Der Fall Hans-Christoph Jahr

Ulrich Brosa 15.04.2007 09:50 Themen: Medien Repression
Vor ein paar Tagen ist bekannt geworden, dass doch ein BRD-Richter wegen Rechtsbeugung verurteilt wurde. Der Verurteilte hatte zuvor Friedensaktivisten vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Der Fall ist von höchster Brisanz, weil er vorführt, wie die deutsche Richterschaft politisch ausgerichtet wird. Das Geschwätz von der grundgesetzlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit entspricht der Wirklichkeit nicht.
GegnerInnen der BRD-Justiz werfen ihr oft vor, kein einziger der mörderischen Nazi-Richter sei rechtskräftig verurteilt worden. Auch der extrem rechte Richter Ronald Barnabas Schill, genannt Gnadenlos, konnte sich auf den Bundesgerichtshof verlassen. Der BGH schützte Schill vor einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung.

Jetzt hat sich herausgestellt, dass doch ein bundesdeutscher Richter wegen Rechtsbeugung rechtskräftig verurteilt wurde. Der Betroffene ist allerdings ein Richter, der 1985 sechzehn Marburger Studenten von Vorwurf der Nötigung freisprach. Die Studis hatten gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen protestiert.

Diesen Freispruch hätte dieser Richter, Hans-Christoph Jahr, sich nicht leisten dürfen. Das hessische Justizministerium warf ihm vor Angeklagten "in exzessivem Maße rechtliches Gehör zu gewähren", wofür Jahr eigentlich hätte belobigt werden müssen. Die Dienstaufsicht, ausgeübt durch den CDU-Richter Schwalbe vom Landgericht Frankfurt, interessierte sich brennend für Jahr. Jahr bekam eine V-Frau, die "Büroangestellte B", ins Büro gesetzt. "Büroangestellte B" arbeitete hart. 1994 war es endlich so weit. "Büroangestellte B" überführte Jahr der Rechtsbeugung und der Verfolgung Unschuldiger. CDU-Schwalbe hatte die Ehre Jahr zu verurteilen. Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft legte Schwalbe noch mehr Strafe drauf; Jahr hätte die "Büroangestellte B" zu Unrecht einer Lüge bezichtigt. Anders als Rechtsrichter Schill bekam Richter Jahr keine Unterstützung vom BGH. Jahr blieb auf seiner Verurteilung zu 30 Monaten Gefängnis sitzen und hörte damit auf Richter zu sein.

Die Verurteilung des Richters Hans-Christoph Jahr wegen Rechtsbeugung ist sensationell. Deutsche Richter und Staatsanwälte dürfen hemmungslos gegen Gesetze verstoßen, wenn sie zur rechten Seilschaft gehören, und das tun sie fast immer. Ihre Kolleginnen und Kollegen sorgen dafür, dass sie nicht bestraft werden. Selbst wenn diesen Justizangehörigen Verstöße zweifelsfrei nachgewiesen werden heißt es, die beschuldigten Kollegen hätten "versehentlich" gehandelt oder eine andere "Rechtsauffassung" vertreten. Dazu wird ein oft zitiertes Urteil des BGHherangezogen, in dem behauptet wird, nur Gesetzesverletzungen von besonderer Schwere könnten als Rechtsbeugung geahndet werden. Bei Richtern wird zudem die grundgesetzlich garantierte Unabhängigkeit der Justiz angeführt.

Die zentrale Figur in der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist ein Leitender Oberstaatsanwalt namens Zahl. Zahl hat die Fälschung einer Ermittlungsakte veranlasst, indem er einen Schriftsatz herausnehmen ließ, der ihm nicht opportun erschien. Dieses Delikt übertrifft das, was Hans-Christian Jahr zur Last gelegt wird, bei weitem. Dennoch stellten Zahls Untergebene in der Staatsanwaltschaft Frankfurt das Verfahren gegen Zahl ein - eine Rechtsbeugung. Zahl revanchiert sich, in dem er Untergebene vor Strafverfolgung schützt. So hat Zahl letztinstanzlich die Bestrafung des Marburger Staatsanwalts Franosch vereitelt.

Die Verurteilung Jahrs ging still vonstatten - um das Ansehen der Justiz zu schonen. Der Verurteilung kam erst auf, als ein Prof der Fachhochschule Oldenburg-Ostfriesland-Wilhelmshaven zum Rektor der FH Bremen gewählt worden war: Hans-Christoph Jahr.

Der Fall Jahr ist unendlich peinlich für die deutsche Justiz. Die Nachrichten sind dementsprechend kümmerlich. Die taz hat ein paar Artikel veröffentlicht: (1), (2), (3), (4).

Äußerungen im Forum der FH OOW ist Hans-Christoph Jahr sind so: (1), (2).

Die Erinnerung an Thomas Wüppesahl drängt sich auf. Wüppesahl hat als Polizist viele Jahre gegen Missstände in der Polizei protestiert. Dutzende Strafverfahren gegen ihn sind gescheitert, bis ihm die Planung eines kitschig-blutrünstigen Raubes erfolgreich in die Schuhe geschoben wurde. Auf Wüppesahl wurde ein V-Mann angesetzt, der sogenannte Trauzeuge Sch. Sch war es schließlich, der Wüppesahl überführte. Wie H.-C. Jahr, doch anders als Schill, blitzte Wüppesahl beim BGH ab.

Hans-Christoph Jahr hat nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis fälschlich geglaubt, er könne seinen ehemaligen Justiz-Kollegen entkommen. Alle anderen aber, die jetzt sehen, was mit H.-C. Jahr geschieht, sollten sich klar darüber sein, dass ihnen Ähnliches bevorsteht, wenn sie nicht die Willkür-Justiz zerschlagen.

Herrschaftstechnisch ist die Justiz die Nachfolgerin der Priesterschaft. Die Priesterschaft hatte die Aufgabe, sogar die schwersten Verbrechen ihrer Herrschaft mit dem Glorienschein der Heiligkeit verklären und damit jeden Widerstand gegen die Herrschaft zu diskreditieren. Von höchster Bedeutung für die Justiz ist darum das Ansehen der Justiz. Notwendig ist also Aufklärung. Sobald das verlogene Ansehen der Justiz verschwindet, wird die Justiz für die Herrschaft wertlos.

In diesem Zusammenhang ist es angebracht drei Tricks der deutschen Justiz zu erklären:

1) Besonders die höchsten deutschen Gerichte, Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht, fällen gelegentlich Schaufenster-Urteile. Sinn der Schaufenster-Urteile ist es, die internationale Öffentlichkeit über die Machtverhältnisse in Deutschland zu täuschen und Befürchtungen zu zerstreuen, dass die bundesdeutsche Justiz eine Fortsetzung der nationalsozialistischen ist.

Ein typisches BGH-Schaufenster-Urteil war der Freispruch Jürgen Kamms, dem die Staatsanwaltschaft Stuttgart Nazi-Propaganda vorwarf, obwohl Kamm das Gegenteil tat. Das BGH-Urteil für Kamm wurde gefällt, weil von vornherein klar war, dass es in der internationalen Öffentlichkeit beachtet werden würde. Anders als der Fall Hans-Christian Jahr wurde der Fall Jürgen Kamm sogar in der japanischen Presse kommentiert. Doch für die innerdeutschen Verhältnisse ist Kamms Freispruch von geringer Bedeutung. Andere Nazi-Gegner, die Ähnliches tun wie Kamm, aber medial unwirksam bleiben, werden von Polizei und Justiz weiter in die Pfanne gehauen.

2) Nur selten gelingt es, den Einfluss der Justiz auf die Medien zu unterbrechen. Die großen Gerichte haben GerichtssprecherInnen, die Pressemitteilungen über angeblich besonders interessante Verhandlungen im Voraus verschicken. In der Provinz haben die Amtsgerichtsdirektoren gute Beziehungen zu den Redaktionen der Provinz-Zeitungen. Die Amtsgerichtsdirektoren rufen diese Redaktionen an, wenn sie Berichterstattung über bestimmte Fälle wünschen. Kommen umgekehrt diese Anrufe nicht, wissen die Redaktionen von selbst, dass Berichte über gewisse andere Fälle, die möglicherweise viel interessanter wären, unerwünscht sind und unangenehme Folgen haben können.

3) In den Medien erscheinen regelmäßig Meldungen wie "Der Bundesgerichtshof hat die Rechte der kleinen Leute gestärkt" oder "Das Bundesverfassungsgerichts hat die Rechte der kleinen Leute gestärkt". Schaut man im Urteil nach, stellt sich heraus: Die kleine Frau oder der kleine Mann hat den Prozess verloren, meist mit entsetzlichen Folgen für den kleinen Menschen; die Behauptung "... hat die Rechte der kleinen Leute gestärkt" wird aus einer Nebenbemerkung in der Urteilsbegründung abgeleitet. Diese deutsche Justiz spekuliert darauf, dass praktisch niemand ihre Urteile liest.

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Ergänzungen

grund der verurteilung...

joker 15.04.2007 - 19:53
... ist allerdings nicht das pershingurteil gewesen, sondern weil jahr als amtrichter akten in verkehrsverfahren manipuliert hat, um die schuldigen noch verurteilen zu können

( http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/614730/ und FR vom freitag)

man kann unterstellen, dass das urteil mit großer freude gefällt worden ist - aber formal unabhängig von seinen dissidenten urteilen in den 80er jahren

hintergründe

belesener 16.04.2007 - 00:00
hier ein guter hintergrund aus der taz:
 http://www.taz.de/dx/2007/04/11/a0114.nf/text

Legalistische Täuschung

Ulrich Brosa 16.04.2007 - 10:00
Die Staatspublikation gegen Hans-Christoph Jahr kenne ich natürlich.

Der Witz dabei ist: Sogar, wenn man annimmt, dass alle Vorwürfe
gegen Jahr stimmen, hätten die bei einem anderen nie zu einer
Verurteilung wegen Rechtsbeugung gereicht. Darüber hinaus
bestreitet Jahr den Vorwurf, er habe Verfahren verbummelt.
Jahr behauptet, die "Büroangestellte B" habe die zugehörigen Akten
zeitweise versenkt, und beruft sich dabei auf ein Telefongespräch,
das seine Frau mitgehört hat. Jahrs Frau wurde jedoch von der Justiz
als unglaubwürdig oder irrelevant klassifiziert und nur der V-Frau
"Büroangestellte B" geglaubt.

Zweifellos ist bei Hans-Christoph Jahr das übliche Programm gegen DissidentInnen
durchgezogen worden: Mit allen Mitteln des Herrschaftsapparats wird
jahrelang gelauert, bis der Kritiker irgendeinen Angriffspunkt zeigt.
Notfalls wird bei der Konstruktion des Angriffspunkts nachgeholfen.
Und dann wird dieser Angriffspunkt, Wahrheit hin - Wahrheit her,
zu einer schweren Straftat aufgeblasen.

Das Entsetzliche dabei ist, dass der Herrschaftsapparat immer wieder
das gleiche betrügerische Ritual vollziehen kann und ein Kritiker
nach dem anderen 'rechtsstaatlich' kaputt gemacht wird.

Justizverbrecher in Marburg und Frankfurt a.M

Ulrich Brosa 16.04.2007 - 20:03
Nicht Hans-Christoph Jahr hat sich schuldig gemacht, sondern die Justizverbrecher in Frankfurt a.M., in Marburg und anderswo, vor 1945 und danach.

Dass hessische Staatsanwälte und Richter bis in die jüngste Vergangenheit Mord und Rechtsbeugung unterstützt haben, hat Roland Holder am Beispiel des NS-Richters Erich Schwinge dargestellt:

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... Im Rahmen dieser Tätigkeit beantragt bzw. verhängt Schwinge allein in den letzten beiden Kriegsjahren aktenkundig 16 Todesurteile.

Der Fall Reschny ist davon das bekannteste: Der 17-jährige Soldat Anton Reschny hilft im August 1944 - nicht einmal zwei Wochen nach seiner Einberufung - bei der Räumung einsturzgefährdeter Häuser mit und nimmt dabei eine leere Geldbörse sowie zwei Uhren an sich. Daraufhin kommt er wegen Diebstahls unter Ausnutzung der Kriegsverhältnisse (§§ 242 RStGB, 4 Volksschädlingsverordnung) vor Richter Schwinge. Doch dem Jugendlichen drohen für dieses Delikt höchstens 10 Jahre Freiheitsstrafe (vgl. § 5 RJGG); eigenmächtig ändert Schwinge die Anklage auf Plünderung im Felde (§ 129 MStGB) ab, worauf nach § 50 MStGB Jugendrecht nicht anwendbar ist. Zwar erkennt das Gesetz nur in besonders schweren Fällen auf Todesstrafe (§ 129 II MStGB), jedoch kann Schwinge guten Gewissens seinen eigenen Kommentar als Richtlinie nehmen, so daß er unter dem Prämissen „Mannszucht" und „Abschreckung" auf Tod für Reschny erkennt. Bezeichnenderweise mildert die damalige Rechtsmittelinstanz, Reichsführer SS Heinrich Himmler (!), dieses Urteil auf 15 Jahre Zuchthaus ab. Reschny überlebt.

40 Jahre später zeigt der inzwischen 57-jährige Reschny seinen Richter Schwinge wegen Rechtsbeugung und versuchten Mordes an, da die Verhandlungsführung sowie das Mißverhältnis zwischen Schuld und Strafe Schwinges Absicht belege, das Verfahren mit einem Todesurteil abzuschließen.

Die Staatsanwaltschaft Marburg stellt jedoch das Verfahren ein: Die Anwendung von § 129 II MStGB sei zwar „verfehlt" und „unverhältnismäßig", aber „vertretbar" gewesen. Die Beschwerde weist der hessische Generalstaatsanwalt zurück, das Klageerzwingungsverfahren scheitert am Frankfurter OLG: Da sich Schwinge in seinem Urteil auf das MStGB und den relevanten Kommentar (seinen eigenen) gestützt habe, habe er sich nicht aus eigener Willkür zum Herrn über Leben und Tod gemacht.

ein ja für jahr!

bettina 17.04.2007 - 15:24
also, ich studiere in whv wirtschaftswissenschaften und mein dekan ist prof. dr. jahr...und ich kann nur sagen dass er ein super dekan ist, der sich für unsere rechte als studenten einsetzt wie kein zweiter! er hilft uns in jeglichen situationen, hat immer ein offenes ohr und hat sehr viel für unseren fachbereich getan. er hat einen sehr ausgeprägten gerechtigkeitssinn, ist kein mitläufer, sondern setzt sich ein, egal was das für ihn für folgen haben könnte. es geht ihm nicht um das bild, nach außen hin, sondern um uns! um gemeinschaft, um solidarität und GERECHTIGKEIT! damit eckt er an...er ist vielen konservativen professoren ein dorn im auge, die vorwürfe gegen ihn ein gefundenes fressen!

vorwürfe, die erstens nicht bewiesen sind! ( das wurde alles so gedreht), und nur einen grund liefern sollen, einem menschen der dinge in frage stellt (atomwaffenstützpunkt), dinge, die gegen bestimmte politische vorstellungen gehen und falsch sind, rauskicken zu können. leider sehen nicht viele menschen diese zusammenhänge, oder wollen sie nicht sehen

die große mehrheit der studenten der fh-oow wilhelmshaven steht auf jeden fall hinter ihm und sind sogar stolz auf ihn. er ist noch ein freidenker und revoluzzer, der versucht gegen die obrigkeit und monarchie anzugehen, und einfach gerecht zu sein, für menschen einzustehen. und wir können das jawohl beurteilen!

ein JA für JAHR!!

Manipulation von Akten

Ulrich Brosa 21.04.2007 - 10:26
Hätte Hans-Christoph Jahr richtig zu jener Seilschaft gehört, die deutsche Justiz genannt wird, hätte er nach Herzenslust Dokumente fälschen düfen. Entweder wäre es nicht herausgekommen oder, wenn es herausgekommen wäre, hätte sein Vorgesetzter mit Menschlichkeit auf die Gefühlsdrüsen gedrückt.

In der Ermittlungsakte 2 Js 17479/04 der Staatsanwaltschaft Marburg klafften zwei große Lücken. Der Leitende Oberstaatsanwalt Koeppen kommentierte das so (Schreiben vom 20.11.2006, Geschäftszeichen 31d 17/06):

Nach den mir vorliegenden Informationen handelt es sich bei den von Ihnen als fehlend monierten Seiten um Fehlfoliierungen, also um Zählfehler beim Aufbringen der Blattzahlen. Hierdurch sind Sie nicht beschwert. Insbesondere bei hoher Arbeitsbelastung zeigt es sich gelegentlich, daß Menschen fehlbar sind. Das ist bedauerlich, aber eben menschlich.
In der deutschen Justiz wird nicht nach dem Sachverhalt, sondern nach Feind und Freund entschieden.

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