über die Polizeitaktik beim G8-Gipfel

Mister Nobsen 06.06.2007 13:56 Themen: G8 Heiligendamm Repression
Die Einsatzkräfte müssen beim G8-Gipfel für ein Höchstmaß an Sicherheit sorgen, ohne dabei den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Wie man hart durchgreifen kann und trotzdem noch Applaus bekommt, steht im folgenden Artikel.
1. Die allgemeine Ausgangslage.

Die Situation für die Sicherheitskräfte ist schwierig.

Einerseits hat die Sicherheit während des Gipfels höchste Priorität. Andererseits ist der Gipfel politisch höchst umstritten, da bei vielen Menschen weltweit die Meinung besteht, dass die herrschenden Politiker ihre Entscheidungen nicht im Namen der Bürger sondern im Namen des Profits treffen.

Ein 13 Kilometer langer Zaun rund um den Tagungsort dokumentiert, wie sehr sich die Politik bereits von den Regierten entfernt hat. Ausgaben von 100 Millionen Euro sowie das größte Polizeiaufgebot der Nachkriegsgeschichte belegen außerdem die völlig fehlende Bürgernähe.

Um diesen Eindruck der Distanz nicht zu verfestigen, wird öffentlich kommuniziert, dass Demonstrationen im Rahmen des Gipfels geradezu erwünscht seien.

Tatsächlich mobilisiert der Gipfel tausende Globalisierungsgegner, darunter auch Gewalttäter, die aktiv versuchen werden, zu randalieren und Sicherheitskräfte anzugreifen.

Eine erfolgreiche Polizeitaktik muss nun zwei Dinge schaffen:

1. Sie drängt den Protest soweit zurück wie möglich
2. Die Öffentlichkeit begrüßt dabei die Vorgehensweise der Polizei.


2. Die Großdemo am 2. Juni.

Am 2. Juni versammeln sich Globalisierungsgegner in Rostock zu einer Großkundgebung gegen die Politik der Gipfelstaaten.

Tag und Ort sind für die Sicherheit des Gipfels unbedeutend. Denn Rostock ist viele Kilometer von signifikanten Orten – wie zum Beispiel dem Zaun – entfernt und der eigentliche Gipfel beginnt erst 4 Tage später.

Unter den rund 50.000 Demonstranten befinden sich auch eben jene Gewalttäter, die erfahrungsgemäß nur auf eine Gelegenheit warten, die Polizei anzugreifen.

Im Hinblick auf die kommenden Tage käme es also sehr gelegen, wenn es an diesem Tag zu Krawallen käme.
Eine Straßenschlacht Tage vor dem Gipfel und weitab der Sicherheitszone würde die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass aufgrund der erkennbaren Gewaltbereitschaft ein hartes Durchgreifen gegen Demonstranten gerechtfertigt ist.

Tatsächlich kommt es zu Auseinandersetzungen, bei der zahlreiche Kameras filmen, wie Polizisten in einem Steinhagel stehen, wie ein Auto brennt (das einsam und ganz zufällig direkt am Versammlungsort parkte) und wie Schwaden von Tränengas über den Platz ziehen.

Praktisch jeder, der diese Bilder sieht, ist entsetzt über das brutale Vorgehen der gewalttätigen Demonstranten sein.
Die Polizei hat im Vorfeld verkündet, eine Strategie der De-Eskalation anwenden zu wollen. Das wirkt sympathisch. Nach den Geschehnissen (die die Bild-Zeitung in alter Tradition später als „G8-Schande“ tituliert) kann die Polizei nun deutlich härter vorgehen, und dabei der Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung sicher sein.

Eine weitere Folge der Geschehnisse ist, dass die inhaltliche Kritik an der G8-Politik von der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen wird.

Die Strategie der Polizei ist also aufgegangen.

3. Fragen, die sich stellen.

Ist es möglich, dass es die Leiter der Sicherheitskräfte darauf angelegt haben, dass es zu genau diesem Szenario kam?

Denn:
Die Straßenschlacht beginnt, als Autonome einen Polizeibus attackieren, der verlassen ganz in der Nähe der Demo steht.
Das war mindestens fahrlässig, da Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass stumpfe Gewalttäter auf eine solche Gelegenheit reagieren, wie Hunde, denen man eine Wurst hinlegt.

Bis zum Beginn der Straßenschlacht kreist ein Polizeihubschrauber direkt über dem Demozug. Der Lärm und der Anblick des Hubschraubers heizen die Stimmung der Demonstrationsteilnehmer an.

Als die Randalierer loslegen, werden zunächst Polizisten regelrecht verheizt, indem sie in Kleingruppen in einen Steinhagel geschickt werden.

Ein einziges Auto steht – trotz Parkverbots – in unmittelbarer Nähe der Krawallmacher. Prompt wird es angesteckt und dient als beliebtes Motiv für zahlreiche Kameraleute und Fotografen. Wenn später von „brennenden Autos“ die Rede ist, werden als Beleg immer Bilder dieses Wagens gezeigt.

Nachdem das Auto nahezu ausgebrannt ist und eine telegene Qualmwolke über dem Ort der Demo wabert, versucht ein Löschzug der Feuerwehr, das rauchende Wrack zu löschen, um das zu dieser Zeit gerade die Straßenschlacht tobte.
Auch hier war leider zu erwarten, dass die Feuerwehrleute von einigen Chaoten mit Steinen beworfen werden und unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen (auch diese Szene wird gefilmt und sorgt später für Empörung bei der großen Mehrheit).

Später rücken dann Wasserwerfer und weitere Polizeikräfte an, die wenig zimperlich auch auf dem Platz agieren, wo auch viele friedliche Demonstranten stehen.
Erstaunlich ist, dass kurz vor den Krawallen ein Konvoi von Wasserwerfern und Räumpanzern in einer Entfernung von rund 200 Metern aufgefahren war. Als die Krawalle losgingen, waren die Fahrzeuge zunächst verschwunden, um dann, nachdem der Mob fernsehwirksam getobt hatte, recht rabiat für Ordnung zu sorgen.

Die Tatsache, dass Menschen, die kiloschwere Steine auf andere Menschen werfen, zu recht für Empörung sorgen, dürfte also von der Einsatzleitung ausgenutzt worden sein, um auf Kosten der Polizisten, der Feuerwehrleute und der friedlichen Demonstranten die Hoheit über die öffentliche Meinung zu gewinnen.

Diese Strategie ist zynisch und menschenverachtend, aber sie hat funktioniert.
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Ergänzungen

Er sagt es!

x 06.06.2007 - 14:51
Wer nicht fragt bleibt dumm!
Die Polizeistrategie hat Ideal gegriffen, der Mainstream lechtzt nur über die ein oder zwei Autos und die verletzten Bullen (~430 sollens sein). Die Situation wird umgedreht. Es ist also mehr als wichtig das wir denkenden und dabeigewesenen die Sache in jede Richtung aufklären, die Provokationen seitens der Polizei sind belegt, auch mit Bildern. Fight Ignorance with Knowledge!!!

arme verletzte

zeitungsleserin 06.06.2007 - 15:25
Kampf um die Köpfe
Zahl schwerverletzter Polizisten nach Rostocker Ausschreitungen vom Sonnabend manipuliert. »Block G 8« fordert Abzug von Berliner Einsatzhundertschaft
Von Jörn Boewe / Sebastian Wessels
Drei Tage nach der »blutigen Anti-G8-Schlacht« (Bild-Zeitung) von Rostock, der »Orgie der Gewalt« (Spiegel online) bleibt nicht viel übrig von dem Horrorbild der »Verwüstung« (Neue Zürcher Zeitung), das Polizei und interessierte Medien in Umlauf gebracht haben.

Wie ein Polizeisprecher auf jW-Nachfrage erklärte, befand sich am Dienstag noch ein Polizeibeamter in stationärer Behandlung. Ein weiterer, der kurzzeitig stationär hatte behandelt werden müssen, war bereits am Vortag entlassen worden. Bis auf diese beiden war kein einziger Polizist in ein Krankenhaus eingeliefert worden.

Die am Sonnabend in Pressemeldungen der Polizei und Medienberichten in die Welt gesetzte Zahl von 30 bis 41 schwerverletzten Polizisten erweist sich damit als ebenso schlichte wie wirkungsvolle Manipulation. Normalerweise gibt es eine klare Definition dafür, welche Personenschäden im Polizeibericht als »schwere Verletzungen« bezeichnet werden. Die findet sich im Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz (StVUnfStatG). Danach gelten Personen, die aufgrund einer Verletzung stationär behandelt werden müssen, als »Schwerverletzte«. Warum diese Richtlinie am Wochenende von der Rostocker Polizei außer Kraft gesetzt wurde, konnte deren Sprecher gestern nicht plausibel erklären. Man habe die Verletzungen zunächst für schlimmer gehalten, hieß es, dann sei man bei den einmal veröffentlichten Zahlen geblieben. Denn: »Wenn wir das jetzt zurücknehmen würden – wie könnte man das noch verkaufen?«
(...)

 http://www.jungewelt.de/2007/06-06/040.php

es sind nur noch zwei

egal 06.06.2007 - 18:17
es sind wohl nur noch zwei verletzte bullen
der angriff mit der giftigen flüßigkeit durch die clownsarmee sind auch nur noch zwei (brand)löcher auf einer einzigen uniform.

kritik eines polizeipsychologen

mein name 08.06.2007 - 20:39
Der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber kritisierte in einem Interview im Deutschlandradio die Strategie der Polizei und meint, sie hätten in Rostock alles so gemacht, wie Polizisten in Ausbildung lernen, es nicht zu machen.
Das ist für mich ein weiteres Argument für eine beabsichtigte Provokation von seiten der Polizei.

Polizeistrategie in Rostock am Samstag

xyz 09.06.2007 - 15:05
Die Ostsee Zeitung druckte am 5.6. ein Interview mit Falkenberg ab. Gefragt, warum die "Bewaffnung" mit Gewegplatten toleriert wurde und wie das zur "Deeskalationsstrategie" denn passt, entgegenete er:

"Auch das war Teil der Strategie. Der normale Bürger wundert sich, aber er hat eben nie eine strategische Ausbildung bei der Polizei genossen."

Leider wurde er dann nicht weiter nach polizeilicher Strategie gefragt, aber das ist eigentlich auch egal, irgendwie...

Das gesamte Interview gibt es hier:  http://www.ostsee-zeitung.de/archiv/index.phtml?Param=DB-Artikel&ID=2712716&Stichwort=strategische%20ausbildung&Pre=DB-Artikel&Typ=Artikel&Card=0

Deutschlandfahne im Wasserwerfer

Robert Kiez 09.06.2007 - 16:34
Am Abend der Großdemo in Rostock sah ich in einem Fenster eines Wasserwerfers
eine Deutschland Fahne hängen. Ich erinnerte mich an die Diskussion zur WM, als es Polizisten
verboten wurde ihre KFZs damit zu "schmücken". Als ich meine Freundin darauf aufmerksam machte und sie den Waagen fotografierte, stieg ein Cop aus, leerte den Wasserwerfer-Besatzungs-Pisseeimer, stieg wieder ein und entfernte die Fahne. Ich glaube man kann eine Deutschlandfahne im Wasserwerfer ruhigen gewissens als Provokation bezeichnen.
Wer mehr über Taktiken zur Schwächung von Bürgerbewegungen wissen will, sollte unter "counter insurgency" googlen.

Deutschlandfahnen

egal 11.06.2007 - 11:32
ich habe mehrfach Bullenwannen mit Deutschlandfahnen "geschückt" gesehen.Eine am Eastgate am Mittwoch und eine Wanne am Bad Doberaner Bahnhof am selben Tag waren aber verschiedene .In Rostock am Samstag auch eine.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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dem stimme ich zu! — johannes

Leider — xyz

Anmerkung — Anmerker

"de"eskalation im Vorfeld — deeskalationsteamerin

@Anmerker — xy

Anmerkung zur Anmerkung — Bemerkerin

gewaltgeil — Bine