen sein, die sich mit Transpis und Trillerpfeifen zum Thema äußerten. Sie mögen aus unterschiedlichen Zusammenhängen kommen, ihre Flyer kommen zu den gleichen Schlüssen.

Der Flyer der KEAs (Die KEAs e.V.):

SOZIALKAUFHÄUSER SIND ARMUT MIT PFEFFERMINZGESCHMACK !

„Ausgehend vom christlichen Menschenbild, wonach das Tun des Menschen bzw. seine Arbeit ihn und seine Familie auch ernähren sollen, setzt sich die Diakonie für eine sachgerechte Bezahlung auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Einrichtungen und Diensten ein.“
aus Diakonie-News, 03.05.2008

Die Diakonie 'Michaelshoven' ist der größte Maßnahmeträger in Köln, der mehrere Hundert so genannte 1-Euro-JobberInnen in unterschiedlichen Bereichen beschäftigt. Das diakonische Werk der evangelischen Kirche in Deutschland ist somit nicht etwa gegen HartzIV, sondern fester Bestandteil eines Systems, ArbeiterInnen und Arbeitslose, Angestellte und 1-Euro-JobberInnen, „Unter-“ und „Oberschicht“ gegeneinander auszuspielen.

DIE DIAKONIE IST TEIL VON HartzIV
... UND VERDIENT NICHT SCHLECHT DARAN!

Um den HartzIV-Regelsatz (347,- Euro) dauerhaft so klein wie möglich halten oder gar kürzen zu können, betreibt die Diakonie sowohl so genannte „Tafeln“ als auch „Sozialkaufhäuser“. Diverse Privatsponsoren unterstützen diese Projekte gerne, des sozialen Friedens wegen. Somit ist die Diakonie nicht nur Dienstleister für Menschen in Not, sondern auch Erfüllungsgehilfe und Profiteur! Erst wird Armut produziert und dann Sozialkaufhäuser und Almosen-Tafeln. Damit aber wird Armut nicht bekämpft, sondern ihre Dauerhaftigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz gesichert!

FESTANSTELLUNG STATT 1-EURO-JOBS!
WÜRDE STATT ALMOSEN!
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Der Flyer der SHOPLIFTERS UNITED Sektion Köln:

„Was Ihr dem geringsten meiner Brüder angetan habt, das habt Ihr auch mir angetan“ J. Ch. Aus N. (1-Schekel Jobber bei der Diakonie)

„ALLES MENSCHENMÖGLICHE“ - ?!?

KONSUM MIT ARMUTSZEUGNIS


Seit Anfang Mai gibt es in Köln ein so genanntes Second-Hand-Kaufhaus, betrieben von der Diakonie, dem Sozialwerk der evangelischen Kirche.
Hier sollen „Menschen mit geringem Einkommen“, also Arme, günstig einkaufen können. (Nach Armutsnachweis sogar mit Rabatt !!!)

Second-Hand ist eine wirklich gute Sache, wenn Menschen das freiwillig machen wollen oder sogar selbst organisieren.
Aber warum sollen Arme Second-Hand kaufen MÜSSEN?

Gleichzeitig sollen „Langzeitarbeitslose als Angestellte in diesem Kaufhaus wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden.“
Das heißt:
DIE LEUTE, DIE VON HartzIV BETROFFEN SIND (und somit von Armut, Entrechtung und Bevormundung), WERDEN u.a. ALS 1-EURO-JOBBER GEZWUNGEN, DER DIAKONIE DAS KARITATIVE MÄNTELCHEN ZU FINANZIEREN.

Warum zahlt die Diakonie ihren Mitarbeitern nicht einfach ausreichend Löhne? Und warum müssen überhaupt Menschen von 347,- Euro im Monat (Alg2) leben?

Die Diakonie ist in der Kölner ARGE einer der größten Träger von Projekten und Maßnahmen, die 1-Euro-Zwangsarbeit möglich machen und sorgt so nicht nur für die Fortdauer des ungerechten Sozialsystems, sie profitiert gleich mehrfach davon:

Einmal kann sie sich öffentlichkeitswirksam einen sozialen Anstrich geben, aber auch finanziell rechnet sich die Einrichtung von 1-Euro-Jobs für den Träger durchaus.

Hier sorgt die Einrichtung, die eine Erleichterung für Arme darstellen soll, für die Fortdauer eines Systems, das gerade diese Armut mitproduziert!

FESTANSTELLUNG UND AUSREICHENDE LÖHNE!

SCHLUSS MIT ZWANGSARBEIT!

WEG MIT DER ARGE!

ALLES FÜR ALLE!

SHOPLIFTERS UNITED Sektion Köln

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weiterführende links:

 http://de.indymedia.org/2008/04/212906.shtml

 http://www.Die-KEAs.de/
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Ergänzungen

Hier ein Artikel dazu

Jupp 14.05.2008 - 10:50
Sozialkaufhaus Köln-Kalk

Von Hans-Dieter Hey

Am Dienstag, 13. Mai, wurde das neue Sozialkaufhaus „Kaufhaus Kalk - alles Menschenmögliche" mit einer offiziellen Feier eröffnet. Während sich drin bei Häppchen und Sekt die Helden der Gründung, das Diakonische Werk Michaelshoven, und gesellschaftliche Honoratioren in ihren Reden gegenseitig auf die Schulter klopften, machten sich vor der Tür einige Demonstranten mit ihrer Meinung Luft und trübten die Stimmung.

 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12406

Ergänzung

Allgäuer Käs 15.05.2008 - 00:05
Angesichts der bisherigen Postings bezahlter 3-Euro-60-Jobber lasst mich erstmal einen Toast auf die Kölner Engagierten ausprechen!

Ich hab hier einen Artikel gefunden, wo so ein bisschen die Historie der Kölner Action beschrieben wird. Wenn das "Berufsdemonstranten" sind, dann gebt mir bitte eine Adresse, meine Bewerbungsunterlagen einzureichen!

Macht weiter! Macht weiter so! Ich mache MIT!

Solidarische Grüße aus dem Allgäu!

Hier der Artikel:

 http://erwerbslose.files.wordpress.com/2008/02/kea-46b.pdf

Zu "acrata" & den kölner Umsonstladen

Mensch 24.06.2008 - 12:53
Der kölner Umsonstladen in der Mütze wird auch nur von sozialreformistischen kleinbürgerlichen Gutmenschen ohne jeglichen Bezug zu sozialen Realität Mülheims, Peaceniks, Pfarrer Meurer Typen mit einmen verblassten linksradikalen Touch betrieben. Ich war mal da, hab' mehrere inhaltreiche, gut erhaltene Bücher gespendet und mir drei Teile ausgesucht (mehr darf Mensch nicht pro Besuch) und wurde übels angemacht weil ich kein Geld spenden konnte, bzw. wollte da ich unter Existenzminimum lebe. Die runtergeleierten Sprüche vonwegen Privat finanziert und auf Spenden angewiesen und Raummiete teuer fand' ich so erbärmich, igitt. Teure Raummiete für einen Umsonstladen in einen kommunalen Bürgerzentrum, lächerlich! Die von der Mütze beschäftigen seit Jahren kritiklos 1-Euro-Jobber, Alibi mäßig kommt einmal im Monat das sogenmannte "Obdachlosen-Frühstück" in der Mütze, widerlich. Die Mütze war einmal ein selbstverwaltetes Bürgerzentrum, mit gut besuchten und leckeren Frühstück- und Mittagstisch wo sich mülheimer Angestellte, Alleinerziehende, Kinder, Behinderte bunt zusammen gewürfelt traffen, lang ist es her...Jetzt ist alles tot dort, die Antifa trifft sich dort nicht mehr, weil sie die 1-Euro-Job Politik seit ihrer Einführung boykottiert um nur ein Beispiel zu nennen. In anderen Städten mögen die Umsonstladen ja "akratisch", selbstverwaltet und mit Respekt mit den Ärmeren umgehen, aber in Köln kann Mensch den Umsonstladen vergessen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 6 Kommentare an

untätig — pleb

@ pleb — Überflüssig(er)

wie? — claudia