Gentrifizierung ist Terror...

Karin Baumert 07.10.2007 14:35 Themen: Bildung Freiräume Globalisierung Kultur Repression Soziale Kämpfe
...Wohnen ist Menschenrecht

Seit der Observierung und der Festnahme kritischer Stadtsoziologen und Aktivisten geht wieder ein Gespenst in Berlin und anderswo um: Das Gespenst des Terrorismus. Ausgelöst durch ein Wort, das bis dahin nur in Fachkreisen bekannt war: Gentrifizierung. Nach Ansicht des BKA gibt jemand, der diesen Begriff verwendet, Anlass zu der Annahme, dass für ihn „...nicht ausgeschlossen werden kann, Mitglied einer terroristischen Gruppe im Sinne des § 129a zu sein...“ - so auch die Anklage der Staatsanwaltschaft.
Gentrifizierung ist ein Fachbegriff der Stadtsoziologie und beschreibt den Prozess der Verdrängung von Bewohner_innen aus ihren Quartieren, weil Immobilienfirmen dort die Chance auf eine lukrative Verwertung der Grundstücke wittern. Und das läuft in der Regel so: Zu Anfang kommen die Künstler_innen und Studierenden, weil das Quartier nicht nur preiswerte, sondern auch ehemals gutbürgerliche Wohnungen, ein bestimmtes Flair, den Hauch der Geschichte in jedem Detail und - nicht zu vergessen - ein ganz normales Leben bietet, mit dem Bäcker um die Ecke, der Oma auf der Straße, den Kindern auf dem Hof und Brachen, die sich die Natur zurückgeholt hat. Die Stadtsoziologin spricht dann von „Identität des Ortes“. Für die Immobilienfirmen sind die Künstler_innen und Studierenden sozusagen Trüffelschweine. Dort, wo sie hinziehen, wird in Zukunft das große Geschäft mit Wohnungen zu machen sein. Die erste Phase der Gentrifizierung ist die Pionierphase, danach kommt die Auf- und Verwertung. Neuerdings gibt es auch den Begriff des Branding, d.h. es werden Künstler_innen in Gebieten angesiedelt, von denen man hofft, dass sie in Zukunft gut zu vermarkten sein werden. Die Künstler_innen sollen eine gewisse neue Identität prägen und bekannt machen. Das geht nicht immer gut. Aber diese Hoffnung hegt man z.B. mit dem Radialsystem am Ostbahnhof – für die Entwicklung des „Mediaspree“-Projektes.

Kritische Stadtsoziolog_innen unterscheiden sich von den etablierten dadurch, dass sie diesen Prozess in einer Ausführlichkeit beschreiben und erforschen, der es unmöglich macht, so zu tun, als wenn die Gentrifizierung naturgewollt und unabwendbar sei. Kritische Stadtsoziolog_innen schreiben über Eigentums- und Machtverhältnisse und die Ungerechtigkeit der Verdrängung. Sie fragen sich, warum das Geldverdienen an einer Wohnung gesellschaftlich höher bewertet wird als die Bedeutung der Wohnung und des gewachsenen Wohnumfeldes für die angestammte Bevölkerung. Zwar bietet das bürgerliche Gesetzbuch mit dem § 144a den Bewohner_innen die Möglichkeit, eine sanierungsbedingte Mietumlage auf Grund sog. sozialer Härten ablehnen zu dürfen, aber die wenigsten wissen davon. Außerdem setzen Immobilienfirmen Alles daran, Mieter_innen herauszudrängen. Da werden schon mal Brände gelegt, die Schornsteine einfach stillgelegt oder die Leitungen abgeklemmt. Die Umzugswilligen werden mit Umzugsgeldern und Entschädigungen bedient, Andere bewusst als Störer oder Loser diffamiert. Wer einmal in einem Gebiet mit ungezügelter Aufwertung gelebt hat, der weiß, was Terror ist. Terror, der von den Immobilienfirmen und den in ihrem Auftrag arbeitenden Firmen verbreitet wird. Und dann der ganze Stress, wenn man diesen Firmen trotzt und sich - seiner Rechte bewusst - nicht rausschmeißen lässt!

Ja, Gentrifizierung ist Terror, weil Geldverdienen mit Wohnraum zu einem lukrativen Wirtschaftszweig gehört, wo mit harten Bandagen gekämpft wird. Und wie schon so oft in der Geschichte, wird der Überbringer der Nachricht geköpft, der, der die ganze Wahrheit schreibt, zum Terroristen. Dank der Öffentlichkeitsarbeit des BKA kommt nun die ganze Wahrheit über Gentrifizierung und Verdrängung ans Tageslicht - vielen Dank! Terror sind die alltäglichen Machenschaften der Banken, die Kredite geben, der Immobilienfirmen, die Stadtgebiete aufkaufen und verwerten, der Immobilienfonds, die Städte nach neuen verwertbaren Flächen abgrasen, der Unterhaltungsfirmen, die uns bespielen mit dem Opium fürs Volk.

Auch dank der kritischen Stadtsoziologie sind wir Alle zum Risikokapital geworden. Lange haben sich die an Geld interessierten Verwerter_innen des Stadtraums in Sicherheit gewägt. Aber immer mehr Bewohner_innen lassen sich nicht mehr verdrängen und sagen STOP. Ob z.B. am Fichtebunker, an der McDonald´s-Filiale, am Landwehrkanal bei der Baumfällung, oder im Bethanien: Wer die Wahrheit kennt und sie ausspricht, hat auch den Mut, für seine Rechte einzustehen. Wir sind die Bewohner_innen und wir nehmen uns das Recht, in dieser Stadt zu leben und solidarisch miteinander zu sein. Wir bleiben alle und lassen uns nicht kriminalisieren – und statt Geld zu zählen, tanzen wir auf den Straßen!
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