Eine Partei der bolivianischen Gewerkschaften

Wladek Flakin 09.04.2007 17:38 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Boliviens Gewerkschaftsdachverband COB bereitet die Gründung einer eigenen politischen Partei vor. Die Formation, die „Politisches Instrument der Arbeiter“ (IPT) heissen wird, soll voraussichtlich bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2008 antreten.
Pedro Montes, Generalsekretär der Bolivianischen Arbeiterzentrale (COB), begründete das Projekt nach einer erweiterten Vorstandssitzung letzte Woche in der Stadt Oruro: „Man kann keine der politischen Parteien vertrauen, deshalb ist ein politisches Instrument der Arbeiter dringend nötig.“ Seit Wochen reist er durch das Land und trifft sich mit verschiedenen Gewerkschaftsgliederungen, um das Projekt an der Basis zu „sozialisieren“. Das IPT soll ein „Ausdruck der Ideologie und der Mobilisierung der Arbeiter und der Bevölkerung im allgemeinen sein, um den Kampf bis zur Liquierdierung des herrschenden neoliberalen und kapitalistischen Modells in diesem Land zu führen.“

Die linke Regierung von Evo Morales und der Bewegung zum Sozialismus (MAS) gewann die Wahlen letztes Jahr mit über 50% der Stimmen und geniesst in den ärmsten Regionen des Landes bis zu 90% Unterstützung. Aber die Gewerkschaften werfen Morales vor, sich nicht an der „Agenda von Oktober 2003“ zu halten: statt voller Verstaatlichung der natürlichen Ressourcen ohne Entschädigung gab es nur neue Verträge mit den multinationalen Konzernen, um höhere Steuereinnahmen für den Staat zu sichern. Eine eigene politische Partei sei, laut Montes, „die einzige Garantie dafür, dass die Arbeiter den Neoliberalismus liquidieren. Die Regierung wird das aufgrund ihrer sektoralen Verpflichtungen niemals machen.“

Warum heisst es „politisches Instrument“ und nicht einfach „Partei“? Das Misstrauen der organisierten Arbeiter gegenüber Parteien ist gross: nicht nur die drei grossen Parteien, die Bolivien in den „zwanzig neoliberalen Jahren“ nach 1985 regierten, sondern auch das linke Bündnis UDP, das zwischen 1982 und 1985 an der Macht war, brachten nichts als Privatisierungen, Massenentlassungen und Lohnkürzungen für die Arbeiter. Die COB-Mitgliedschaft - vor allem ihr radikalster Teil, die Bergarbeiter - sind Syndikalisten und wollen nichts von Parteien wissen. Der Begriff „Instrument“ soll das Projekt annehmbar. Auch die Regierungspartei MAS heisst offiziell „Politisches Instrument für die Souveränität der Völker.“

Aber die Bildung des IPTs zieht sich hin. Bereits auf dem 13. Kongress der COB im Jahr 2002 wurde es beschlossen. Bei den Aufständen im Oktober 2003 und in Juni-Juli 2005 haben zahlreiche Gewerkschaftsführer betont, dass die Aufständischen die politische Macht hätten übernehmen können – es fehlte nur ein politisches Instrument bzw. eine revolutionäre Partei. Weil eine solche Formation fehlte, haben diese Gewerkschaftsführer Evo Morales indirekt unterstützt oder sogar mit dem Gedanken einer „zivil-militärischen Erhebung“ (also einem Staatsstreich linker Militärs nach dem Vorbild von Hugo Chavez) gespielt.

In den zwei Jahren seit den Aufständen haben die Gewerkschaften wenig getan, um das Projekt IPT auf die Beine zu stellen. Miguel Zubieta, Vorsitzender der COB im Distrikt Oruro und ziemlich der Linkeste im COB-Vorstand, führt das auf den Unwillen der Gewerkschaftsführungen zurück: „Sie wollen keine Arbeiterpartei, weil sie mit der MAS oder sonst einer Partei verbunden sind“. Dabei ist er auch der Meinung, dass eine solche Partei nicht von einem Tag auf den anderen entstehen kann. „Dann wäre es eine weitere Müllpartei.“ Für ihn ist ein IPT wichtig, damit die bolivianische Arbeiterbewegung zu einem politischen Subjekt wird - „von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich“ sagt er klassisch-marxistisch. Der COB-Vorstand stellte auch vor kurzem in einem Dokument fest, dass „der gewerkschaftliche Kampf sich in der nationalen Geschichte als unzureichend erwiesen hat, um das Ziel eines besseren Landes, mit Gleichheit, ohne Ausschlüsse, mit gerechten Löhnen und einer souveränen und unabhängigen Nation zu erreichen.“

Javo, ein trotzkistischer Aktivist der Revolutionären Arbeiterliga für die Vierte Internationale (LORCI), nahm an die langen Kämpfe fürs IPT teil. „Allein wegen des Namens gab es Riesenstreit“ erinnert er sich. „Die Gewerkschaftsbürokratie wollte es ‚Breite Front der Volkseinheit‘ nennen.“ Diesen Streit konnten die Trotzkisten gewinnen, aber sonst gab es wenig Fortschritte. Die LORCI wurde so ungeduldig, dass sie selbst Unterschriften für einen Wahlantritt sammelten: die Liste „Arbeiterstimme“. Sie sind aber bereit, diese Liste zugunsten des IPT zurückzuziehen, denn es wäre die erste Partei der Arbeiterklasse in der Geschichte Boliviens.

von Wladek Flakin, Cochabamba
von der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION (www.revolution.de.com)

siehe auch:

Deutsch: »Wirtschaftliche Macht blieb bei der Oligarchie«
 http://www.jungewelt.de/2007/03-30/016.php

Spanisch: La COB impulsa la creación de su propio partido político
 http://www.laprensa.com.bo/noticias/31-03-07/31_03_07_poli4.php
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Ergänzungen

Arbeiterparteien in Bolivien

Tupac Katari 09.04.2007 - 21:58
Boliviens Arbeiterbewegung hat eine lange und interessante Geschichte in der sie eine ganze Reihe von Parteien hervorbrachte. Ungewöhnlich für Lateinamerika ist, dass trotzkistische Strömungen dabei lange Zeit dominant waren. Vor allem ist die POR (Partido Obrero Revolucionario) zu nennen (Wikipedia:  http://en.wikipedia.org/wiki/Revolutionary_Workers%27_Party_%28Bolivia%29). Ihr langjähriger Anführer Guillermo Lora (Wikipedia:  http://en.wikipedia.org/wiki/Guillermo_Lora) gilt als der wichtigste Historiker der bolivianischen Arbeiterbewegung.

Die POR hatte lange Zeit einen großen Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegung bzw. die Arbeiter hatten Einfluss auf die POR. Z.B. gilt dies noch immer für die radikale Lehrergewerkschaft in La Paz.

Wladek, inwiefern spielt denn die POR eine Rolle für die Gründung der neuen Partei? Kannst du das von dort aus einschätzen?

POR

Wladek Flakin 09.04.2007 - 23:21
Danke für die Ergänzung, Tupac. Der letzte Satz in meinem Artikel ist tatsächlich missverständlich: ich wollte sagen, dass es in Bolivien noch nie eine Massenpartei der ArbeiterInnen gegeben hat, nur kleine Avantgarde-Parteien. Das erklärt die ausserordentlich politische Rolle, die der Gewerkschaftsdachverband COB immer wieder gespielt hat.

Die POR hat eine grosse Rolle in der bolivianischen Arbeiterbewegung gespielt. Guillermo Lora verfasste die Thesen von Pulacayo, die im Jahr 1947 von der Bergarbeitergewerkschaft FSTMB angenommen wurden und bis heute den wichtigsten programmatischen Bezugspunkt der bolivianischen Gewerkschaften darstellen. Sein Bruder Cesar Lora war bis zu seiner Ermordung in den 60ern eine wichtige Führungsfigur der Bergarbeiter.

Jetzt ist die POR die grösste Partei links von der MAS, was nicht viel bedeutet. Ihre Bastionen sind, wie du sagst, die Lehrergewerkschaft in La Paz und die Studentenvertretung an der Universität von Cochabamba. In den Bergwerken hat sie, so weit ich feststellen konnte, keinen Einfluss mehr.

Die POR ist jetzt ziemlich sektiererisch. Ich habe mit verschiedenen Führungsfiguren der Partei gesprochen (auch mit dem alten Lora, der immer noch sehr aktiv ist) und sie lehnen das ganze Projekt ohne Wenn und Aber ab. Innnerhalb der COB haben sie heftig gegen das IPT argumentiert (und zusammen mit den MASistas dagegen gestimmt).

Für die POR gibt es schon eine Arbeiterpartei in Bolivien, und das sind sie.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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vergessen

AP 10.04.2007 - 00:07
Im Text leider vergessen (gleich hinter Bürokratie): stalinistische.