"Hartz IV für Lehramtsanwärter/innen!"

Freie Bildung 02.08.2007 22:43 Themen: Bildung
In Form eines Straßentheaters in der Freiburger Innenstadt verdeutlichten am Samstag [28.07.07] etwa 50 Studierende und Referendar/innen ein weiteres Mal das Unverständnis der potenziellen Neulehrer/innen mit der derzeitigen Lehrer/inneneinstellungspolitik der Landesregierung.
Sie spielten den Schulalltag, wie er in Zukunft aussehen könnte, nach. Der Lehrer, Kultusminister Rau unterrichtete eine Klasse mit ca. 40 Schüler/innen. Er war zwar völlig überfordert, hatte aber in Anlehnung an das neue Hauptschulprogramm, zwei, vorher von ihm arbeitslos gemachte Hilfslehrer als Unterstützung an seiner Seite. Diese beiden, nach Securitypersonal aussehenden 800 Euro Kräfte, griffen immer dann ein, wenn ein/e Schüler/innen den Unterricht störte. Die Störer wurden von der Klasse getrennt und teilweise mit Kabelbinder fixiert. Kultusminister Rau, ununterbrochen die Bildung mit Füßen tretend, belehrte die Schüler/innen beispielsweise über den Unsinn des Philosophieunterrichts, der nicht wirtschaftlich verwertbar und deshalb überflüssig sei. Der Nachwuchs sei heutzutage Humankapital und nicht mehr Mensch, wie es früher vielleicht Rousseau gesehen hätte.
Auch den radikalen Schnitt, der im Badenwürttembergischen Bildungssystem nach dem 4. Schuljahr vollzogen wird, stellte das Theater eindrucksvoll dar. Mithilfe der Securitykräfte wurden Freunde und Freundinnen getrennt und auf die verschiedenen Schultypen aufgeteilt. Kinder von Akademikereltern kamen aufs Gymnasium, Kinder aus sozial schwächeren Familien auf die Hauptschule. Die Schüler/innen trauerten um ihre Freunde, was natürlich nicht förderlich für die Leistung im Unterricht ist, darauf kann aber in Baden- Württemberg keine Rücksicht genommen werden. Dass Schüler am besten voneinander lernen, findet auch keine Berücksichtigung im dreigliederigen Schulsystem.
Das Straßentheater, welches am Augustinerplatz begann und zum Rathausplatz zog, fand großen Anklang in der Bevölkerung. Besucher der diversen Freiluftcafés spendeten teilweise heftigen Beifall. Besonders großes Unverständnis herrschte darüber, dass die Landesregierung lieber Geld in Großprojekte, wie Stuttgart 21, als in Bildung investiert.


::::Bevölkerungsflyer::::

Statt Investitionen in unser Bildungssystem,
Hartz IV für Lehramtsanwärter/innen!


Liebe Baden-Württemberger/innen,

am Ausbildungsseminar für Realschullehrer/innen in Freiburg wurden am Mittwoch (25.07.) 152 Referendare arbeitslos. Das sind gut ausgebildete, junge, engagierte Lehrerinnen und Lehrer mit besten Noten. Also genau die, die wir an unseren Schulen angesichts immer schlechter werdender Unterrichtsversorgung, überfüllter Klassen und alternder Kollegien dringend bräuchten.

Ganz besonders auch an den Grund- und Hauptschulen im Regierungsbezirk Freiburg ist die Not groß, nur ca. 100 Lehrer/innen werden im September übernommen. Landesweit erhalten von 8.000 Bewerber/innen für alle Schularten nur 3.000 eine Stelle. Die landesweite Einstellungsquote von nur 13 Prozent an den Grund- und Hauptschulen entlarvt alle Treueschwüre der CDU- und FDP-Landtagsabgeordneten an die Hauptschule als Lippenbekenntnisse. In Sonntagsreden sprechen sie von der Stärkung der Hauptschule und am letzten Ferientag schicken sie den angeblich gesuchten Hauptschullehrer in die Arbeitslosigkeit.

Nach dem Vorbereitungsdienst beziehungsweise Referendariat haben die fertig ausgebildeten Lehrer/innen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da sie während der 1,5 Jahre dauernden Ausbildung Beamte auf Widerruf sind. Wenn sie keine Stelle finden, müssen sie einen Antrag auf Arbeitslosengeld II (Regelsatz 345 Euro + Unterkunftskosten) stellen.


Landesregierung verhindert Einstellung junger Lehrerinnen und Lehrer

Bereits ein Jahr nach der Landtagswahl hat die Landesregierung ihre Zusage, bis 2011 keine einzige Lehrerstelle zu streichen, gebrochen.
Das sind die Fakten:
•521 Stellen wurden „gesperrt“.
•349 Stellen werden weggespart, weil ReferendarInnen und AnwärterInnen eine Stunde mehr unterrichten müssen.
•Weitere 280 Stellen möchte Kultusminister Rau durch die Streichung der Altersermäßigung wegfallen lassen.
Wir nennen das Wahlbetrug!
•Nur 13 % der Bewerber für Grund- und Hauptschulen erhalten ein Einstellungsangebot.
•In Südbaden wurden nur 15 LehramtsanwärterInnen übernommen.
•5.200 gut ausgebildete und motivierte junge LehrerInnen aller Schularten stehen Ende Juli auf der Straße.
•Die Unterrichtsversorgung verschlechtert sich weiter - alle LehrerInnen an den Schulen werden noch mehr belastet.

Einstellungschancen ergeben sich nicht nur aus zu erwartenden SchülerInnen- und Pensionierungs-zahlen, sondern werden vor allem durch politische Entscheidungen beeinflusst.
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Ergänzungen

berechtigte kritik

beteiligteR 03.08.2007 - 16:28
an yomismo und alle anderen leserInnen:

ich habe an der aktion teilgenommen und mich dagegen ausgesprochen einen indy-artikel zu schreiben, da die motivationen der einzelnen an dieser aktion teilzunehmen (meiner einschätzung nach) sehr unterschiedlich gewesen sein könnten und von "ups, ich werd wohl arbeitslos!" über "die kinder werden unter dem künftigen schulalltag leiden." bis "sozialstaatliche kürzungen sind genereel schlecht, vor allem in der bildung." reichten. eine gemeinsame theoretisch fundierte grundlage gab es nicht. genauso ist der artikel höchstwahrscheinlich auch nur von einer person geschrieben worden.

die kritik von yomismo ist berechtigt: wer mehr investitionen in eine landesinstitution fordert, schlittert in einen standort-jubel hinein, den mensch in diesem zusammenhang eher von gewerkschaften kennt. wie bei allen protesten, die von stuierenden ausgehen, kommt die frage auf, ob studierende vielleicht ein elitäres grundverständnis haben, das sie selbst nicht bemerken. das mag in manchen fällen zutreffen.

in der noch spezielleren frage um proteste von lehramtsstudierenden ist diese frage besonders brisant, da in der emanzipatorischen linken, lehrerInnen im besten fall als reformstische, gut gewillte, aber dennoch kinder unterdrückende und ihrer freiheit beraubende "handlanger" des staates/landes sind.

da das land die (für alle kinder geltende) schulpflicht notfalls mit gewalt durchsetzt, ist es schwer sein kind von der schule fernzuhalten, wenn mensch gegen die schulpflicht (z.B aus antipädagogischer überzeugung) ist. daher sind nun einmal fast alle kinder in der schule. wie sollen kinder denn nun so selbstbestimmt und frei wie möglich heranwachsen? wie werden sie vor eingriffen auf ihren geist, ihre individualität, ihre meinung beschützt, wenn sie in die schule müsen?

diese und andere fragen stelle ich mir, der in einer freien gesellschaft die schulpflicht ablehnen würde und dem junge menschen und deren entwicklung am herzen liegen.

ich kann mir nicht vorstellen, dass überforderte (da zuwenige) lehrerInnen, in dem bewusstsein lernpläne einhalten zu müssen, schülerInnen die ihnen zustehenden freiheiten zu geben. die einsparung von lehrerInnenstellen wird voraussichtlich den schulalltag in seiner autoritären, disziplinarischen und individuelle bedürfnisse übergehende form verschärfen. mehr lehrerInnen könnten zu einem menschlicheren verhältnis zwischen schülerIn und LehrerIn führen, auch ohne, dass auf seiten der lehrerInnen emanzipatorsches und herrschaftskritisches Bewusstsein vorhanden ist.

da viele junge menschen durch medien betäubt und still gehalten werden und sich ein politisches bewusstsein meist gar nicht entfaltet (meine erfahrung), kann ich mir kaum vorstellen, dass schülerInnen sich eines tages gegen ein (schul)system erheben, dass ihnen konsequent einen konfusen, nervigen schulalltag bietet, in dem ihnen die wenigen, überforderten lehrerInnen vielleicht eher als opfer denn als täterInnen vorkommen. durch ein besseres betreuungsverhältnis könne lehrerInnen, den schülerInnen mehr freiräume lassen (und zeigen) und ihnen die möglichkeit geben, ihr leben bewusster (weniger betäubt) anzugehen. wenn es irgendwann eine sozialere und menschlichere gesellschaft geben sollte, dann doch dadurch, dass jugendliche von gleichaltrigen und von älteren menschen (eltern und lehrerInnen) alternativen zum dauerkonsum gezeigt bekommen und es in schule und elternhaus gewohnt sind dinge unter menschen im direkten dialog zu vereinbaren und nicht irgendwelchen autoritäten (fernsehen, zeitschriften, politikerInnen,...) zu glauben.

natürlich ist die forderung nach mehr statt weniger lehrerInnen auf den ersten blick eine reformistische und keine radikale.
das land, bzw. der staat, wird die schulpflicht von sich aus nicht abschaffen. da der abschaffung der schule (und der schulpflicht) durch zivilen ungehorsam die polizei im wege stünde, müssten folglich erst staat und polizei abgeschafft werden.
diese überlegung lässt sich kurzfristig wohl nicht relisieren. langfristig, werden nur die menschen aufbegehren, die sich die menschlichkeit, den direkten kontakt zu menschen ihrer umgebung und ihre rückbesinnung auf ihre usprüngliche natürlichkeit bewahren und dem ewigen konkurrenzkampf um mehr annerkennung, technischem fortschritt und wachstum nicht folgen.

diesen zustand ereichen jugendliche entweder aus sich selbst heraus und am widerstand der umwelt, oder durch den gewohnten menschlichen umgang gerade mit und durch die umwelt. zur umwelt der heranwachsenden zählen massenmedien, konsum, eltern, gleichaltrige, schule,... warum sollte die schule als ein teil dieser umwelt durch weniger lehrerInnen unmenschlicher gemacht werden?

zugegeben, ich gehe von der annahme aus, dass die mehrheit der lehrerInnen ihrer verantwortung gegenüber der entwicklung junger menschen und der gefahr des möglichen machtmissbrauchs durch die eigene person bewusst ist.

Es geht immer weiter...

Autonom@ntifa 03.08.2007 - 21:13

Abschaffung der Schulpflicht birgt Gefahren!

freie bildung 2.0 06.08.2007 - 12:56
@beteiligteR

Eine Abschaffung der Schulpflicht hört sich aus den von dir genannten Gesichtspunkten ja erst einmal gut und richtig an.
Du solltest aber bedenken, dass die Abschaffung der Schulpflicht die Einführung von allgemeinem Schulgeld erst ermöglichen und schon im Grundschulbereich zu einer Verstärkung der sozialen Selektivität führen würde. Dann wird es nämlich schon ab der ersten Klasse sehr gute und elitäre Schulen für Kinder aus dem bürgerlichen Milieu und schlechte [vor allem finanziell schlechter ausgestatte] Schulen für Arbeiter- und Migrantenkinder geben.

Eine derartige Entwicklung kann und darf nicht das Ziel einer [radikal] linken Politik sein!!!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 12 Kommentare an

ob nicht alle möchtegernneulehrerInnen — ja, das MUSS ausgefuellt werden

Ist — anasyn

nicht solidarisch — sowieso

Raus aus des staates Scho? — hab ich im suff vergessen

Die Aktion war Straßentheater — Freie Bildung

Gratulation — abc

Yomismo hat alles gesagt — Lehramtsstudent

@freie bildung — mayra