G8: Deutsche Behörden kaufen Indien

Marina Blum 06.06.2007 12:49 Themen: Biopolitik G8 Heiligendamm Globalisierung
Die mächtigen G8 betonen, dass sie sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit engagieren wollen. Dabei wird allzu häufig unterschlagen, dass Entwicklungsländer bessere ordnungspolitische Konditionen brauchen statt einer Finanzspritze, die einen neokolonialen Trend ausdrücken und die Gestaltungsinteressen des nordischen Kapitals ihnen aufzwingen. Ein gutes Beispiel für eine verfehlte Politik sind die Aktivitäten des Deutschen Patent- und Markenamtes und des BMZ im Rahmen des G8 Gipfels. Ihre Vorstellungen zur Entwicklungszusammenarbeit sind nicht einmal kaschiert. Kolonialismus reloaded.
Auf der offiziellen Website der G8-Präsidentschaft wird unter dem Punkt "Innerstaatliche(!) Maßnahmen gegen Produktpiraterie" eine ungeheuerliche aber leider übliche Sache aufgeführt, nämlich das Kaufen der Behörden von Entwicklungsländern. Das Ganze tarnt sich als interkultureller Gedankenaustausch: "Bei der technischen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit kooperieren das DPMA ebenso wie das Bundespatentgericht in den Bereichen Patentrecht und Markenschutz seit langem mit mehr als dreißig Ländern in der Form von Seminaren, Fortbildungsveranstaltungen, Studienbesuchen und Personalaustausch.".

"Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) führt seit 1996 Projekte zum verbesserten Schutz geistigen Eigentums im Rahmen derentwicklungspolitischen Zusammenarbeit durch. Aktuelle Projekte sind:

* die Schulung von Mitarbeitern des chinesischen Staatlichen Amtes für den Schutz des geistigen Eigentums (SOIPP) im Marken und Patentrecht (Projektvolumen 2 Mio. €),
* sogen. Capacity building für die indische Patentbehörde (1,7 Mio. €) und
* Richterfortbildung in Kambodscha (1,9 Mio. €)."

Capacity Building als deutscher Beitrag zum G8? "Capacity building" ist ein internationaler Code für die Bestechung von Behörden durch fremde Staaten. Es geht darum, dass Jobs für die Beamten der Patentbehörden und Kerneinflussträger verschafft werden. Sinnigerweise spricht das Bundesjustizministerium selbst von "sogennanten" Capacity building. Sehr ähnlich gelagert ist der Begriff "Technical Assistance". Dass Richterfortbildung auch auf die Beinflussung der Richterentschiedungen gerichtet ist, muss wohl nicht mehr gesagt werden. Noch ein Begriff, den man immmer wieder hört in diesen Dokumenten: "awareness raising", das heisst Propaganda, Beinflussung der öffentlichen Meinung.

Zum Vergleich nur einmal die ökonomischen Daten (CIA-Weltfaktenbuch)
Kambodscha: GDP - per Kopf: kaufkraftbereinigt - $2,000 (2004)
Indien: GDP - pro Kopf: kaufkraftbereinigt - $3,100 (2004)

Zum Rückblick: Gegen den harten Widerstand der Industriestaaten, die sich dazu hergegeben haben das TRIPs-Abkommen breit über den Wortlaut hinaus auszulegen, und Indien mit einer angeblichen WTO-Verletzung dieses Abkommens zu drohen, hat das Indische Parlament es mehrfach abgelehnt die Interessen von Novartis und Co. durchzusetzen. Sie wollen sich nicht weiter von der WTO und den Industrieländern bevormunden lassen. Auch Softwarepatente durch die Nath-Ordinanz hatten in Indien keine Chance, denn Indien will sich nicht seine prosperierende Softwarewirtschaft durch ein unangepasstes Rechtsschutzsystem für die US-Konzerne kaputt machen lassen. Patentrecht unterliegt dem Territorialprinzip, dass heisst es bleibt jedem Land überlassen, welches Patentsystem es anwendet. Ökonomische Studien (inkl. der Klassiker Machlup58) haben immer wieder betont, dass es wichtig ist, nach dem Entwicklungsstand zu differenzieren. Zudem befindet sich das amerikanische aber auch das europäische Patentsystem in einer ganz tiefen Strukturkrise, was sich auch an den zunehmenden Streiks der Prüfer zeigt und den Unterdrückungsmassnahmen der Ämter gegen Kritiker und ihrem Lobbying gegen demokratische Organe.

Dieser Fritz Machlup, das war ein amerikanischer neoliberaler Ökonom nebenbei, der schrieb:
"Wenn man nicht weiss, ob ein System [zur Patentierung] 'als Ganzes' (im Gegensatz zu in einigen Eigenschaften) gut oder schlecht ist, ist der sicherste 'daraus folgende Politikvorschlag' sich 'durchzumuddeln'- entweder mit ihm, weil man es gewohnt ist mit ihm zu sein, oder ohne es, falls man es bisher nicht gehabt hat. Falls wir kein Patentsystem hätten, wäre es auf der Grundlage des derzeitigen Wissens unverantwortlich eines einzurichten. Aber da wir [in den USA] nun einmal seit langem ein Patentsystem haben, wäre es [gleichermaßen] unverantwortlich, nach unserem derzeitigen Forschungsstand, zu empfehlen es abzuschaffen."

Auf Deutsch: die Neoliberalen können nicht ökonomisch belegen, dass dieses System überhaupt gesamtwirtschaftlich funktioniert, linke Ökonomen äußern sich noch viel schärfer. Dieses vernichtende Zitat zur Ökonomie des Patentsystems, das seitdem nicht korrigiert worden ist, sondern auch heute noch den Forschungsstand der ökonomischen Wissenschaft reflektiert, geht aber noch weiter:

"Diese letzte Bemerkung bezieht sich auf einen Staat wie die Vereinigten Staaten von Amerika - und nicht auf ein kleines oder vorwiegend nicht-industrielles Land, wo eine unterschiedliche Gewichtung der Argumente sehr wohl auf eine andere Schlussfolgerung deuten kann."

Eine linke Zeitgenossin von ihm, die hoch anerkannte Joan Robinson schrieb etwa zeitgleich:
A patent is a device to prevent the diffusion of new methods before the original investor has recovered profit adequate to induce the requisite investment. The justification of the patent system is that by slowing down the diffusion of technical progress it ensures that there will be more progress to diffuse. Since it is rooted in a contradiction, there can be no such thing as an ideally beneficial patent system, and it is bound to produce negative results in particular instances, impeding progress unnecessarily, even if its general effect is favourable on balance."

Für die Monopolinteressen Novartis ist es aber Recht und billig, Beamte in Entwicklungsländern zu bestechen damit sie ein System verschärfen, von dem nur ökonomische Laien und Profiteure glauben wollen, dass es gesamtwirtschaftlich funktioniert?! Da können wir natürlich einfach die Gesundheit der Inder auf das Spiel setzen für die Gewinninteressen internationaler Konzerne, die den Wettbewerb fürchten. Was haben wir denn für ein Patentsystem? Ein Patentsystem, das auf seine Krise zusteuert und in zunehmenden Maße triviale und extrem breite Ansprüche einer Konzernelite zuschanzt, die ihre Märkte abschotten will, und von einem Apparat gesteuert wird, der selbst wirtschaftlich massiv durch die Patentexplosion profitiert, sowie einem ganzen Berufszweig, der sich an dem staatlichen Regulierungssystem nährt, dieses kaputte Patentsystem, gegen das Bürger und Mittelstand bei uns mit aller Berechtigung aufbegehren und Aufklärungskampagnen das Hoelied vom Geistigen Eigentum vorplärren, das wollen wir Deutschen in der gleichen Breite der indischen Demokratie aufzwingen? Nur damit Novartis weiterhin Kasse machen kann mit der Gesundheit in Entwicklungsländern? Dafür werden deutsche Steuergelder nach Indien investiert und man spielt auch noch den Entwicklungshilfegutmensch im G8-Rahmen?

Die Bundesregierung unterminiert die Souveränität fremder demokratisch regierter Staaten für die Pharmainteressen, mit Produktpiraterie hat das übrigens überhaupt GAR nichts zu tun, denn es geht ja darum welches Schutzniveau ein Staat für seine Wirtschaft wählt. Heisst konkret: Wenn es irgendwo kein Patentsystem gibt, kann jeder auch machen was er will im Rahmen der internationalen Verträge. Oder: wenn du dein deutsches Patent nicht in Dänemark anmeldest, kann jeder in Dänemark deine Erfindung nachbauen, nur darf er sie nicht nach Deutschland exportieren. Darum ist es auch vollkommener Schwachsinn vom "Schutz des Geistigen Eigentums" bei der Beeinflussung der Gesetzgeber der Entwicklungsländer zu sprechen, weil ja eben Patente erst aufgrund dieser Rechtsvorschriften überhaupt erlangt werden. Das ist eine ganz wichtige Überlegung, die von der herrschenden Globalisierungspropaganda immer falsch argumentativ vorgebracht wird, so als sei Patentrecht ein Naturrecht des Erfinders.

Good Governance ist leider in der Bundesrepublik noch ein Fremdwort. Im Gegensatz zu Indien überlässt man es den Beamten, Richtern und Konzernen das Patentsystem zu entwickelen, während Indien eine noch funktionierende Demokratie ist. Was wäre wenn die gekauften neuen indischen Beamten nach Europa kämen und den Deutschen mal die Leviten lesen würden über ihre kranke Ordnung des "Geistigen Eigentums"?

Es ist auch unsere Pflicht stärker Politiker und Bonzen in die Pflicht zu nehmen und den inhaltlichen kritischen Diskurs über G8 zu pflegen. Was sich hinter den hehren Zielen der Neo-Gutmenschen (warum protestiert ihr denn, wir sind ja auf Eurer Seite) und Gelddorfs verbirgt, muss schonungslos offengelegt werden und gesamtgesellschaftlich zum Thema gemacht werden. Der Protest ist nicht genug, er ist nur ein Massenkristall, der Aufmerksamkeit schaffen kann auf die Themen, die nicht ohne Grund mit Zäunen geschützt werden. Diese Themen müssen in die Mitte der Gesellschaft getragen werden.

Hintergrund

19/10/2006 Novartis Persists With Challenge To Indian Patent Law Despite Adversity
 http://www.ip-watch.org/weblog/index.php?p=430&res=1280_ff&print=0

27/1/2007 Novartis patent for cancer drug rejected: Will it open up window of opportunity for generics?
 http://www.blonnet.com/2006/01/28/stories/2006012802360300.htm

27/3/2007 Govt defends stance in Novartis patent suit
 http://www.dnaindia.com/report.asp?NewsID=1087435

29/1/2007 NGO STATEMENT ON NOVARTIS CHALLENGE TO INDIAN PATENTS ACT
 http://www.accessmed-msf.org/prod/publications.asp?scntid=29120071123437&contenttype=PARA

Bundesjustizministerium zum G8-gipfel
 http://www.bmj.bund.de/enid/Innerstaatliche_Ma_nahmen_gegen_Produktpiraterie/Technische_und_wirtschaftliche_Zusammenarbeit_1b2.html

25 u. 26/6/2007 Elite-Symposium des Bundespatentgerichtes in München für ein Superpatentgericht
 http://www.bpatg.de/bpatg/symposium/symposium.html

WTO: TRIPs Vertrag (einfach mal lesen statt der Lobby zu glauben)
 http://www.wto.org/english/tratop_e/trips_e/trips_e.htm

EKD: Ungelöste Fragen
 http://www.ekd.de/download/unsolved_questions2003.pdf

Wiki dzum Thema Pharmapatente
 http://wiki.piratenpartei.de/index.php?title=PP:_%22Eine_Alternative_zu_Pharmapatenten%22

Indisches Patentamt
 http://www.patentoffice.nic.in/
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Ergänzungen

hintergrund zum Novartis-Fall

Sebastian 06.06.2007 - 16:20

unkritische Indiensicht

karsten 07.06.2007 - 09:11
schade was hier unreflektiert reinfällt:

"während Indien eine noch funktionierende Demokratie ist"

heißt es bei dir. Indien ist keinesfalls eine so gut funktionierende Demokratie was die meisten Prinzipien betrifft, die anlegbar sind. In weiten Bereichen ein feudales und/oder in einem hier unbekannten Maßstab korruptes System (ich rede hier von hausgemachter Korruption).
Nun gut, die hiesige Berichterstattung ist dazu nicht-existent. "Indien als größte Demokratie der Welt" ist jedenfalls ein zweifelhaftes Schlagwort. Ich will daß nicht ausweiten, aber man kann sich informieren, starten z.B. mit dem Magazin "Frontline".

Monitor Video zu G8 & Patentrecht

Carla Comberti 07.06.2007 - 15:37
Bei Monitor lief am 31. Mai 2007 eine gute Reportage zum Thema, mit dem Titel
"G8-Gipfel II: Kampf um Patentschutz.". Findet ihr unter dieser Adresse:

 http://www.wdr.de/tv/monitor/real.phtml?bid=886&sid=164


Der erste Bericht, "G8-Gipfel I: Versprochen - gebrochen", handelt übrigens von der langen Liste der nicht eingehaltenen Versprechen der Staats- und Regierungschefs:

 http://www.wdr.de/tv/monitor/real.phtml?bid=889&sid=164

Viel Spaß damit!Ach & hey- danke übrigens noch für den Bericht da oben :)