Interview mit Bundestagsbesetzerin

waldi 30.04.2007 00:24 Themen: Globalisierung Medien Soziale Kämpfe Ökologie
Am Freitag, 27. April, sprangen vier AktivistInnen in den Plenarsaal des Bundestages und der Slogan des Bundestages "dem deutschen Volke" wurde durch ein Banner von weiteren AktivistInnen mit der Aufschrift "der deutschen Wirtschaft" überdeckt. Die AktivistInnen der Gruppe "Geld oder Leben" warben für eine Bewegung für eine radikale Demokratie, da der Bundestag und damit der Parlamentarismus gescheitert sei, was sich besonders in der von den parteien gepredigten Alternativlosigkeit zum Kapitalismus zeige. Nach der Räumung des Bundestages kam es zu lautem Jubel durch die Bundestagstouristen für die AktivistInnen. Ein Interview mit einer Aktivistin.

Video zur Aktion | Fotos | Aktion „Der Bundestag ist gescheitert” | Telepolis: APO 2.0?
Wer seid ihr, was verbirgt sich hinter „Geld oder Leben“?

Wir sind eine heterogene Gruppe junger Menschen, aus verschiedenen Städten und unterschiedlichen Hintergründen. Wir haben uns Zusammengeschlossen mit dem Ziel politische Aktionen zu machen, wir haben den Bundestag als Plattform gewählt, denn wo wenn nicht dort können wir die Menschen fragen: Geld oder Leben!

Der Bundestag teilte mit 4 Menschen wären an der Aktion beteiligt gewesen, haben wir es dabei mit Superhelden zu tun?

Natürlich, die 4 haben es geschafft, gleichzeitig vor der Tür, auf dem Dach und auf der Tribüne zu sein. Wahrscheinlich handelt es sich um die 4, die in den Plenarsaal des Bundestags gesprungen sind.

Es werden nicht nur Fehlinformationen verbreitet, sondern was euch wahrscheinlich mehr stören wird, der Inhalt der Aktion verkehrt sich zu einer Sicherheitsdebatte im Bundestag.

Damit haben wir gerechnet, es ist schade, doch zeigt es nur einmal mehr wie die politische Debatte in Deutschland geführt wird:
Es geht nicht um Inhalte sondern darum Feindbilder zu schaffen, um die drastische Verschärfung der Inneren Sicherheit und die „Terrorismusbekämpfung“ zu legitimieren.
Ob das Feindbild, Kritiker, Chaoten, Ausländer und/oder Terroristen sind, der Standpunkt der rational geführten Debatte wird vom politischen und medialen Mainstream permanent verlassen, mit Sprengstoff oder Waffen wären wir nicht in den Plenarsaal gekommen. Wer etwas in die Luftsprengen will kann das immer, davor können wir uns mit keiner Überwachungsmaßnahme schützen.
Das schürt Mistrauen unter den Menschen, die eigentlich als Gemeinschaft zusammen leben sollten.
Hätten die Menschen so viel Angst vorm Klimawandel wie vorm Terrorismus würden sie ihre Autos klimaneutral entsorgen.

Welchen Inhalt wolltet ihr denn eigentlich transportieren?

Wir fordern einen ehrlichen Diskurs über die Veränderung des bestehenden Systems. Die parlamentarische Demokratie ist gescheitert, der Kapitalismus hat seine Grenzen bereits überschritten.
Die Ressourcengrundlagen, die zu privat Eigentum gemacht wurden, werden teilweise unwiderruflich zerstört.
Wir können so wie es ist nicht weiter machen. Hunger, Armut, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen können wir nicht tolerieren, wir können nicht verstehen, dass der Mensch sich scheinbar selbst zerstört. Wir brauchen einen bewussten Umgang mit unserer Welt und fordern eine kostenlose Grundversorgung, sprich Bildung, Gesundheit, Wohnraum, Lebensmittel und Kultur, um den Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Es darf nicht verboten sein Alternativen und Utopien in Freiräumen zu entwickeln, erproben und zu leben. Der Mensch, darf nicht als Humankapital gesehen werden, dessen Aufgabe darin besteht zu konsumieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Er darf nicht Abstumpfen durch massenkompatibelen Journalismus, der als selbsternannt „kritisch“ lediglich das bestehende System reproduziert.

Die meisten Menschen sagen es gibt keine Möglichkeit der Veränderung, wenn ihr behauptet unsere Demokratie und unser Wirtschaftssystem seien gescheitert, was bleibt dann noch?

Wie können Menschen die Möglichkeit zu einer Grundlegenden Veränderung verneinen, wenn tagtäglich Menschenrechte mit Füßen getreten werden, die Erde als Lebensgrundlage des Menschen auf das perverseste Zerstört wird. Dieser Raubbau an der Natur führt spätestens in 200 Jahren nicht nur zum Ende menschlicher Entwicklung, sondern seiner Existenz.
Ich will mir als junger Mensch nicht vorschreiben lassen, nichts verändern zu können. Ich weiß, dass „unsere“ Vorschläge dem System und seinen Gesetzen entgegenstehen, aber mein Verantwortungsgefühl sagt mir: dann müssen wir halt die „Gesetze“ brechen.

Also werden weiter Aktionen von euch folgen.

Ich hoffe doch sehr, dass alle Beteiligten noch viele Aktionen machen werden. Und zwar agierende und nicht reagierende.

Was meinst du damit?

Wir wählen Zeitpunkt, Ort und Thematik selber und üben so Kritik, mit der wir denken, in gesellschaftliche Prozesse intervenieren zu können. Wir wollen nicht mehr einfach nur reagieren, um einen „alten“ Zustand zurückzuerkämpfen.
Wir wollen neue Wege beschreiten und das unkontrollierbar, mit Spaß und Vertrauen in uns selber. Bewegt euch, um Bewegung zu schaffen!

Das „Neue Deutschland“ titelte „Kritiker fordern Volks- statt Wirtschaftswohl“, ist das deutsche Volk die Rettung?

Nein, auf gar keinen Fall. Auch wenn wir den Schriftzug „dem deutschen Volke“ mit „der deutschen Wirtschaft“ überhängt haben, wollten wir uns niemals auf eine völkische Idee beziehen.
Wir lehnen den Begriff Volk ab, auch wenn wir die politische Praxis in dem hiesigen konstruierten Nationalstaat angegriffen haben.
Wir wenden uns an alle.
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Ergänzungen

youtube

video 30.04.2007 - 01:37

grossartig

spect/actor 30.04.2007 - 22:22
grossartige Aktion, gute Aussage, schönes Video. Der Applaus der PassantInnen beim entrollen des Transpis ist ein recht deutliches Zeichen für die allgemeine Unzufriedenheit mit der hiesigen Demokratur. Leider habe ich die Presseberichte selbst nicht mitverfolgt, jedoch gehört, viele Medien hätten von "Randalierern im Bundestag" u.ae. fabuliert. Hoffe, Ihr lasst Euch von soetwas nicht entmutigen - sicher läßt sich Berichterstattung zu einem gewissen Grad durch entsprechend vorbereitete Pressearbeit beeinflussen, doch letztendlich endet die Freiheit der einzelnen JournalistInnen spätestens bei der Chefredaktion, den ANzeigenkundInnen und damit ökonomischen TrägerInnen des Mediums und den EigentümerInnen und die meisten JournalistInnen müssen nicht erst gerügt werden, ehe sie beginnen, im vorauseilenden Gehorsam zu handeln. Wichtig sind Aktionen, die eine eigene, so deutliche Sprache sprechen, dass kein Pressebericht sie in ihrem Gehalt gänzlich verzerren kann - und das ist Euch geglückt! Weiter so!

Aktion im Bundestag vom 2. Februar 2007

MEK Waldhauser 01.05.2007 - 17:26
Flugblatt - Aktion vom 2. Februar 2007 http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,465668,00.html http://www.taz.de/pt/2007/02/05/a0122.1/text http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/806/100706/ http://www.youtube.com/watch?v=EPyFYOdSWgE

Bild schreibt

HGDL 02.05.2007 - 13:45
Die Bildzeitung schreibt von 16 Chaoten die an der Sache beteiligt waren. Evtl. sind auch Mitarbeiter verstrickt wird weiter gemutmaßt.

klasse aktion!

total begeistert 02.05.2007 - 17:09
..der titel sagt ja wohl alles - mensch, klasse aktion :D!

Presseerklärung des dt. Bundestags

BT 03.05.2007 - 14:40

Pressemitteilung
Datum: 27.04.2007
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Pressemeldung des Deutschen Bundestages - 27.04.2007
Störung der Plenardebatte und Abseilaktion von der Dachterrasse des Reichstages

Am Rande der heutigen Plenarsitzung hat es eine Störaktion gegeben. Während der Debatte haben vier Personen Papiergeldscheine in den Plenarsaal fallen lassen. Außerdem sind sie danach in den Plenarsaal gesprungen. Sie wurden von den Saaldienern aufgegriffen und der Polizei des Deutschen Bundestages zur Personenfeststellung überstellt. Zeitgleich hat es dazu auf der Terrasse des Reichstagsgebäudes eine Abseilaktion gegeben, an der vier Personen beteiligt waren. Zwei Personen haben sich auf der Westseite abgeseilt und ein Transparent mit der Aufschrift „Der Deutschen Wirtschaft“ ausgerollt. Sie wurden von zwei Personen auf der Terrasse abgesichert. Mit Hilfe der Höhenrettung der Feuerwehr wurden die beiden Personen wieder auf die Terrasse gezogen und der Polizei übergeben. Die Personenfeststellung ist derzeit noch im Gange.



Zu den widerrechtlichen Protestaktionen im Deutschen Bundestag erklärt der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert wörtlich:

„Der Vorfall zeigt die Gratwanderung zwischen der berechtigten Erwartung unserer drei Millionen Besucher, hier nicht in einen Hochsicherheitstrakt geführt zu werden, und den Problemen, die, wie sich heute bitter zeigt, immer mal auftreten können. Deswegen ist die Vorstellung zwar verständlich aber nicht wirklichkeitsnah, man könne so etwas unter Aufrechterhaltung liberaler Umgangsformen für immer ausschließen.“

Bilddokumentation

frosch 20.05.2007 - 11:52

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 7 Kommentare an

hey — karla kolumna

@ karla kolumna — icke

Dickes Lob — Fan

APPLAUS !!! — antifa sXe

Weiter so! — Toks